L 10 R 3248/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 627/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3248/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.07.2013 wird zurückgewiesen.

Die Klagen werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Übernahme der Hotelkosten für einen Urlaub, die gerichtliche Überprüfung des Übergangsgeldes sowie der Fahrtkosten für die Monate Juli und August 2013, die Ermöglichung, mit einer "Frau in der Werkstatt zu arbeiten", die Übernahme der Kosten für die Laserbehandlung der Körperbehaarung sowie eine Überprüfung seiner Wehrdiensttauglichkeit.

Der am 1974 geborene Kläger, der t. Staatsangehöriger ist und keine abgeschlossene Berufsausbildung besitzt, zog 1995 aus der T. in das Bundesgebiet zu. Er arbeitete in der Folgezeit, unterbrochen von längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit, in Hilfsarbeitertätigkeiten, zuletzt als Helfer bei der A. -GmbH und bezog anschließend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Auf Aufforderung des Jobcenter Landkreis E. vom Juli 2012 stellte der Kläger am 02.08.2012 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 16.11.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Februar 2013, befristet bis Juli 2014 i. H. v. monatlich 50,59 EUR. Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger sinngemäß damit, es werde zu wenig Rente ausgezahlt, daher wolle er keine Rente. Er bitte um Überprüfung der Rentenversicherungszeiten. Das Jobcenter Landkreis E. teilte der Beklagten auf deren Anfrage mit, mit der Rücknahme des Rentenantrags sei man nicht einverstanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine nochmalige Überprüfung habe ergeben, dass bei der Berechnung der Rente sämtliche anrechenbaren Zeiten berücksichtigt und alle einschlägigen gesetzlichen Vorschriften beachtet worden seien.

Hiergegen hat der Kläger am 04.02.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben. Er hat dann (nur) beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Hotelkosten für seinen Urlaub zu übernehmen. Er benötige diesen wegen "Depressionen". Die Beklagte verstoße mit der Ablehnung der Übernahme der Hotelkosten gegen das Sozialstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz. Eine Rehabilitationsmaßnahme wolle er nicht. Mit Bescheid vom 12.04.2013 hat die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfB) dem Grunde nach bewilligt. Der Kläger hat daraufhin dem Gericht mitgeteilt, er habe im Juni 2013 in der WfB begonnen, die Beklagte habe aber noch keinen Bescheid über das Übergangsgeld sowie bezüglich seiner Fahrtkosten erlassen, weshalb er um gerichtliche Überprüfung auch insoweit bitte. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 28.06.2013 dem Kläger Leistungen im Eingangsverfahren in einer WfB als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Zeit vom 17.06.2013 bis 16.09.2013 bewilligt. Mit weiterem Bescheid vom 15.07.2013 hat sie dem Kläger Übergangsgeld für diesen Zeitraum i. H. v. EUR 26.06 EUR kalendertäglich bewilligt und mit weiterem Bescheid vom selben Tag Fahrtkosten - i.H.v. 57,40 EUR zunächst für den Zeitraum bis 03.07.2013 - anerkannt. Mit Gerichtsbescheid vom 30.07.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ausgeführt, einen Fehler im Rentenbescheid habe es nicht erkennen können. Soweit der Kläger die Gewährung von Hotelkosten begehre, liege weder ein entsprechender Antrag bei der Beklagten vor, noch sei das erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden. Die Klage sei daher insoweit unzulässig. Auch der Antrag auf Überprüfung von Übergangsgeld sowie Fahrtkosten sei mangels Antragstellung bzw. durchgeführtem Widerspruchsverfahren unzulässig.

Gegen den dem Kläger am 05.08.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 07.08.2013 Berufung eingelegt und sein Begehren auf Übernahme der Hotelkosten weiterverfolgt (Bl. 1 LSG-Akte). Zusätzlich hat er ein Schreiben der Beklagten vom 22.07.2013 vorgelegt, in welchem ihm mitgeteilt worden ist, sein Übergangsgeld für den Zeitraum Juli bis August 2013 werde auf Grund eines eingegangenen Erstattungsanspruchs des Landratsamts E. in voller Höhe dorthin überwiesen. Dies müsse vom Gericht überprüft werden (Bl. 4 ff LSG-Akte). Auch habe die Beklagte wohl sein Fahrgeld für Juli 2013 und August 2013 nicht gezahlt, weshalb er auch insoweit gerichtliche Überprüfung begehre (Bl. 17/21 LSG-Akte). In der Folgezeit hat der Kläger dann noch die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine Zusammenarbeit mit Frauen in der WfB zu ermöglichen (Bl. 37 LSG-Akte), die Übernahme der Kosten für die Vornahme einer Laserbehandlung bei starker Körperbehaarung (Bl. 45 LSG-Akte) und zuletzt eine "gerichtliche Überprüfung seiner Wehrdienstuntauglichkeit" für das t. Konsulat (Bl. 50 LSG-Akte) geltend gemacht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. Die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgericht Stuttgart vom 30.07.2013 und Abänderung des Rentenbescheides der Beklagten vom 16.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.01.2013 zu verurteilen, zusätzlich die Kosten für Hotelaufenthalte zu Urlaubszwecken zu übernehmen,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm das Übergangsgeld sowie das Fahrgeld für Juli und August 2013 in voller Höhe auszubezahlen,

3. ihm die Zusammenarbeit mit einer Frau in der Werkstatt für behinderte Menschen zu ermöglichen,

4. die Kosten einer Laserbehandlung zur Entfernung von Körperbehaarung zu übernehmen sowie

5. eine Überprüfung seiner Wehrdiensttauglichkeit vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen und die Klagen abzuweisen.

Sie verweist auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung.

Mit Bescheid vom 10.11.2014 (Bl. 74 Senatsakte) hat die Beklagte auf Antrag des Klägers im Anschluss an die bislang bewilligte befristete Erwerbsminderungsrente Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.07.2016 i. H. v. monatlich 51,38 EUR bewilligt.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit der Kläger ursprünglich im Widerspruchsverfahren eine Aufhebung der Rentenbewilligung begehrte, kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger auf Grund der Aufforderung zur Rentenantragstellung durch das Jobcenter Landkreis E. nach seiner Antragstellung nicht mehr zur Rücknahme des Antrags befugt war. Denn selbst wenn im Widerspruch des Klägers eine wirksame Antragsrücknahme liegen sollte, wäre der Rentenbescheid hierdurch nicht etwa nichtig, sondern bliebe, weil allenfalls rechtswidrig (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch SGB X), bis zur Aufhebung wirksam. Der Kläger hat aber zuletzt weder im Klage- noch im Berufungsverfahren die Aufhebung der Rentenbewilligung begehrt; dies stünde auch in gewissem Widerspruch zu seinem Begehren auf zusätzliche Übernahme von Hotelkosten, also zusätzlichen Leistungen der Beklagten. Die Bewilligung der Rente ist somit nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

Soweit der Kläger die Übernahme von Hotelkosten begehrt, ist die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, unbegründet.

Wie das Sozialgericht erachtet auch der Senat das Begehren des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme von Hotelkosten (Antrag Nr. 1) als unzulässig, weil hierüber keine Verwaltungsentscheidung der Beklagten vorliegt. Insbesondere enthält weder der Rentenbewilligungsbescheid noch der Widerspruchsbescheid hierzu eine Entscheidung. Der Senat sieht daher insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Soweit der Kläger erstmalig im Berufungsverfahren (Anträge Nr. 2 bis 5) die Auszahlung von Übergangsgeld und Fahrtkosten für Juli und August 2013, die Ermöglichung der Zusammenarbeit mit einer Frau in der WfB, die Übernahme der Kosten einer Laserbehandlung zur Entfernung von Körperbehaarung sowie eine Überprüfung seiner Wehrdiensttauglichkeit begehrt hat, entscheidet der Senat mangels vorheriger Befassung des Sozialgerichts auf Klage. Diese ist bereits unzulässig.

Zwar hat der Kläger bereits im sozialgerichtlichen Verfahren beanstandet, dass die Beklagte ihm noch nicht das ihm zu gewährende Übergangsgeld und Fahrtkosten gewährt habe (Bl. 44 SG-Akte). Die Beklagte hat allerdings zwischenzeitlich mit Bescheiden vom 15.07.2013 dem Kläger die entsprechenden Leistungen gewährt. Der Kläger wendet sich mit seinem Antrag Nr. 2 auch nicht etwa gegen diese Bewilligungen; vielmehr wehrt er sich nun gegen die - im Zuge einer Verrechnung mit Erstattungsansprüchen des Landkreis E. - unterbliebene Auszahlung der bereits bewilligten Leistungen. Es liegt somit keine Identität zu dem noch im sozialgerichtlichen Verfahren geltend gemachten Anspruch vor. Vielmehr ist auch insoweit in der Berufungsinstanz ein neuer prozessualer Anspruch zur Entscheidung gestellt und ein anderes, neues Prozessrechtsverhältnis begründet worden.

Die Zulässigkeit der somit vorliegenden Klageänderung in der Form einer Klageerweiterung beurteilt sich nach § 99 SGG, welcher gemäß § 153 Abs. 1 SGG auch im Berufungsverfahren Anwendung findet. Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Eine Einwilligung, welche auch stillschweigend dadurch zum Ausdruck gebracht werden kann, dass der Beteiligte auf die geänderte Klage inhaltlich eingeht oder auch nur ein Gegenantrag stellt bzw. Verteidigungsmittel bezeichnet, liegt jedenfalls nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte unter Verweis auf die angefochtene Entscheidung ohne inhaltliche Einlassung die Zurückweisung der Berufung beantragt. Eine Klageänderung ist sachdienlich, wenn sie dazu führt, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren beigelegt und endgültig bereinigt werden kann und ein neuer Prozess vermieden wird bzw. dadurch weitere noch anhängige Streitigkeiten erledigt oder weitgehend mit entschieden werden können (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, § 99 Rdnr. 10, auch zum Nachfolgenden). Nicht sachdienlich ist die Klageänderung dann, wenn eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung für die Klage fehlt (BSG, Urteil vom 08.05.2007, B 2 U 14/06 R, SozR 4-2700 § 153 Nr. 2).

Jedenfalls für die Klagebegehren zu Nrn. 3 bis 5 fehlt angesichts eines fehlenden vorgängigen Antrags bei der Beklagten das Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit können grundsätzlich erst nach Durchlaufen eines Verwaltungsverfahrens und Erlass einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung, die ihr Begehren ablehnt, angerufen werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 54 Rdnr. 20 zur Verpflichtungsklage, Rdnr. 39b zur Leistungsklage; BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R, Rdnr. 17).

Darüber hinaus sind die im Klageantrag Nr. 2 bis 5 liegenden Klageänderungen - hinsichtlich der Anträge Nr. 3 bis 5 auch - deshalb unzulässig, weil das Landessozialgericht für derartige Begehren erstinstanzlich nicht zuständig ist (BSG, Urteil vom 31.07.2002, B 4 RA 20/01 R, SozR 3-1500 § 29 Nr. 1, auch zum Nachfolgenden). Das Landessozialgericht ist im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nur zuständig für Entscheidungen in Berufungsverfahren (§ 29 SGG). Auch eine an sich zulässige Klageänderung entbindet das Gericht nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen. Infolgedessen müssen für die geänderte Klage sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (BSG a.a.O. mwN), mithin auch die Zuständigkeit des Landessozialgerichts gegeben sein. Ein Ausnahmetatbestand für eine erstinstanzliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts liegt nicht vor, sodass die Klage mangels instanzieller Zuständigkeit des Landessozialgerichts unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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