L 4 SO 41/10

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 15 SO 248/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 41/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Die 1939 geborene Klägerin leidet seit 1975 an Lähmungen in beiden Beinen. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), aG (außergewöhnliche Gehbehinderung), B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson), H (Hilflosigkeit) und RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht). Sie erhält eine Altersrente und aufstockend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII.

Seit Juni 1987 erhielt die Klägerin von der Beklagten Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), zuletzt monatlich 910,- DM für eine Pflegekraft, 283,50 DM Pflegegeld und 611,- DM Hilfe zur Weiterführung des Haushalts. Die Pflege sowie die Haushaltshilfe übernahm eine private Pflegekraft, Frau S., die hierfür von der Klägerin monatlich 1.800,- DM erhielt.

Mit Bescheid vom 12. Mai 1995 stellte die Pflegekasse der Klägerin, die AOK S., fest, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Pflegestufe 2 vorliegen und bewilligte ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 800,- DM. In dem Bescheid wurde ferner darauf hingewiesen, dass die Klägerin alternativ zum Pflegegeld Pflegesachleistungen in Form von Pflegeeinsätzen durch hauptberufliche Pflegefachkräfte in Anspruch nehmen oder eine Kombination von Pflegesachleistung und Pflegegeld wählen könne.

Mit Schreiben vom 22. Mai 1995 teilte die Klägerin der AOK S. mit, dass ihre pflegerische Versorgung durch die Gewährung des Pflegegeldes nicht ausreichend gewährleistet sei. Einsätze von Pflegepersonen ambulanter Pflegedienste lehne sie aufgrund schlechter Erfahrungen ab. Sie beantragte unter Verweis auf § 77 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Übernahme der Versorgung durch ihre bisherige Pflegeperson Frau S ... Die AOK S. lehnte dies mit Bescheid vom 22. Juni 1995 ab: Häusliche Pflegehilfe werde durch geeignete Pflegekräfte erbracht, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag abgeschlossen hat, angestellt seien. Da die Pflegerin der Klägerin bei dieser als Privatperson tätig und nicht bei einer Pflegeeinrichtung angestellt sei, könne die Sachleistung nicht gewährt werden. Es könne nur die Zahlung des Pflegegeldes erfolgen, das der Klägerin bereits bewilligt worden sei. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch.

In der Folgezeit erhielt die Klägerin keine Leistungen von der AOK S.; die Beklagte gewährte der Klägerin daher zunächst die bisherigen Leistungen weiter. Am 22. September 1997 teilte die AOK S. der Beklagten telefonisch mit, dass sie bereit sei, für den Zeitraum vom 1. April 1995 bis zum 30. September 1997 ein Vertragsverhältnis gemäß § 77 Abs. 1 SGB XI mit Frau S. zu unterstellen. Für die Zeit ab dem 1. Oktober 1997 bestehe diese Möglichkeit nicht, da Frau S. nicht bereit sei, für ihre Pflegetätigkeit ein selbständiges Gewerbe anzumelden. Die Beklagte machte daraufhin gegenüber der AOK S. einen Erstattungsanspruch für die von ihr im Zeitraum vom 1. April 1995 bis zum 30. September 1997 erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von insgesamt 46.000,80 DM (monatlich 1.533,36 DM) geltend. Die Klägerin teilte der AOK S. mit, ihr Sohn habe monatlich 279,- DM für die Pflege durch Frau S. verauslagt. Die AOK S. erstattete in der Folgezeit einen Betrag insgesamt 54.000,- DM, davon 46.000,80 DM an die Beklagte und 7.999,20 DM an den Sohn der Klägerin.

Ab Oktober 1997 war Frau S. nicht mehr für die Klägerin tätig. Die AOK S. gewährte der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Oktober 1997 Pflegegeld der Stufe 2 in Höhe von zunächst 800,- DM monatlich. Die Beklagte bewilligte der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Oktober 1997 Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von zunächst 266,64 DM monatlich.

Im August 2008 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen für eine Haushaltshilfe. Die Beklagte lehnte dies durch Bescheid vom 5. September 2008 ab. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 30. September 2008 Widerspruch.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen der Häuslichen Pflege gem. § 63 SGB XII für den Zeitraum vom 1. Dezember 2008 bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von 140,- Euro. Hiergegen erhob die Klägerin am 23. Dezember Widerspruch. Sie trug vor, aufgrund der Besitzstandsregelung des Art. 51 Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) mache sie einen Aufwendungsersatzanspruch für die Zeit ab dem 1. Oktober 1997 geltend. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. September 2008 zurück.

Ebenfalls mit Widerspruchsbescheid vom 30. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2008 zurück: Die Klägerin mache einen Anspruch auf Überprüfung der seit Oktober 1997 ergangenen Leistungsbescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Sie habe aber keinen Anspruch auf weitere Zahlungen. Insbesondere ergebe sich ein Anspruch nicht aus Art. 51 PflegeVG. Am 31. März 1995, dem in Art. 51 PflegeVG genannten Stichtag, habe die Klägerin ein Pflegegeld in Höhe von 283,50 DM erhalten. Derzeit erhalte sie ein Pflegegeld in Höhe von 420,- Euro. Sie sei durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB XI bezüglich des Pflegegeldes somit bessergestellt, sodass sich kein Anspruch aus Besitzstand ergebe. Zudem sei der Klägerin mit den von der Beklagten monatlich bewilligten 140,- Euro eine Leistung zugesprochen worden, die ihr im Grunde nicht zugestanden habe.

Die Klägerin hat am 23. Mai 2009 Klage zum Sozialgericht Hamburg gegen die Beklagte sowie die AOK S. erhoben mit dem Antrag, diese zu verpflichten, ihr ab dem 1. Oktober 1997 die ihr zustehenden Pflegeleistungen zu bewilligen (Aktenzeichen S 23 P 54/09). Zur Begründung hat sie ausgeführt, bis zum 30. September 1997 sei ihre pflegerische Versorgung durch die von der Beklagten bewilligten Leistungen sichergestellt gewesen. Danach sei dies nicht mehr der Fall gewesen. Frau S. habe ihr nicht mehr zur Verfügung gestanden. Ihre Kinder seien beide voll berufstätig gewesen und hätten ihre Pflege daher nicht voll übernehmen können. Sie habe keine Hilfe gehabt, sei mehrfach gefallen und habe sich verletzt. Ihre Anfrage nach einer anderen Pflegeperson sei sowohl von der AOK S. als auch von der Beklagten abgelehnt worden. Für die von ihr selbst beschaffte Pflegerin zahle ihr Sohn. Die Beklagte wäre gem. § 65 SGB XII bzw. § 69b BSHG verpflichtet gewesen, die Kosten der Heranziehung einer besonderen Pflegekraft ab dem 1. Oktober 1997 zu übernehmen. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundlage hätte sie nicht auf die Inanspruchnahme von Sachleistungen nach dem SGB XI verwiesen werden dürfen. Einen Pflegedienst wolle sie nicht beauftragen.

Das Sozialgericht hat das Verfahren gegen die Beklagte von dem Verfahren gegen die AOK S. abgetrennt. Anschließend hat es das Verfahren gegen die Beklagte getrennt und das Verfahren bezüglich der Leistungen für eine Haushaltshilfe unter dem Aktenzeichen S 15 SO 177/10 geführt. Die Klage gegen die AOK S. hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 7. Oktober 2009 abgewiesen; die hiergegen zunächst erhobene Berufung (Az.: L 1 P 6/09) hat die Klägerin im Verhandlungstermin am 2. Februar 2011 wieder zurückgenommen. Die Klage bezüglich der Haushaltshilfe hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2010 abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung hat der Senat mit Urteil vom 1. Oktober 2014 zurückgewiesen (Az.: L 4 SO 42/10).

Die Klage bezüglich der Pflegeleistungen hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2010 abgewiesen: Als Anspruchsgrundlage komme allenfalls Art. 51 PflegeVG in Betracht. Die Klägerin habe aber keinen Anspruch nach dieser Norm. Zum Stichtag 30. März 1995 habe sie ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 283,50 DM erhalten. Nunmehr werde ihr ein Pflegegeld in Höhe von monatlich 420,- Euro ausgezahlt, sie erhalte also ein höheres Pflegegeld als zum Stichtag.

Am 17. Juni 2010 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ihr seien seit dem 1. Oktober 1997 zu Unrecht Leistungen für ihre Pflegeperson versagt worden. Eine Weiterbeschäftigung ihrer Pflegerin Frau S. hätte ab dem 1. Oktober 1997 im Wege des Arbeitgebermodells von der Beklagten nahtlos übernommen werden müssen. Eine Schlechterstellung bei unveränderter Pflegebedürftigkeit sei unzulässig. Sie habe den Leistungsträgern mitgeteilt, dass ihre Versorgung durch das Pflegegeld nicht gesichert sei, die Beklagte sei trotz Kenntnis der Unterversorgung untätig geblieben. Durch Verschulden und Amtspflichtverletzungen der Sachbearbeiter sei sie in entsetzliche Situationen geraten. Die Beklagte hätte sie auf die Möglichkeit des Arbeitgebermodells hinweisen müssen, diesbezüglich liege ein erhebliches Beratungsverschulden vor, aufgrund dessen sich ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch ergebe. In der Zeit ab dem 1. Oktober 1997 hätten verschiedene Frauen ihre Pflege und auch Tätigkeiten in ihrem Haushalt übernommen. Sie hätte diese Frauen über Zeitungsannoncen bekommen. Arbeitsverträge seien nicht geschlossen worden, auch eine Anmeldung zur Sozial- oder Unfallversicherung sei nicht erfolgt. Die Pflegerinnen seien bar bezahlt worden, ihr Sohn habe hierfür monatlich 300,- Euro aufgewandt. Nachweise über die Zahlungen an die Pflegerinnen habe sie nicht. Auch mit Frau S. habe es damals keinen Arbeitsvertrag gegeben, angemeldet habe sie auch diese nicht.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Mai 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 1. Dezember 2008 betreffend Leistungen für Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30. April 2009 zu verpflichten, ihr weitere Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Zeit vom 1. Oktober 1997 bis 31. Dezember 2008 zu gewähren.

Die Beklage beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf ihren Vortrag im Widerspruchsbescheid sowie die Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 19. Mai 2010. Die Regelungen zum Arbeitgebermodell kämen nur dann zum Tragen, wenn sich der Betroffene durch bei ihm beschäftigte Pflegekräfte pflegen lässt. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor.

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten der Verfahren L 1 P 6/09, L 4 SO 42/10, L 4 SO 14/10 B ER, L 4 SO 12/10 B ER, L 4 SO 13/10 B ER und S 15 SO 474/09 ER beigezogen. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2011 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und bei der Beratung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hat.

II. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Streitgegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Klägerin höhere Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zu gewähren waren. Soweit es um den Monat Dezember 2008 geht, hat sich die Klägerin direkt gegen den für diesen Monat Leistungen bewilligenden Bescheid vom 1. Dezember 2008 gewandt. Soweit es um den Zeitraum vor Dezember 2008 geht, macht die Klägerin Ansprüche auf höhere Leistungen im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X geltend. Die Bescheide, mit denen die Beklagte im Zeitraum vom 1. Oktober 1997 bis zum 30. November 2008 Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von zunächst 266,64 DM und zuletzt 140,- Euro monatlich bewilligte, sind bestandskräftig geworden, sodass eine Gewährung höherer Leistungen nur im Wege des § 44 SGB X in Betracht kommt.

2. Die Klage ist zulässig, insbesondere bedurfte es vor Klagerhebung hinsichtlich des Überprüfungsantrags für den Zeitraum vor Dezember 2008 nicht eines gesonderten Widerspruchsverfahrens. Zwar hat die Beklagte über den Überprüfungsantrag erstmals im Widerspruchsbescheid entschieden. Dennoch bedurfte es keines weiteren Widerspruchverfahrens, denn es gilt – auch ohne eine entsprechende Regelung im SGG – der Gedanke des § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 78 Rn. 8 m.w.N.); diese Vorschrift regelt ausdrücklich, dass ein Vorverfahren nicht erforderlich ist, wenn der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält.

3. Die Klage ist nicht begründet.

Die Überprüfung der gewährten Leistungen ist hier auf den Zeitraum ab dem 1. Januar 2004 beschränkt. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X bestimmt, dass im Fall der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden. § 116a SGB XII, der diese Frist auf ein Jahr verkürzt, findet vorliegend keine Anwendung, da er erst zum 1. April 2011 und damit nach dem Überprüfungsantrag in Kraft getreten ist. Nach § 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X beginnt die Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, mit Beginn des Jahres, in dem der Überprüfungsantrag gestellt wird, hier also mit Beginn des Jahres 2008. Eine Abänderung der Verwaltungsakte für die Zeit vor dem 1. Januar 2004 ist damit von vornherein ausgeschlossen. Denn einem Antragsteller, der wegen § 44 Abs. 4 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme bzw. Abänderung der Leistungsbescheide zugebilligt werden (vgl. BSG, Urteil vom 26.6.2013, Az.: B 7 AY 6/12 R und Urteil vom 29.9.2009, Az.: B 8 SO 16/08 R).

Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember 2008 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf weitere Leistungen der Hilfe zur Pflege.

Unstreitig ist die Klägerin pflegebedürftig im Sinne von § 61 SGB XII. Sie bedarf wegen ihres gesundheitlichen Zustands für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße der Hilfe. Art und Umfang der Leistungen der Hilfe zur Pflege sowie ihr Verhältnis zu Leistungen anderer Träger sind in den §§ 61 ff. SGB XII näher geregelt. Die Hilfe zur Pflege umfasst dabei neben der stationären und teilstationären Pflege insbesondere die häusliche Pflege. Reicht wie hier häusliche Pflege aus, so soll der Träger der Sozialhilfe gemäß § 63 SGB XII darauf hinwirken, dass die Pflege einschließlich der hauswirtschaftlichen Versorgung durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahe stehen, oder als Nachbarschaftshilfe übernommen wird. Nähere Regelungen diesbezüglich enthalten die §§ 64 bis 66 SGB XII. Aus diesen Vorschriften ergibt sich jedoch kein Anspruch der Klägerin.

a. Die Klägerin kann nicht die Übernahme der Kosten verlangen, die sie im streitgegenständlichen Zeitraum für ihre Pflegerinnen hatte.

aa. Ein Anspruch lässt sich zunächst nicht aus § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ableiten. Diese Vorschrift gibt einen Anspruch auf Erstattung der angemessenen Aufwendungen einer Pflegeperson, daneben können angemessene Beihilfen geleistet sowie Beiträge der Pflegeperson für eine angemessene Alterssicherung übernommen werden. Pflegepersonen im Sinne dieser Norm sind keine professionellen Pflegekräfte, sondern Verwandte oder dem Pflegebedürftigen sonst nahestehenden Personen, die die Pflege als Nachbarschaftshilfe übernehmen. Dementsprechend umfassen die "Aufwendungen" im Sinne des § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht eine der Pflegeperson gezahlte Vergütung (vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf SGB XII, 5. Auflage 2014, § 65 Rn. 6). Hier geht es aber nicht um Leistungen für die Pflege durch nahestehende Personen, sondern um die Kosten, die die Klägerin für ihre gegen Entgelt tätigen Pflegerinnen hatte.

bb. Ferner lässt sich ein Anspruch nicht auf § 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII stützen. Diese Vorschrift bestimmt, dass die angemessenen Kosten für eine besondere Pflegekraft zu übernehmen sind, wenn deren Heranziehung erforderlich ist. Unabhängig von der Frage, welche Qualifikationsanforderungen an "besondere Pflegekräfte" im Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28.2.2013, Az.: B 8 SO 1/12 R und Urteil vom 26.8.2008, Az.: B 8/9b SO 18/07 R; Meßling, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 65 SGB XII Rn. 33 ff.; Klie, in: Hauck/Noftz, SGB XII K § 65 Rn. 7), und ob die für die Klägerin tätigen Personen diese Anforderungen erfüllten, steht einem Anspruch der Klägerin die Regelung in § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach werden Leistungen nach § 65 Abs. 1 SGB XII insoweit nicht erbracht, als Pflegebedürftige in der Lage sind, zweckentsprechende Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften in Anspruch zu nehmen. Hierin liegt eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII). Vorrang vor den Leistungen nach § 65 Abs. 1 SGB XII haben insbesondere die Pflegesachleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Diese dienen demselben Zweck wie die Leistungen nach § 65 Abs. 1 SGB XII, sind also "zweckentsprechend" im Sinne von § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII.

Eine Ausnahme vom Nachrang der Sozialhilfe besteht lediglich, wenn der Pflegebedürftige seine Pflege durch von ihm beschäftigte besondere Pflegekräfte sicherstellt, so genanntes Arbeitgebermodell. In diesem Fall kann der Pflegebedürftige gemäß § 66 Abs. 4 S. 2 SGB XII nicht auf die Inanspruchnahme von Sachleistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden. Dieser Ausnahmefall greift vorliegend jedoch nicht ein, da die Klägerin die sie pflegenden Personen nicht als Arbeitgeberin beschäftigte. Nach Auskunft der Klägerin wurden keine Verträge geschlossen und damit die für ein Beschäftigungsverhältnis typischen Regelungen über Entlohnung, Urlaubsansprüche etc. nicht getroffen. Ferner ist keine Anmeldung zur Sozialversicherung bzw. bei der Minijob-Zentrale erfolgt. Ein Beschäftigungsverhältnis lässt sich damit nicht feststellen.

Somit bleibt es bei dem Vorrang der Pflegesachleistungen nach dem SGB XI. Nur sofern der Bedarf der Klägerin durch Sachleistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckt werden kann, hätte sie folglich einen Anspruch auf ergänzende Leistungen der Beklagten. Dieser Anspruch setzt jedoch voraus, dass zunächst die Sachleistungen der Pflegeversicherung voll ausgeschöpft werden (vgl. Meßling, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 66 SGB XII Rn. 41), da nur so der Nachrang der Sozialhilfe umfassend sichergestellt werden kann. Im streitgegenständlichen Zeitraum hat die Klägerin aber keine Sachleistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen. Vielmehr hat sie durchgängig betont, dass sie keine Pflege durch einen Pflegedienst wolle und lediglich die Pflege durch ihre bisherige Pflegeperson, Frau S., beantragt. Eine Pflege durch Frau S. war aber nicht als Sachleistung der Pflegeversicherung möglich. § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB XI bestimmt, dass Sachleistungen der häuslichen Pflege durch geeignete Pflegekräfte erbracht werden, die entweder von der Pflegekasse oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen, mit denen die Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen hat, angestellt sind. Auch durch Einzelpersonen, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs. 1 SGB XI abgeschlossen hat, kann häusliche Pflegehilfe als Sachleistung erbracht werden (§ 36 Abs. 1 Satz 4 SGB XI). Frau S. war weder bei der AOK S. noch bei einer ambulanten Pflegeeinrichtung angestellt. Zum Abschluss eines Vertrages nach § 77 Abs. 1 SGB XI zwischen ihr und der AOK S. für die Zeit ab dem 1. Oktober 1997 kam es gerade nicht.

Die Klägerin war nach Überzeugung des Gerichts auch im Sinne von § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB XII in der Lage, zunächst die Pflegesachleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in Anspruch zu nehmen. Es ist nicht erkennbar, dass ihr Pflegesachleistungen, insbesondere in Form von Pflegeeinsätzen eines Pflegedienstes, objektiv unmöglich oder subjektiv unzumutbar gewesen wäre. Sofern die Klägerin vorbringt, bei Beauftragung eines Pflegedienstes in der Vergangenheit seien die Leistungen mangelhaft gewesen, kann sie hiermit nicht durchdringen. Insbesondere hätte es ihr offen gestanden, einen anderen Dienst zu beauftragen.

cc. Ein Anspruch ergibt sich in diesem Zusammenhang auch nicht daraus, dass die Beklagte bis zur Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 der Klägerin Leistungen für ihre Pflegekraft Frau S. gezahlt hat. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob dies rechtmäßig war. Denn allein aus dem Umstand, dass eine bestimmte Leistung in der Vergangenheit gewährt wurde, ergibt sich kein Anspruch auf eine Weitergewährung. Hierfür kommt es vielmehr darauf an, ob die Voraussetzungen für die Leistung im maßgebenden Zeitraum vorlagen. Eine "Besitzstandswahrung" gibt es nur, soweit diese gesetzlich geregelt ist (so z.B. für das Pflegegeld, vgl. dazu unten unter b.).

dd. Auch eine Übernahme der Kosten für die Pflegerinnen im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kommt nicht in Betracht. Der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift ein, wenn der zuständige Sozialleistungsträger eine Pflicht, insbesondere eine Auskunfts-, Beratungs- oder Betreuungspflicht verletzt hat und hierdurch dem Betroffenen ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18.1.2011, Az.: B 4 AS 99/10 R). Hier ist bereits nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihre Pflichten gegenüber der Klägerin verletzt hat. Aber selbst wenn im Fall der Klägerin eine Beschäftigung ihrer Pflegerinnen im Rahmen des Arbeitgebermodells möglich gewesen wäre und die Beklagte – wie die Klägerin vorträgt – ihre diesbezügliche Beratungspflicht verletzt haben sollte, so kann sich dennoch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Kostenersatzanspruch der Klägerin ergeben. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Herstellung derjenigen Position gerichtet, die der Betroffene bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung der verletzten Pflichten innegehabt hätte. Voraussetzung ist allerdings, dass dieser Zustand mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung hergestellt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 18.1.2011, Az.: B 4 AS 99/10 R; Urteil vom 1.4.2004, Az.: B 7 AL 52/03 R; Urteil vom 18.2.2010, Az.: B 4 AS 28/09 R). Hingegen können Lebenssachverhalte, die außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegen und einer Gestaltung durch Verwaltungshandeln nicht zugänglich sind, nicht im Wege des Herstellungsanspruchs korrigiert werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 31.1.2006, Az.: B 11a AL 15/05 R: Eintritt von Arbeitslosigkeit; Urteil vom 11.3.2004, Az.: B 13 RJ 16/03 R: fehlende Arbeitslosmeldung; Urteil vom 25.10.1989, Az.: 7 RAr 150/88: fehlende Anwartschaftszeiten; Urteil vom 15.5.1985, Az.: 7 RAr 103/83: fehlende Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung). Die Klägerin hat ihre Pflegerinnen – wie oben dargelegt – gerade nicht als Arbeitnehmerinnen beschäftigt. Das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses liegt außerhalb des Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten, es kann nicht durch ein Handeln der Beklagten herbeigeführt werden. Folglich kann es auch nicht im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden. Ohne ein Beschäftigungsverhältnis können aber die von der Klägerin an ihre Pflegerinnen gezahlten Beträge nicht rechtmäßig von der Beklagten übernommen werden.

ee. Scheidet ein Anspruch auf rückwirkende Übernahme der Kosten für die Pflegerinnen schon wegen Fehlens der Voraussetzungen aus, so brauchte der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich einen Bedarf an Leistungen durch die Beklagte hatte, und welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Sohn der Klägerin die anfallenden Kosten für die Pflegerinnen übernommen hat.

b. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Bewilligung von Pflegegeld durch die Beklagte.

Gemäß § 64 SGB XII haben Pflegebedürftige je nach festgestelltem Ausmaß der Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe) einen Anspruch auf Pflegegeld entsprechend der in § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB XI geregelten Beträge. Hinsichtlich der Feststellung der Pflegestufe hat der Sozialhilfeträger die Entscheidung der Pflegekasse zugrunde zu legen, § 62 SGB XII. § 66 Abs. 1 SGB XII bestimmt jedoch, dass Leistungen nach § 64 SGB XII nicht erbracht werden, soweit Pflegebedürftige gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften erhalten. Pflegegelder nach dem SGB XI sind in dem Umfang, in dem sie erbracht werden, auf das nach § 64 SGB XII zu gewährende Pflegegeld anzurechnen. Die Klägerin erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum durchgängig Pflegegeld der Pflegestufe 2 nach dem SGB XI von der AOK S ... Infolge der Anrechnung dieses Pflegegelds auf das nach § 64 SGB XII zu gewährende Pflegegeld ergibt sich kein Zahlungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten.

Ein Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld durch die Beklagte ergibt sich auch nicht aus der Regelung des Art. 51 PflegeVG. Diese Vorschrift regelt die Wahrung des Besitzstandes für diejenigen Empfänger von Pflegegeld nach § 69 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die infolge der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes zum 1. April 1995 gegenüber dem bisherigen Recht eine geringere Leistung in Anspruch nehmen könnten. Nach Art. 51 Abs. 1 PflegeVG in der Fassung des rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit vom 15. Dezember 1995 (BGBl. I S. 1724) erhalten Personen, die am 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 BSHG in der bis zum 31. März 1995 geltenden Fassung bezogen haben, dieses Pflegegeld und zusätzlich das bis zum 31. März 1995 nach § 57 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gezahlte Pflegegeld vom Träger der Sozialhilfe nach Maßgabe der Abs. 3 bis 5. Nach Art. 51 Abs. 4 PflegeVG mindert sich die Leistung nach Abs. 1 um den Betrag des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI. Die Klägerin bezog am 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 BSGH in Höhe von 283,50 DM. Hierauf ist gem. Art. 51 Abs. 4 PflegeVG das Pflegegeld nach § 37 SGB XI, das ihr in Höhe von zunächst 800,- DM und inzwischen 420,- Euro gewährt wird, anzurechnen. Folglich ergibt sich kein Anspruch der Klägerin.

4. Über die Frage eines Amtshaftungsanspruches war nicht zu entscheiden. Aus Art. 34 Satz 3 Grundgesetz i. V. m. § 17 Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ergibt sich die alleinige Entscheidungszuständigkeit der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit für Amtshaftungsansprüche. Ein Ausnahmefall, der dem Landessozialgericht über die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG als Rechtsmittelgericht eine eigene Kompetenz geben könnte, über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden, liegt nicht vor. Denn das Sozialgericht hat keine "Entscheidung in der Hauptsache" im Sinne von § 17a Abs. 5 GVG über den Amtshaftungsanspruch getroffen (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az.: B 13 R 437/11 B). Es hat seine Entscheidung auf mögliche Anspruchsgrundlagen des SGB XII beschränkt; ein Amtshaftungsanspruch wird weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen erwähnt.

Die Klage bzw. die Berufung war ferner nicht – auch nicht teilweise – an das zuständige Landgericht zu verweisen. Eine Teilverweisung an das Zivilgericht ist nicht zulässig, da das GVG keine Teilverweisung kennt. Einer Verweisung des gesamten Rechtsstreits steht der Grundsatz entgegen, dass eine solche nicht erfolgen darf, wenn das angerufene Gericht zumindest für einen Teil der einschlägigen materiellen Ansprüche zuständig ist (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az.: B 13 R 437/11 B; vgl. hierzu auch Felix, SGb 2014, S. 469, 477).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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