L 6 AS 115/12

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 30 AS 811/11
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 115/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es bedarf keiner gerichtlichen Feststellung der (zweifelhaften) Erwerbsfähigkeit, wenn die um Leistungen nachsuchende und vom Grundsicherungsträger für erwerbsfähig erachtete Person als Partner einer erwerbsfähigen Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und sich die als Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zu gewährenden Leistungen der Höhe nach nicht voneinander unterscheiden.
2. Voraussetzung für die Anerkennung eines Ernährungsmehrbedarfs ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung; diese "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein (Anschluss an BSG, Urt. v. 14. Februar 2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12).
3. Der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Notwendigkeit, sich in einer bestimmten Weise zu ernähren, ist bei Zwangserkrankungen regelmäßig nicht herstellbar.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 23. Juli 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um höheres Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 1. Ja-nuar 2011 bis 30. Juni 2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Im Berufungsverfahren begehrt der Kläger die Anerkennung eines noch höheren als dem bereits erstinstanzlich in Höhe von monatlich 42,82 EUR zuerkannten Mehrbedarfs. In der Sache geht es insbesondere um die Frage, ob wegen einer psychischen Erkrankung ein Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf bestehen kann.

Der am. 1962 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 v. H ... Er bezog bis Ende 2004 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz von der Landehauptstadt Kiel und seither Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) vom Beklagten. Er lebt mit seiner 1964 geborenen erwerbsfähigen Lebensgefährtin S E (im Weiteren: Frau E.) seit 2005 in einer ca. 40 qm großen Wohnung in K zusammen. Für die Wohnung war im streitgegenständlichen Zeitraum eine Nettokaltmiete in Höhe von monatlich 300,00 EUR nebst Betriebskostenvorauszahlung (40,00 EUR monatlich) und Heizkostenvorauszahlung (30,00 EUR monatlich) zu zahlen. Der Kläger ist nicht erwerbstätig und verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum ebenso wie seine Lebensgefährtin weder über Einkommen noch relevantes Vermögen. Aufgrund einer psychischen Zwangsstörung hat der Kläger ein bestimmtes Ernährungsverhalten entwickelt, indem er weitgehend bestimmte Biokost von bestimmten Herstellern nach einem individuellen Vorkostverfahren zu sich nimmt. Seinen wesentlichen Energiebedarf deckt er durch mit "Kaba" angerührte Milch. Körperliche Nahrungsunverträglichkeiten wegen bestimmter Nahrungsmittel (z. B. Zölikalie oder Laktose-Intoleranz) lassen sich nicht feststellen.

Von Januar 2005 an berücksichtigte der Beklagte letztendlich bis zum 31. Dezember 2010 bei der Berechnung der Leistungen des Klägers nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 25,56 EUR monatlich. Einen Änderungsbescheid vom 9. Juli 2010, mit dem der Beklagte einen Wegfall des Mehrbedarfs bereits zum 1. August 2010 hatte umsetzen wollen, hob er aufgrund eines richterlichen Hinweises im Eilverfahren zum Aktenzeichen S 40 AS 610/10 ER wegen des Fehlens der verwaltungsverfahrensrechtlichen Rücknahmevoraussetzungen mit Bescheid vom 19. November 2010 wieder auf.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen den Änderungsbescheid vom 9. Juli 2010 hatte der Kläger einen Befundbericht des Chefarztes Dr. C. M der Fachklinik N vom 6. Juli 2010 beigebracht, der ihm ein "komplexes Krankheitsbild mit ausgeprägter Chronifizierungstendenz" bescheinigte. Auf dem Boden einer atopischen Erkrankung und ausgeprägten Nahrungsmittelverträglichkeitsstörungen habe der Kläger eine "Multiple Chemical Sensitivity" (MCE) entwickelt. Aus psychiatrischer Sicht beständen Hinweise auf eine ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung und eine ausgeprägte soziale Phobie. Wegen der Einzelheiten wird auf den Befundbericht (Bl. 407 der Leistungsakte) Bezug genommen.

Der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit, der vom Beklagten um gutachterliche Äußerung ersucht worden war, erkannte in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 7. September 2010 keinen medizinisch begründeten Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Bei der multiplen chemischen Sensitivität (MCS) handele es sich um ein multifaktorielles Störungsmodell. Als Therapie werde in dem Befundbericht eine intensive Behandlung favorisiert, die psychoedukative und psychotherapeutische Maßnahmen mit körperbezogenen Maßnahmen individuell kombiniere. Für diese Art von Erkrankung sähen die aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht vor. Von besonderer Bedeutung sei die Vermeidung der die Beschwerden auslösenden Nahrungsmittel. Häufige Kostform seien so genannte "Rotationsdiäten", in denen die unverträglichen Lebensmittel rotierend in Kombination mit vollwertigen, verträglichen Lebensmitteln in den Speisplan aufgenommen würden. Grundlage für diese Diäten sei eine Ernährung mit "Vollkost", die nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins grundsätzlich mit den bei der Regelbedarfsermittlung berücksichtigten Ernährungsausgaben bestritten werden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf die sozialmedizinische Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 412 der Leistungsakte) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 29. November 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger und Frau E. Arbeitslosengeld II in Höhe von insgesamt monatlich 1.006,00 EUR für den hier streitigen Leistungszeitraum Januar 2011 bis Juni 2011. Dabei berücksichtigte der Beklagte neben den Regelbedarfen in Höhe von zunächst je 323,00 EUR nur noch Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 360,00 EUR. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung wurde nicht mehr berücksichtigt.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. Dezember 2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er Anspruch auf ernährungsbedingten Mehrbedarf habe. Bei der Entscheidung seien unter anderem seine psychischen Beschwerden völlig außer Acht gelassen worden.

Mit Änderungsbescheid vom 26. März 2011 änderte der Beklagte den angegriffenen Bescheid wegen der Erhöhung der Regelbedarfe um jeweils 5,00 EUR ab und bewilligte dem Kläger und Frau E. Leistungen in Höhe von insgesamt 1.016,00 EUR monatlich. Später berücksichtigte der Beklagte mit Bescheid vom 15. September 2011 offenbar in Umsetzung einer im Verfahren zum Aktenzeichen S 30 AS 186/10 ER beim Sozialgericht Kiel ergangenen einstweiligen Anordnung einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 18,20 EUR und bereinigte die Unterkunfts¬kosten um die zwischenzeitlich nicht mehr in Abzug gebrachte Warmwasserpauschale, so dass schließlich monatlich 1.044,20 EUR gewährt wurden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück, nachdem dieser bereits am 6. Juni 2011 Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Kiel erhoben hatte. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass der Ernährungsbedarf grundsätzlich durch den Regelbedarf in vollem Umfang abgegolten sei. Nicht bei jeder Krankheit oder Behinderung bestehe qualitativ oder quantitativ ein besonderer Ernährungsbedarf. Die Gewährung eines Mehrbedarfs richte sich deshalb nach dem Stand der Ernährungsmedizin und Diätetik. Vorliegend habe der Ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit festgestellt, dass der Kläger unter einer MCS und Nahrungsmittelunverträglichkeiten leide, dass diese Krankheiten jedoch nach gutachterlicher Einschätzung keinen Mehrbedarf bedingten. Der Kläger könne Vollkost zu sich nehmen, diese Kostform lasse sich ohne finanziellen Mehraufwand aus der Regelleistung finanzieren.

Am 5. Juli 2011 hat der Kläger daraufhin seine bereits am 6. Juni 2011 beim Sozialgericht Kiel erhobene, auf Bescheidung des Widerspruchs vom 28. Dezember 2010 gerichtete Untätigkeitsklage in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass er Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung habe, weil er sich ausschließlich von biologisch erzeugten Lebensmitteln ernähren müsse. Hintergrund seien nicht nur die MCS-Erkrankung und die multiplen Nahrungsmittelallergien, sondern auch die massive Angststörung, die er in Bezug auf Lebensmittel und Ernährung entwickelt habe. Diese psychische Komponente seiner Erkrankung sei bisher noch nicht ausreichend berücksichtigt worden. Im streitgegenständlichen Zeitraum habe er deshalb einen durchschnittlichen monatlichen Bedarf an Nahrungsmitteln in Höhe von 292,00 EUR gehabt, der durch entsprechende Einkaufslisten belegt sei.

Derartige Listen für die Monate Dezember 2010, Januar, Juli, August und November 2011 hat er im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 44 bis 49 und 51 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2011 sowie unter Aufhebung des Bescheids vom 15. September 2011 zu verurteilen, ihm weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat auf seine Widerspruchsentscheidung Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ma.

Im Rahmen der Eigenanamnese hat der Kläger Dr. Ma die im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme bestehenden Probleme wie folgt geschildert: Er nehme alles, was er zu sich zu nehmen beabsichtige, zunächst einige Minuten in den Mund und warte eine Reaktion seines Körpers ab. Dann schlucke er sehr kleine Mengen und erst, wenn auch dann keine negativen Reaktionen festzustellen seien, nehme er größere Mengen zu sich. Schon Einkauf und Zubereitung der Lebensmittel stellten ein Problem dar: Er untersuche Nahrungsmittel beim Einkauf und nochmals vor der Zubereitung ganz genau auf Hinweise auf Beeinträchtigungen. Ergänzend hole er eine Einschätzung seiner Lebensgefährtin ein. Erst wenn diese ihr o.k. gebe, könne mit der Zubereitung begonnen werden, bei der ganz pedantisch vorgegangen werden müsse. Er müsse an den Zutaten zunächst riechen und sie dann jeweils nochmals genau untersuchen. Wenn etwas komisch rieche oder aussehe, müsse seine Lebensgefährtin vorkosten. Generell könne er eine Vielzahl von Lebensmitteln von vornherein nicht zu sich nehmen. Lediglich bei wenigen Lebensmitteln, die durchgängig nicht schmackhaft seien, wisse er nach Jahren des Abtestens, dass ihm nichts passiere. Einkauf und Zubereitung von Lebensmitteln nähmen so erhebliche Zeit des Tages in Anspruch; nach einem Einkauf fühle er sich wie tot. Diese Art des Umgangs mit Nahrungsmitteln habe nach einem Zusammenbruch im Jahr 1999 begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er fast normal essen können; seither sei "der Wurm drin".

Dr. Ma hat beim Kläger eine anankastische und ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung in besonders schwerer Ausprägung, eine generalisierte Angststörung, eine ausgeprägte soziale Phobie, Schlafstörungen und eine anhaltende affektive Störung festgestellt. Der Kläger leide ferner möglicherweise unter nicht näher bezeichneten Nahrungsmittelintoleranzen und Allergien; einer genaueren Diagnostik stehe entgegen, dass der Kläger angstbedingt entsprechende Untersuchungen ablehne. Beim Kläger liege ein genau definierbares organisches Krankheitsbild nicht vor, das einer konkreten Kostform medizinisch zwingend bedürfe. Wegen der psychiatrischen Erkrankung sei die erforderliche Diagnostik auch nicht durchführbar. Auch im Falle der Durchführbarkeit bliebe die allgemeine Angst- und Zwangssymptomatik gegenüber Nahrungsmittel jedoch relevant. Insgesamt bedürften diese Gesundheitsstörungen jedoch einer besonderen, von Vollkost abweichenden Ernährung. Dr. Ma hat daher eine Ernährungsform empfohlen, die "soweit wie möglich" auf Nahrungsmitteln aus kontrolliert biologischem Anbau fuße und auf industriell hergestellte Lebensmittel verzichte.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird im Einzelnen auf das Gutachten (Bl. 19 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 23. Juli 2012, das mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Bescheide dazu verurteilt, dem Kläger für den streitigen Zeitraum weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 42,82 EUR zu gewähren. Zur Begründung hat es unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. Ma ausgeführt, dass der Kläger u. a. auf psychiatrischem Gebiet unter einer Reihe von Zwangserkrankungen leide, die es ihm unmöglich machten, Lebensmittel zu sich zu nehmen, die nicht aus kontrolliert ökologischem Anbau stammten. Es sei dem Kläger nach den gutachterlichen Ausführungen unmöglich, sein Essverhalten zeitnah zu ändern. Zur Höhe des Mehrbedarfs hat das Sozialgericht Informationen bei der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein e.V. eingeholt und den Mehrbedarf nach Auswertung der von der Verbraucherzentrale zur Verfügung gestellten Quellen mit einem Drittel der bei der Regelbedarfsbemessung berücksichtigten Ausgaben in der Abteilung 1 der Einkommens- und Verbrauchstichprobe (EVS) veranschlagt. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen.

Gegen das ihm am 31. Juli 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31. August 2012 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, dass der vom Sozialgericht zugrunde gelegte Mehrbedarf in Höhe von 42,82 EUR nicht ausreichend sei. Es dürfe nicht auf generelle Mehrkosten für Bioprodukte abgestellt werden. Entscheidend sei, was er – der Kläger – selbst für seine Ernährung ausgegeben habe. Dabei seien die von ihm vorgelegten Einkaufslisten zugrunde zu legen. Die vom Sozialgericht berücksichtigten Quellen seien nicht aussagekräftig und würden im Übrigen bei richtiger Lesart auch die Schlussfolgerung nicht tragen, dass ein Mehrbedarf nur in Höhe von 33 % der als regelbedarfsrelevant berücksichtigen Verbrauchsausgaben der Abteilung 1 der EVS berücksichtigt werden könne. Zumindest müsse der Mehrbedarf deshalb, wenn man seine tatsächlichen Aufwendungen denn nicht zugrunde legen wolle, auf der Grundlage eines ernährungswissenschaftlichen Sachverständigengutachtens bestimmt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 23. Juli 2012 sowie den Bescheid vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2011 und die Änderungsbescheide vom 26. März 2011 und 15. September 2011 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 weiteres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich insgesamt 180,00 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt auf das erstinstanzliche Urteil Bezug.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten zur diesem und zu den korrespondieren Berufungsverfahren zu den Az. L 6 AS 116/12, L 6 AS 117/12, L 6 AS 118/12, L 6 AS 119/12 und L 6 AS 120/12 vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf diese Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist ohne Rücksicht auf die Überschreitung der Wertgrenze von 750,00 EUR (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) zulässig, weil das Sozialgericht die Berufung gegen sein Urteil ausdrücklich zugelassen hat; an diese Entscheidung ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage insoweit abgewiesen, als das Begehren des Klägers auf weitergehende Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung gerichtet ist, der über den zuerkannten Betrag von monatlich 42,82 EUR hinausgeht. Soweit das Sozialgericht der Klage stattgegeben hat, ist das Urteil einer Prüfung durch den Senat entzogen, weil der Beklagte weder selbst Berufung eingelegt hat, noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 143 Rn. 5c) der Berufung des Klägers mit einer unselbständigen Anschlussberufung entgegen getreten ist.

Streitgegenstand sind - im Berufungsverfahren allerdings nur noch mit den vorbezeichneten Einschränkungen - der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2011 sowie der nach § 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordene Änderungsbescheid vom 15. September 2011 und der Anspruch des Klägers auf höheres Arbeitslosengeld II für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011. Der zwischen den Beteiligten streitige Ernährungsmehrbedarf, auf den der Kläger sein Begehren in der Sache allein stützt, kann nicht zu einem prozessual selbständigen Streitgegenstand erhoben werden (vgl. nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 48/12 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 15, Rn. 9 m.w.N.) und ist klägerseitig auch nicht dazu erhoben worden.

Der Kläger hat seine am 6. Juni 2011 – nach Ablauf der Sperrfrist statthaft – als Untätigkeitsklage (§ 88 Abs. 2 SGG) erhobene Klage nach Erteilung des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2011 in zulässiger Weise in eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) umgestellt. Diese Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) ist schon deshalb zulässig, weil der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2011 die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens angeregt und sich damit auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (§ 99 Abs. 2 SGG).

Ungeachtet dessen ist die Klageänderung sachdienlich. Namentlich ist die geänderte Klage zulässig, weil das Widerspruchsverfahren zwischenzeitlich ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (§ 78 Abs. 1 SGG) und der Kläger die Klageänderung am 5. Juli 2011 und damit deutlich vor Ablauf der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG) erhoben hat.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juni 2011 und der Änderungsbescheid vom 15. September 2010 sind rechtmäßig, sie vermögen – soweit insbesondere mit Änderungsbescheid vom 15. September 2011 bereits ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 18,20 EUR vorgesehen ist – den Kläger jedenfalls nicht zu beschweren. Ihm stehen für den streitgegenständlichen Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2011 höhere als die ihm zuletzt mit Änderungsbescheid vom 15. September 2011 zuerkannten Leistungen in Höhe von monatlich 531,20 EUR nach dem materiellen Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht zu.

Dabei kann letztlich offen bleiben, ob der Kläger überhaupt die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II für den Bezug von Arbeitslosengeld II erfüllt. Namentlich kann dahinstehen, ob er nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 SGB II als erwerbsfähig anzusehen ist, woran nach Ansicht des Senats erhebliche Zweifel bestehen. Die Agentur für Arbeit hat die erforderliche Feststellung nach § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II bisher nicht getroffen. Selbst wenn der Kläger im hier streitgegenständlichen Zeitraum angesichts der vom medizinischen Sachverständigen, dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Ma überzeugend diagnostizierten anankastischen und ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstörung in besonders schwerer Ausprägung nicht in der Lage gewesen sein sollte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und selbst wenn der materielle Wegfall der Erwerbsfähigkeit für das Gericht in dieser Situation beachtlich wäre, würde sich an der Leistungsberechtigung dem Grunde und der Höhe nach nichts ändern. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum mit Frau E., deren Erwerbsfähigkeit zur Überzeugung des Senats feststeht, eine Partnerschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II unterhalten und damit eine Bedarfsgemeinschaft mit einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person gebildet. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für nicht erwerbsfähige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II) entsprechen – zumindest, soweit sie hier in Rede stehen – der Höhe nach vollständig den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zu gewährenden Leistungen. Allein die unterschiedliche Bezeichnung der Leistung – Arbeitslosengeld II einerseits, Sozialgeld andererseits – bedeutet keinen qualitativen Unterschied dergestalt, dass die Ansprüche nicht in demselben Verfahren geltend gemacht werden könnten.

Der Kläger erfüllt im Übrigen die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen. Er hat als damals 48-jähriger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt und ist hilfebedürftig gewesen, weil er – auch unter Berücksichtigung der bereiten Mittel seiner Partnerin (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II) – seinen Lebensunterhalt nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen hat bestreiten können (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Dabei sind als Bedarf beim Kläger zumindest der Regelbedarf in Höhe von 328,00 EUR (§ 20 Abs. 4 SGB II in der rückwirkend seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 [BGBl. I S. 453]) und der kopfteilige Anteil der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 185,00 EUR (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) zu berücksichtigen. Dieser – zwischen den Beteiligten im Übrigen auch unstreitige – Bedarf kann auch nicht anteilig gedeckt werden, weil weder der Kläger noch Frau E. im streitgegenständlichen Zeitraum nach Überzeugung des erkennenden Senats über berücksichtigungsfähiges Einkommen (§ 11 Abs. 1 SGB II) oder Vermögen (§ 12 Abs. 1 SGB II) verfügt haben. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder auf Sozialgeld ist folglich in Höhe dieses Bedarfs entstanden (§ 19 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB II)

Höheres Arbeitslosengeld II als das mit den streitgegenständlichen Bewilligungsbescheiden bereits gewährte steht dem Kläger jedoch nicht zu, weil zu seinen Gunsten keine weiteren Bedarfe zu berücksichtigen sind. Namentlich erfüllt der Kläger nicht die Voraussetzungen für die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II. Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

Voraussetzung für einen solchen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl. BSG, Urteile vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 49/10 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 10, Rn. 21, vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 100/10 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 12, Rn. 16 und Urteil vom 22. November 2011 – B 4 AS 138/10 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 14, Rn. 15, jeweils m.w.N.). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein (BSG, Urteil vom 14. Feb¬ruar 2013 – B 14 AS 48/12 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 15, Rn. 12). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Zwar hat der Kläger eine schwerwiegende Erkrankung, die auch ursächlich dafür ist, dass er sich in einer bestimmten, gegenüber den in der Gesamtbevölkerung üblichen Gepflogenheiten erheblich abweichenden Weise ernährt. Er leidet nach den insoweit überzeugenden gutachtlichen Äußerungen des Sachverständigen Dr. Ma an einer psychiatrischen Erkrankung, die von ihm als anankastische und ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung in schwerer Ausprägung, generalisierte Angststörung, ausgeprägte soziale Phobie und anhaltende affektive Störung bezeichnet wird. Dr. Ma beschreibt die Problematik des Klägers als ein Mischbild, bei dem tatsächlich erlebte körperlich funktionelle Reaktionen auf Nahrungsmittel mit stark Angst besetzten Vorstellungen zusammentreffen, die der Kläger aus seiner Persönlichkeit heraus entwickelt hat, wobei die Angststörung prozesshaft im Laufe der Zeit zusehends in den Vordergrund getreten ist.

Aus dieser Erkrankung folgt zwar kausal eine gegenüber der üblichen Ernährung abweichende Ernährung, nicht jedoch deren Notwendigkeit. Generell ist nach Überzeugung des Senats der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Notwendigkeit im Sinne des § 21 Abs. 5 SGB II, sich in einer bestimmten Weise zu ernähren, bei Zwangserkrankungen nicht herstellbar.

Welche Anforderungen konkret an die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung zu stellen sind, wird bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur thematisiert. Allerdings wird sowohl von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. November 2011 – B 4 AS 138/10 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rn. 14 ff, 21 und Urteil vom 14. Februar 2013 – B 4 AS 48/12 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 15, Rn. 12) als auch von großen Teilen der Kommentarliteratur (Krauß, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 Rn. 58; Behrend, in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 21 Rn. 55; Adolph, in: Adolph, SGB II/SGB XII/ AsylbLG, Loseblatt, Stand: 11/2014, § 21 SGB II Rn. 50; vgl. auch Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 Rn. 55) der ernährungsbedingte Mehrbedarf zu Recht mit dem Begriff der "Krankenkost" in Verbindung gesetzt. Diese Sichtweise kann sich insbesondere auf die Entstehungsgeschichte des Ernährungsmehrbedarfs stützen. Dieser wurde in das damalige Bundessozialhilfegesetz mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1523) in § 23 Abs. 4 BSHG neu eingefügt, um die so genannten "Krankenkostzulagen" insbesondere aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten gegenüber anderweitigen spezifischen Ernährungserfordernissen aus dem privilegierten Rahmen der sozialhilferechtlichen Krankenhilfe in die Hilfe zum Lebensunterhalt zu überführen (BT-Drucks. 9/842, S. 88).

Krankenkost wiederum wird ernährungsmedizinisch definiert als eine "auf die Bedürfnisse des Patienten und die Therapie der Erkrankung abgestimmte Ernährung" (Pschyrembel, Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch, Stichwort: Krankenkost), als "Diät zur Krankheitsbehandlung" (Wikipedia-Enzyklopädie, online im Internet unter http://de.wikipedia.org/wiki/diät) oder als "diagnostisch, präventiv oder therapeutisch indizierte Kostenform" (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort: Krankenkost). Als Formen werden dabei insbesondere anerkannt: eine adaptive Vollkost, eine energiedefinierte Diät, eine protein- und elektrolytdefinierte Diät sowie Sonderdiäten, wie die gastroenterologische Diät, Diät bei spezifischen Systemerkrankungen, seltene und diagnostische Diäten (z. B. Eleminationsdiät bei Lebensmittelallergien) (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, a.a.O.). Allen diesen Diäten ist gemeinsam, dass sie an eine präventive, diagnostische oder therapeutische Maßnahme anknüpfen oder diese flankieren, um den Behandlungserfolg ärztlicher oder sonst medizinscher Maßnahmen sicherzustellen. Eine besondere Kostform, die zwar in Beziehung zu einer Krankheit steht, aber nicht dem Zweck dienen soll, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhindern oder die Krankheitsfolgen zu lindern, ist dementsprechend keine Krankenkost und löst keinen Ernährungsmehrbedarf aus. Dafür spricht wiederum der Wortlaut des § 21 Abs. 5 SGB II, der den Bedarf nach einer besonderen Ernährung (und nicht das Ernährungsverhalten als solches) ausdrücklich an medizinische Gründe knüpft.

Daran gemessen kann der Kläger wegen seiner Zwangserkrankung keinen Ernährungsmehrbedarf beanspruchen. Die Mehrausgaben für Lebensmittel, die teils daraus resultieren, dass er hochpreisige Biolebensmittel insbesondere der Marken "Demeter" und "Bioland" einkauft, teils aber auch daraus, dass er aufgrund der Angststörung ihm schadhaft erscheinende Lebensmittel in größerem Umfang ungenutzt wegwirft, steht bei ihm im ursächlichen Zusammenhang mit seiner Krankheit, nicht aber im ursächlichen Zusammenhang mit ihrer Heilung oder Linderung.

Der Zwang ist vielmehr in erster Linie mit psychiatrischen oder psychotherapeutischen Mitteln im Wege der Krankenbehandlung und zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu behandeln; ihm ohne eine solche Behandlung nachzugeben, vermag keinen erhöhten grundsicherungsrechtlichen Bedarf auszulösen. Würde man dies anders sehen und auch die infolge von psychiatrischen Störungen auftretenden subjektiven Bedürfnisse als Bedarf anerkennen, würde dies dem Zweck der aus der Krankenhilfe stammenden Krankenkostzulagen und letztlich auch dem abgeschlossenen, sich an objektiven Bedarfslagen orientierenden System der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuwiderlaufen.

Dies zeigt sich noch plastischer am Beispiel der gleichfalls zu den psychischem Erkrankungen zählenden Suchterkrankungen: Ein therapieresistenter Alkoholiker, der bei kaltem Entzug unter erheblichen Entzugserscheinungen leidet, hat das subjektive Bedürfnis, die Entzugsfolgen durch die Einnahme einer bestimmten Menge hochprozentigen Alkohols zu lindern. Tatsächlich wird hinsichtlich der Entzugsfolgen eine subjektive vorübergehende Besserung eintreten. Dies bedeutet aber noch nicht, dass die Mehrkosten für Alkohol im Bereich der Ernährung – die schon deshalb bestehen dürften, weil alkoholische Getränke bei der Regelbedarfsbemessung nach der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 ausgeschlossen und durch Mineralwasser substituiert worden sind – als Mehrbedarf anzuerkennen wären.

Die Auslegung des Senats steht auch nicht in Widerspruch zu der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zwar hat das Bundessozialgericht den krankenversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff ohne Weiteres für den "krankheitsbedingten" Mehrbedarf adaptiert und setzt auch insoweit einen –"regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand" (Hervorhebung nur hier) voraus (vgl. BSG, Urteils vom 10. Mai 2011 – B 4 AS 100/10 R – SozR 4 4200 § 21 Nr. 12, Rn. 21). Diese Definition wurde in den bisher entschiedenen Fällen aber nicht im Hinblick auf tatsächlich vorliegende psychiatrische Erkrankungen verwendet. Im Übrigen hält auch der Senat die Anwendung des § 21 Abs. 5 SGB II auf Folgen psychiatrischer Erkrankungen nicht für schlechthin ausgeschlossen. Denkbar ist dies insbesondere dann, wenn die Ernährung nach dem Leitbild eines gesunden Menschen bei einem psychisch erkrankten Menschen organisch negative Auswirkungen tatsächlich hervorruft.

Derartige Voraussetzungen sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Namentlich ist zugunsten des Klägers nicht nachgewiesen, dass es bei dem Konsum bestimmter von ihm gemiedener Lebensmittel zu negativen organischen Folgewirkungen kommt, welche Folgewirkungen das ggf. sind und von welchen Lebensmitteln diese herrühren. Eine weitere Sachverhaltsermittlung ist dem Senat verwehrt, weil sich der Kläger erforderlichen ärztlichen Untersuchungen nach glaubhafter Einlassung des Sachverständigen Dr. Ma nachhaltig verweigert.

Die Unaufklärbarkeit objektiver organischer Erkrankungen im Hinblick auf denkbaren Ernährungsbedarf trägt letztendlich der Kläger. Dementsprechend ist auch die Bestimmung einer besonderen Kostform, auf die der Kläger wegen organischer Folgewirkungen psychischer Gesundheitsstörungen angewiesen sein könnte, nicht möglich. Der Senat folgt dem Sozialgericht nicht in der Einschätzung, dass der Kläger ausschließlich biologisch erzeugte Kost ohne industrielle Erzeugnisse zu sich nehmen könne. Ein entsprechender Nachweis ist nicht erbracht. Zwar empfiehlt der Sachverständige Dr. Ma für den Kläger die Verwendung von Nahrungsmitteln aus kontrolliert biologischem Anbau, während er auf den Verzehr industriell hergestellter Nahrungsmittel verzichten solle. Diese Empfehlung rührt jedoch nicht aus organischen Erkrankungen, sondern daraus, dass es sich bei der Störung des Klägers um eine rein angstbesetzte und zwangsbezogene Haltung gegenüber industriell hergestellten Lebensmitteln und der Notwendigkeit von Biokost handelt, die nur aus seiner Persönlichkeit zu erklären sind. Welche kör perlich funktionellen Reaktionen auf welche Lebensmittel eintreten, kann der Sachverständige schon deshalb nicht beschreiben, weil entsprechende Diagnosen nicht vorgelegen haben und nach den insoweit überzeugenden gutachterlichen Ausführungen mangels Kooperationsbereitschaft des Klägers auch nicht getroffen werden können. Auf dieser Grundlage lässt sich von vornherein keine Aussage über eine bestimmte Kostform treffen, die der Kläger zur Vermeidung negativer organischer Reaktionen einhalten müsste. Noch weniger lässt sich die Präferenz kontrolliert biologisch angebauter gegenüber konventionell hergestellten Lebensmittel insbesondere im Hinblick auf den Schadstoffgehalt begründen, zumal offen bleibt und von einem medizinischen Gutachter auf psychiatrischen Gebiet ohnehin nicht sachverständig beurteilt werden könnte, ob der Schadstoffgehalt konventionell produzierter Lebensmittel überhaupt signifikant vom Schadstoffgehalt biologisch angebauter Produkte abweicht. Wie inkonsistent das Ernährungsverhalten des Klägers ist, zeigt bereits, dass er nach seinen eigenen Schilderungen im Rahmen der Eigenanamnese einen wesentlichen Teil seines Energiebedarfs durch mit "Kaba" angerührte Milch deckt und damit gerade auf ein industriell produziertes Lebensmittel zurückgreift.

Dass das Sozialgericht auf Grundlage dieser gutachterlichen Feststellungen den seiner Ansicht nach wesentlich durch die Zwangserkrankung begründeten Ernährungsmehrbedarf anhand der Mehrkosten bestimmt, die durch den Verzehr von biologisch erzeugten Lebensmitteln entstehen, überzeugt den Senat ebenfalls schon vom Grundsatz her nicht; deshalb kommt es auf die Richtigkeit der Ermittlungsmethode, die der Kläger mit seinem Berufungsvorbringen in Zweifel zieht, nicht entscheidend an. Müsste nämlich – entgegen der Rechtsaufassung des Senats – ein Ernährungsmehrbedarf anerkannt werden, der dem zwangsbedingten Nahrungskonsumverhalten Rechnung trägt, dürfte dieser konsequenterweise nicht anhand objektiver Mehrkosten für die Versorgung biologisch produzierten Lebensmitteln bestimmt werden. Die Berücksichtigung eines budgetierten Mehrbedarfs unter Berücksichtigung durchschnittlicher Aufwendungen und Mehraufwendungen setzt voraus, dass die leistungsberechtigte Person in der Lage ist, ihren objektiv darstellbaren Bedarf durch ein rationales, wirtschaftliches und sparsames Einkaufs- und Konsumverhalten zu decken. Das Wesen der Erkrankung des Klägers liegt aber gerade darin, dass er zu einer solchermaßen rationalen Bewertung nicht in der Lage ist. Dies müsste im Ergebnis dazu führen, dass der Mehrbedarf – wollte man ihn denn dem Grunde nach anerkennen – letztlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen geleistet werden müsste, weil anderenfalls eine Bedarfsdeckung nicht zu erzielen wäre.

Einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung kann der Kläger auch nicht mit Rücksicht auf die von Dr. M diagnostizierten Nahrungsmittelunverträglichkeiten stützen. Der medizinische Sachverständige Dr. Ma referiert solche Störungen zwar ebenfalls, beantwortet die Beweisfrage nach bestehenden Gesundheitsstörungen jedoch lediglich mit dem Hinweis: "Nahrungsmittelintoleranzen. Allergien, nicht näher bezeichnet." Er signalisiert dabei selbst, dass entsprechende Störungen beim Kläger zwar vorliegen mögen, dass die aber nicht näher eingegrenzt und gegen die alles überlagernde Zwangs- und Angststörung nicht zuverlässig abgrenzt werden können. Eine weitere Sachverhaltsermittlung ist nicht Erfolg versprechend, weil der Kläger nach den gutachterlichen Aussagen auch insoweit eine weitere allergolo¬gische Begutachtung verweigert. Dessen ungeachtet geht der Senat davon aus, dass solche Unverträglichkeiten isoliert betrachtet jedenfalls nicht so schwerwiegend sind, dass diese der Höhe nach den im Berufungsverfahren nicht mehr in Streit stehenden Mehrbedarf von monatlich 42,82 EUR überschreiten würden. Dabei sind einerseits die eigenen Schilderungen des Klägers zu berücksichtigen, wonach er trotz einer bereits damals bestehenden Allergieproblematik bis zu seinem psychischen Zusammenbruch im Jahr 1999 fast normal habe essen können. Beachtlich ist auch, dass der Kläger über Jahre hinweg widerspruchslos die Gewährung eines Mehrbedarfs von lediglich 25,56 EUR hingenommen hat, ohne auf eine deutliche Unterdeckung des Bedarfs auch nur hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

Die Berufung ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Der Senat misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob eine psychiatrische Erkrankung im Allgemeinen und eine Zwangs- oder Angststörung im Besonderen geeignet ist, einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung auszulösen. Bejahendenfalls erscheint die weitere Frage grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Mehrbedarf nach objektiven Kriterien zu bemessen oder daran auszurichten ist, was der Erkrankte aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankung im Einzelfall tatsächlich zu benötigen meint.
Rechtskraft
Aus
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