L 13 AL 2675/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 9628/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AL 2675/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.) Unter bestimmten Umständen kann die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit schon vorliegen, wenn vorbereitende Tätigkeiten durchgeführt werden, die planvoll und mit Aussenwirkung im Geschäftsverkehr ergriffen werden (Anschluss an BSG, Entscheidung vom 05.05.2010, B 11 AL 28/09 R).
2.) Ein mündlicher Vorvertrag über später vorzunehmende Auftragserteilungen kann eine vorbereitende Tätigkeit in diesem Sinne darstellen.
3.) Benennt ein Kläger erstmalig in einer mündlichen Verhandlung weitere Zeugen, obwohl schon mehrere Beweisaufnahmetermine durchgeführt worden sind, so können ihm die Kosten einer weiteren mündlichen Verhandlung auferlegt werden.
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2012 und der Bescheid vom 14. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit einen Gründungszuschuss nach § 57 SGB III (Gas- und Wasserinstallationen) in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

3. Dem Kläger werden Gerichtskosten in Höhe von 225,- EUR auferlegt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit streitig.

Der 1987 geborene Kläger ist gelernter Gas- und Wasserinstallateur. Er war u.a. bei der Firma K. und H. GmbH tätig, die Aufträge für die jetzige W. Haus und Städtebau GmbH (vormals W & W Miet- und Wohneigentumsverwaltung) ausführte, sowie für B. Heizung-Lüftung-Sanitär-Solar. Dort endete das Arbeitsverhältnis nach Kündigung zum Jahresende 2008.

Am 10. März 2009 sprach der Kläger bei der Beklagten vor und teilte mit, dass er sich selbständig machen möchte. Eine Mitarbeiterin der Beklagten besprach mit ihm die Voraussetzungen für einen Gründungszuschuss und es händigte ihm ein Informationsblatt aus. Aus diesem wurde die Voraussetzung für einen Anspruch auf einen Gründungszuschuss ersichtlich, wonach bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen zu bestehen hat (vgl. Blatt 23/24 der SG-Akte S 7 AL 6928/09). Am 5. Juni 2009 teilte der Kläger bei einem persönlichen Gespräch mit, dass er ab dem 1. August 2009 eine selbständige Tätigkeit als Gas-Wasserinstallateur aufnehmen werde. Eine Mitarbeiterin der Beklagten händigte ihm hierfür ein Antragsformular aus und setzte ihm eine Frist zur Abgabe des Antrags bis 15. Juli 2009.

Am 7. August 2009 erinnerte eine Mitarbeiterin der Beklagten den Kläger telefonisch an die Einreichung des Antrags und wies ihn auf die 90-Tage-Frist hin. Nach dem Vermerk Bl. 32 der Verwaltungsakte Gründungszuschuss (im Folgenden: V-Akte GZ) gab der Kläger an, sich umgehend darum zu kümmern und dass er sein Gewerbe rechtzeitig anmelden werde.

Am 25. August 2009 teilte der Kläger mit, dass sein Laptop kaputt sei und er deshalb nicht an seinen Businessplan herankomme, der auf diesem Laptop gespeichert sei. Ihm wurde eine Frist bis 26. August 2009 zur Abgabe des Antrags auf Gründungszuschuss gesetzt. Der Kläger rief dann am gleichen Tag nochmals an und fragte an, wann die 90-Tage-Frist abgelaufen werde. Ihm wurde daraufhin der 26. August 2009 genannt. Darauf teilte er mit, dass er den Gründungszuschussantrag morgen, also am folgenden Tag, abgeben wolle.

Am 25. August 2009 meldete der Kläger ein Gewerbe mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Gas- und Wasserinstallation an. Als Beginn der Tätigkeit gab er den 15. September 2009 an.

Am 26. August 2009 gab der Kläger den Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses ab. In dem Antragsformular führte der Kläger aus, am 15. September 2009 eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit als Gas-Wasserinstallateur aufnehmen zu wollen. Dies wurde in den Anlagen zum Antrag (vgl. Blatt 4 der V-Akte GZ) nochmals bestätigt.

Dem Kläger war Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Tagen ab dem 25. November 2008 bewilligt worden, so dass mit Ablauf des 14. September 2009 noch ein Restanspruch von 69 Tagen verblieb (vgl. Blatt 19/20 der V-Akte GZ).

Mit Bescheid vom 14. September 2009 lehnte die Beklagte die Bewilligung eines Gründungszuschusses mit der Begründung ab, dass bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen gegeben sein müsse. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da der Kläger am 15. September 2009 nur noch über einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 69 Tagen verfüge.

Hiergegen legte der Kläger am 10. September 2009 Widerspruch mit der Begründung ein, dass man ihm erklärt habe, dass er bei Abgabe des Antrags auf Gründungszuschuss noch 90 Tage Restanspruch haben müsse. Er sei insoweit falsch beraten worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger verfüge bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 15. September 2009 nur noch über einen Restanspruch auf Arbeitslosengeld von 69 Tagen. Insoweit seien die Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses nicht erfüllt. Der Einwand des Klägers, ihm sei die Gewährung eines Gründungszuschusses zuge¬sagt worden, rechtfertige keine andere Entscheidung. Denn nach § 34 Abs. 1 Satz 1 des Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bedürfe eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen be¬stimmten Verwaltungsakt später zu erlassen, zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Eine schrift¬liche Zusage werde vom Kläger nicht geltend gemacht. Selbst wenn ein Beratungsverschulden der Agentur für Arbeit vorliegen sollte, scheitere der sozialrechtliche Herstellungsanspruch daran, dass es sich bei der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sowie bei dem Umfang der Restanspruchsdauer um Tatsachen handelt, die einer Fiktion im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht zugänglich seien.

Hiergegen hat der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 16. Oktober 2009 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass er von den Mitarbeiterinnen der Beklagten falsch informiert worden sei. Ihm sei mitgeteilt worden, es reiche aus, dass er den Antrag auf Bewilligung eines Gründungszuschusses bis 26. August 2009 abgebe. Ihm sei nicht mitgeteilt worden, dass er bis dahin mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit begonnen haben müsse. Aufgrund dieses Beratungsfehlers sei er so zu stellen, als ob er rechtzeitig mit der Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit begonnen habe.

Das SG hat am 30. Juni 2010 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt. In diesem hat der Kläger erklärt, dass die 90-Tage-Frist schon zu Anfang, als er die selbständige Tätigkeit angesprochen habe, erwähnt worden sei. Er habe damals dreimal angerufen, weil er Probleme mit seinem Computer gehabt habe und die Vorlage des Business-Plans nicht möglich gewesen sei. Ihm sei jedes Mal gesagt worden, dass es reiche, wenn er bis zum 26. August 2009 den Antrag auf den Business-Plan abgebe. Er habe auch deutlich gemacht, dass er erst zum 15. September 2009 das Gewerbe aufnehmen wolle, da er vorher noch Sachen klären müsse. Er habe damals schon Kundengespräche gehabt, habe nach einem Büro schauen müssen und er habe noch Versicherungen benötigt.

Das SG hat dem Kläger Gelegenheit gegeben, weiteren Vortrag und nach Möglichkeit Beweismittel hinsichtlich seiner Tätigkeiten zur Aufnahme des Gewerbes vor dem 15. September 2009 vorzulegen. Weiterer Vortrag sowie die Vorlage von Beweismitteln ist beim SG nicht erfolgt.

Nach entsprechender Anhörung hat das SG am 18. Mai 2012 die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst gem. § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009, der sich das SG aus eigener Überzeugung angeschlossen hat, verwiesen.

Ergänzend hat das SG darauf hingewiesen, dass der Kläger eine Aufnahme der selbständigen Tätigkeit vor dem 15. September 2009 weder schlüssig dargelegt noch nachgewiesen habe. Der Kläger habe bei der Gewerbeanmeldung sowie im Antrag einheitlich angegeben, dass er die selbständige Tätigkeit erst zum 15. September 2009 aufnehmen werde. Hierbei sei allerdings zu beachten, dass eine Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Sinne des § 57 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nicht erst dann vorliege, wenn der Existenzgründer Dienstleistungen, die den Gegenstand seines Unternehmens darstellen, erbringe. Vielmehr könne die selbständige Tätigkeit unter Hinweis auf Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5. Mai 2010, (Aktenzeichen B 11 AL 28/09 R) auch schon durch Vorbereitungshandlungen aufgenommen werden, die Außenwirkung im Geschäftsverkehr entfalten würden. Um von einer Aufnahme der selbständigen Tätigkeit durch Vorbereitungshandlungen vor dem 15. September 2009 ausgehen zu können, wäre ein ausführlicher Vortrag und entsprechende Nachweise erforderlich, welche Vorbereitungshandlungen der Kläger wann durchgeführt habe und inwieweit diese Außenwirkung entfaltet hätten. Die vagen Angaben des Klägers im Erörterungstermin, dass er schon Kundengespräche geführt habe, nach einem Büro geschaut habe und noch Versicherungen benötigt habe, genügten hierfür nach Ansicht des SG nicht. Der Kläger habe seit Durchführung des Erörterungstermins eineinhalb Jahre Zeit gehabt, um entsprechende Angaben zu machen und Unterlagen einzureichen. Da dies nicht erfolgt sei, könne eine Aufnahme der selbständigen Tätigkeit vor dem 15. September 2009 nicht angenommen werden. Da zu diesem Zeitpunkt ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen nicht mehr vorgelegen habe, und weder das Bestehen eines längeren Arbeitslosengeldanspruchs noch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch fingiert werden könnten, bestehe kein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses, so der Hinweis u.a. auf Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Juli 2008, Aktenzeichen L 12 AL 5743/07.

Gegen den am dem Bevollmächtigten am 24. Mai 2012 zugestellten Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2012 hat der Kläger am 28. Mai 2012 Berufung eingelegt. Er trägt vor, bereits zum 21. August 2009 eine Ausnahmebewilligung der Handwerkskammer Stuttgart erhalten zu haben. Zum anderen sei er an frühere Auftraggeber seines ehemaligen, nach seinen Angaben nicht mehr existenten Arbeitsgeber K. und H. GmbH herangetreten, um mit diesen Vereinbarungen für ein späteres Tätigwerden nach seiner Firmenerrichtung zu treffen. Diese seien ihm aus der Objektbetreuung bekannt gewesen. Er benannte im Einzelnen zu Geschäftskontakten und Konteneröffnungen bei Großhändlern Firmen und Zeugen mit ladungsfähigen Anschriften gemäß Bl. 17/18 LSG-Akte. Es seien bereits mündliche Werkverträge geschlossen worden. Beratungsfehler der Mitarbeiterinnen der Beklagten dürften nicht zu seinen Lasten gehen. Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Stuttgart vom 18. Mai 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009 zu verurteilen, ihm einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III (Gas- und Wasserinstallation) in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Es mangelt nach ihrer Ansicht an genauen Daten. Benannte Tätigkeiten seien als bloße Vorbereitungshandlungen zu werten.

Auf gerichtliche Verfügung hin hat der Kläger e-mail-Ausdrucke vorgelegt, wonach er am 6. Oktober 2009 in den Kundenstamm der Firma R. sowie am 2. Oktober 2009 in die Kundendatei der Firma Sch. GmbH aufgenommen wurde.

Der Senat hat am 30. September 2013 den Rechtstreit mit den Beteiligten erörtert. Zu den dortigen Angaben im Einzelnen wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag Bezug genommen.

In einem weiteren Erörterungstermin am 5. September 2014 des Senats ist eine Befragung der Zeugen der (vormaligen) W & W Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung Ludwigsburg Herr P., Frau B. und Hausmeister A. K. (jeweils keine ladungsfähige Anschrift) sowie D. L. (Urlaub) und des CityCenter B. Frau L. (keine ladungsfähige Anschrift) nicht zustande gekommen. Zu den Aussagen von Hausmeister B. M. (vormals W & W Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung) und J. T. (W. Hausbrauerei) und des Bruders des Klägers, Fliesenleger F. H., in diesem Termin wird auf die Niederschrift vom 5. September 2014 Bezug genommen.

Zur Vernehmung des mit neuer Anschrift erneut geladenen Zeugen A. K. (vormals W & W Miet- und Wohnungseigentumsverwaltung) in einem weiteren Termin am 17. Oktober 2014 wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag Bezug genommen. Im Termin am 5. September 2014 vom Zeugen J. T. angekündigte weitere Unterlagen zu konkreten Vertragsverhandlungen mit dem Kläger im August 2009 hat dieser nicht mehr vorgelegen können (".liegen uns keine Vertragsverhandlungsunterlagen über die angedachten Arbeit des Herrn H. aus dem Zeitraum August 2009 vor.").

Die am 27. Januar 2015 durchgeführte mündliche Verhandlung ist, nachdem der Kläger dort die Vernehmung der Zeugen St. und Sch. beantragt hat, auf den 24. Februar 2015 vertagt worden. In dieser mündlichen Verhandlung sind A. St. (Firma S. / GA-tec Gebäude- und Anlagentechnik GmbH) sowie J. Sch. (Pächter von Gastwirtschaften und Getränkehändler) als Zeugen vernommen worden. Zu deren Zeugenaussagen im Einzelnen wird auf die Niederschrift vom gleichen Tag Bezug genommen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie auf die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften eingelegt worden.

Die Berufung ist auch begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid vom 14. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2009, der den Antrag des Klägers vom 26. August 2009 auf einen Gründungszuschuss zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III als Gas- und Wasserinstallateur ablehnt. Dieser Bescheid erweist sich nach Durchführung der Beweisaufnahme als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Der Kläger hat entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten einen Anspruch auf Bewilligung eines Gründungszuschusses zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Gas- und Wasserinstallateur.

Nach § 57 SGB III in der vom 1. August 2009 bis 27. Dezember 2011 geltenden Fassung vom 15. Juli 2009 haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, gemäß § 57 Abs. 1 SGB III zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Ein Gründungszuschuss wird gemäß § 57 Abs. 2 SGB III geleistet, wenn der Arbeitnehmer bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III hat oder eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach dem SGB III gefördert worden ist, bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt, der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und eine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat zur Beendigung der Arbeitslosigkeit eine selbstständige Tätigkeit im Bereich Gas– und Wasserinstallation aufgenommen und übt dieses Handwerk bis heute aus, nachdem er vom 25. November 2008 bis 31. Januar 2009 und vom 31. Januar 2009 bis 14. September 2009 Arbeitslosengeld bezogen hatte. Die Tragfähigkeit der Existenzgründung hat er gegenüber der Beklagten nachgewiesen (vgl. Businessplan Bl. 9 bis 19 der Verwaltungsakten). Die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung des Handwerks hat er nachgewiesen (u.a. Ausnahmebewilligung der Handelskammerregion Stuttgart Bl. 9 der Verwaltungsakten). Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG hat der Kläger bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit auch noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Ermittlung des Zeitpunkts der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit hat der Kläger nach Auffassung des Senats jedenfalls vor dem 24. August 2009 seine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. In seiner Entscheidung vom 5. Mai 2010 hat das BSG (a.a.O. m.w.N., ebenso Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 01. Februar 2012 – L 10 AL 1087/08 –, juris ) zum Tatbestandsmerkmal der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ausgeführt, eine ausdrückliche Regelung, aus der zu schließen wäre, dass die Tätigkeit erst dann aufgenommen ist, wenn mit der eigentlichen Geschäftstätigkeit begonnen wird, also Waren produziert oder (wie hier) Dienstleistungen erbracht werden, nicht existiere. Maßgeblich sei, dass der genaue Zeitpunkt der "Aufnahme" von den Umständen des Einzelfalles abhänge. Eine an den Umständen des Einzelfalles orientierte Betrachtungsweise entspreche auch dem offenen Gesetzeswortlaut und dem Zweck des § 57 SGB III, eine gezielte Förderung zu erreichen und die Nachhaltigkeit von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit zu stärken. Da im Übrigen eine Existenzgründung regelmäßig keinen punktuellen Vorgang darstelle, sei davon auszugehen, dass eine selbstständige Tätigkeit schon vor der eigentlichen "Geschäftseröffnung" beginne bzw. aufgenommen worden sein kann. Unter bestimmten Umständen könne eine "Aufnahme" schon vorliegen, wenn vorbereitende Tätigkeiten durchgeführt werden. Die im Gesetz angelegte Nachhaltigkeit der Förderung mache es nach Ansicht des BSG jedoch erforderlich, vorbereitende Maßnahmen nur dann als "Aufnahme der selbständigen Tätigkeit" zu werten, wenn diese Maßnahmen Außenwirkung im Geschäftsverkehr entfalten (vgl. BSG SozR 4-4300 § 57 Nr. 1 RdNr 11; Link in Eicher/Schlegel aaO; Winkler, info also 2006, 195, 196) und sie ferner nach dem zugrunde liegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind (vgl. BSG aaO; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.4.2010, L 1 AL 39/09 ZVW).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ergibt sich für den Senat zur vollen Überzeugung, dass der Kläger bereits vor dem 24. August 2009 durch Aufnahme von konkreten Geschäftsbeziehungen mit dem Zeugen St. seine selbstständige Tätigkeit begonnen hat. Der Zeuge hat mit glaubhaften Angaben die Anbahnung des geschäftlichen Kontakts beschrieben und die späteren, auch zum Entscheidungszeitpunkt noch betreuten Objekte genannt und das Einsatzspektrum des Klägers umrissen. Der Zeuge hat überzeugend dargelegt, dass er vor seinem Urlaub (Sommerferien Niedersachsen – zwischen Juni und August) ein Objekt zusammen mit dem Kläger, die F.-Straße xx in St. besichtigt und mit dem Kläger bereits für die Wartung dieses Objektes hinsichtlich Heizungs- und Sanitäranlagen die Konditionen des Rahmenvertrages mündlich vereinbart hatte. Der Kläger habe ihm seine Konditionen mündlich genannt und der Zeuge habe dem auch zugestimmt. Ausdrücklich hat der Zeuge erklärt, dass er sich schon nach dem ersten Gespräch an diese Absprache gebunden gefühlt habe. Ebenso plausibel hat der Zeuge erklärt, dass er deshalb die mündliche Zusage bereits zu diesem Zeitpunkt erteilt habe, weil Sanitärmitarbeiter nur sehr schwer zu bekommen seien und der Kläger die Arbeiten bereits im Oktober bzw. November 2009 erstmals hat durchführen sollen. Damit hat der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt eine geschäftliche Vereinbarung mündlich geschlossen, die bindend gewesen ist, bzw. von den Geschäftspartnern bereits als bindend angesehen worden ist. Diese Vereinbarungen haben unmittelbar Außenwirkung im Geschäftsverkehr entfaltet. Der Kläger hat entsprechend seines Geschäftskonzeptes, das er gegenüber der Beklagten dargelegt hat, bereits damit Erwerbsgrundlagen geschaffen, sodass es nur noch der tatsächlichen Ausführung (Dienstleistung) bedurft hatte. Der spätere Abschluss des Rahmenvertrages hat letztlich die mündlichen Absprachen bestätigt. Der Senat hat keinen Zweifel an dem Wahrheitsgehalt bzw. Glaubwürdigkeit des Zeugen. Der Umstand, dass der Zeuge gut fünfeinhalb Jahre nach dem maßgeblichen Ereignis sich an exakte Daten nicht mehr erinnern konnte und dies auch offen dargelegt hat, spricht für die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen könnten sind nicht ersichtlich und wurden seitens der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

Der Umstand, dass die übrigen vom Senat vernommenen Zeugen konkrete Vertragsabschlüsse erst im Herbst 2009 bestätigt haben, macht die Aussage des Zeugen St. ebenfalls nicht unglaubwürdig. Vielmehr wird deutlich, dass der Kläger bereits im Sommer 2009 (Aussage des Zeugen K. vom 17. Oktober 2014, wonach die erste Kontaktaufnahme wohl im Juli/August 2009 gewesen sei; Aussage des Zeugen M. vom 5. September 2014 wonach es sein könne, dass er dem Kläger im Juli die Räumlichkeiten vorab gezeigt habe) verschiedene potenzielle Vertragspartner kontaktiert hatte, um später Aufträge zu erhalten und damit erfolgreich in die selbständige Tätigkeit starten zu können. Außer mit dem Unternehmen des Zeugen St. sind jedoch keine weiteren konkreten Geschäftsbeziehungen vor dem Herbst 2009 konkret nachgewiesen. Dass der Kläger jedoch, wie oben ausgeführt, bereits im Sommer 2009 konkrete Geschäftsbeziehungen mit dem Unternehmen des Zeugen St. aufgebaut hatte, die unmittelbar im Rahmen seines Geschäftskonzeptes zur Erbringung der Dienstleistung geführt hat, zeigt die Anstrengungen des Klägers zu einem erfolgreichen Start in die Selbstständigkeit. Der Zeuge St. konnte zwar keine exakten Daten seines Sommerurlaubs 2009 nennen, aber eindeutig bestätigt, dass die genannte Vereinbarung vor seinem (in der Regel zweiwöchigen) Urlaub getroffen worden sei. Daraus ergibt sich für den Senat schlüssig ein Datum vor Mitte August 2009, also zu einem Zeitpunkt, in dem dem Kläger noch ein Restanspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen zugestanden hat.

Der angefochtene Bescheide sowie die Entscheidung des SG waren daher aufzuheben und der Berufung stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Nach § 192 Abs. 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass (1) durch Verschulden des Beteiligten die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig geworden ist oder (2) der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter.

Es waren somit Kosten nach § 192 Abs.1 Nr. 1 SGG aufzuerlegen. Der Kläger hat den maßgeblichen Zeugen St. erst im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2015 erstmalig benannt, obwohl ihm bereits durch die vorangegangenen Termine bei Gericht im Berufungsverfahren wie auch in der ersten Instanz der Stellenwert von Beweismittel bekannt gewesen ist. Die mündliche Verhandlung musste daraufhin vertagt werden, um den Zeugen St. (und auch den Zeugen Sch.) zur Vernehmung in einer weiteren mündlichen Verhandlung bei Gericht zu laden, obwohl bereits drei Termine beim Senat stattgefunden hatten. Der Kläger ist hierüber auch vom Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 2015 belehrt worden. Der Senat hatte auf Basis der höchstrichterliche Rechtsprechung und weil keine Präklusion § 106a SGG ausgesprochen war, diese Vernehmung auch durchzuführen. Das Verhalten des Klägers ist somit auch schuldhaft, da er hätte erkennen müssen, taugliche Beweismittel bereits vor dem zur abschließenden Entscheidung gedachten Verhandlungstermin zu benennen. Dies hat er nicht getan; Entschuldigungsgründe wurden weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich.

Der in § 192 SGG geregelten Missbrauchsgebühr kommt ein schadensersatzähnlicher Charakter zu, mit dem der Vorteil des kostenfreien sozialgerichtlichen Verfahrens entfallen und die tatsächlichen Kosten für die Bearbeitung des Rechtsstreits auferlegt werden sollen. Dies umfasst neben den Kosten sämtlicher befasster Richter und Mitarbeiter auch die allgemeinen Gerichtshaltungskosten (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Februar 2012 – L 29 AS 1144/11 –, juris). Vorliegend ist - unter Vermeidung weiterer Berechnung- die Festsetzung des pauschalierten Mindestbetrages der Höhe nach ausreichend, diese aber auch erforderlich.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved