S 8 SO 259/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 SO 259/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 verurteilt, dem Kläger im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Der Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren noch um die Gewährung der Regelleistung nach der Regelbedarfsstufe 1 im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013.

Der Kläger wurde am 00.00.1976 geboren. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Nachteilsausgleichen G, aG, H und RF. Er lebt bei seinen Eltern in deren Eigenheim und ist beschäftigt in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Der Kläger bezieht seit 2003 Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zunächst nach dem GSiG, später nach dem SGB XII. Im Rahmen dieser Leistungsgewährung wurden stets auch kopfanteilige Unterkunftskosten berücksichtigt.

Am 08.08.2011 beantragte er die Fortzahlung der Leistungen. Mit Bescheid vom 28.09.2011 gewährte der Beklagte Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII für den Zeitraum von Oktober 2011 bis September 2012 unter Berücksichtigung des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 EUR sowie Unterkunftskosten in Höhe von 121,70 EUR. Mit Bescheid vom 27.12.2011 wurden Leistungen unter Berücksichtigung des ab Januar 2012 erhöhten Regelsatzes von 299 EUR gewährt. Im Januar 2012 übersandte der Beklagte ein Nachprüfungsformular mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG betreffend die Unterkunftskosten und bat um Nachweis, ob ein wirksamer Miet- oder Untermietvertrag abgeschlossen worden sei. Nach Vorlage eines Mietvertrages gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 26.04.2012 für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 299 EUR sowie Unterkunftskosten in Höhe von 229,20 EUR.

Hiergegen legte der Kläger am 15.05.2012 Widerspruch ein. Bei der Bedarfsberechnung sei eine Kürzung wegen häuslicher Ersparnis vorgenommen worden; dies könne so nicht nachvollzogen werden. Die Höhe der bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt scheine zu niedrig. Soweit sich dieser aus dem Regelbedarfsermittlungsgesetz ergebe, erscheine dies verfassungswidrig. Das BSG habe mit Urteil vom 19.05.2009 entschieden, dass bei einer Empfängerin von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung der Regelsatz eines Haushaltsvorstandes zu zahlen sei. Dieser Vorgabe entspreche das Regelbedarfsermittlungsgesetz aber nicht. Weiter seien die zugrunde gelegten Unterkunftskosten nicht nachvollziehbar. Ausweislich des vorgelegten Mietvertrages sei eine Kaltmiete von 435 EUR nebst angemessenen Nebenkostenvorauszahlungen zu leisten. Diese seien bei der Bemessung der Unterkunftskosten zugrunde zu legen. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und verringerte den bis zum Ende des Bewilligungszeitraumes zu gewährenden Unterkunftskostenbetrag auf 102,14 EUR.

Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2012 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Die Kürzung wegen häuslicher Ersparnis sei weiter nicht nachvollziehbar. Die Höhe des bewilligten Regelsatzes erscheine zu niedrig. Soweit ein unterschiedlicher Regelbedarf im Regelbedarfsermittlungsgesetz vorgesehen sei für zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner etc. in einem gemeinsamen Haushalt leben und erwachsenen leistungsberechtigten Personen, die mit anderen Erwachsenen in einem Haushalt leben, sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegeben. Auch sei darauf hinzuweisen, dass im Falle einer Wohngemeinschaft nach derzeitiger Rechtslage allen Mitgliedern der Wohngemeinschaft die Regelbedarfsstufe 1 auszuzahlen sei. Die Unterkunftskosten seien entsprechend dem eingereichten Mietvertrag zu übernehmen.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 23.09.2014 haben die Beteiligten einen Teilvergleich betreffend die Kosten der Unterkunft und Heizung geschlossen und klargestellt, dass nunmehr lediglich noch die Frage der der Berechnung zugrunde zu legenden Regelbedarfsstufe streitig ist.

Der Kläger beantragt nunmehr noch,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.04.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid sowie eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.02.2015 betreffend drei Urteile des BSG vom 23.07.2014 zu den Aktenzeichen B 8 SO 14/13 R, B 8 SO 12/13 R und B 8 SO 31/12 R zur Regelbedarfsstufe 3.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 26.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2012 insoweit beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, als dem Kläger in diesem Bescheid Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 3 gewährt wurden. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.03.2012 bis 28.02.2013 einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1.

Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist älteren und dauerhaft erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten. Die Leistungen umfassen gemäß § 42 Nr. 1 die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27 a Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 und 2 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden. Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII beträgt der Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 seit dem 01.01.2012 monatlich 374 EUR und seit dem 01.01.2013 monatlich 382 EUR für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 337 EUR seit dem 01.01.2012 und 345 EUR ab dem 01.01.2013 werden für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte gewährt, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 299 EUR ab dem 01.01.2012 und in Höhe von 306 EUR ab dem 01.01.2013 sind zu gewähren für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt.

Das BSG hat in den drei im Tatbestand bezeichneten Urteilen vom 23.07.2014 entschieden, dass die Vorschriften orientiert am Gesetzeszweck verfassungskonform dahingehend auszulegen sind, dass sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 richtet, auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 besteht (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 14/13 R). Die Regelbedarfsstufe 3 kommt im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (BSG, a.a.O.). Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Dabei kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Begriff der eigenen Haushaltsführung sich an den individuellen Fähigkeiten der Haushaltsführung orientiert, da dies regelmäßig eine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG von behinderten Menschen zur Folge hat (vgl. BSG, a.a.O.). Es ist nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten (BSG, a.a.O.). Ein Sachverhalt, bei dem von einem fremden Haushalt auszugehen ist, wird dabei nur ausnahmsweise vorliegen (BSG, a.a.O.). Denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und/oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen (BSG, a.a.O.). Ob ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird nur dann zu prüfen sein, wenn diesbezüglich qualifizierter Vortrag des Beklagten erfolgt (BSG, a.a.O.). Die Beweislast liegt insofern beim Beklagten (BSG, a.a.O.). Dies gilt insbesondere auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren erwachsenen nicht erwerbsfähigen Kindern (BSG, Urteil vom 23.07.2014, Az.: B 8 SO 31/12 R). Es muss typisierend bei familienhaftem Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen, gerade auch beim Zusammenleben von Eltern mit ihren behinderten erwachsenen Kindern, davon ausgegangen werden, dass die hilfebedürftige Person der Regelbedarfsstufe 1 unterfällt, ergänzt durch die gesetzliche Vermutungsregelung des § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII.

Dieser überzeugenden Rechtsprechung des BSG schließt sich die Kammer an. Die Frage, ob der erwachsene schwerbehinderte Mensch einen eigenen Haushalt führt, ist im Lichte des Rechts des erwachsenen Schwerbehinderten zu sehen, einen eigenen Haushalt führen zu dürfen. Wie ein gesunder Erwachsener hat auch ein schwerbehinderter erwachsener Mensch das Recht auf einen eigenen Haushalt im Sinne eines eigenen privaten, häuslichen Umfeldes, das ausschließlich für ihn bereit gehalten wird und eben hierfür auch Kosten verursacht. Dabei kann für die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe nicht entscheidend sein, in welchem Umfang die praktischen Tätigkeiten der Haushaltsführung selbst von dem behinderten Menschen verrichtet werden oder inwiefern diese durch andere, sei es durch einen bezahlten Integrationshelfer oder Pflegedienst oder eben durch die Eltern verrichtet werden. Entscheidend ist vielmehr, dass für den Leistungsberechtigten eine organisatorische Haushaltsführung stattfindet. Die Kammer vermag auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend zu erkennen, dass durch eine Haushaltsführung in diesem Sinne ein geringerer Bedarf bestünde als für einen erwachsenen nichtbehinderten Leistungsberechtigten. So wird auch einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II, der das 25. Lebensjahr vollendet hat, aber weiterhin mit seinen Eltern in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II aber nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist, der Regelsatz eines alleinstehenden Erwachsenen gewährt, ohne dass hinterfragt würde, ob er sich tatsächlich im Haushalt betätigt oder auch nur einen finanziellen Beitrag hierzu leistet. Würde man tatsächlich davon ausgehen, dass durch das Zusammenleben mit (erwerbsfähigen) erwachsenen Angehörigen eine Einsparung erfolgen würde, würde es zu einer echten Diskriminierung behinderter Menschen führen, wenn diese Einsparungen dort angerechnet würden, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dagegen belassen würden. Die Kammer kann sich gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Inklusion behinderter Menschen aber nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber behinderte Menschen schlechter stellen wollte als Nichtbehinderte. Sicherlich werden behinderte Menschen regelmäßig die Regelsatzleistungen anders verwenden als nichtbehinderte Leistungsberechtigte; hier trägt der pauschale Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 aber bereits der Vielzahl der Lebenswirklichkeiten der Menschen Rechnung, die diesen aus vielen Durchschnittswerten ermittelten Betrag entsprechend ihren ganz persönlichen Bedürfnissen und Wünschen einsetzen können, ebenfalls ohne dass geprüft würde, ob der im RBEG für eine Abteilung ermittelte Wert überschritten wurde und möglicherweise an anderer Stelle etwas eingespart wurde. Für die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der zur Berechnung des Regelsatzes ausweislich des RBEG gebildeten Abteilungen nicht erkennbar, woraus sich der geringere Bedarf ausgerechnet der schwerbehinderten Leistungsberechtigten ergeben soll.

Hiervon ausgehend sind dem nicht erwerbsfähigen Kläger Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem IV. Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger keinen eigenen Haushalt im Sinne der oben erörterten Kriterien führt. Der Kläger lebt in einem eigenen privaten, nur für ihn bereitstehenden häuslichen Umfeld. Qualifizierter Vortrag des Beklagten, dass hier kein eigener Haushalt bestehen könnte, ist nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt auch den im Erörterungstermin am 23.09.2014 geschlossenen Teilvergleich.
Rechtskraft
Aus
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