S 25 AS 980/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 25 AS 980/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 3/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine "dezentrale Warmwasserversorgung" im Sinne des § 21 Abs. 7 SGB II umfasst nur solche Vorrichtungen, die warmes Wasser separat, d.h. nicht in einer Vorrichtung mit der Heizung erwärmen.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Mehrbedarfes für die Erwärmung von Wasser nach § 21 Abs. 7 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) im Rahmen des Bezugs von Arbeitslosengeld II.

Der Kläger wohnt in einer Mietwohnung, für die laut Mietvertrag eine Grundmiete von 290 EUR, Betriebskostenvorauszahlungen von 60 EUR und Heizkostenvorauszahlungen von 50 EUR monatlich zu zahlen sind. Die Heizung und die Erwärmung von Wasser erfolgt über eine Gaskombitherme in der Wohnung des Klägers. Der dafür benötigte Strom läuft über den privaten Stromzähler des Klägers.

Mit Bescheid vom 3. Juli 2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt 620 EUR (220 EUR Regelbedarf und 400 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) für Juni 2012 und von 774 EUR monatlich (374 EUR Regelbedarf und 400 EUR Kosten für Unterkunft für Heizung) für Juli bis November 2012.

Mit seinem Widerspruch vom 24. Juli 2012 gegen diesen Bescheid machte der Kläger u.a. geltend, dass für die Stromkosten der Gastherme in seiner Wohnung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II zu gewähren sei.

Auf diesen Widerspruch gewährte der Beklagte dem Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2012 monatlich 2,50 EUR für die Betriebsstromkosten der Gaskombitherme und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Eine dezentrale Warmwasseraufbereitung im Sinne des § 21 Abs. 7 SGB II läge nicht vor, da mit der Gaskombitherme auch geheizt werde. Der Betriebsstrom könne mit 5 % der jährlichen Brennstoffkosten berechnet werden. Da diese noch nicht bekannt seien, könne auf die Höhe der monatlichen Vorauszahlungen zurückgegriffen werden.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 17. Dezember 2014 erhobenen Klage.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es sich bei der Gaskombitherme um eine dezentrale Warmwasserversorgung handele. Es könne keine Rolle spielen, ob die Erwärmung von Warmwasser und die Heizung der Wohnung in einem oder zwei getrennten Geräten vorgenommen werden. Schließlich würden die Kosten des Stromes zur Erzeugung von warmem Wasser nicht über den Vermieter abgerechnet, so dass § 22 SGB II nicht eingreife. Der Zuschlag von 5 % der jährlichen Brennstoffkosten beziehe sich nur auf die Heizkosten, nicht aber auf die Warmwasseraufbereitung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2012 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 7 SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass die Kosten der Gaskombitherme des Klägers vollständig gedeckt seien.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte zum Verfahren S 29 AS 680/12 ER und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II, so dass sich der Bescheid vom 3. Juli 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2012 als rechtmäßig erweist.

Insbesondere hat der Kläger keinen Anspruch auf den geltend gemachten Mehrbedarf.

§ 21 Abs. 7 S. 1 SGB II sieht vor, dass bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt wird, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. § 21 Abs. 7 S. 2 SGB II nennt Pauschalen zur Höhe des Mehrbedarfes, von denen abgewichen werden kann, wenn im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht oder ein Teil des angemessenen Warmwasserbedarfs nach § 22 Abs. 1 SGB II anerkannt wird.

Welche Vorrichtungen solche der der dezentralen Warmwassererzeugung sind, ist bisher höchstrichterlich nicht geklärt. Unstrittig ist es, dass eine zentrale Warmwassererzeugung dann vorliegt, wenn diese außerhalb der Wohnung des Leistungsberechtigten für mehrere Wohnungen gemeinsam erfolgt. Im Umkehrschluss wird warmes Wasser danach dann dezentral erzeugt, wenn es nur für eine einzelne Wohnung vorgesehen ist. Wie die Systematik des Gesetzes zeigt, ist eine weitere Voraussetzung aber die, dass die Warmwassererzeugung separat, d. h. nicht in einer Vorrichtung mit der Heizung, erfolgt (Falterbaum in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 35, Rn. 81; ähnlich wohl auch Behrend in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21, Rn. 120).

Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 25. März 2011 sind die Kosten für die Erwärmung von warmen Wasser aus dem Regelbedarf herausgenommen worden. Gleichzeitig wurde ein Mehrbedarf für Kosten von Warmwasser bei dezentraler Warmwassererzeugung geschaffen. Da diese Regelungen Ergebnis der Beratungen im Vermittlungsausschuss waren, stehen Materialien zur Ermittlung des Willens des Gesetzgebers kaum zur Verfügung. Der Wortlaut des § 21 Abs. 7 S. 1 SGB II ("soweit deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden") zeigt aber, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Kosten der Erwärmung von warmen Wasser damit grundsätzlich zu einem Bestandteil der Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden sollten. Die insoweit vergleichbare Regelung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung verdeutlicht dies dadurch, dass § 35 Abs. 4 S. 1 SGB XII die Leistungen für zentrale Warmwasserversorgung ausdrücklich erwähnt. § 21 Abs. 7 SGB II dient also nur dazu, die Kosten zu erfassen, die keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung darstellen. Der Begriff der "dezentralen Warmwassererzeugung" ist daher systematisch in Abhängigkeit von dem Umfang, in dem § 22 SGB II die Übernahme der Kosten der Warmwassererzeugung zulässt, zu ermitteln.

Anknüpfungspunkt ist dabei weniger die Frage, ob die Warmwassererzeugung zentral für mehrere Wohnungen oder dezentral für eine Wohnung erfolgt, sondern es kommt allein darauf an, ob die Warmwassererzeugung zusammen mit der Heizung oder separat erfolgt. Nur bei einer einheitlichen Vorrichtung können diese Kosten unter den Begriff "Heizung" subsumiert werden. Dies war vor der Änderung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 25. März 2011 nicht möglich, da § 20 Abs. 1 SGB II a. F. die Kosten für die Erzeugung von warmen Wasser ausdrücklich dem Regelbedarf zuordnete. Mit dem Wegfall dieser Regelung hat der Gesetzgeber den Weg frei gemacht, die Warmwasserkosten unter den Begriff der Heizkosten fallen zu lassen. Deswegen bedurfte es auch keiner ausdrücklichen Aufnahme der Kosten der Warmwassererzeugung in § 22 SGB II.

Bestätigt wird dies durch die internen Erläuterungen zur Anlage 3 des Regelungsvorschlags für den Vermittlungsausschuss vom 6. Februar 2011 (Internet download/file). Zur Begründung der Änderung des § 20 SGB II heißt es dort, dass damit klargestellt werde, dass der Bedarf zur Erzeugung von Warmwasser als Bedarf für Unterkunft und Heizung anzuerkennen sei, soweit er Bestandteil der Nebenkosten der Unterkunft ist.

Mit dem Begriff "dezentrale Warmwassererzeugung" versucht der Gesetzgeber also die Fälle zu erfassen, in denen der Bedarf nicht über § 22 SGB II gedeckt wird. So ist es tatsächlich zwingend, dass bei einer Zentralheizung mit zentraler Warmwassererzeugung eine Umlegung der Kosten auf die Mieter erfolgen muss. Aber auch die Kosten einer dezentralen Heizung mit Warmwasserzeugung sind ein Bedarf nach § 22 SGB II. Es gibt zwar bestimmte Nebenkostenarten, die tatsächlich nur als Betriebskosten im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter in den Bedarf einzustellen sind (vgl. BSG vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 51/10 R – Juris-Rn. 14), für die Kosten der Warmwassererzeugung gilt dies allerdings nicht. Sie sind – wie der vergleichbare § 35 Abs. 4 SGB XII zeigt grundsätzlich – also auch für Eigentümer oder Mieter mit einem eigenem Vertrag mit dem Versorger – ein Bedarf nach § 22 SGB II.

Dies entspricht auch praktischen Gesichtspunkten. Bei einer Erzeugung von warmem Wasser und Heizung in einer Vorrichtung sind die Kosten in aller Regel als Gesamtkosten bekannt. Sie setzen sich regelmäßig aus den Brennstoffkosten und dem benötigten Betriebsstrom zusammen und sind vollständig als Bedarf für Heizung (und Warmwasser) zu übernehmen. Ein Abgleich mit dem pauschalen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II würde zu einer unnötigen Verkomplizierung führen.

Es ist zudem nicht ersichtlich, aus welchem Grund überhaupt zwischen einer zentralen Heizung mit Warmwassererzeugung und einer dezentralen Heizung mit Warmwassererzeugung differenziert werden sollte. Welche Mehrkosten sollen bei einer dezentralen Versorgung in einer Vorrichtung gegenüber einer zentralen Versorgung in einer Vorrichtung anfallen? Der Grund für den Mehrbedarf für eine separate Warmwassererzeugung erschließt sich hingegen sofort. Es entstehen gegenüber der Heizung zusätzliche Kosten (in aller Regel für Strom), die – da sie nicht unter den Begriff der Heizung subsumiert werden können – als Mehrbedarf zu übernehmen sind.

Aus diesem Grund vermag auch der ansonsten denkbare Ansatz für dezentrale Heizanlagen, die eine Wohnung sowohl mit Wärme als auch mit Warmwasser versorgen, die Bedarfe nur insoweit anzuerkennen, als sie nicht bereits als Kosten der Heizung nach § 22 SGB II anerkannt sind (§ 21 Abs. 7 S. 2 letzter Teilsatz SGB II) (vgl. Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II K § 21, Rn. 99), nicht zu überzeugen. Die Auffassung vermag zwar dem letzten Teilsatz eine Bedeutung zu geben, die aufgrund der bereits oben zitierten Regelung des § 21 Abs. 7 S. 1 SGB II sonst nicht ersichtlich ist, berücksichtigt aber nicht, dass zu übernehmende Mehrkosten nicht ersichtlich sind. Es dürfte sich regelmäßig dadurch kein Anspruch nach § 21 Abs. 7 SGB II ergeben, da die Kosten mit den Brennstoff- und Stromkosten feststehen, also einer von den Pauschalen abweichender Bedarf besteht, der aber vollständig nach § 22 SGB II als Bedarf für Heizung zu übernehmen ist.

Für den Kläger bedeutet dies, dass die Kosten der Heizung und der Erwärmung von Wasser in seiner Gaskombitherme allein nach § 22 SGB II als Heizkosten zu übernehmen sind. Diese Kosten hat der Beklagte in richtiger Höhe von 52,50 EUR monatlich übernommen. Gegen den Ansatz von 5 % der Brennstoffkosten (hier 2,50 EUR) bestehen keine Bedenken. Der nachfolgenden Begründung des LSG Baden-Württemberg (LSG Baden-Württemberg vom 25. März 2011 – L 12 AS 2402/08 – Juris-Rn. 22) schließt sich das Gericht vollumfänglich an.

Der Senat zieht dabei die zivilrechtliche Rechtsprechung zur Heizkostenabrechnung in einem Mietverhältnis heran, wonach der Vermieter berechtigt ist, die als Teil der Heizkosten abzurechnenden Stromkosten (vgl. § 7 Abs. 2 Heizkostenverordnung) für die Heizungsanlage zu schätzen, wenn gesonderte Zähler dafür nicht vorhanden sind (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 20. Februar 2008 - VIII ZR 27/07 - WuM 2008, 285). Die gesonderte Erfassung ist dem Vermieter nämlich nicht zumutbar und kann vom Mieter nicht verlangt werden, weil die Kosten für die Installation und den Betrieb eines Zwischenzählers in keinem angemessenen Verhältnis zu den im Regelfall geringfügigen Betriebskosten stehen (vgl. bspw. Gramlich, Mietrecht, 11. Aufl. 2010, § 7 HKV; Lammel, Heizkostenverordnung, 3. Aufl. 2010, § 7 Rdnr. 91). Die Schätzung stützt sich dabei auf Erfahrungswerte, wonach die Kosten des Betriebsstroms (höchstens) 5 % der Brennstoffkosten betragen (Gies in Hannemann/Wiegner, Münchner Anwaltshandbuch Mietrecht, 3. Aufl. 2010, § 24 Rdnr. 308; Lammel, Heizkostenverordnung, 3. Aufl. 2010, § 7 Rdnr. 91; Kreuzberg/Wien, Handbuch der Heizkostenabrechnung, 6. Aufl. 2005, S. 136; AG Hamburg, Urteil vom 26. Februar 1988 – 44 C 1275/87WuM 1991, 50). Der Senat überträgt diese mietrechtlichen Grundsätze für den Fall, dass – wie vorliegend – kein Zwischenzähler zur Erfassung des Betriebsstroms der Heizungsanlage vorhanden ist, auf die Bestimmung der als Heizkosten i.S. des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennenden Kosten des Betriebsstroms.

Eine Schätzung unter Einbeziehung der Verbrauchswerte der Gasetagenheizung des Klägers wird keine besseren Ergebnisse bringen, da die Festlegung der monatlichen oder gar jährlichen Betriebsdauer eine zu große Spannbreite eröffnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war zuzulassen. Die Sache hat – wie die Vielzahl hier anhängiger gleichgelagerter Fälle zeigt – grundsätzliche Bedeutung, § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Die Auslegung des Begriffs dezentrale Warmwasserversorgung ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt.
Rechtskraft
Aus
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