S 35 AS 518/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 518/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 360/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 09.02.2015 wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Den Antragstellern wird für diesen Rechtszug ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. L. aus F beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch.

Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) sind verheiratet und Eltern der am 00.00.1999 geborenen Antragstellerin zu 3). Nach eigenen Angaben halten sich die Antragsteller zum Zwecke der Arbeitssuche seit etwa Ende August 2014 in Deutschland. Vor dem Zuzug in den Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin im Dezember 2014 lebten die Antragsteller bei Bekannten in T und W. Die Antragstellerin zu 3) ist derzeit Schülerin.

Mit Mietvertrag vom 14.12.2014 mieteten die Antragsteller zum 01.01.2015 eine Wohnung in F an. Für diese Wohnung ist eine Grundmiete von 370,00 EUR zuzüglich Betriebskosten in Höhe von 90,00 EUR zu entrichten. Die Wohnung bezogen die Antragsteller bereits am 15.12.2014

Am 16.12.2014 beantragten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich der in der beigezogenen Verwaltungsakte befindlichen Antragsformulare gaben die Antragsteller an, weder über Einkommen noch über Vermögen zu verfügen. Ebenfalls am 16.12.2014 unterzeichneten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin Eingliederungsvereinbarungen.

Mit Bescheid vom 28.01.2015 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe nicht, da die Antragsteller lediglich ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche innehaben und der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eingreife.

Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller am 05.02.2015 durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. Die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach dem SGB II liegen vor, da die Antragsteller hilfebedürftig und erwerbsfähig seien und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Es sei einzig der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II streitig, welcher auf freizügigkeitsberechtigte EU-Bürger nicht anwendbar sei. Es werde auf das Vorlageverfahren des Bundessozialgerichts zum Europäischen Gerichtshof vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R verwiesen.

Es ist nicht bekannt, ob die Antragsgegnerin den Widerspruch bereits verbeschieden hat.

Die Antragsteller haben am 09.02.2015 beim Sozialgericht Duisburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt mit dem Inhalt, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Antragsgegnerin berufe sich zu Unrecht auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Die Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses auf Bürger der Europäischen Union sei streitig; diesbezüglich sei ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig. Der Leistungsausschluss sei europarechtswidrig und daher nicht anzuwenden. Nach der Rechtsprechung des LSG NRW vom 12.03.2014 - L 12 AS 108/14 B ER habe im Rahmen einer Folgenabwägung vorläufig eine Leistungsgewährung zur erfolgen. Auch nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache E (EuGH, Entscheidung vom 11.11.2014 - C-333/13) sei weiter von der Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses auszugehen. Auch verfügen die Antragsteller über kein Einkommen oder Vermögen und seien nach ihrer Einreise nach Deutschland keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab Stellung des Eilantrages zu gewähren,

den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. L. aus F zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsteller halten sich nach eigenem Vortrag ausschließlich zur Arbeitssuche auf und daher nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Der EuGH habe in der Rechtssache E (EuGH, Entscheidung vom 11.11.2014 - C-333/13) bestätigt, dass der Leistungsausschluss nicht gegen europarechtliche Regelung verstoße. So stehe den Unionsbürgern das Recht auf Aufenthalt von mehr als drei Monaten nur unter den Voraussetzungen des Art. 7 RL 2004/38/EG zu. Danach sein ein längerer Aufenthalt nur möglich, wenn die Person in dem anderen Staat als Arbeitnehmer oder Selbstständiger tätig sei oder über ausreichend Mittel verfüge, um die eigene Existenz zu sichern. Eine Gleichbehandlung mit den Bürgern eines Mitgliedsstaates in Bezug auf den Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen können nur EU-Ausländer verlangen, die ein Aufenthaltsrecht nach der Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2008/38/EG) besitzen. Dies sei bei den Antragstellern nicht der Fall. Auch halten sich die Antragsteller nicht seit fünf Jahren ständig rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ist zulässig aber unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass das geltend gemachte Begehren im Rahmen der der beim einstweiligen Rechtsschutz allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung begründet erscheint (Anordnungsanspruch) und erfordert zusätzlich die besondere Eilbedürftigkeit der Durchsetzung des Begehrens (Anordnungsgrund). Ein Eilbedarf ist gegeben, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - Az. 1 BvR 569/05; BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 - Az. 1 BvR 1087/91). Das Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Wenn die Hauptsacheklage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG-Kommentar, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 29). Hat die Hauptsache dagegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei einem offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 - Az. 1 BvR 569/05).

Die Antragsteller haben vorliegend keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach Auffassung des Gerichts steht den Antragstellern nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung kein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu. Die Antragsteller sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben sowie die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören auch die dem Haushalt angehörenden unverheirateten, unter 25 jährigen Kinder, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II). Nach summarischer Prüfung erfüllen die Antragsteller diese Voraussetzungen, da alle Antragsteller die Altersvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II erfüllen, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, 30 Abs. 3 S. 2 SGB I seit Mitte 2014 in Deutschland haben und keine Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsfähigkeit nach gem. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 8 SGB II vorliegen. Auch erfüllen die Antragsteller die rechtlichen Voraussetzungen der Erwerbsfähigkeit gem. § 8 Abs. 2 S. 1 SGB II, da diese als rumänische Staatsangehörige nach § 2 Abs. 2, Abs. 4 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizüG/EU) freizügigkeitsberechtigt ist und freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Die Antragsteller haben durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II zu sein. Sie verfügen nicht über zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes. Nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II allerdings Ausländerinnen und Ausländer ausgenommen und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

Nach einer summarischen Prüfung greift hinsichtlich der Antragsteller der Ausschlusstatbestand des § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ein. Nach eigenen Angaben sind die Antragsteller im August 2014 in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke der Arbeitssuche eingereist. Einer Tätigkeit sind die Antragsteller nach ihrer Einreise nicht nachgegangen.

Die Antragsteller können sich vorliegend ausschließlich auf das Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1b FreizügG/EU berufen. Das Bestehen eines anderen Aufenthaltsrechts nach dem FreizügG/EU ist derzeit nicht ersichtlich und von den Antragstellern auch nicht glaubhaft gemacht worden. Die Antragsteller waren insbesondere nie als Arbeitnehmer oder Selbstständige in Deutschland tätig. Auch kommt das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU nicht in Betracht, da sich die Antragsteller erst seit knapp sechs Monaten in Deutschland aufhalten. Hinsichtlich eines Aufenthaltsrechtes ohne besondere Zweckbestimmung (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU) fehlt es an der in § 4 Satz 1 FreizügG/EU normierten Voraussetzung ausreichender Existenzmittel und des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes.

Die Antragsteller können als rumänische Staatsangehörige gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II auch nicht unmittelbar aus dem Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) herleiten (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R) gestützt werden, da Rumänien nicht zu den Unterzeichnerstaaten dieses Abkommens gehört (vgl. http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/QueVoulezVous.asp?CL=GER&CM=1&NT=014).

Für das Bestehen eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II ist somit vorliegend einzig die Frage der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem Unionsrecht entscheidend. Zur Überzeugung des Gerichts bestehen insbesondere nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache E (EuGH, Urteil vom 11.11.204 - C-333/13) keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union. Der Leistungsausschluss ist daher nicht wegen des Grundsatzes des Vorrangs europarechtlicher Regelungen unanwendbar.

In der Rechtsprechung und Literatur ist bisher nicht einheitlich beurteilt worden, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union vereinbar ist, oder ob dieser gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 verstößt (vgl. zum Meinungsstreit umfassend: Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Urteil vom 28.11.2013 - L 6 AS 130/13; LSG NRW, Beschluss vom 17.05.2011 - L 6 AS 356/11 B ER; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 17.02.2010 - L 19 B 392/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.01.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER; LSG Bayern, Beschluss vom 04.05.2009 - L 16 AS 130/09 B ER; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 7 Rn 39 ff m.w.N.; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 - L 15 AS 365/13 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER und Beschluss vom 08.06.2009 - L 34 AS 790/09 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2009 - L 15 AS 905/09 B ER).

Nach Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates wir die Staatsangehörigen dieses Staates, sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist. Mit dem Hinweis auf den Wortlaut von Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 wird die Einschränkung "sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt wird" in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zum Teil so verstanden, dass sich Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot ausschließlich aus der Verordnung selbst ergeben müssen und andere Rechtfertigungsgründe außerhalb der Verordnung nicht anzuerkennen sind (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 30.09.2013 - L 6 AS 433/13 B ER). Wird dieser Ansicht gefolgt, ist eine Ungleichbehandlung in Anwendung des Art. 70 Abs. 4 Verordnung (EG) 883/2004 nur insofern möglich, als die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nicht exportierbar sind.

In der Literatur und sozialgerichtlicher Rechtsprechung wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 in Umsetzung der Regelung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG möglich sind (LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 23.5.2012 - L 9 AS 347/12 B ER - juris RdNr 35 ff). So wird in Art 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG bestimmt, dass der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet ist, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 b) einen Anspruch auf Sozialhilfe etc. zu gewähren. So wird die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Regelung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG um eine anderweitige Bestimmung nach Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 handele (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2012 - L 9 AS 347/12 B ER; vgl. zur Darstellung der verschiedenen Auffassungen BSG, Beschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R, Rn. 38).

Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 12.12.2013 diese Frage dem EuGH vorgelegt und das bei ihm anhängige Verfahren B 4 AS 9/13 R bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt. Zuvor hatte bereits das Sozialgericht Leipzig (Beschluss vom 03.06.2013, Az. S 17 AS 2198/12) Fragen zur Europarechtswidrigkeit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Zuletzt hat das LSG NRW am 22.05.2014 (L 7 AS 2136/13) Fragen zur Vorabentscheidung durch den EuGH vorgelegt.

Über die Vorlage des SG Leipzig hat der EuGH mit seinem Urteil vom 11.11.2014 (Az. C-333/13) entschieden. Richtig ist, dass der Entscheidung des EuGH im konkreten Fall ein Sachverhalt zugrunde lag, in dem die Klägerin nicht einmal ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche geltend machte, weil sie tatsächlich keine Arbeit suchte. Allerdings lässt sich der Entscheidung nach Auffassung der Kammer auch entnehmen, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II in den Fällen, in denen ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche geltend gemacht wird, nicht europarechtswidrig ist.

Der EuGH weist in der oben genannten Entscheidung zunächst darauf hin, dass Art. 18 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung aufgrund des am 01.12.2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (AEUV) "jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit "[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich" verbietet. Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV sieht ausdrücklich vor, dass die Rechte, die dieser Artikel den Unionsbürgern verleiht, "unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt [werden], die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind". Ferner besteht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV das Recht der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, "vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen" (vgl. Urteil Brey, C-140/12, EU:C:2013:565, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dabei wird das in Art. 18 AEUV in allgemeiner Weise niedergelegte Diskriminierungsverbot in Art. 24 der Richtlinie 2004/38 für Unionsbürger konkretisiert, die wie die Kläger des Ausgangsverfahrens von ihrer Freiheit Gebrauch machen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Zudem erfährt dieses Verbot in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 eine Konkretisierung für Unionsbürger, die wie die Kläger des Ausgangsverfahrens im Aufnahmemitgliedstaat Leistungen nach Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung beanspruchen.

Daher sind Art. 24 der Richtlinie 2004/38 und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 auszulegen." (EuGH, Urteil vom 11. November 2014 - C-333/13 -, Rn. 60 - 61, juris)

Nach diesen Ausführungen des EuGH wird nunmehr deutlich, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV durch Art. 24 Richtlinie 2004/38 und Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 konkretisiert wird. In seiner Entscheidung führt der EuGH weiter aus:

"Dies vorausgeschickt ist festzustellen, dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 und Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit aufgreifen, während Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot enthält." (EuGH, Urteil vom 11. November 2014 - C-333/13 -, Rn. 65, juris)

Durch diese Ausführungen ist davon auszugehen, dass der EuGH die umstrittene Frage, ob sich Abweichungen vom Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 ausschließlich aus der Verordnung selbst ergeben können, oder bei beitragsunabhängigen besonderen Geldleistungen Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 auch in Umsetzung der Regelung des Art 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG möglich sind, nach Auffassung des Gerichts im Sinne der letztgenannten Auffassung beantwortet.

Der EuGH geht somit davon aus, dass Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/38 und Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 18 AEUV konkretisieren. Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 bildet eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit. Daraus folgt, dass eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern und den Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedsstaates dann europarechtlich gerechtfertigt ist, wenn die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 vorliegen. In diesem Fall ist der Leistungsausschluss nicht europarechtswidrig. Nur für den Fall, dass der persönliche Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 nicht eröffnet ist - und so lag der Sachverhalt in dem vom EuGH zu entscheidenden Fall, weil die Klägerin, die länger als drei Monate ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik hatte, nicht einmal auf Arbeitssuche war, so dass die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 4 lit b. Richtlinie 2004/38 nicht vorlagen (Rn. 66) - sei zu prüfen, ob Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/38 und Art. 4 Verordnung (EG) 883/2004 dem Leistungsausschluss entgegenstünden.

Vorliegend ist der persönliche Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 zu nach summarischer Prüfung durch das Gericht im Hinblick auf die Antragsteller eröffnet. Wie bereits ausgeführt, ist nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des über diesen Zeitraum hinausgehenden längeren Zeitraums der Arbeitsuche nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2004/38 einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen zu gewähren.

Die Antragsteller sind andere Personen im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38, da sie weder Arbeitnehmer noch Selbständige, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt oder Familienangehörige sind. Insbesondere sind die Antragsteller keine Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 2004/38, da diese auch nach Rückfrage durch das Gericht angegeben haben, seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland keiner Tätigkeit nachgegangen zu sein. Als Arbeitnehmer ist nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Vatsouras/Koupatantze (EuGH vom 04.06.2009 E C-22/08) jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dieser Arbeitnehmerbegriff liegt nach Auffassung des Gerichts erkennbar auch der Richtlinie 2004/38 zugrunde. Insbesondere ist der Richtlinie 2004/38 nicht zu entnehmen, dass auch arbeitsuchende Personen Arbeitnehmer im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Richtline 2004/38 sind. So differenziert die Richtlinie bereits dem Wortlaut nach klar zwischen Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden. Läge der Richtlinie 2004/38 eine von der tatsächlichen Ausübung einer Tätigkeit unabhängige, weite Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs zugrunde, nach der der Wille zur Begründung einer Beschäftigung ausreichen würde, wäre der Ausweisungsschutz in Art. 14 Abs. 4 lit. b Richtlinie 2004/38 überflüssig, da die Arbeitssuchenden, mit dem Willen, eine Beschäftigung aufzunehmen, in diesem Fall bereits unter den Ausweisungsschutz des Art. 14 Abs. 4 lit. a Richtlinie 2004/38 fallen würden. Auch die Regelungen über das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft in Art. 7 Abs. 3 lit. b und c Richtlinie 2004/38 wären nicht nachvollziehbar, wenn bereits die Arbeitssuche die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Richtlinie begründen könnte.

Die Antragsteller halten sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung seit nunmehr sechs Monaten in der Bundesrepublik Deutschland auf und suchen Arbeit. Es greift für diese und den Antragsteller zu 3) der Ausweisungsschutz gemäß Art. 14 Abs. 4 b Richtlinie 2004/38. Danach dürfen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, wenn sie eingereist sind, um Arbeit zu suchen, so lange nicht ausgewiesen werden, wie sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Vorliegend haben sich Antragsteller zu 1) und zu 2) angegeben Arbeit zu suchen. Gründe, dass diese Bewerbungsbemühungen von Beginn an erfolgslos verlaufen, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere, da die Antragsteller zu 1) und zu 2) ausweislich der Eidesstattlichen Versicherung als Lackierer und Schneiderin in Rumänien tätig waren.

Aufgrund der Überzeugung des Gerichts von der Vereinbarkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht bleibt vorliegend kein Raum für eine Folgenabwägung.

Soweit die Antragsteller von der Antragsgegnerin die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt, fehlt es zudem an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes. Für die Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung liegt ein Anordnungsgrund regelmäßig nur dann vor, wenn konkret Wohnungslosigkeit oder eine vergleichbare Notlage droht. Ein Anordnungsgrund setzt hierbei nicht bloß die Gefahr voraus, dass Schulden entstehen. Vorausgesetzt wird vielmehr eine akute Gefährdung der Unterkunft (vgl. LSG NRW Beschluss vom 07.01.2013 - L 19 AS 2282/12). Eine solche akute Gefährdung liegt regelmäßig erst dann vor, wenn eine Räumungsklage erhoben ist (LSG NRW, Beschluss vom 10.09.2014 - L 7 AS 1385/14 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 31.05.2012 - L 7 AS 337/12 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 25.05.2012 - L 7 AS 742/12 B ER; LSG NRW Beschluss vom 25.05.2011 - L 12 AS 381/11B ER; LSG NRW, Beschluss vom 20.03.2012 - L 12 AS 352/12 B ER). Zwar hat der 6. Senat des Landessozialgerichts NRW anlässlich seiner Entscheidung vom 29.01.2015 erklärt, an seiner bisherigen Rechtsprechung zum fehlenden Anordnungsgrund bei den Kosten der Unterkunft nicht mehr festzuhalten, da bereits vor Erhebung einer Räumungsklage zu einem früheren Zeitpunkt wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein können, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen (LSG NRW, Beschluss vom 29.01.2015 - L 6 AS 2085/14 B ER). In dem zu entscheidenden Sachverhalt hatte der Vermieter der Antragsteller aber bereits die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend eine akute Gefährdung der Wohnung nicht erkennbar und von den Antragstellern bisher auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache selbst.

Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war stattzugeben, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung zumindest hinreichende Aussicht auf Erfolg versprach (vgl. § 73a Abs. 1 S. 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO) und die Antragsteller aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 c) SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig.
Rechtskraft
Aus
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