S 17 SO 181/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SO 181/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2012 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 01.08.2011 bis zum 31.07.2012 eine Wegstreckenentschädigung in Höhe von 265,73 Euro zu bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme von Fahrtkosten (Taxikosten) zur Schule für den Zeitraum vom 01.08.2011 bis einschließlich Juli 2012, soweit er diese nicht bereits nach Maßgabe der Verordnung zur Ausführung des § 97 Abs. 4 Schulgesetz (Schülerfahrkostenverordnung – SchfkVO) erstattet erhalten hat.

Der am 00.00.2000 geborene Kläger ist geistig behindert und leidet an einem Prader-Willi-Syndrom. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt worden, sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "H".

Aufgrund der entsprechenden Bestimmung der Förderart durch das Schulamt besucht der Kläger die T G-w-C-Förderschule in L; die Entfernung zwischen der Wohnung des Klägers und der Schule beläuft sich auf ca. 9 Kilometer; aufgrund der bei ihm vorliegenden Behinderung ist der Kläger dabei nicht in der Lage, diese Entfernung alleine zu bewältigen. Bis zum Beginn des Schuljahres 2011/2012 führte die Beklagte den Transport des Klägers zur Schule in eigener Verantwortung durch.

Für das Schuljahr 2011/2012 lehnte die Beklagte die Weiterführung der Beförderung des Klägers ab und verwies diesen auf die Möglichkeit einer Wegstreckenentschädigung nach Maßgabe des § 16 SchfkVO (Bescheid vom 15.08.2011). Die hiergegen erhobene Klage nahm der Kläger nach einem Hinweis des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wieder zurück.

Unter dem 27.09.2011 beantragt der Kläger bei der Beklagten die Gestellung eines Taxis oder eines anderweitig organisierten Transportes zur Schule, hilfsweise die Gestellung eines Integrationshelfers zur Begleitung des Klägers. Mit Bescheid vom 27.10.2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte sie aus, die Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch seien nachrangige Leistungen, die nur dann Anwendung finden würden, wenn keine alternativen Leistungsträger vorhanden seien. Die Schülerfahrkosten seien in der Schülerfahrkostenverordnung geregelt, eine Übernahme aus den Mitteln der Eingliederungshilfe sei daher abzulehnen.

Hiergegen legte der Kläger am 11.11.2011 Widerspruch ein, wobei er zugleich hilfsweise einen Antrag auf Übernahme der durch die Beförderung zur und von der Schule entstandenen Taxikosten stellte. Zur Begründung führte er aus, sein Leistungsanspruch sei durch die Art und den Umfang der nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung bewilligten Leistungen nicht erfüllt. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 20.04.2012 Klage erhoben.

Zur Begründung legt er die Rechnung des von ihm mit seinem Transport beauftragten Taxiunternehmens vom 21.10.2011 über Transportkosten in Höhe von insgesamt 649,49 Euro für den Zeitraum Oktober 2011 bis einschließlich Juni 2012 vor. Weiter legt er den Bescheid der Beklagten vom 15.05.2012 über Erstattung von Schülerfahrkosten nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung für den Zeitraum August 2011 bis Dezember 2011 in Höhe von 149,76 Euro sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.10.2012 über Erstattung von Schülerfahrkosten in Höhe von 234,00 Euro für den Zeitraum Januar bis Juli 2012 vor. Nach Kostenübernahme durch die Beklagte gemäß der Bescheide vom 15.05.2012 und 09.10.2012 bleibe eine effektive Kostenbelastung des Klägers in Höhe von 265,73 Euro bestehen, deren Erstattung Klagegenstand sei. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei zur Erstattung dieser Kosten im Wege der Eingliederungshilfe verpflichtet.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß nach Rücknahme seiner auf einen weiteren Teilbetrag in Höhe von 234,00 Euro gerichteten Klage (Schriftsatz des Klägers vom 26.02.2013),

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2012 zu verurteilen, an den Kläger 265,73 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kostenübernahme nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung sei vorrangig und als abschließend anzusehen.

Betreffs des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 07.08.2013 und der Beklagten vom 09.08.2013).

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 27.10.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2012 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat Anspruch auf Übernahme der Taxikosten für seinen Transport zur und von der Schule als Hilfe zur angemessenen Schulbildung gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), ohne Einsatz von Einkommen und Vermögen, § 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SGB XII.

Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit an der Gesellschaft teilzuhaben eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme an der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII). Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben dabei unberührt. Eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung kann dabei auch die Übernahme des Eigenanteils der notwendigen Fahrtkosten in Form von Taxikosten zum Besuch der Schule sein (vgl. Wehrhahn in Juris PK-SGB XII § 54 SGB XII, Stand 11.07.2013, Rn. 50; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 29.08.2006 – 4 B 72/06).

Dies trifft für den Kläger – der aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen unstreitig zu dem in § 53 Abs. 1 SGB XII genannten Personenkreis gehört – zu, da dessen Transport zur Schule mittels Taxi erforderlich und geeignet ist, ihm den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zumindest zu erleichtern.

Der Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Fahrtkosten entfällt entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht aufgrund der Tatsache, dass der Kläger bereits einen Teil der ihm entstandenen Fahrtkosten, nämlich den von ihm hier nicht geltend gemachten Fahrkostenanteil in Höhe von 383,76 Euro (149,76 Euro + 234,00 Euro) nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung erstattet erhalten hat. Dieser – nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung erstattete – Fahrkostenanteil des Klägers in Höhe von 383,76 Euro ist hier nicht Streitgegenstand, weshalb es entgegen der Ansicht der Beklagten hier nicht darauf ankommt, ob Eingliederungshilfeleistungen nach Maßgabe des SGB XII nachrangig gegenüber einem alternativen Leistungsanspruch nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung sind. Allein der Anspruch des Klägers auf Erstattung eines Teiles der ihm entstandenen notwendigen Fahrtkosten nach Maßgabe der landesrechtlichen Schülerfahrkostenverordnung führt jedenfalls nicht zum Wegfall seines Anspruches auf Erstattung derjenigen übrigen Fahrkosten, die er nicht nach Maßgabe der Schülerfahrkostenverordnung ersetzt erhalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 144 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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