L 11 R 420/15 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 3756/14 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 420/15 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 19.12.2014 wird zurückgewiesen. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin macht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung medizinischer Leistungen zur Rehabilitation in einer bestimmten Rehabilitationseinrichtung geltend.

Die 1975 geborene Antragstellerin erlitt im Februar 2014 eine Todgeburt in der 36. Schwangerschaftswoche. Sie beantragte am 08.07.2014 die Bewilligung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme. Dabei wies sie darauf hin, dass es ihr wichtig sei, die Maßnahme in einer Einrichtung zu absolvieren, die Trauer als Indikation in ihrem Fokus habe. In der Broschüre der Antragsgegnerin mit den beigefügten Vertragskliniken habe sie eine solche Klinik nicht finden können. Deswegen habe sie die Flyer ihrer "Wunschklinik" H. Klinik D. beigefügt. Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 18.07.2014 eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von fünf Wochen. Als geeignete Rehabilitationseinrichtung sei die R.-T.-Klinik M. GmbH & Co KG in B. S. ausgewählt worden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Antragstellerin, mit dem sie weiterhin die Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme in der von ihr genannten Klinik beantragte, wies die Widerspruchsstelle der Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2014 als unbegründet zurück.

Am 11.10.2014 erlitt die Antragstellerin eine erneute Fehlgeburt in der 7. Schwangerschaftswoche (Ärztliche Atteste Dr. F. vom 30.10.2014, Bl 36 der SG-Akte, und Dr. L. vom 31.10.2014, Bl 37 der SG-Akte).

Am 03.11.2014 hat die Antragstellerin Klage vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben (S 6 R 3367/14); das Verfahren ist noch anhängig. Am 02.12.2014 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und diesen Antrag ausführlich begründet. Mit Beschluss vom 19.12.2014 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 29.12.2014 zugestellt worden. Am 29.01.2015 hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, die stationäre Rehabilitationseinrichtung H. Klinik D., F.-Straße ...,.D., zuzuweisen.

Hilfsweise: Die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig, längstens bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des SG ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat weist die Beschwerde der Antragstellerin aus den im Beschluss des SG genannten Gründen zurück und sieht insoweit von einer Begründung ab (§ 142 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Im Hinblick auf das Vorbringen im Beschwerdeverfahren wird ergänzend ausgeführt, dass das SG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats zutreffend entschieden hat, dass das den Leistungsberechtigten nach § 9 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) gewährleistete Wunsch- und Wahlrecht nur in Bezug auf Einrichtungen nach § 15 Abs 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) besteht (Senatsurteil 21.08.2012, L 11 R 5319/11 und Beschluss des Senats vom 23.06.2014, L 11 R 2199/14 ER-B; Landessozialgericht (LSG) Hamburg 07.08.2013, L 2 R 173/11, alle veröffentlicht in juris). Nach § 15 Abs 2 Satz 1 SGB VI werden die stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation einschließlich der erforderlichen Unterkunft und Verpflegung in Einrichtungen erbracht, die unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal entweder von dem Träger der Rentenversicherung selbst betrieben werden oder mit denen ein Vertrag nach § 21 SGB IX besteht. Ein Vertrag nach § 21 SGB IX besteht mit der von der Antragsgegnerin bevorzugten Klinik nicht, sie gehört daher nicht zu den Einrichtungen iSv § 15 Abs 2 Satz 1 SGB IX. Die Bewilligung einer stationären Reha-Leistung in einer Klinik, mit der kein Vertrag besteht, kommt deshalb nur dann als einzig rechtmäßige Entscheidung des Rentenversicherungsträgers (Ermessensreduzierung auf Null) in Betracht, wenn keine vom Rentenversicherungsträger selbst betriebene Einrichtung oder keine Vertragsklinik die erforderlichen Maßnahmen erbringen könnte. Ein solcher Fall liegt hier zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Das SG hat dadurch, dass es der Antragsgegnerin aufgegeben hat, Vertragseinrichtungen zu benennen, die Personen betreuen, die Trauer und Verlust nach einer Todgeburt zu verarbeiten haben, keinen Vertrauenstatbestand für die Antragstellerin geschaffen, dass es die von der Antragstellerin vertretene Rechtsansicht teilen werde. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (sog Überraschungsentscheidung) ist nur anzunehmen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis zB Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG 29.05.1991, 1 BvR 1383/90, juris). Davon kann hier keine Rede sein. Im Übrigen ergäbe sich selbst daraus kein Anordnungsanspruch.

Für die medizinische Eignung einer Rehabilitationseinrichtung genügt es, dass die Klinik in der Lage ist, die bei der Antragstellerin diagnostizierte akute Belastungsreaktion - F43.0 (Dr. B. vom 03.07.2014) bzw Depression, ausgeprägte Trauerreaktion, Verarbeitungsstörung, psychovegetative Erschöpfung (Dr. S. vom 20.07.2014) zu behandeln. Dies ist bei den von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Einrichtungen der Fall. Nicht notwendig ist eine Ausrichtung oder Spezialisierung "für Personen, die Trauer und Verlust nach einer Todgeburt zu verarbeiten haben" (Schriftsatz der Antragstellerin vom 16.12.2014). Darüber hinaus wäre selbst dieses Kriterium hier erfüllt. Die von der Antragstellerin ebenfalls benannte Z. H. I Klinik behandelt ua Belastungsreaktionen in Verbindung mit Trauer und ist daher nach Ansicht des Senats für die bei der Antragstellerin notwendige Rehabilitationsmaßnahme ohne Weiteres geeignet.

Unerheblich ist nach Ansicht des Senats ferner, ob und in welchen Fällen die Antragsgegnerin Kosten für eine Behandlung in der von der Antragstellerin gewünschten Einrichtung in der Vergangenheit übernommen hat. Daraus kann die Antragstellerin auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art 3 GG) keine Rechte herleiten. Sollte es sich dabei um Fälle handeln, in denen kein Rechtsanspruch auf Behandlung in der H. Klinik D. bestanden hatte, würde es sich um rechtswidrige Begünstigungen handeln. Gleichbehandlung im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art 3 Abs. 1 GG ist jedoch durch Anpassung rechtswidriger Entscheidungen an rechtmäßige zu verwirklichen, nicht umgekehrt (LSG Bremen 10.04.1997, L 2 An 7/95, juris mwN). Sollten die Versicherten in den von der Antragstellerin genannten Fällen - ausnahmsweise – einen Rechtsanspruch auf Behandlung in der H. Klinik D. gehabt haben, wäre der vorliegende Fall damit nicht vergleichbar.

Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit rechtfertigt und erfordert ebenfalls keine andere Entscheidung. Im Gegenteil soll gerade die Regelung in § 15 Abs 2 Satz 1 SGB VI, auf die sich der Senat stützt, sicherstellen, dass die Antragsgegnerin nur solche Leistungen finanziert, deren Art und Qualität sie mit Hilfe des Belegungsvertrages beeinflussen kann (KassKomm-Kater § 15 SGB VI Rn 42). Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verpflichtet die Antragsgegnerin nicht dazu, Behandlungen in anderen Einrichtungen nur deshalb zu übernehmen, weil sie möglicherweise weniger Kosten verursachen als Behandlungen in Einrichtungen, mit denen ein Belegungsvertrag besteht.

Auch eine Folgenabwägung ergibt keinen Anspruch der Antragstellerin auf Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin nicht die Notwendigkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in Zweifel zieht, sondern eine solche bewilligt und der Antragstellerin verschiedene Einrichtungen vorgeschlagen hat. Der Antragstellerin wird gar nicht zugemutet, auf eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme zu warten. Die Behandlung könnte sogar längst abgeschlossen sein, wenn die Antragstellerin die Angebote der Antragsgegnerin wahrgenommen hätte. Bei dieser Sachlage ist für eine Folgenabwägung kein Raum. Dass die Antragstellerin durch eine stationäre Rehabilitation in einer von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Fachklinik gesundheitliche Nachteile oder Schäden zu befürchten hat, ist nicht zu erwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved