L 13 AL 1924/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AL 1388/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 1924/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Wird bei Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung allgemein als Ziel eine Selbständigkeit genannt, ein Existenzgründungszuschuss hingegen ausdrücklich nicht zugesagt, ist dies für die Ermessensentscheidung irrelevant.
2.) Wird in ermessenslenkenden Weisungen der Vorrang der Vermittlung in abhängige Beschäftigung normiert und bietet die Bundesagentur bereits in einem kurzen Zeitraum mehrere Beschäftigungsangebote an, so ist unschädlich, wenn eines dieser exemplarischen Angebote unterhalb der tatsächlichen Qualifikation eines Versicherten liegt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Gründungszuschusses nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ab dem 2. Januar 2012.

Die 1969 geborene Klägerin ist Diplom-Kauffrau, bestellte Steuerberaterin und bestellte Wirtschaftsprüferin. Die Klägerin arbeitete u.a. von Januar 2005 bis Dezember 2008 für die RWT R. Wirtschaftstreuhand GmbH. Sie war danach von Januar 2009 bis Dezember 2011 bei der xxx GmbH in M. angestellt. Am 29. September 2011 erfolgte die Kündigung durch diesen Arbeitgeber zum 31. Dezember 2011. Die Klägerin hielt bereits vor dieser Kündigung und neben ihrer Anstellung als Arbeitnehmerin als selbstständige Dozentin Lehrveranstaltungen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, an der Hochschule M. und bei der Steuerberaterkammer Stutgart., ab. Die Klägerin meldete sich am 14. November 2011 persönlich arbeitssuchend. Die persönliche Arbeitslosenmeldung erfolgte dann am 28. November 2011 mit Wirkung zum 1. Januar 2012. Am gleichen Tag schloss die Klägerin mit der Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Steuerberaterin/Wirtschaftsprüferin. Eine Kostenzusage für einen Gründungszuschuss wurde dabei ausgeschlossen. Ausweislich eines diesbezüglichen Gesprächsvermerks wies der Mitarbeiter der Beklagte sie ausdrücklich auf die Ausgestaltung des Gründungszuschusses als Ermessensleistung hin.

Auf dieser Basis begehrte die Klägerin bei der Beklagten zum Jahreswechsel 2011/2012 einen Gründungszuschuss. In ihrem schriftlichen Formular-Antrag vom 9. Januar 2012 gab sie an, ab 2. Januar 2012 eine selbstständige Tätigkeit als Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer auszuüben zu wollen. Die Beklagte verfügt über ermessenslenkende Weisungen, die sich auch auf den Gründungszuschuss beziehen (Bl. 61/63 der SG-Akte). Diese beinhalten zum einen die Prüfung des Vorrangs sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Zum anderen nennen sie als Ablehnungsgründe eine positive Integrationsprognose und zumutbare Integrationsmöglichkeiten.

Bei der Beklagten waren am 9. Januar 2012, bei Eingang des schriftlichen Antrags, drei Stellen für den Bereich Wirtschaftsprüfer/ Steuerberater ausgeschrieben. Zum einen suchte die Firma xxxx Jobs GmbH einen "Wirtschaftsprüfer für die interne Revision". Die Firma xxx xxx Finance & Accounting suchte einen "Referent Steuern/ Wirtschaftsprüfer". Des Weiteren suchte die Steuerkanzlei St. K. eine "Steuerfachangestellte (alternativ: Fachwirt - Steuer, Betriebswirt -Steuer)".

Mit Bescheid vom 16. Januar 2012 lehnte die Beklagte die Förderung mit einem Gründungszuschuss ab. Bei § 57 SGB III (in der damaligen Fassung vom 20. Dezember 2011, gültig vom 28. Dezember 2011 bis 31. März 2012; im folgenden a.F.) handele es sich um eine Ermessensvorschrift. Im Rahmen von Ermessensleistungen könne eine Leistung nur gewährt werden, wenn die Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte - insbesondere der Interessen der Beitragszahler - zugunsten der Klägerin ausfalle. Bei dieser Abwägung sei der Vorrang der Vermittlung nach § 4 Abs. 2 SGB III zu berücksichtigen. Gemäß § 7 S. l SGB III habe die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall geeignete Leistung zu wählen, die einen dauerhaften Eingliederungserfolg erwarten lasse. Auf dem für die Klägerin fachlich und persönlich in Betracht kommenden Arbeitsmarkt bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozial¬versicherungspflichtige Beschäftigung. So seien bei der Agentur für Arbeit Göppingen drei Stellen für Wirtschaftsprüfer gemeldet. Stellenangebote in diesem Umfang bestünden bereits seit geraumer Zeit. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich dieses Volumen in absehbarer Zeit nennenswert ändere. Darüber hinaus bestünden weitere Beschäftigungsmöglichkeiten, da viele Stellen den Arbeitsagenturen nicht gemeldet seien. Bei der im Rahmen der Ermessensausübung durchzuführenden sorgfältigen Abwägung der unterschiedlichen Gesichtspunkte müssten die Interessen der Klägerin gegenüber denen der Beitragszahler zurücktreten.

Mit Telefax vom 2. Februar 2012 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 16. Januar 2012 Widerspruch ein. In ihrer späteren Begründung legte sie dar, auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt gäbe es keine ausreichenden Integrationsmöglichkeiten. Durch die Tätigkeit in einem Industrieunternehmen verliere sie ihren Titel "Wirtschaftsprüfer". Die Selbstständigkeit stelle für einen Wirtschaftsprüfer mit ihrer Qualifikation und langjährigen Erfahrung den einzigen, effizientesten und effektivsten Weg zur dauerhaften Integration in den Arbeitsmarkt dar. Es träfe nicht zu, dass am Arbeitsmarkt drei offene Stellen für Wirtschaftsprüfer gemeldet seien. Diese offenen Stellen kämen für sie nicht in Betracht, da sie entweder nicht über ausreichende EDV-Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge oder aber überqualifiziert sei. Auch habe ihre eigene Stellensuche vor drei Jahren bewiesen, dass es keine offenen Stellen für Wirtschaftsprüfer mit ihrer Erfahrung und Kompetenz gäbe. Für sie sei eine Partnerstellung oder eine Existenzgründung mit gegebenenfalls anschließendem Zusammenschluss mit anderen Berufskollegen der langfristig zielführende Weg.

Am 24. Februar 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Fall der Klägerin sei nach § 422 Abs. 1 Nr. 1 SGB III die Fassung des § 57 Abs. 1 SGB III ab 28. Dezember 2011 anzuwenden, denn der Anspruch auf Gründungszuschuss der Klägerin entstehe erst ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit am 2. Januar 2012. Mithin müsse die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben. Folgende Gesichtspunkte seien bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden: Die Gewährung des Gründungszuschusses erfolge aus Haushaltsmitteln der Beklagten. Diese stünden nur begrenzt zur Verfügung und müssten wirtschaftlich verwendet werden. Daher habe die Beklagte ermessenslenkende Weisungen erlassen, die bei der Entscheidung über die Gewährung des Gründungszuschusses zu berücksichtigen seien. Im Rahmen der ab 1. Januar 2012 geltenden ermessenslenkenden Weisungen habe die Beklagte festgelegt, dass die Gewährung eines Gründungszuschusses nicht möglich sei, wenn zumutbare Vermittlungsmöglichkeiten auf dem erreichbaren Arbeitsmarkt gegeben seien. Auch nach § 4 Abs. 1 SGB III bestünde ein Vermittlungsvorrang. Die Klägerin sei als Wirtschaftsprüferin neben ihrer Tätigkeit als Arbeitnehmerin mit einem Monatsgehalt von mindestens 5.500,00 EUR netto auch freiberuflich tätig gewesen. Wenn die Klägerin derart hochqualifiziert sei, finde sie im Regelfall ohne Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit eine neue Anstellung. Es sei daher sachgerecht, wenn die Agentur für Arbeit davon ausgehe, dass eine Integration der Klägerin in den Arbeitsmarkt auch ohne die Gewährung des Zuschusses möglich gewesen wäre. Eine Gewährung des Gründungszuschusses hätte im vorliegenden Fall nur einen Mitnahmeeffekt zur Folge, zumal die Klägerin vor Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ein weit überdurchschnittliches Einkommen erzielt habe. Es sei daher angemessen, dass die Beklagte keine Leistungen aus der Versichertengemeinschaft für die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin gewähre. Auch könne sich die sehr hoch qualifizierte Klägerin nicht darauf berufen, dass derzeit bei der Beklagten für sie gerade wenig oder keine offenen Stellen gemeldet seien. Es bei diesem Personenkreis üblich, dass dieser sich umgehend um eine neue Anschlussbeschäftigung selbst bemühen. Mithin erfülle die Klägerin nicht die erforderlichen Voraussetzungen gemäß den ermessenslenkenden Weisungen.

Mit ihrer am 8. März 2012 zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Klägerin hat ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren wiederholt und vertieft. Offene Stellen für junge Wirtschaftsprüfer mit geringer Berufserfahrung seien ausgeschrieben. Hierbei handele es sich aber um keine Stellen, für die sie vermittelt werden könne. Dies habe bereits ihre Stellensuche im Jahr 2008 bewiesen, da diese circa ein Jahr Zeit in Anspruch genommen habe. Sie sei auf den Existenzgründungszuschuss angewiesen, da ihr überraschend gekündigt worden sei.

Das SG hat am 9. August 2012 einen Erörterungstermin und am 27. Februar 2013 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweilige Sitzungsniederschrift verwiesen.

Mit Urteil vom 27. Februar 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Ermessensfehler seien nicht gegeben. Die angefochtenen Bescheide im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsumfangs daher nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage der angegriffenen Entscheidung seien §§ 57, 58 SGB III in der vom 28. Dezember 2011 bis zum 31. März 12 geltenden Fassung (SGB III a.F.). Dies folge daraus, dass die Klägerin ihre selbstständige Tätigkeit am 2. Januar 2012 aufgenommen habe und mithin auch der geltend gemachte Anspruch frühestens am 2. Januar 2012 entstanden sei, § 422 Abs. 1 SGB III. Nach der maßgeblichen Fassung des § 57 SGB III a.F. stehe die Gewährung eines Gründungszuschusses im Ermessen der Beklagten ("können erhalten"). Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung des begehrten Gründungszuschusses. Unabhängig vom Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von § 57 SGB III a.F. bestehe weder ein Anspruch aus einer - in den Voraussetzungen näher dargelegten- Ermessensreduzierung auf Null noch auf Neubescheidung. Die Beklagte, deren Prognoseentscheidung nur eingeschränkt überprüfbar sei, habe unter Berücksichtigung des Vermittlungsvorrangs (vgl. § 4 Abs. 2 SGB III) andere in Betracht kommende Eingliederungsmöglichkeiten, insbesondere eine bislang zwar nicht erfolgte, aber tatsächlich auch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auszuschließende Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung, aufgezeigt. Unter Darlegungen der Einzelheiten der Ermessensfehlerlehre ist das SG zur Auffassung gelangt, die Klägerin habe mangels Ermessensfehler auch keinen Anspruch auf Neubescheidung. Die Ermessensentscheidung der Beklagten unterliege nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Die Entscheidung der Beklagten sei lediglich in den Grenzen der §§ 39 Abs. 1 SGB I, 54 Abs. 2 S. 2 SGG kontrollierbar. Diese - näher dargelegten Grenzen- seien im Einzelnen nicht überschritten worden. Ermessensnichtgebrauch oder Ermessensausfall lägen nicht vor. Ebenso wenig liege eine Ermessensunterschreitung oder -überschreitung vor. Ein Ermessensfehlgebrauch scheide ebenfalls aus. Indem die Beklagte darauf abgestellt habe, dass die Klägerin voraussichtlich auch ohne die Förderung einer selbstständigen Tätigkeit in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden wäre, habe sie einen legitimen, der Teleologie des § 57 SGB III a.F. entsprechenden Zweck verfolgt und damit ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeübt. Der Vermittlungsvorrang nach § 4 Abs. 2 SGB III sei zu beachten, so dass der Gründungzuschuss als Ermessensleistung nur dann gewährt werden könne, wenn er für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich sei, d.h. wenn die Vermittlung voraussichtlich nicht zu einer dauerhaften Eingliederung in den Arbeitsmarkt führe. Diesen normativen Vorgaben entspreche es, wenn die Beklagte, wie im Falle der Klägerin geschehen, im Rahmen ihres Ermessens entscheidend darauf abstelle, ob eine möglichst nachhaltige Integration innerhalb des Arbeitslosengeld-Bezugszeitraums realistisch sei.

Die Beklagte sei dabei auch nicht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Vielmehr sei ihre - als Teil einer Ermessensentscheidung nur eingeschränkt überprüfbare - Prognose, dass die Klägerin in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt integriert worden wäre, ohne dass hierfür die Förderung der Selbstständigkeit notwendig gewesen wäre, nicht zu beanstanden. In Anbetracht der Anzahl offener Stellen (nach Aktenlage drei) und der sehr kurzen Zeitspanne (frühestens vom 14. November 2011 bis zum 1. Januar 2012), in der die Klägerin den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden habe, durfte und musste die Beklagte davon ausgehen, dass für die Klägerin gute Vermittlungschancen bestanden hätten. Für die offenen Stellen sei die Klägerin nach ihrem bisherigen beruflichen Werdegang hinreichend qualifiziert. Die von der Beklagten ermittelten offenen Stellen seien der Klägerin auch zumutbar. Insbesondere der von der Klägerin vorgebrachte Verlust ihres Titels "Wirtschaftsprüfer" drohe nur im Falle einer gewerblichen Tätigkeit für ein Unternehmen und nicht im Falle einer Tätigkeit für eine Wirtschaftsprüfergesellschaft oder Steuerkanzlei. Dies folge daraus, dass der Wirtschaftsprüfer nach § 43 Abs. 1 Wirtschaftsprüfer-Ordnung (WiPrO) seine Tätigkeit unabhängig ausüben müsse. Im Falle der Tätigkeit für eine Wirtschaftsprüfergesellschaft drohe aber nach § 43a Abs. 4 Nr. 4 WiPrO kein Titelverlust, da die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers gewahrt sei. Die drei bei der Beklagten gemeldeten Stellen seien alle nicht in Unternehmen, so dass die Unabhängigkeit der Klägerin weiter bestanden hätte und keinen Titelverlust mit sich gebracht hätte. Dass die Klägerin, wie sie gemeint hat, wegen ihrer langen Berufserfahrung schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe, sei reine Spekulation und bislang nicht durch mangelnden Bewerbungserfolg dokumentiert. Es sei nicht nahe liegend, dass Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nur junge Wirtschaftsprüfer einstellen. Im Gegenteil, könne sich die Berufserfahrung durchaus positiv auf die Eingliederungschancen der Klägerin auswirken, da diese damit über einen besseren Ruf bei Kunden verfüge.

In jedem Fall könne eine belastbare negative Vermittlungsprognose erst getroffen werden, wenn bereits eine gewisse Zeit lang vergebliche Vermittlungsbemühungen der Beklagten stattgefunden hätten, so das SG unter Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 9 AL 81/13. Dies könne bei dem hier insoweit maximal zu berücksichtigenden Zeitraum von etwa eineinhalb Monaten vom 14. November 2011 bis zum 1. Januar 2012, der zudem ganz überwiegend vor Beginn der Arbeitslosigkeit der Klägerin gelegen habe, nicht angenommen werden. Gerade auch § 57 Abs. 2 Nr. 2 SGB III a.F., wonach bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer von mindestens 150 Tagen habe bestehen müssen, spreche in Anbetracht der bereits nach zweijährigen Beschäftigung geltenden Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen (vgl. §§ 127 Abs. 2, 339 S. 2 SGB III) dafür, dass von einer Erforderlichkeit des Gründungszuschusses erst ausgegangen werden könne, wenn nach Eintritt der Arbeitslosigkeit während eines längeren Zeitraumes keine erfolgreiche Vermittlung stattgefunden habe, so das SG unter Hinweis auf weitere Nachweise. Das Abstellen auf die gute wirtschaftliche Situation der Klägerin im Rahmen der Ermessensausübung sei ebenfalls nicht fehlerhaft. Der Gründungszuschuss nach § 57 SGB III a. F. solle der Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung dienen. Folglich dürfe in die Ermessensausübung eingestellt werden, dass eine solche Sicherung des Lebensunterhalts im Fall der Klägerin nicht zwingend erforderlich sei, wie auch Punkt 6.1.1 der ermessenslenkenden Weisungen belege.

Auch im Hinblick auf die ab 1. Dezember 2012 geltenden ermessenslenkenden Weisungen liege kein Ermessensfehlgebrauch vor. Die Beklagte habe sich mit Erlass der ermessenslenkenden Weisungen selbst gebunden. Ein Verstoß gegen diese Selbstbindung liege nicht vor, weil die Ermessensausübung entsprechend den Weisungen durchgeführt worden sei. Nach Punkt "6.1.3 Ablehnungsgründe (Ermessensausübung)" sei eine Förderung nicht möglich, wenn zumutbare Integrationsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt und eine positive Integrationsprognose innerhalb von 6 Monaten bestehen. Dies sei, wie oben dargestellt, im Fall der Klägerin geprüft und beachtet worden. Unter Punkt "6.1.1 Grundsätzliches" sei geregelt, dass der Vorrang der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu prüfen sei. Auch dieser Vorrang sei von der Beklagten geprüft und bejaht worden. Schließlich liege auch kein Abwägungsfehler vor. Ein für die Bewilligung sprechender Gesichtspunkt, der mindestens ebenso gewichtig wäre wie der für die Ablehnung maßgebliche Gesichtspunkt der ausreichenden Vermittlungschancen der Klägerin, sei nicht ersichtlich. In Anbetracht der kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit der Klägerin (ein Tag) und der ausreichenden Anzahl verfügbarer offener Arbeitsstellen dürfte das Ermessen der Beklagten nach Ansicht des SG sogar im Sinne einer Ablehnung auf Null reduziert gewesen sein. Ein Anspruch auf Neubescheidung bestehe jedenfalls nicht.

Gegen das ihr am 1. April 2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30. April 2014 Berufung eingelegt. Sie macht im Wesentlichen weiterhin geltend, dass sie für die seinerzeit ausgeschriebenen Stellen ausgeschlossen bzw. diese ihr nicht zumutbar gewesen seien. Eine erfolgreiche Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis scheide bei ihr aus. Verfügbare zumutbare offenen Stellen lägen weder bei der Beklagten noch sonst auf dem Arbeitsmarkt vor. Das Ermessen der Beklagten sei ihres Erachtens in Ansehung der Abläufe und im Hinblick auf ihre Situation nicht pflichtgemäß ausgeübt worden.

Der Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Februar 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2012 abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, ihr einen Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise den Bescheid vom 16. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 24. Februar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Bewilligung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil und die von ihr erlassenen Bescheide für zutreffend. Die Schranken der Ermessensausübung seien eingehalten worden. Die Klägerin sei faktisch nur einen Tag arbeitslos gewesen. Damit sei der Vermittlungsvorrang ohne Wissen der exakten Kenntnisse der Klägerin aus der Vielzahl der vorhandenen Stellen abgeleitet und lediglich durch die drei thematisierten Musterbeispiele belegt worden. Die Passgenauigkeit wäre im aktiven Vermittlungsprozess ab dem 2. Januar 2012 gesteigert worden.

Mit eingegangenem Schreiben vom 8. November 2014 hat die Klägerin, mit solchem vom 20. November 2014 die Beklagte jeweils ein Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG erteilt.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Prozessakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gem. § 124 Abs. 2 SGG im schriftlichen Verfahren entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses oder auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung ihres Antrags.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, hilfsweise der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der den Antrag der Klägers vom 28. November 2011 ablehnende Bescheid vom 16. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Februar 2012. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin verfügt nicht über den geltend gemachten Anspruch.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für den von der Klägerin beanspruchten Gründungszuschuss dargelegt. Das SG hat ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen diesbezüglichen Anspruch hat, weil die Beklagte die ihr zustehenden Ermessensentscheidung zutreffend getroffen und begründet hat. Der Senat schließt sich dem nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin uneingeschränkt an, macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung vollinhaltlich zu eigen, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Der Umstand, dass die Beklagte das in der Eingliederungsvereinbarung vom 28. November 2011 aufgeführte Ziel der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Steuerberaterin/Wirtschaftsprüferin und der Beratung zum Thema Existenzgründung nicht als Ermessensgesichtspunkt dargestellt hat, führt nicht zu der Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidung, weil die Klägerin - auch nach eigenem Vortrag - auf die Tatsache einer Ermessensentscheidung hingewiesen worden ist und ausdrücklich eine Kostenzzusage nicht erfolgt ist, so dass dieser Umstand für die Ermessensentscheidung nicht relevant gewesen ist.

Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass es einer weiteren Auseinandersetzung mit den drei thematisierten, seinerzeit offenen Stellen nicht bedarf. Denn wie dargelegt, sind diese lediglich exemplarisch dargetan und es zumindest im Rahmen der hiesigen Prüfung gerade nicht konkret darzulegen, weshalb eine der genannten Stellen zur Klägerin passt oder eben auch nicht.

Die Agentur für Arbeit hat ihr Ermessen jedoch entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung ausgeübt, indem sie darauf abgestellt hat, dass eine Antragstellerin voraussichtlich auch ohne Förderung einer selbständigen Tätigkeit in absehbarer Zeit in den Arbeitsmarkt eingegliedert worden wäre (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13 –, juris).

Auch der weitere Fortgang, wonach die Klägerin über Kollegen Aufträge akquiriert hat und sich über die Dozententätigkeit finanziert, stellt die Notwendigkeit eines Gründungszuschusses schon der Sache nach in Abrede. Denn das Bestehen eigener Leistungsfähigkeit kann die Ablehnung eines Gründungszuschusses im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 10. April 2014 – L 3 AL 141/12 –, juris). Eine Neubescheidung kommt daher nicht in Betracht.

Gründe für eine Ermessensreduzierung einzig auf die begehrte Gründungszuschuss-Bewilligung liegen vor, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es sich bei der von der aufgenommenen selbständigen Tätigkeit um die einzige Maßnahme handelt, mit der eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung erreicht werden könnte (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2013 – L 18 AL 5/13 B ER –, juris). Zutreffend hat das SG auch einen solchen Anspruch verneint.

Da das SG somit zu Recht die Klage abgewiesen hat, weist der Senat die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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