L 2 AS 520/14 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 15 AS 1660/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 520/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 24. September 2014 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 17. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2014, welche am Sozialgericht Halle unter dem Az. S 15 AS 1660/14 anhängig ist, angeordnet.
Der Antragsgegner wird im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, den bei der Rentenversicherung Mitteldeutschland für den Antragsteller am 25. März 2014 gestellten Rentenantrag zurückzunehmen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen die Verpflichtung, vorzeitig einen Rentenantrag zu stellen und erstrebt die Anordnung der Verpflichtung des Antragsgegners, einen für ihn vom Antragsgegner beim Rentenversicherungsträger gestellten Antrag zurückzunehmen.

Der am ... 1950 geborene Antragsteller bezieht nach vorherigem Arbeitslosenhilfe- und ergänzendem Sozialhilfebezug seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), zuletzt in Höhe von 747,92 EUR monatlich.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Die mit der geminderten Altersrente eventuell einhergehende Beantragung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) beinhalte keine unbillige Härte, da trotz der geringeren Vermögensfreibeträge, ein solcher Anspruch bestünde. Eingliederungsbemühungen seien fehlgeschlagen. Hiergegen legte der Antragsteller am 30. Dezember 2013 Widerspruch ein: Er hätte durch eine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente finanzielle Nachteile. Es müsse auch bei der Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, eine Ermessensentscheidung getroffen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2014 hat der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen: Die Aufforderung zur Rentenantragstellung stehe im Ermessen des Leistungsträgers. In der Vergangenheit seien alle Versuche, den Antragsteller ins Arbeitsleben einzugliedern, um durch die Erwerbstätigkeit die Hilfebedürftigkeit zumindest zu reduzieren, fehlgeschlagen. Die letzte modulare Fortbildung sei im Jahr 2003 beendet, der letzte Vermittlungsvorschlag im Jahr 2008 unterbreitet worden. Auch zukünftig sei mit einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht zu rechnen. Die in der Unbilligkeitsverordnung geregelten Fälle seien abschließend. Zwar könne nicht ausgeschlossen werden, dass zukünftig eine Abhängigkeit von Leistungen nach dem SGB XII drohe, dies sei jedoch nicht zu berücksichtigen, da die Unbilligkeitsverordnung abschließend sei. Im Übrigen müsse der Einkommensverlust infolge der geminderten Altersrente als systemimmanent hingenommen werden. Atypische Umstände seien nicht ersichtlich. Hiergegen hat der Antragsteller Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben (Az. S 15 AS 1660/14).

Mit Schreiben vom 25. März 2014 meldete der Antragsgegner einen Erstattungsanspruch bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland (Rentenversicherungsträger) an. Hierin wies er darauf hin, dass dieses Schreiben als Rentenantragstellung von Amts wegen für den Antragsteller gelte. Zugleich bat der Antragsgegner um Zusendung einer Rentenauskunft für den Antragsteller.

Am 9. Juli 2014 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Halle im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Aufforderung zur vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente anzuordnen. Zur Begründung hat er ausgeführt: Die streitgegenständliche Entscheidung stelle sich als ermessensfehlerhaft dar. Dem Antragsgegner sei es nicht möglich einzuschätzen, inwieweit eine Arbeitsmarktintegration seiner Person noch möglich sei. Denn ihm sei seit 2008 kein Vermittlungsvorschlag mehr unterbreitet worden. Er sei gesund und in der Lage zu arbeiten und halte regelmäßig – wenn auch erfolglos – Kontakt zu Zeitarbeitsfirmen. Der Antragsgegner müsse auch den von Amts wegen gestellten Rentenantrag für ihn zurücknehmen. Der Antragsgegner hat anhand von Aktenvermerken über Vorsprachen des Antragstellers dargelegt, dass dieser selbst aufgrund seines Alters und seiner gesundheitlichen Einschränkungen keine Möglichkeit mehr gesehen habe, einen Arbeitsplatz oder einen Minijob zu erhalten (z.B. Aktenvermerk über eine Vorsprache am 2. März 2012). Nach einer Rentenauskunft der Rentenversicherung vom 12. August 2014 würde die Regelaltersrente, die dem Antragsteller ab dem 1. September 2015 gezahlt werden könnte, 682,31 EUR monatlich (brutto) betragen.

Mit Beschluss vom 24. September 2014 hat das SG den einstweiligen Rechtsschutzantrag mit folgender zusammengefasster Begründung abgelehnt: Nach summarischer Prüfung sei der Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2013 rechtmäßig, weshalb das Aussetzungsinteresse des Antragstellers nicht das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiege. Die Voraussetzungen für eine Aufforderung zur Rentenantragstellung lägen vor und der Antragsgegner habe auch ermessensfehlerfrei entschieden. Der Antragsgegner habe unter Berücksichtigung der bisher nicht möglichen Eingliederung in den Arbeitsmarkt und des fehlenden Vermögens ausführlich geprüft und entschieden, dass eine Unbilligkeit im Falle des Antragstellers nicht gegeben sei. Eine Unbilligkeit im Sinne des § 1 der Unbilligkeitsverordnung liege nicht vor, weil auch bei regulärer Rentenantragstellung zum 1. Mai 2015 bzw. 1. September 2015 eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII voraussichtlich nicht vermieden werden könne. So betrage die abschlagsfreie Bruttorente voraussichtlich monatlich 682 EUR, der aktuelle SGB II-Anspruch hingegen 747,92 EUR im Monat.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 29. September 2014 zugestellten Beschluss haben diese für ihn am 27. Oktober 2014 Beschwerde erhoben. Der Antragsgegner habe nicht alle vom Verordnungsgeber ausdrücklich dargestellten Fragen der Unbilligkeit geprüft.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle 24. September 2014 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2014 anzuordnen und den Antragsgegner zu verpflichten, den mit Schreiben vom 25. März 2014 bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland gestellten Rentenantrag zurückzunehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, er habe ausreichende Ermessenserwägungen angestellt. Da auch unter Inanspruchnahme der vollen Altersrente Hilfebedürftigkeit dauerhaft nicht vermieden werden könnte, lägen eine besondere Härte für die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente oder Gründe nach der Unbilligkeitsverordnung auch aus diesem Grund nicht vor.

Für weitere Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG Halle ist statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist die Beschwerde ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Hier wäre die Berufung zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 Euro übersteigt, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Wirkung der Rentenkürzung durch eine vorzeitige Renteninanspruchnahme reicht bis zum Lebensende.

Die Beschwerde ist begründet.

Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2014 eingereichten Anfechtungsklage bzw. auf Aufhebung der Vollziehung des genannten Bescheides durch den vom Antragsgegner gestellten Rentenantrag für ihn zu.

Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, können die Vollzugsfolgen gem. § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG rückgängig gemacht werden.

Die Klage des Antragstellers gegen seine Verpflichtung zur vorzeitigen Rentenantragstellung hat keine aufschiebende Wirkung. Gem. § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 3 SGB II liegt ein Fall des gesetzlich angeordneten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs bzw. einer Klage vor.

Im Rahmen der nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gebotenen Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind zuvörderst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, ist eine allgemeine Folgenabwägung vorzunehmen. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. hierzu: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage, § 86b, Rn. 12e ff, m.w.N.).

Vorliegend bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes vom 17. Dezember 2013, so dass kein öffentliches Interesse an dessen Vollziehung besteht.

Gem. § 12a Satz 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger den betreffenden Antrag selbst stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellt.

Sowohl die Aufforderung an den Leistungsempfänger, einen derartigen Antrag zu stellen als auch die Stellung eines eigenen Antrages durch den Leistungsträger für den Antragsteller stehen dabei im Ermessen des Leistungsträgers (vgl. Beschlüsse vom Sächsischen LSG vom 28. August 2014 – L 7 AS 836/14 B und LSG NRW vom 22. Mai 2013 - L 14 AS 291/13 B ER zitiert nach juris). Die Ermessensentscheidung bei der Stellung eines Rentenantrages von Amts wegen muss auf die vorgelagerte Aufforderung, einen solchen Antrag zu stellen, erstreckt werden.

Die getroffene Ermessensentscheidung des Antragsgegners stellt sich hier bei summarischer Prüfung als rechtswidrig dar. Rechtswidrigkeit einer Ermessensentscheidung ist gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Gem. § 35 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Dabei kann jedoch gem. § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X eine Begründung bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz nachgeholt werden. In Bezug auf Ermessensentscheidungen ist dies so zu verstehen, dass tatsächlich angestellte Ermessenserwägungen nachträglich noch mitgeteilt werden können (vgl. KassKomm-Steinwedel, SGB X, § 41 Rn. 13; Schütze in von Wulffen, 7. Aufl., § 41 Rn. 11 m. w. N.). Die Grenzen des von dem Antragsgegner zu Recht erkannten Ermessens sind hier überschritten. Der Antragsgegner hat sachwidrig nicht alle relevanten Tatsachen berücksichtigt und in seine Ermessensentscheidung eingestellt bzw. einen Umstand sachwidrig für nicht relevant für seine Ermessensentscheidung gehalten. Insofern liegt auch kein Fall vor, bei dem eine Heilungsmöglichkeit eines formellen Mangels im Gerichtsverfahren besteht.

Gem. § 13 Abs. 2 SGB II i. V. m. der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 muss nach Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente dann ausnahmsweise nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine Unbilligkeit darstellt. Unabhängig von den Tatbestandsvoraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung muss der Antragsgegner jedenfalls im Rahmen der Ermessensprüfung berücksichtigen wie sich die vorzeitige Rentenstellung wirtschaftlich für den Leistungsempfänger auswirkt.

Bei der Ermessensausübung sind etwa die voraussichtliche Dauer oder Höhe des Leistungsbezugs, absehbarer Einkommenszufluss oder dauerhafte Krankheit zu berücksichtigen. Es bedarf immer einer Einzelfallbeurteilung der Gesamtsituation des Leistungsberechtigten (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl, § 12a Rn. 10). Hierbei müssen auch wirtschaftliche Erwägungen in die Ermessenserwägungen eingestellt werden. Es muss auch berücksichtigt werden, ob der Antragsteller ggf. allein durch die vorzeitige Rentenantragstellung ergänzender SGB XII-Leistungen bedarf oder nicht. In die Abwägung einzustellen ist auch, ob die durch die vorzeitige Rentenantragstellung eingesparten SGB II Leistungen geringer als die statt dessen prognostisch zusätzlich neben der verminderten vorzeitig in Anspruch genommenen Rente zu zahlenden Mehrleistungen an ergänzenden SGB XII Leistungen wären (vgl. zur Berechnung Sächsisches LSG, Beschluss vom 28. August 2014 – L 7 AS 836/14 B Rn. a. a. O., Rn. 45 ff.). Der Umstand, dass die Rentenleistung durch die vorzeitige Inanspruchnahme sich absenkt, muss zwar als systemimmanent durch das Nachrangprinzip hingenommen werden. Hierauf verweist der Antragsgegner zu Recht. Gleichwohl gilt eine fehlende Relevanz der verminderten Rentenleistung nicht für jede Absenkung der Rentenleistung und deren sozialrechtliche Folgen. Die konkreten Auswirkungen auf die Situation des Hilfebedürftigen müssen betrachtet werden. Vorliegend hat der Antragsgegner den Bedarf sowie die Höhe der vorzeitigen und der regulären Altersrente vor seiner Entscheidung nicht ermittelt und die Ergebnisse dementsprechend nicht in den Abwägungsprozess seiner Ermessensentscheidung einbezogen. Der Entscheidung ist nicht zu entnehmen, welche wirtschaftlichen Folgen die vorzeitige Renteninanspruchnahme für den Antragsteller und für die Träger der Grundsicherung und Sozialhilfe hat. Vielmehr hat der Antragsgegner betont, dass er solche Erwägungen nicht in seiner Ermessenserwägung berücksichtigen könne. Es ist sachwidrig, grundsätzlich die Inanspruchnahme einer voraussetzungslosen selbst verdienten Rentenleistung und ggf. ergänzende Sozialhilfeleistungen gleichzusetzen. Eine ggf. lebenslange bedarfsdeckende Rentenzahlung und eine lebenslange verminderte Rentenzahlung mit aufstockenden Sozialleistungen stellen einen erheblichen Unterschied dar. Wird eine Entscheidung zur Verpflichtung zur vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente getroffen, unabhängig davon wie diese sich im Einzelfall wirtschaftlich auf den Betroffenen auswirkt, ist dies ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner durfte nicht allein die in §§ 2 bis 5 Unbilligkeitsverordnung genannten Kriterien (Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld, bevorstehende Rente ohne Abschläge, ausgeübte oder konkret bevorstehende Erwerbstätigkeit) durchprüfen. Entgegen der Begründung des SG können in die Verwaltungsentscheidung bewusst nicht einbezogene Aspekte, bzw. später ermittelte Umstände nicht berücksichtigt werden. Liegt kein Fall des § 41 SGB X vor, so muss die Behörde eine neue Verwaltungsentscheidung treffen.

Im Weiteren kann das Gericht in Fällen, in denen – wie hier durch den gestellten Rentenantrag – der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 2 SGG). In der Folge können bei einer entsprechenden gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage die erfolgten Vollziehungshandlungen und deren unmittelbare Folgen rückgängig gemacht werden. Ob eine Anordnung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erlassen wird und wie die Aufhebung der Vollziehung erfolgt, steht im Ermessen des Gerichts, welches aufgrund einer gesonderten Abwägung entscheidet (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b Rn. 10a). Abzuwägen ist das öffentliche Interesse am Fortbestehen des Vollzugs gegen das Interesse des Betroffenen an der Aufhebung der Vollziehung, wobei insbesondere ein sachliches Rückabwicklungsinteresse des Betroffenen gegeben sein muss. Vorliegend überwiegt das Rückabwicklungsinteresse des Antragstellers. Bei einem Fortbestehen des Rentenantrages hätte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Verpflichtung, einen Rentenantrag zu stellen, für den Antragsteller keinen praktischen Nutzen. Ein effektiver Rechtsschutz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kann ihm nur mit einer Rücknahme des Rentenantrages gewährt werden. Der Antragsgegner seinerseits hat es in der Hand mit einer neuen Ermessensentscheidung unter Beachtung der Ausführungen des Senates ggf. eine neue Grundlage für eine Verpflichtung zur Rentenantragstellung und einer eigenen Befugnis einen Rentenantrag für den Antragsteller zu stellen, zu schaffen. Die Aufrechterhaltung des Vollzuges der ermessensfehlerhaften Entscheidung muss zurücktreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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