S 38 KA 548/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
38
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 548/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 46/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird verurteilt, für das Krankenhaus im Quartal 3/2009 den Bescheid vom 21.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.05.2013 insoweit aufzuheben, als anstelle der Gebührenordnungsposition EBM 97550 für die pauschale Vergütung des Materialbedarfs eine Vergütung in Höhe von EUR 5,11 pro Leistung zu leisten ist.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Klage richtet sich gegen den Honorarbescheid für das Quartal 3/2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2013. Strittig ist die Vergütung der PC-Pauschale.

Zwischen der Beklagten und der Klägerin, einem Klinikträger bestand seit 29.07.1991 eine "Vereinbarung über die Vergütung der bei der Notfallbehandlung verbrauchten Materialien einschließlich aller Medikamente". Der Vereinbarung folgte die Nachtragsvereinbarung vom 11.09.2008, mit der die Pauschale nunmehr auf 5,11EUR pro Fall festgelegt wurde. Mit Schreiben vom 05.12.2008 informierte die Beklagte darüber, die Partner der Gesamtverträge hätten sich zur Vereinheitlichung auf eine Pauschale geeinigt. Diese sei ab 01.01.2009 über die GOP 97550 abzurechnen und werde mit 2,56EUR bewertet. In einem weiteren Schreiben der Beklagten vom 22.12.2008 wurde für eine Übergangszeit (bis Ende Juni 2009) angeboten, wie bisher abzurechnen. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, diese Übergangsregelung sei dann im Ergebnis bis einschließlich Quartal 4/2010 verlängert worden. Davon habe die Klägerin allerdings "durch Berechnung der Einzelleistungen und der GOP 97550" keinen Gebrauch gemacht.

Dagegen ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. Bei 2.078 Fällen habe die Klägerin nach der Individualvereinbarung Anspruch auf 10.618,58 EUR und damit unter Berücksichtigung des bereits bezahlten Betrages auf einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.298,90EUR. Rechtsgrundlage für die Abrechnung von Materialkosten im Rahmen der ambulanten Notfallbehandlung sei nach wie vor die "Vereinbarung über die Vergütung der bei der Notfallbehandlung verbrauchten Materialien einschließlich aller Medikamente". Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der Beklagten vom 22.12.2008 davon ausgehen müssen, dass die "Abrechnung der individuellen Ziffer (90XXX) ab dem Quartal 2/2009 obsolet war".

In Erwiderung der Klagebegründung führte die Beklagte aus, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Somit bestehe kein Anspruch auf Vergütung der abgerechneten und anerkannten Leistungen zu einem höheren Wert als dem Auszahlungsbetrag. Die Klägerin habe von der Übergangslösung keinen Gebrauch gemacht, obwohl sie von der Möglichkeit mit Schreiben vom 23.09.2009 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf nachträgliche Korrektur und Umsetzung der abgerechneten Ziffer 97550 in die bisherige Sprechstundendenbedarfs/Medikamentenpauschale. Denn, dem stehe Abschnitt 2.1 Teil A Nr. 3 Absatz 7 des Honorarverteilungsvertrages i.V.m. § 3 Abs. 3 der Abrechnungsbestimmungen der KVB in der damaligen Fassung entgegen. Nach Einreichen eines Behandlungsfalles zur Abrechnung sei eine Ergänzung der Abrechnung um noch nicht angesetzte Leistungspositionen oder ein Austausch angesetzter Leistungspositionen durch den Vertragsarzt ausgeschlossen. Diese Abrechnungsbestimmungen seien von den Sozialgerichten (BSG, Urteil vom 29.08.2007, Az. B 6 KA 29/06 R; Bay LSG, Urteil vom 06.12.2006, Az. L 12 KA 272/05) rechtlich nicht beanstandet worden. Außerdem liege der Irrtum über die Abrechenbarkeit ausschließlich in der Sphäre der Klägerin. Die Beklagte sei entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht verpflichtet, "die Abrechnung auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu Gunsten eines Vertragsarztes zu prüfen oder gar entsprechende Abrechnungsprogramme vorzuhalten und anzuwenden (vgl. SG Marburg, S 12 KA 691/08)".

In der mündlichen Verhandlung am 04.02.2015 stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag aus dem Schriftsatz vom 06.06.2013.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 04.02.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Vergütung der von ihr im Quartal 3/2009 bei der Notfallbehandlung verbrauchten Materialien einschließlich aller Medikamente auf der Basis der Nachtragsvereinbarung vom 11.09.2008.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Ansicht der Beklagten zutrifft, wonach nach der damaligen Rechtslage (Abschnitt 2.1 Teil A Nr. 3 Absatz 7 des Honorar-verteilungsvertrages i.V.m. § 3 Abs. 3 der Abrechnungsbestimmungen der KVB in der damaligen Fassung) nach Einreichen eines Behandlungsfalles zur Abrech-nung eine Ergänzung der Abrechnung um noch nicht angesetzte Leistungspositionen oder ein Austausch angesetzter Leistungspositionen durch den Vertragsarzt ausgeschlossen sind. Die entsprechenden Abrechnungsbestimmungen waren mehrfach Gegenstand von Gerichtsverfahren (BSG, Urteil vom 29.08.2007, Az. B 6 KA 29/06 R; Bay LSG, Urteil vom 06.12.2006, Az. L 12 KA 272/05) und wurden im Ergebnis für rechtlich zulässig angesehen. Die Abrechnungsbestimmungen und Abrechnungsfristen dienen vor allem dazu, dass die Vergütungen zügig und zeitnah an die Ärzte ausgekehrt werden. Abgesehen davon würde es einen enormen Verwaltungsaufwand bedeuten, würden in großem Umfang nachträgliche Korrekturen zugelassen. Grundsätzlich verstoßen diese Regelungen nicht gegen höherrangiges Recht, sie sind verhältnismäßig und stellen eine rechtmäßige Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Im Einzelfall hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen, wenn "Art und Weise der Anwendung der Abrechnungsbestimmungen einen Eingriff in die Rechtsposition des Vertragsarztes" darstellten, der außer Verhältnis zu dem der Regelung innewohnenden Zweck stehe. So wurde eine Kürzung von mehr als 50 % des geltend gemachten Honorars für unverhältnismäßig angesehen (vgl. BayLSG, Urteil vom 04.12.2013, Az. L 12 KA 139/12).

Nach Auffassung des Gerichts wäre es auch hier unverhältnismäßig, die Abrech-nungsregelungen strikt anzuwenden. Zwar beläuft sich die Differenz zwischen der bezahlten Vergütung und der Vergütung auf der Basis der von der Klägerin begehrten Individualvereinbarung auf ca. 5.300EUR und damit auf lediglich ca. 8,2 % des Gesamthonorars für das Quartal 3/2009 in Höhe von 64.000EUR. Stellt man allerdings nur auf die Vergütung der bei der Notfallbehandlung verbrauchten Materialien einschließlich aller Medikamente ab, dann beträgt die Kürzung ca. 50 %. Dies kann jedoch letztendlich dahinstehen. Denn die Klägerin hat sich entsprechend dem Schreiben der Beklagten vom 22.12.2008 rechtstreu verhalten. Darin wurde über die Möglichkeit informiert, bis Ende Juni 2009 nach der individuellen Nummer 90XXX abrechnen zu können, nachdem zunächst laut dem Schreiben der Beklagten vom 05.12.2008 die Änderung bereits zum 01.01.2009 in Kraft treten sollte. Wenn die Beklagte nunmehr geltend macht, sie habe mit Schreiben vom 23.09.2009 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Medikamenten/PC-Pauschale in der bisherigen Höhe weiterhin mit "ihrer" Abrechnungsnummer abgerechnet werden könne, ändert dies an der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit nichts. Denn zum einen beinhaltete dieses Schreiben primär die "Kündigung der mit der KVB abgeschlossenen Vereinbarung über die Abrechnung der Ambulanten Notfallbehandlung". Der Hinweis auf die weiter bestehende Abrechnungsmöglichkeit erfolgte damit gelegentlich. Für die Beklagte war dies nicht ohne weiteres erkennbar. Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass das Schreiben der Beklagten vom 23.09.2009 beim Krankenhausträger(kurz vor Quartalsende 3/2009) nach der Abrechnung Anfang Oktober 2009 eingegangen ist, sich zumindest dieses Schreiben und die Abrechnung zeitlich gekreuzt haben und folglich die Abrechnungshinweise von der Klägerin nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Ein Zustellungsnachweis für das Schreiben der Beklagten vom 23.09.2009 findet sich nicht in den Akten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte erst später, evtl. erst durch einen Info-Brief der Bayerischen Krankenhausgesellschaft davon erfahren hat.

Nach dem Vortrag der Beteiligten wurde die Übergangsregelung sogar bis ein-schließlich Quartal 4/2010 verlängert.

Auch wenn es nicht darauf ankommt, wer den Irrtum über die Abrechenbarkeit zu vertreten hat, ist für das Gericht die Darstellung der Beklagten nicht nachvollziehbar, der Irrtum liege ausschließlich in der Sphäre der Klägerin. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit können letztendlich die Vorgeschichte – ständige neue Informationen über die Abrechnungsmöglichkeiten – und die Begleitumstände nicht außer Acht gelassen werden. Dass eine Umsetzung entsprechend dem Begehren der Klägerin mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden sein soll, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Denn es handelt sich lediglich um eine singuläre Abrechnungsziffer, die umzusetzen ist, was mittels der EDV ohne weiteres und ohne zusätzliche Prüfungsschritte darstellbar sein müsste.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Abrechnungsbestimmungen mit Wirkung ab 01.07.2011 geändert wurden. So ermöglicht § 3 Abs. 3 n.F. der Abrechnungsbestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen eine Änderung der Abrechnung auch nach Ablauf der Fristen.

Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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