L 11 R 4847/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 2051/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 4847/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 22.10.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.

Der Kläger ist 1983 geboren. Nach eigenen Angaben hat er keinen Beruf erlernt, sondern verschiedene angelernte Tätigkeiten ausgeübt. Seit Juli 2009 ist er arbeitslos. Er ist auf geringfügiger Basis (sog "Mini-Job") in einem Geschäft für Anglerbedarf tätig und bezieht ergänzend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom Jobcenter Ostalbkreis.

Am 21.11.2013 beantragte er Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Er legte ein Attest des Orthopäden Dr. H. vom 21.01.2013 vor, wonach eine Kyphosierung der HWS sowie ein BWS-Syndrom nach Zustand alte BWK-Fraktur sowie eine skoliotische Fehlhaltung vorliege. Daher sollten Tätigkeiten mit dauerndem Sitzen sowie schweres Heben und Tragen und einseitige Bewegungen vermieden werden. In einem weiteren vorgelegten Attest der Allgemeinmedizinerin Dr. O. vom 08.05.2013 werden ein depressives Syndrom sowie Angststörungen beschrieben. Die Leistungsfähigkeit sei eingeschränkt. Schweres Heben und Tragen, Stress, langes Sitzen oder Stehen sowie Überkopfarbeiten sollten vermieden werden.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung bei dem Sozialmediziner und Internisten Dr. M., Ärztliche Untersuchungsstelle Aalen. Im Gutachten vom 13.01.2014 stellte Dr. M. folgende Diagnosen: - Ängstliche Anpassungsstörung, - Fehlhaltung der Wirbelsäule, - Rückenbeschwerden ohne neuro-muskuläres Defizit bei Bandscheibenschaden C 6/7, - Chronische Bronchitis bei fortgesetztem Rauchen und - Hypertonie. An der Wirbelsäule zeige sich im Stehen eine leichte Seitverbiegung, die linke Schulter stehe diskret etwas tiefer als rechts. Die Wirbelsäule selbst sei nicht klopfschmerzhaft. FBA 0 cm, Schober-Zeichen 10,0/15,0 cm, Ott-Zeichen 30,0/30,5 cm. Der Kopf sei frei beweglich. Die Arme seien frei beweglich. Die großen Gelenke an den Beinen seien frei beweglich. Die grobe Kraft sei kräftig, seitengleich und der Faustschluss komplett. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen den angegebenen Rückenschmerzen und den objektivierbaren Befunden. Eine schwere psychische Auffälligkeit liege nicht vor. Eine regelmäßige psychiatrische oder psychologische Behandlung werde derzeit nicht durchgeführt. In der Untersuchungssituation sei der Kläger schwingungsfähig gewesen und habe keine Antriebsminderung und keine Affektlabilität gezeigt. Die derzeit stundenweise ausgeübte Tätigkeit in einem Laden, der Angelbedarf verkaufe, könne mehr als sechs Stunden täglich verrichtet werden. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten ebenfalls 6 Stunden und mehr täglich verrichtet werden.

Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliege. Der Kläger könne täglich mindestens 6 Stunden arbeiten.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.02.2014 Widerspruch. Seines Erachtens seien die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente gegeben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte bezog sich zur Begründung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. M. vom 13.01.2014. Der Kläger könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Gehen oder Sitzen und zeitweise im Stehen ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten und ohne häufiges Bücken 6 Stunden und mehr täglich verrichten. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme nicht in Betracht, da er nach dem 02.01.1961 geboren sei.

Hiergegen hat der Kläger am 16.05.2014 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Der Klageschrift vom 12.05.2014 war weder der Bescheid vom 16.01.2014 noch der Widerspruchsbescheid vom 17.04.2014 beigefügt. Auf Bl 1 der SG-Akte befindet sich ein handschriftlicher Vermerk des Präsidenten des SG vom 27.06.2014, der wie folgt lautet:

"Kl. hat erst nach mehrmaligem Anschreiben durch die Verwaltung am 26.6.14 den angefochtenen Bescheid vorgelegt."

Die angeführten mehrmaligen Anschreiben der Verwaltung sind in der SG-Akte nicht enthalten, auch keine Aufforderung des Kammervorsitzenden nach § 92 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Kläger hat vorgetragen, dass er nicht mehrfach aufgefordert worden sei, den Bescheid vorzulegen, er sei hierzu nur einmal aufgefordert worden. Dieser Aufforderung sei er nachgekommen (vgl Schreiben des Klägers vom 24.06.2014, eingegangen am 26.06.2014 beim SG, Bl 3 SG-Akte).

Mit Gerichtsbescheid vom 22.10.2014 hat das SG nach Anhörung des Klägers die Klage abgewiesen. Die Klage sei wegen Verfristung unzulässig. Der Widerspruchsbescheid sei am 22.04.2014 abgesandt worden. Innerhalb der Klagefrist bis zum 25.05.2014 habe der Kläger die nach dem Gesetz zwingenden Angaben nicht gemacht, weshalb die Klage erst mit Nachholung der notwendigen Angaben rechtshängig geworden sei. Die Nachholung der erforderlichen Mindestangaben sei nach Ablauf der Klagefrist nicht mehr möglich, Gründe für eine Wiedereinsetzung würden nicht bestehen.

Gegen den ihm am 24.10.2014 mit Postzustellungsurkunde zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Kläger am 12.11.2014 Berufung beim SG eingelegt, welche dem Landessozialgericht am 24.11.2014 vorgelegt worden ist.

Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, dass die Beklagte seine gesundheitlichen Beschwerden nicht zutreffend gewürdigt habe. Seine gesundheitlichen Einschränkungen würden es nicht möglich machen, 6 Stunden täglich zu arbeiten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 22.10.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.11.2013 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und Ausführungen des SG Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, zulässig aber unbegründet.

Das SG hat im Ergebnis die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage war allerdings zulässig und hätte nicht durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen werden dürfen. Gemäß § 92 Abs 1 Satz 1 SGG muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zutreffend hat das SG zwar darauf hingewiesen, dass die Klageschrift vom 12.05.2014 diesen Anforderungen nicht genügt hat. Gemäß § 92 Abs 2 Satz 1 SGG hat aber der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern, wenn die Klage den Anforderungen nach § 92 Abs 1 Satz 1 SGG nicht genügt. Ob dies geschehen ist, lässt sich der SG-Akte nicht entnehmen. Der Vorsitzende kann nach § 92 Abs 2 Satz 2 SGG dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 92 Abs 1 Satz 1 SGG genannten Erfordernisse fehlt. Ein solches Schreiben des Vorsitzenden ist in der SG-Akte nicht enthalten. Wenn der Kläger innerhalb einer nach § 92 Abs 2 Satz 2 SGG gesetzten Frist keine Ergänzung vorgenommen hat, kann die Klage als unzulässig abgewiesen werden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 92 RdNr 16 f).

Die Klage und die Berufung sind in der Sache nicht begründet, da dem Kläger kein Anspruch auf die begehrte Rente zusteht.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, da er nicht erwerbsgemindert ist, sondern täglich mindestens 6 Stunden arbeiten kann.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).

Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflicht-beiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).

Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.

Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).

Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt.

Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem plausiblen und nachvollziehbaren Gutachten des Dr. M. vom 13.01.2014, erstellt nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 07.01.2014.

Der Sachverständige hat folgende Diagnosen gestellt: - Ängstliche Anpassungsstörung, - Fehlhaltung der Wirbelsäule, - Rückenbeschwerden ohne neuro-muskuläres Defizit bei Bandscheibenschaden C 6/7, - Chronische Bronchitis bei fortgesetztem Rauchen und - Hypertonie.

Ausgehend hiervon hat der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass keine gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen und sich auch aus den vorgelegten Attesten solche nicht ergeben. An der Wirbelsäule hat sich im Stehen lediglich eine leichte Seitverbiegung gezeigt, die linke Schulter steht diskret etwas tiefer als rechts. Die Wirbelsäule selbst ist nicht klopfschmerzhaft gewesen. Die gefundenen Messergebnisse (FBA 0 cm, Schober-Zeichen 10,0/15,0 cm, Ott-Zeichen 30,0/30,5 cm) sprechen nicht für eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens. Der Kopf und die Arme sind im Rahmen der Untersuchung frei beweglich gewesen, ebenso die großen Gelenke an den Beinen. Die grobe Kraft ist kräftig, seitengleich und der Faustschluss komplett gewesen. Die angegebenen Rückenschmerzen konnte der Sachverständige nicht mit objektivierbaren Befunden in Übereinstimmung bringen. Eine schwere psychische Auffälligkeit hat nicht vorgelegen. In der Untersuchungssituation ist der Kläger schwingungsfähig gewesen und hat keine Antriebsminderung und keine Affektlabilität gezeigt. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen, wonach der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden und mehr täglich verrichten kann, ist nach alledem für den Senat überzeugend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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