Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 U 3015/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VJ 1906/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens aufgrund einer am 28.01.2008 durchgeführten Impfung gegen Hepatitis A und B sowie gegen Meningokokken.
Die am 19.04.2006 geborene Klägerin erhielt 2006 und 2007 die üblichen Grundimpfungen, zweimal gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Haemophilus influenzae b und Pneumokokken sowie einmal gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Auffälligkeiten wurden nicht berichtet. Bei ihrer Geburt hatte sie Apgar-Werte von 9/10/10, die Vorsorgeuntersuchungen waren bis zur U6 laut Kinderuntersuchungsheft unauffällig. Eltern und sechs Geschwister sind gesund. Am 28.01.2008 wurde sie von Kinderarzt G., der sie bei Rhinitis (akuter Schnupfen) anamnestisch und klinisch infektfrei, Hals-Nasen-Ohren (HNO) ohne Befund (o. B.) fand, mit Twinrix Kinder gegen Hepatitis A und B sowie mit NeisVac-C gegen Meningokokken geimpft.
Am 08.03.2008, einem Samstag, suchte die Klägerin mit ihrer Mutter im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes Dr. L. auf. Auf dem Notfall-/Vertretungsscheins vom selben Tag vermerkte die Ärztin, die Klägerin habe nach Angaben der Mutter vor vier Tagen ein Spielzeug auf den Kopf bekommen; bisschen Durchfall, Verhaltensauffälligkeit, guter Allgemeinzustand, Temperatur 37,1°, o. B., cardiopulmonal (C/P) o. B., abdominal o. B., Schädel: kein Hämatom, kein Erbrechen (nur einmal nach Weinen), Pupillen o. B, Gang o. B., aber unsicher, hier neurologisch unauffällig. Therapie: beobachten, Kontrolle, bei Verschlechterung morgen hier. Dr. L. vermerkte: "Hier im Flur gerannt".
Am 10.03.2008 suchte die Klägerin Kinderarzt G. auf, der in der Kartei vermerkte, sie habe letzte Woche ein Spielzeug gegen die rechte Kopfseite bekommen, keine Prellmarke, keine Commotio-Zeichen, 2-3 Tage danach erbrochen, jetzt wiederholt erbrochen, hatte Fieber, jetzt ok, Vigilanz o. B., Hirnnerven o. B., Muskeleigenreflexe (MER) seitengleich o. B., Pupillenreaktion o. B. auf Licht, HNO o. B., C/P o. B., Bauch weich, DG++ - am ehesten Gastroenteritis (GE), kein Anhalt für Commotio. Vom 23.03.2008 bis 28.03.2008 befand sich die Klägerin zur stationären Abklärung im Klinikum S., O., wo die Diagnose einer Cerebellitis (Kleinhirnentzündung), vermutlich im Zuge eines Luftweginfekts, gestellt wurde. Nach Auskunft der Mutter sei die Klägerin abgesehen von einem seit 3–4 Tagen bestehenden leichten Husten und Schnupfen gesund gewesen, kein Fieber, kein Erbrechen. Der Aufnahmebefund war guter Allgemeinzustand, aktiv, horizontaler Nystagmus, sonstige Augenbewegung o. B., Pupillen beidseits reagibel, Hirnnerven orientierend intakt, deutliche Rumpf-, Stand- und Gangataxie, Intentionstremor, MER seitengleich, Tonus normal, Sensibilität soweit beurteilbar intakt, kein Meningismus. Das Kernspin des Schädels mit Lumbalpunktion zeigte fraglich eine Volumenzunahme der Kleinhirnhemisphären bei unauffälligem Liquorstatus, Liquorkultur und Erregerdiagnostik. Neuropädiater Dr. M. ging am 17.04.2008 von einer para- bzw. postinfektiösen Cerebellitis aus, die serologische Untersuchung ergab keinen spezifischen Erreger. Die folgende stationäre Behandlung im Universitätsklinikum T. (UKT) vom 05.05.2008 bis 09.05.2008 führte zur Diagnosestellung cerebelläre Ataxie bei Cerebellitis, Verdacht auf (V. a.) parainfektiöse Genese, protrahierter Verlauf. Dies beruhe auf normalen Aktivitäten der lysosomalen Enzyme, kein Nachweis antinukleärer Antikörper sowie Kalzium- und Kalium-Kanalantikörpern im Serum, keine Schwellung oder Atrophie des Cerebellums, keine Läsionen bei altersentsprechender Myelenisierung. Bei allen Bewegungsabläufen bestehe eine deutliche ataktische Komponente. Eine Hochdosis-Steroidtherapie wurde eingeleitet. Die Verlaufskontrolle am 19.06.2008 zeigte keine Besserung. Eine Immunglobulingabe blieb ohne klinischen Effekt (Arztbrief UKT vom 01.08.2008). Im November 2008 ging das UKT von ungeklärter Genese aus. Eine Urbasonstoßtherapie im Juli 2008 führte zur Besserung, im Rahmen eines unspezifischen fieberhaften Virusinfektes trat im Dezember 2008 erneut eine massive neurologische Verschlechterung ein, die sich nach Steroidpulstherapie im Januar 2009 zurückbildete. Weitere Urbasonpulse wurden im Juni 2009 und im April 2010 verabreicht.
Am 16.06.2008 meldete Kinderarzt G. dem P.-Institut den Verdacht auf eine Impfkomplikation und berichtete an den Hersteller.
Die Klägerin beantragte am 05.08.2008 beim Beklagten die Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Nach Einholung eines Berichts und der Befundunterlagen von Kinderarzt G. empfahl Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.11.2008 die Ablehnung des Antrags. Ein Impfschaden sei von den Behandlern, auch vom UKT, nicht in Betracht gezogen worden und angesichts von Art und Ablauf der Impfung sowie der Inkubationszeit eher unwahrscheinlich. Diese seien vielmehr von einem parainfektiösen Geschehen nach Luftwegs- bzw. Magen-Darm-Infekt ausgegangen, nachdem die Klägerin bei Wiedervorstellung beim Kinderarzt nach mehrfachem Erbrechen regelrechte neurologische Befunde gezeigt habe.
Mit Bescheid vom 24.11.2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens ab. Die Begründung entsprach der versorgungsärztlichen Stellungnahme. Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, die Fachinformation für Twinrix Kinder und für Neisvac-C führten Erkrankungen des Nervensystems als Nebenwirkungen auf. Da keine eindeutige Ursache für die Erkrankung gefunden worden sei, sei die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Erkrankung gegeben. In der Vergangenheit sei es bei einer Frau aus Österreich nach einer Hepatitis B-Impfung zu akuter cerebellärer Ataxie gekommen (akute cerebelläre Ataxie 10 Tage nach 2. Impfung gegen Hepatitis B).
Dr. M. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.03.2009 die Impfung als Ursache für die Erkrankung zwar nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ausgeschlossen, andererseits könne die Impfung nicht mit der vom Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit als Ursache angenommen werden. Dagegen spreche der lange Zeitraum zwischen Impfung und dem Auftreten, das Auftreten eines Infekts mit neurologisch unauffälligem Befund und das Auftreten der Symptome 13 Tage nach dem Infekt. Dr. G. stimmte zu, bis zum 23.03.2008 gebe es keine Objektivierung einer neurologischen Verlaufskomplikation, die Mutter gebe erste Auffälligkeiten Mitte März nach Schlag auf den Kopf mit einem Spielzeug und einen Infekt am 20.03.2008 an. Art und Ablauf, insbesondere zeitliche Latenz, sprächen eher gegen als für einen Zusammenhang.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Impfung vom 28.01.2008 könne nicht mit der vom Gesetz geforderten hohen Wahrscheinlichkeit als Ursache der cerebellären Ataxie angenommen werden.
Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G, B und H wegen organischem Nervenleiden, Störungen der Koordination, Sprachstörung, Verhaltens-störung, seit 05.08.2008 festgestellt.
Am 04.05.2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Gesundheitszustand habe sich unmittelbar nach der Impfung verschlechtert. Bereits 2 Tage später sei Fieber aufgetreten. Sie habe mehrfach beim Kinderarzt angerufen, sei aber nicht durchgestellt worden. Die Anrufe seien nicht dokumentiert. Die Arzthelferin habe das Fieber als normale Reaktion bezeichnet und Fieberzäpfchen empfohlen. Das Fieber habe nicht nachgelassen, die Klägerin habe Husten und Schnupfen bekommen, sei appetitlos und geschwächt gewesen. In den Folgewochen sei es zu Übelkeit und Erbrechen gekommen. Die Klägerin habe dann begonnen, Füße und Zehen merkwürdig zu spreizen, sie habe zunehmend das Gleichgewicht verloren, geschwankt, das Gangbild sei zunehmend unsicher geworden, die Motorik des ganzen Körpers sei in Mitleidenschaft gezogen worden, ebenso das Sprachzentrum. Dies sei alles in engem zeitlichen Zusammenhang zur Impfung erfolgt. Der Zustand habe sich seitdem nur leicht verbessert, sie weise keine altersentsprechende Entwicklung auf, so dass weiterhin Behandlungen im UKT notwendig seien.
Das SG hat Prof. Dr. K., Ärztlicher Direktor der Klinik II Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F. mit der Erstattung eines kinderärztlichen und neuropädiatrischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 11.07.2011 und der ergänzenden Stellungnahme vom 08.12.2012 hat der Sachverständige ausgeführt, die Mutter habe berichtet, eine Woche vor der Impfung sei die Klägerin etwas erkältet gewesen mit leichtem Fieber, am Impftag habe sie noch etwas Schnupfen gehabt. Am Tag nach der Impfung habe sie Erbrechen, Spucken und Fieber bis 38,9° C gehabt. Fieber und Durchfall seien nach etwa einer Woche abgeklungen. In der Folge sei sie symptomfrei gewesen, dann seien wieder für wenige Tage bis zu einer Woche Infektzeichen wie Durchfall, Schnupfen und Erkältung aufgetreten. Mitte Februar 2008 sei der Mutter aufgefallen, dass das Kind im Sitzen die Zehen gelegentlich eingekrallt habe. Laufen und Gangbild seien dabei normal gewesen. In der 4. Februarwoche habe sie immer wieder einmal mit beiden Händen nach Gegenständen gegriffen. Ende Februar sei sie im Wochenenddienst im O.-Hospital gewesen, habe Fieber und Durchfall gehabt, gespuckt. Zwei Tage später habe sie die Praxis G. aufgesucht, der die Symptome als Infekt gedeutet habe. Zwischen der 5. und 6. Woche nach dem Impfen sei der Mutter erstmals leichtes Kopfschütteln aufgefallen, in der 6. Woche abnorme Kopfbewegungen, Verdrehen der Augen, sie habe nicht mehr laufen können. Nach stationärer Aufnahme im O.-Hospital sei die Klägerin ohne Behandlungsvorschlag mit Aussicht auf Besserung innerhalb von vier Wochen entlassen worden; als die Besserung nicht eingetreten sei, habe die Mutter erstmals an einen Impfschaden gedacht. In der UKT sei unter Kortisontherapie allmähliche Besserung der Symptome eingetreten, zweimal habe sich die Krankheit im Rahmen einer Erkältung deutlich verschlechtert. Seit Erkrankungsbeginn werde kontinuierlich Physiotherapie, seit zwei Jahren Ergotherapie und Logopädie durchgeführt. Sie besuche einen Körperbehindertenkindergarten. Der Sachverständige hat den Entwicklungsstand als deutlich retardiert eingeschätzt. Nach dem neurologischen und psychischen Befund bestünden eine deutliche grobmotorische Koordinationsstörung der unteren Extremitäten sowie allenfalls leichte Koordinationsstörungen der oberen Extremitäten. Eine eigentliche Ataxie liege nicht mehr vor. Es bestünden schwere Entwicklungsstörungen der expressiven Sprache, eine erhebliche Störung der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit sowie im kognitiven Bereich eine deutlich unreife Form- und Raumwahrnehmung. Bei der Klägerin liege eine akute cerebelläre Ataxie in schwerer Ausprägung vor. Dies sei eine insgesamt seltene, aber charakteristische Funktionsstörung des Kleinhirns, die besonders im Kleinkindalter bekannt sei. Sie trete meist im Gefolge eines viralen Infekts und sehr selten in Folge einer Impfung auf. Häufigster Erreger sei der Windpockenvirus, es könnten aber fast alle diagnostizierbaren Viren und andere Erreger beteiligt sein.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen vom 28.01.2008 und der frühestens fünf Wochen nach der Impfung aufgetretenen akuten cerebellären Ataxie müsse als unwahrscheinlich angesehen werden. Die alternative Ursache der zwischen der Impfung und dem Auftreten der Ataxie interkurrierenden Infekte sei sehr viel wahrscheinlicher. Es könne somit kein hinreichender Zusammenhang zwischen der Impfung und der nachfolgenden neurologischen Erkrankung hergestellt werden. Berichte über akute cerebelläre Ataxien nach Impfungen seien sehr selten. Ryan und Engle (2003) gingen davon aus, dass trotz einiger vorliegender Berichte mit engem zeitlichen Zusammenhang eine Kausalbeziehung nicht bewiesen sei. Bei Impfungen mit Totimpfstoffen komme der Feststellung eines plausiblen zeitlichen Zusammenhangs für die prinzipielle Möglichkeit einer Kausalität besondere Bedeutung zu. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht aus dem Jahr 2004 enthielten Hinweise für die Beurteilung kausaler Zusammenhänge bei neurologischen Impfschäden. Die akute cerebelläre Ataxie sei zwar nicht erwähnt, könne aber aufgrund der pathogenen Abläufe unter Enzephalitis/Enzephalopathie subsumiert werden. Die relativ neue Meningokokken-Impfung (NeisVac) sei ebenfalls nicht erwähnt. Es könnten aber analoge Schlüsse gezogen werden. Danach bestehe ein plausibler zeitlicher Zusammenhang bei - Pocken-Schutzimpfung: postvakzinale Enzephalitis/Enzephalopathie 3 Tage bis 3 Wochen nach Impfung, - Polyomyelitis-Lebendimpfung: Impfpolio 3 – 30 Tage, Guillain-Barré–Syndrom bis 10 Wochen, - Masern-Lebendimpfstoff: Krampfanfälle und Enzephalitis 7 – 14 Tage, - Influenza: Enzephalitis maximal 3 Wochen, Guillain-Barré-Syndrom bis 10 Wochen, - Pertussis-Ganzkeimvakzine: Enzephalopathie 1 – 3 Tage, - Diphterie: zentrales Nervensystem (ZNS)-Entzündung extrem selten, maximal bis 28 Tage, - Tetanus: sehr selten Meningitis 7 – 30 Tage, - Hepatitis A und B: sehr selten Guillain-Barré-Syndrom bis 10 Wochen, Enzephalitis nicht bekannt. Nach diesen Feststellungen seien entzündliche Komplikationen des Gehirns und Rückenmarks nur innerhalb von 1 – 3, maximal 4 Wochen nach der Impfung abzuerkennen, während das Guillain-Barré-Syndrom mit Markscheidenschädigung der peripheren Nerven auch noch später auftreten könne. In der Datenbank der Verdachtsfälle von Impfkomplikationen des P.-Instituts seien neben der Klägerin unter 15.706 gemeldeten Fällen nur 6 weitere Fälle akuter cerebellärer Ataxie oder Cerebellitis im Zusammenhang mit Impfungen erfasst, wobei die Erfassung keine Anerkennung eines kausalen Zusammenhangs beinhalte. Von diesen 6 stünden 4 im Zusammenhang mit dem Hepatitis B-Impfstoff in Kombination mit weiteren Impfstoffen, einer mit Twinrix Erwachsene und einer mit NeisVac. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der Ataxie betrage 1 Tag, 3 Tage und 4 Tage, in 3 Fällen fehle entweder das Impfdatum oder das Datum des Auftretens der Ataxie. Die eigene ausführliche Literaturrecherche des Sachverständigen habe Folgendes ergeben: - bei einer Massenimpfung mit Masern-Vakzine in China eine akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) unter 14,3 Millionen Geimpften am 3. Tag nach der Impfung (post vacc.) ohne akute Ataxie (Shue et al 2011); - in geschätzter Häufigkeit von 0,5 – 2 Fällen auf eine Million Geimpfte 6 Fälle von Enzephalitis oder Enzephalopathie am 4 – 24. Tag post vacc., 3 Fälle von ADEM am 7. – 20. Tag post vacc. und 6 Fälle von Guillain-Barré-Syndrom 7. -27. Tag post vacc., keine akute Ataxie (McMahon et al 2007); - 6 Fälle von Enzephalitis, 7 Fälle von ADEM bei 67,2 Millionen Impfdosen, eine Ataxie nach Masernimpfung; keine Angabe eines Zeitintervalls, diskutiert werde aber ein Intervall von 6 – 14 Tagen post vacc. (Nakayama und Onoda 2007); - ein aktueller Literaturüberblick über die postvakzinale Enzephalomyelitis schätze die Häufigkeit nach unterschiedlichen Impfungen auf 1 – 2 Fälle bei 1 Million Impfungen mit einem Zeitintervall von 1 – 2 Wochen post vacc. Die Ataxie werde nicht gesondert diskutiert (Hyunh et al 2008); - beschrieben werde der Fall eines 5-jährigen Mädchens mit akuter cerebellärer Ataxie 8 Tage nach Influenza-Impfung im Vergleich zu postinfektiösen Fällen mit einem Intervall von 1 – 21 Tagen (Saito und Yanagisawa 1989); - beschrieben werde eine akute Ataxie bei einer 26-jährigen Frau 10 Tage nach Hepatitis B-Impfung (Deisenhammer et al 1994); - beschrieben werde eine akute Ataxie bei einem 2-jährigen Kind 10 Tage nach Varizellen-Impfung. Das Kind habe sich innerhalb von 3 Wochen vollständig erholt. (Sunaga et al 1995); - unter 73 Fällen mit akuter Ataxie seien 2 Kinder gewesen, bei denen je eine Pocken- und Masernimpfung 8 und 14 Tage vorausgegangen sei. Die Kinder hätten sich innerhalb kurzer Zeit vollständig erholt (Connolly et al 1994); - In einer epidemiologischen Studie in den Niederlanden seien 45 Fälle von akuter cerebellärer Ataxie bei Kindern erfasst. Bei 15 seien Windpocken, bei 22 andere Infektionen als Ursache identifiziert worden mit einem Zeitintervall von 1 – 29 Tagen zwischen Infektion und Auftreten der Ataxie (Mittel 6). Eines der 45 Kinder habe am Tag vor der Ataxie eine Masern-Mumps-Röteln-Lebendimpfung erhalten, aber 2 Wochen zuvor an einem oberen Luftwegsinfekt gelitten. Die Datenlage zeige, dass eine akute cerebelläre Ataxie nach einer Impfung ein extrem seltenes Ereignis sei, deutlich seltener als Enzephalitis, ADEM und Guillain-Barré-Syndrom. Um eine kausale Beziehung in Betracht zu ziehen, dürfe auf der Grundlage dieser Daten ein Zeitraum zwischen Impfung und Auftreten der Ataxie von 3, maximal 4 Wochen nicht überschritten werden.
Bei der Klägerin habe eine Woche vor der Impfung ein Luftwegsinfekt mit etwas Fieber, am Impftag noch eine leichte Rhinitis, vorgelegen. Nach den Richtlinien der STIKO seien nur akute hochfieberhafte Infektionen ein Ausschlussgrund für Impfungen, ausdrücklich nicht afebrile oder subfebrile leichte Infekte. Der impfende Kinderarzt habe sich somit korrekt verhalten. Am Tag nach der Impfung und in den folgenden Wochen habe die Klägerin wiederholt Infektzeichen mit Spucken, Durchfall und Husten gezeigt. Dies könne in der ersten Woche nach der Impfung als häufige und bekannte Nebenwirkung der verabreichten Impfstoffe ohne erhöhtes Risiko späterer Komplikationen gewertet werden. Die späteren Infekte seinen hingegen als unspezifische Virusinfekte zu werten. Bei der virologischen Untersuchung im O.-Hospital seien nur die wichtigsten, auch therapeutisch relevanten Erreger einer Hirnhautentzündung erfasst worden. Ein Ausschluss jedweder Infektion sei weder möglich noch beabsichtigt gewesen.
Der erste Tag einer spezifischen Kleinhirnsymptomatik bei der Klägerin sei nicht mit einem exakten Datum zu bestimmen. Nach der Erinnerung der Mutter seien die Symptome Kopfwackeln und Gangstörung etwa 5 – 6 Wochen nach der Impfung erstmals aufgetreten. Dies decke sich mit den anamnestischen Angaben bei der stationären Aufnahme im O.-Hospital und im UKT "Mitte März". Wenn die offenbar geringe Unsicherheit in der Praxis Dr. L. am 08.03.2008 bereits als beginnende neurologische Symptomatik gedeutet werde, ergebe sich ebenfalls ein Zeitraum von 5 - 6 Wochen nach der Impfung. Das in der Klageschrift auf Mitte Februar datierte Einkrallen der Zehen und auf Ende Februar eingeordnete Greifen mit beiden Händen sei beides bei den Arztbesuchen und stationären Aufnahmen im März und April nicht dokumentiert worden und damit offensichtlich vorübergehender Natur gewesen. Diese Auffälligkeiten seien nicht als Frühsymptome der nachfolgenden cerebellären Ataxie zu deuten, sonst hätte sich diese in den nächsten Tagen und nicht erst nach Wochen eindeutig manifestieren müssen. Da die verabreichten Impfstoffe Totimpfstoffe aus Erregerbestandteilen seien, deren Vermehrung und Persistenzen im Körper nicht möglich sei, hätte eine auf den Impfstoff kausal zu beziehende neurologische Komplikation innerhalb von 3, allerspätestens 4 Wochen nach Impfung beginnen müssen.
Angesichts der gesicherten Diagnose der akuten cerebellären Ataxie – weder im MRT noch im Nervenwasser habe sich ein Hinweis auf ADEM ergeben – müsse dies nach Pathophysiologie und Verlaufsparametern von den anderen neurologischen Erkrankungen unterschieden werden. Zwar sei die tatsächliche Häufigkeit von neurologischen Komplikationen nach Impfungen nicht bekannt, die zitierten Studien erfassten aber über einen langen Zeitraum Fälle akuter cerebellärer Ataxie bei Kindern und suchten gezielt nach Auslösern. Es erscheine unwahrscheinlich, dass Eltern in dieser Situation eine vorangegangene Impfung verschwiegen hätten. Ein längeres Zeitintervall könne bei der akuten cerebellären Ataxie nicht als plausibel angesehen werden. Das längere Zeitintervall von 6 Wochen, in Ausnahmefällen 10 Wochen gelte für das Guillain-Barré-Syndrom und andere periphere postvakzinale Neuropathien, bei denen sich die klinische Symptomatik häufig schleichend entwickele und progressive Verschlechterungen über 4 Wochen akzeptiert würden. Die akute cerebelläre Ataxie sei hingegen eine akute Erkrankung, bei der sich die klinische Symptomatik wie bei der ADEM innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen entwickele.
Sowohl den Einträgen in den Krankenunterlagen des Kinderarztes, aber auch der eingehenden Befragung der Mutter durch den Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Klägerin keinesfalls wenige Tage nach der Impfung erkrankt und in den folgenden Wochen ständig kränker geworden sei, einmündend in die neurologische Symptomatik. Vielmehr habe die Klägerin bereits am Tag nach der Impfung Fieber gehabt, wahrscheinlich infolge der Impfung, habe sich aber in der Folge erholt, sei eine Woche symptomfrei gewesen, was sich bis in den März mehrfach wiederholt habe. Bei der kinderärztlichen Vorstellung am 08.03.2008 sei sie fieberfrei gewesen. Virusinfektionen bei Kleinkindern in den Wintermonaten seien ein außerordentlich häufiges Phänomen. Die Diagnose rezidivierender viraler Infektionen der Klägerin sei deshalb als plausible alternative Ursache für die Auslösung der akuten cerebellären Ataxie anzusehen, auch wenn im O.-Hospital kein bestimmter Erreger gefunden worden sei.
Ob das Adjuvans Aluminiumhydroxyd auf der Basis einer genetischen Neigung zu einer verstärkten und abnormen Immunantwort führen könne, sei umstritten (Weißer et al., 2009). Die Klägerin habe immerhin in der Vergangenheit mehrere Impfungen mit in gleicher Weise adjuvantiertem Impfstoff ohne Probleme vertragen.
Zusammenfassend werde nach den WHO-Kriterien die Klassifizierung "wahrscheinlicher Zusammenhang (probable/likely)" nicht erreicht, da der zeitliche Zusammenhang für die vorliegende Symptomatik nicht plausibel sei und die zwischen Impfung und Ataxie rezidivierend aufgetretenen dokumentierten viralen Infektionen als bedeutsame alternative Ursachen zu werten seien. Aufgrund des nicht plausiblen zeitlichen Zusammenhangs könne nicht einmal eine Klassifikation als möglich (possible) erfolgen. Der Zusammenhang sei als unwahrscheinlich (unlikely) zu klassifizieren.
Eine Kann-Versorgung komme nicht in Betracht, weil bezüglich der Ursache der Schädigung kein grundsätzlicher wissenschaftlicher Dissens bestehe. Die Ursache der Schädigung sei autoimmun, ein Auftreten nach Impfungen grundsätzlich bekannt, aber extrem selten. In der Literatur bestehe weitgehende Übereinstimmung, dass ein langes Intervall von 6 Wochen nur bei Erkrankungen der peripheren Nerven zu akzeptieren sei. Entscheidend für die Beurteilung dieses Falles sei der zu lange Zeitabstand zwischen Impfung und Auftreten der neurologischen Erkrankung.
Auf Antrag der Klägerin hat Dr. H. ein medizinisch-wissenschaftliches Gutachten nach Aktenlage vom 23.04.2012, ergänzt um eine Stellungnahme vom 06.08.2012, erstattet. Die Hepatitis A-Impfung sei nicht im Impfkalender für Säuglinge enthalten, nur für Hepatitis B liege eine STIKO-Empfehlung vor. Nach dem Klagevorbringen seien 2 Tage nach den Impfungen Fieber und ein reduzierter Allgemeinzustand aufgetreten, die Klägerin habe sich nur langsam erholt und in den nun folgenden Wochen seien Appetitlosigkeit, Husten, Übelkeit und Erbrechen hinzugekommen. Bereits 2,5 Wochen nach der Impfung, Mitte Februar 2008, habe die Klägerin nach Angaben der Mutter im Sitzen die Zehen gelegentlich eingekrallt. Ende Februar, also etwa 4 Wochen nach den Impfungen, sei der Mutter aufgefallen, dass die Klägerin häufiger mit beiden Händen nach Gegenständen greife, was sie zuvor nicht getan habe. Am 04.03.2008 habe die Klägerin beim Spielen einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten. In der 5. und 6. Woche nach den Impfungen sei ein abnormales Kopfschütteln aufgefallen, in der 6. Woche sei es zu abnormen Kopfbewegungen, Verdrehen der Augen und Schwierigkeiten beim Laufen gekommen.
Es sei gesicherter Kenntnisstand, dass die Hepatitis B-Impfung im Einzelfall bei entsprechend disponierten Individuen eine autoimmune Erkrankung des Nervensystems auslösen könne. Entscheidend seien hierfür die aluminiumhaltigen Adjuvantien, die lokale Entzündungs-reaktionen induzierten und damit die effektive Prozessierung und den Transport von antigenen Bestandteilen in die sekundären lymphatischen Organe unterstützten. Die Adjuvantien seien Auslöser des ASIA-Syndroms (Autoimmune Syndrome induced by Adjuvants). Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden Autoimmunerkrankungen bei Vorliegen einer genetischen Disposition durch Impfungen ausgelöst, experimentelle Untersuchungen (Tiermodell) sprächen für den Zusammenhang. Schwere Impfschäden seien abhängig von einer speziellen Disposition des Impflings und träten so selten auf, dass sie in kontrollierten klinischen Studien nicht oder nur sehr schwer zu fassen seien. Die kontinuierliche Überwachung von seltenen schweren Impfkomplikationen sei schwierig, weil bislang unbekannte Reaktionen in zeitlicher Latenz durch die impfenden Ärzte nicht als Impfkomplikation erkannt und nicht berichtet würden. Schätzungsweise würden nur ca. 5 % der auftretenden unerwünschten Ereignisse gemeldet. Die seit 2001 bestehende gesetzliche Meldepflicht habe dies nicht nachhaltig beeinflusst. Die Datenbank des Paul-Ehrlicher-Instituts ergebe für die Ataxie 103 Verdachtsfallberichte, darunter den der Klägerin. Für die Enzephalitis gebe es 306 Verdachtsfallberichte, von denen in 48 Fällen der Hepatitis B-Impfstoff angewendet worden sei. Für den Meningokokken C-Impfstoff nach alleiniger Anwendung gebe es keine Verdachtsfallberichte.
Zum Nachweis der bei der Klägerin aufgetretenen cerebellären Enzephalitis gebe es keinen Goldstandard. Anzuwenden sei der WHO-Algorhythmus, der in den wesentlichen Überlegungen mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit übereinstimme. Wichtig seien die Faktoren des plausiblen zeitlichen Intervalls, der Bekanntheit der unerwünschten Reaktion und der pathophysiologischen Erklärbarkeit des Geschehens. Da Ataxien nach autoimmuner cerebellärer Enzephalitis eine Ausschlussdiagnose seien, sollten alternative Ursachen verneint worden sein.
Diese Kriterien seien im Fall der Klägerin erfüllt. Das Zeitintervall sei plausibel, denn erste sichere Anzeichen der Cerebellitis seien 5 Wochen nach der Impfung aufgetreten und für immunologische Impfkomplikationen wie Enzephalitiden oder das Guillain-Barré-Syndrom nach Anwendung inaktivierter Impfstoffe gelte derzeit ein zeitliches Intervall von wenigen Tagen bis zu 6 Wochen als plausibel. Mit diesem Zeitintervall von 42 Tagen werde auch im Paul-Ehrlicher-Institut gearbeitet (vgl. Klaus Hartmann, Brigitte Keller-Stanislawski: Rekombinante Hepatitis B-Impfstoffe und Verdachtsfälle unerwünschter Reaktionen, Bundesgesundheitsblatt 2002, 45, 355-359). Die Reaktion der autoimmunen Enzephalitis sei nach inaktiven Impfungen selten, aber bekannt, und die Pathophysiologie plausibel. Es seien keine anderen möglichen Ursachen der Erkrankung (im Sinne von zeitlich koinzidierenden Infektionen) trotz umfangreicher Untersuchungen festgestellt worden, da kein Erreger identifiziert worden sei. Die Annahme eines nicht gesicherten Infekts sei nicht statthaft, weil eine akute Impfreaktion mit Fieber und reduziertem Allgemeinzustand häufig Stunden bis wenige Tage nach der Impfung auftrete und die immunologische Reaktion zeige. Eine solche Impfreaktion könne durchaus einige Tage anhalten und einem Infekt klinisch ähnlich sehen. Vorliegend sei die Annahme eines Infekts spekulativ und ziele darauf ab, eine alternative Ursache ins Spiel zu bringen.
Prof. Dr. K. interpretiere das zeitliche Intervall nicht korrekt und nehme zu Unrecht eine alternative Ursache an.
Bei der Klägerin habe vor den Impfungen keine wesentliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes bestanden. In der Folge der Impfungen sei eine cerebelläre Enzephalitis aufgetreten. Folge dieser Hirnentzündung sei eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die sprachliche, kognitive und motorische Funktionen betreffe und zu einem komplexen Retardierungssyndrom führe. Diese autoimmune Entzündung mit Schädigung des Gehirns bedürfe einer gewissen genetischen Veranlagung und eines speziellen immunologischen Auslösers, häufig durch eine Infektion oder auch durch eine Impfung. Da beide Impfstoffe aluminiumhaltige Adjuvantien enthielten, kämen beide Produkte als Auslöser der Erkrankung in Frage und sehr wahrscheinlich habe die Gesamtmenge der Adjuvantien die entscheidende Rolle gespielt. Die Erkrankung der Klägerin sei mit Wahrscheinlichkeit durch die beiden zeitgleich verabreichten Impfungen ausgelöst worden.
Durch die generalisierte Schädigung der Hirnentwicklung sei derzeit von einem GdS von 80 auszugehen, wie vom Versorgungsamt festgestellt. Dies gelte ab Februar 2008.
Eine Kann-Versorgung komme in Betracht, wenn über die Ursache einer Erkrankung in der medizinischen Wissenshaft Unklarheit bestehe. Dazu müsse ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Gesundheitsstörung und Impfung bestehen und nach mindestens einer nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinung müssten Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung sprächen. Es dürfe nicht nur die theoretische Möglichkeit, sondern eine "gute" Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet habe, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden könne. Dies sei vorliegend der Fall. Die Erkrankungszeichen seien durch eine Hirnentzündung ausgelöst, die durch eine adjuvantierte Impfung vorkommen könne. Unklar sei, warum bei manchen Menschen das Immunsystem mit einer autoimmunen Reaktion auf Impfungen reagiere.
Der Beklagte ist mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. G. vom 23.05.2012 und 13.09.2012 dem Gutachten entgegengetreten. Nach dem Kenntnisstand des Robert-Koch-Instituts (Epidemiologisches Bulletin Ausgabe 25/2007) gebe es keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang von cerebellärer Ataxie und Hepatitis A/B/-Meningokokken-Impfung. Nach Kenntnisstand des Robert-Koch-Instituts sei die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvantien in Impfstoffen im Vergleich zur Aufnahme im Trinkwasser, Lebensmitteln oder Antacida gering und birge kein systemisches Toxizitätsrisiko. Da eine Beurteilung mit Wahrscheinlichkeit möglich sei, komme eine Kann-Versorgung nicht in Frage.
Mit Urteil vom 21.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Gericht folge den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. K. auf der Grundlage des herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und nicht dem Gutachten des Dr. H ... Die verschiedenen neurologischen Krankheitsbilder müssten sauber getrennt werden. Die interkurrenten Infekte bildeten eine plausible alternative Ursache.
Die Klägerin hat gegen das am 02.04.2013 zugestellte Urteil am 30.04.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Das Gutachten von Prof. Dr. K. sei nicht plausibel, aber das von Dr. H ...
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2013 und den Bescheid vom 24. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr eine akute cerebelläre Ataxie als Folge der Impfung mit NeisVac-C und Twinrix Kinder am 28. Januar 2008 festzustellen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz, hilfsweise als Kann-Versorgung, zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für richtig.
Der Senat hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 03.06.2014 abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 151, 143, 144 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der akuten cerebellären Ataxie als Folge einer Impfung sowie auf Gewährung von Versorgungsleistungen ist § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund des IfSG angeordnet wurde oder gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch diese Maßnahme eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
Unter weiterer Berücksichtigung der im Sozialen Entschädigungsrecht und mithin auch im Bereich des IfSG geltenden allgemeinen Grundsätze bedarf es für die von der Klägerin begehrte Feststellung somit der folgenden Voraussetzungen (vgl. dazu auch Urteile des Senats vom 21.02.2013 - L 6 VJ 4771/12 - und vom 20.06.2013 - L 6 VJ 599/13):
Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, terminologisch anders noch die Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde, so z. B. BSGE 60, 58, 59).
Die Schutzimpfung muss nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausa-litätstheorie von der wesentlichen Bedingung wesentliche Ursache für den Eintritt der Impfkomplikation und diese wesentliche Ursache für die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, den Impfschaden, sein. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis-standes zu beantworten, auch wenn ein bestimmter Vorgang unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat (BSG SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3).
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im Sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (siehe nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des Sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen (2005 bis 2008) unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 2005 sind Ende 2006 allerdings aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden:
"Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergeb-nisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Standard der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Absatz 1 der Anhaltspunkte) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von § 60 IfSG durchzuführen. Siehe hierzu auch Nr. 35 - 52 (S. 145 - 169) der Anhaltspunkte."
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes anders als die AHP keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern enthält, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - a. a. O.).
Bei der Klägerin liegt eine schwere akute cerebelläre Ataxie bzw. eine Cerebellitis vor. Dies entnimmt der Senat den Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. H. sowie den Entlassungsberichten des O.-Hospitals und des UKT. Weder im MRT noch im Nervenwasserbefund fanden sich hingegen Hinweise auf eine ADEM (Akute Disseminierte Enzephalomyelitis), so dass die diesbezügliche Diskussion beider Erkrankungen, wie dies Dr. H. verfolgt hat, nicht nachvollziehbar ist. Darauf hat Prof. Dr. K. zu Recht hingewiesen. Die am 28.01.2008 durchgeführten Impfungen gegen Hepatitis B und gegen Meningokokken entsprachen den Empfehlungen der STIKO Stand Juli 2007.
In Auswertung der Befundunterlagen und der beiden im Klageverfahren erstatteten Gutachten besteht zur Überzeugung des Senats kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen der Klägerin mit NesVac-C und Twinrix Kinder und der später aufgetretenen akuten cerebellären Ataxie. Nach dem vom SG von Amts wegen eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K. ist ein wesentlich ursächlicher Zusammenhang zwischen den am 28.01.2008 verabreichten Impfungen gegen Meningokokken C sowie Hepatitis A und B und der cerebellären Ataxie im Kindesalter nicht hinreichend wahrscheinlich. Zwar werden auf der Fachinformation des Herstellers für Twinrix Kinder Nebenwirkungen aus der Anwendungserfahrung nach der Markteinführung in Form von Erkrankungen des Nervensystems, Enzephalitis, Enzephalopathie, Neuritis, Neuropathien und Krampfanfällen berichtet. Auch nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts Ausgabe 25/2007 treten nach Impfungen mit Hepatitis-A/Hepatitis-B-Impfstoff in der medizinischen Fachliteratur in Einzelfällen neurologische Störungen (Meningitis, Enzephalitis, Enzephalopathie, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom) auf, wobei ein ursächlicher Zusammenhang als fraglich bezeichnet wird. Für den ursächlichen Zusammenhang sind nach den insoweit übereinstimmenden Darlegungen beider Sachverständiger drei Voraussetzungen zu prüfen: Es muss ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Krankheitssymptome vorliegen, plausible alternative Ursachen sind zu diskutieren und die Pathophysiologie muss plausibel sein.
Die Pathophysiologie ist vorliegend nachvollziehbar, denn die autoimmun verursachte Funktionsstörung des Kleinhirns kann nach medizinischen Erkenntnissen durch virale Infektionen oder einen Impfstoff ausgelöst werden. Sie ist aber allein nicht ausreichend, wenn der zeitliche Zusammenhang nicht überzeugend ist und alternative Ursachen ernsthaft zu erwägen sind.
Der zeitliche Zusammenhang ist danach im Fall der Klägerin nicht plausibel. Prof. Dr. K. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass es sich bei der erebellären Ataxie um eine akute Erkrankung handelt, bei der sich die klinische Symptomatik innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen entwickelt, was er durch zahlreiche Studien belegt hat. Angesichts der verwendeten Totimpfstoffe muss das Zeitintervall maximal vier Wochen betragen (also allerspätestens 31 Tage), um den kausalen Zusammenhang plausibel erscheinen zu lassen, weil eine Vermehrung und Persistenz im Körper nicht möglich ist. Hierbei besteht ein Unterschied zwischen entzündlichen Komplikationen des Gehirns und Rückenmarks, wie der hier vorliegenden Cerebellitis, und anderen neurologischen Erkrankungen, wie dem Guillain-Barré-Syndrom mit Markscheidenschädigung der peripheren Nerven, die auch später auftreten können. Dies deckt sich mit den von Prof. Dr. K. berichteten Ergebnissen seiner Literaturrecherche. Soweit Dr. H. den plausiblen zeitlichen Zusammenhang annimmt, weil er insoweit nicht zwischen den verschiedenen neurologischen Erkrankungen differenziert und generell einen Zusammenhang auch bei einer Dauer von 42 Tagen zwischen Impfung und Auftreten von Symptomen bejaht und sich hierzu auf seine eigene und eine veraltete Veröffentlichung aus 1993 stützt, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen.
Die ersten nachgewiesenen Symptome der Kleinhirnsymptomatik in Form von Kopfwackeln und Gangstörung traten nach den gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. K. gemachten Angaben der Mutter der Klägerin aber erst rund 5 bis 6 Wochen nach den Impfungen auf, was auch Dr. H. nicht in Frage stellt. Dabei ist das von der Mutter berichtete gelegentliche Einkrallen der Zehen im Sitzen Mitte Februar bei normalem Gangbild und das berichtete beidhändige Greifen nach einem Gegenstand Ende Februar in Übereinstimmung mit der Auffassung von Prof. Dr. K. nicht als neurologische Auffälligkeit anzusehen, jedenfalls nicht als persistierender Zustand Dieser Sachverständige hat zu Recht darauf verwiesen, dass Dr. L. am 08.03.2008 und der Kinderarzt G. am 10.03.2008 einen unauffälligen neurologischen Befund erhoben haben, die Klägerin nach den Angaben des Dr. L. am 08.03.2008 sogar noch "durch den Flur gerannt" ist, somit die beschriebenen Phänomene nicht ärztlicherseits dokumentiert und vorübergehender Natur waren. Damit sie als Frühsymptome zu deuten sind, hätte es aber einer eindeutigen Manifestation bedurft.
Außerdem ist eine alternative Ursache in Form von viralen Infekten vorhanden. Die cerebelläre Ataxie tritt meist im Gefolge eines viralen Infekts und extrem selten in Folge einer Impfung auf. Die Klägerin litt bereits eine Woche vor der Impfung an einem Luftwegsinfekt mit etwas Fieber und am Impftag unter einem leichten Schnupfen, wobei nach den aktuellen Richtlinien nur akute hochfieberhafte Infektionen als Ausschlussgrund für die Verabreichung von Impfungen gelten. In der Woche nach der Impfung traten Infektzeichen auf, die als Impfnebenwirkung ohne erhöhtes Risiko späterer Komplikationen zu sehen sind. Nach den Fachinformationen ist Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Fieber bei Kindern eine häufige Nebenwirkung nach der Impfung mit NeisVac-C und Fieber eine häufige Nebenwirkung von Twinrix Kinder: gelegentlich tritt auch eine Infektion der oberen Atemwege auf. Nach einer Woche war die Klägerin symptomfrei, bis dann weitere unspezifische virale Infekte auftraten. Dies entnimmt der Senat der Befragung der Mutter der Klägerin durch Prof. Dr. K ... Dass ein bestimmter Erreger nicht identifiziert wurde, steht angesichts der Vielzahl der in Frage kommenden Viren und der Tatsache, dass nur die therapeutisch bedeutsamen und häufigsten gesucht wurden, nicht entgegen. Diese zwischenzeitliche Symptomfreiheit negiert Dr. H. und gelangt so - für den Senat nicht überzeugend - zu der Bewertung einer seit der Impfung progredienten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin. Dessen Darstellung, dass diese nach der Impfung einmündend in die neurologische Symptomatik ständig kränker geworden sei, deckt sich nicht mit den aktenkundigen medizinischen Befunden.
Ein Beleg für die These des Dr. H., dass die Adjuvanten auf der Basis einer genetischen Neigung zu einer verstärkten und abnormen Immunantwort führen und damit Auslöser der Cerebellitis sein können, findet sich in dem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch Instituts Ausgabe 25/2007 nicht, vielmehr wurde gerade ein systemisches Toxizitätsrisiko durch die in den Blutkreislauf gelangten Aluminium-Mengen aus Impfstoffen ausgeschlossen. Prof. Dr. K. hat nämlich für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, dass dies auch im Falle der Klägerin gilt, die in der Vergangenheit mehrere adjuvantierte Impfungen ohne Probleme vertragen hat.
Es besteht auch kein Anspruch auf die hilfsweise beantragte Kann-Versorgung. Gemäß § 61 Satz 2 IfSG kann ein Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbe-hörde anerkannt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer über das übliche Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung und einem dauerhaften Gesundheitsschaden nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.
Die Regelung entspricht der des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG, so dass die dafür entwickelten Grundsätze auch für § 61 Satz 2 IfSG gelten (so Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 61 IfSG Rdnr. 21). Die wesentlichen rechtlichen Maßstäbe zur richtigen Anwendung der Kann-Bestimmung ergeben sich seit dem 1. Januar 2009 aus Teil C Nr. 4b der Anlage zu § 2 VersMedV (siehe oben). Danach ist eine Kann-Versorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb).
Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus (vgl. zum Folgenden Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 VJ 1702/12 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10 - Juris). Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13, sowie Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) und damit zu¬mindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). In seiner ständigen Rechtsprechung hat das BSG diesen Maßstab auf die "gute Möglichkeit" eingeschränkt (BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4 - 3200 § 81 Nr. 5).
Die abweichende Bewertung durch Dr. H. belegt nicht im Sinne einer fachwissenschaftlichen Mindermeinung mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Sie beruht zum einen auf der Annahme, bis zu 6 Wochen nach einer Impfung auftretende Symptome einer Kleinhirnentzündung stünden zu dieser in ursächlichem Zusammenhang und der nicht belegten Sachverhaltsbewertung, dass von der Mutter berichtete Verhaltensauffälligkeiten, die bereits Mitte bis Ende Februar aufgetreten seien, bereits Kleinhirnsymptome darstellten, obwohl zwei Ärzte am 08.03.2008 und zwei Tage später am 10.03.2008 einen neurologisch unauffälligen Befund erhoben haben. Zum anderen beruht seine abweichende Bewertung auf der angenommenen Toxizität der Aluminium-Adjuvantien als Auslöser übersteigerter Immunantworten. In beiden Punkten konnte der Senat sich der Auffassung dieses Sach-verständigen nicht anschließen, sondern folgt den nachvollziehbaren Darlegungen von Prof. Dr. K. aufgrund eingehender Literaturrecherche, der ob des nicht plausiblen zeitlichen Zusammenhangs eine Klassifizierung nach WHO als unwahrscheinlich (unlikely) vornahm. Die "gute Möglichkeit" wird nicht dadurch begründet, dass ein einzelner Sachverständiger eine theoretische Möglichkeit in Betracht zieht, die im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts weder empirisch belegt, benannt oder nur theoretisch in Erwägung gezogen wird (Urteil des Senats vom 13.12.2012 – L 6 VJ 1702/12 - Juris).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens aufgrund einer am 28.01.2008 durchgeführten Impfung gegen Hepatitis A und B sowie gegen Meningokokken.
Die am 19.04.2006 geborene Klägerin erhielt 2006 und 2007 die üblichen Grundimpfungen, zweimal gegen Tetanus, Diphterie, Pertussis, Haemophilus influenzae b und Pneumokokken sowie einmal gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Auffälligkeiten wurden nicht berichtet. Bei ihrer Geburt hatte sie Apgar-Werte von 9/10/10, die Vorsorgeuntersuchungen waren bis zur U6 laut Kinderuntersuchungsheft unauffällig. Eltern und sechs Geschwister sind gesund. Am 28.01.2008 wurde sie von Kinderarzt G., der sie bei Rhinitis (akuter Schnupfen) anamnestisch und klinisch infektfrei, Hals-Nasen-Ohren (HNO) ohne Befund (o. B.) fand, mit Twinrix Kinder gegen Hepatitis A und B sowie mit NeisVac-C gegen Meningokokken geimpft.
Am 08.03.2008, einem Samstag, suchte die Klägerin mit ihrer Mutter im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes Dr. L. auf. Auf dem Notfall-/Vertretungsscheins vom selben Tag vermerkte die Ärztin, die Klägerin habe nach Angaben der Mutter vor vier Tagen ein Spielzeug auf den Kopf bekommen; bisschen Durchfall, Verhaltensauffälligkeit, guter Allgemeinzustand, Temperatur 37,1°, o. B., cardiopulmonal (C/P) o. B., abdominal o. B., Schädel: kein Hämatom, kein Erbrechen (nur einmal nach Weinen), Pupillen o. B, Gang o. B., aber unsicher, hier neurologisch unauffällig. Therapie: beobachten, Kontrolle, bei Verschlechterung morgen hier. Dr. L. vermerkte: "Hier im Flur gerannt".
Am 10.03.2008 suchte die Klägerin Kinderarzt G. auf, der in der Kartei vermerkte, sie habe letzte Woche ein Spielzeug gegen die rechte Kopfseite bekommen, keine Prellmarke, keine Commotio-Zeichen, 2-3 Tage danach erbrochen, jetzt wiederholt erbrochen, hatte Fieber, jetzt ok, Vigilanz o. B., Hirnnerven o. B., Muskeleigenreflexe (MER) seitengleich o. B., Pupillenreaktion o. B. auf Licht, HNO o. B., C/P o. B., Bauch weich, DG++ - am ehesten Gastroenteritis (GE), kein Anhalt für Commotio. Vom 23.03.2008 bis 28.03.2008 befand sich die Klägerin zur stationären Abklärung im Klinikum S., O., wo die Diagnose einer Cerebellitis (Kleinhirnentzündung), vermutlich im Zuge eines Luftweginfekts, gestellt wurde. Nach Auskunft der Mutter sei die Klägerin abgesehen von einem seit 3–4 Tagen bestehenden leichten Husten und Schnupfen gesund gewesen, kein Fieber, kein Erbrechen. Der Aufnahmebefund war guter Allgemeinzustand, aktiv, horizontaler Nystagmus, sonstige Augenbewegung o. B., Pupillen beidseits reagibel, Hirnnerven orientierend intakt, deutliche Rumpf-, Stand- und Gangataxie, Intentionstremor, MER seitengleich, Tonus normal, Sensibilität soweit beurteilbar intakt, kein Meningismus. Das Kernspin des Schädels mit Lumbalpunktion zeigte fraglich eine Volumenzunahme der Kleinhirnhemisphären bei unauffälligem Liquorstatus, Liquorkultur und Erregerdiagnostik. Neuropädiater Dr. M. ging am 17.04.2008 von einer para- bzw. postinfektiösen Cerebellitis aus, die serologische Untersuchung ergab keinen spezifischen Erreger. Die folgende stationäre Behandlung im Universitätsklinikum T. (UKT) vom 05.05.2008 bis 09.05.2008 führte zur Diagnosestellung cerebelläre Ataxie bei Cerebellitis, Verdacht auf (V. a.) parainfektiöse Genese, protrahierter Verlauf. Dies beruhe auf normalen Aktivitäten der lysosomalen Enzyme, kein Nachweis antinukleärer Antikörper sowie Kalzium- und Kalium-Kanalantikörpern im Serum, keine Schwellung oder Atrophie des Cerebellums, keine Läsionen bei altersentsprechender Myelenisierung. Bei allen Bewegungsabläufen bestehe eine deutliche ataktische Komponente. Eine Hochdosis-Steroidtherapie wurde eingeleitet. Die Verlaufskontrolle am 19.06.2008 zeigte keine Besserung. Eine Immunglobulingabe blieb ohne klinischen Effekt (Arztbrief UKT vom 01.08.2008). Im November 2008 ging das UKT von ungeklärter Genese aus. Eine Urbasonstoßtherapie im Juli 2008 führte zur Besserung, im Rahmen eines unspezifischen fieberhaften Virusinfektes trat im Dezember 2008 erneut eine massive neurologische Verschlechterung ein, die sich nach Steroidpulstherapie im Januar 2009 zurückbildete. Weitere Urbasonpulse wurden im Juni 2009 und im April 2010 verabreicht.
Am 16.06.2008 meldete Kinderarzt G. dem P.-Institut den Verdacht auf eine Impfkomplikation und berichtete an den Hersteller.
Die Klägerin beantragte am 05.08.2008 beim Beklagten die Gewährung von Versorgung wegen Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Nach Einholung eines Berichts und der Befundunterlagen von Kinderarzt G. empfahl Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.11.2008 die Ablehnung des Antrags. Ein Impfschaden sei von den Behandlern, auch vom UKT, nicht in Betracht gezogen worden und angesichts von Art und Ablauf der Impfung sowie der Inkubationszeit eher unwahrscheinlich. Diese seien vielmehr von einem parainfektiösen Geschehen nach Luftwegs- bzw. Magen-Darm-Infekt ausgegangen, nachdem die Klägerin bei Wiedervorstellung beim Kinderarzt nach mehrfachem Erbrechen regelrechte neurologische Befunde gezeigt habe.
Mit Bescheid vom 24.11.2008 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Versorgung wegen eines Impfschadens ab. Die Begründung entsprach der versorgungsärztlichen Stellungnahme. Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, die Fachinformation für Twinrix Kinder und für Neisvac-C führten Erkrankungen des Nervensystems als Nebenwirkungen auf. Da keine eindeutige Ursache für die Erkrankung gefunden worden sei, sei die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Erkrankung gegeben. In der Vergangenheit sei es bei einer Frau aus Österreich nach einer Hepatitis B-Impfung zu akuter cerebellärer Ataxie gekommen (akute cerebelläre Ataxie 10 Tage nach 2. Impfung gegen Hepatitis B).
Dr. M. hielt in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 19.03.2009 die Impfung als Ursache für die Erkrankung zwar nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ausgeschlossen, andererseits könne die Impfung nicht mit der vom Gesetz geforderten Wahrscheinlichkeit als Ursache angenommen werden. Dagegen spreche der lange Zeitraum zwischen Impfung und dem Auftreten, das Auftreten eines Infekts mit neurologisch unauffälligem Befund und das Auftreten der Symptome 13 Tage nach dem Infekt. Dr. G. stimmte zu, bis zum 23.03.2008 gebe es keine Objektivierung einer neurologischen Verlaufskomplikation, die Mutter gebe erste Auffälligkeiten Mitte März nach Schlag auf den Kopf mit einem Spielzeug und einen Infekt am 20.03.2008 an. Art und Ablauf, insbesondere zeitliche Latenz, sprächen eher gegen als für einen Zusammenhang.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Impfung vom 28.01.2008 könne nicht mit der vom Gesetz geforderten hohen Wahrscheinlichkeit als Ursache der cerebellären Ataxie angenommen werden.
Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G, B und H wegen organischem Nervenleiden, Störungen der Koordination, Sprachstörung, Verhaltens-störung, seit 05.08.2008 festgestellt.
Am 04.05.2009 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Gesundheitszustand habe sich unmittelbar nach der Impfung verschlechtert. Bereits 2 Tage später sei Fieber aufgetreten. Sie habe mehrfach beim Kinderarzt angerufen, sei aber nicht durchgestellt worden. Die Anrufe seien nicht dokumentiert. Die Arzthelferin habe das Fieber als normale Reaktion bezeichnet und Fieberzäpfchen empfohlen. Das Fieber habe nicht nachgelassen, die Klägerin habe Husten und Schnupfen bekommen, sei appetitlos und geschwächt gewesen. In den Folgewochen sei es zu Übelkeit und Erbrechen gekommen. Die Klägerin habe dann begonnen, Füße und Zehen merkwürdig zu spreizen, sie habe zunehmend das Gleichgewicht verloren, geschwankt, das Gangbild sei zunehmend unsicher geworden, die Motorik des ganzen Körpers sei in Mitleidenschaft gezogen worden, ebenso das Sprachzentrum. Dies sei alles in engem zeitlichen Zusammenhang zur Impfung erfolgt. Der Zustand habe sich seitdem nur leicht verbessert, sie weise keine altersentsprechende Entwicklung auf, so dass weiterhin Behandlungen im UKT notwendig seien.
Das SG hat Prof. Dr. K., Ärztlicher Direktor der Klinik II Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums F. mit der Erstattung eines kinderärztlichen und neuropädiatrischen Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 11.07.2011 und der ergänzenden Stellungnahme vom 08.12.2012 hat der Sachverständige ausgeführt, die Mutter habe berichtet, eine Woche vor der Impfung sei die Klägerin etwas erkältet gewesen mit leichtem Fieber, am Impftag habe sie noch etwas Schnupfen gehabt. Am Tag nach der Impfung habe sie Erbrechen, Spucken und Fieber bis 38,9° C gehabt. Fieber und Durchfall seien nach etwa einer Woche abgeklungen. In der Folge sei sie symptomfrei gewesen, dann seien wieder für wenige Tage bis zu einer Woche Infektzeichen wie Durchfall, Schnupfen und Erkältung aufgetreten. Mitte Februar 2008 sei der Mutter aufgefallen, dass das Kind im Sitzen die Zehen gelegentlich eingekrallt habe. Laufen und Gangbild seien dabei normal gewesen. In der 4. Februarwoche habe sie immer wieder einmal mit beiden Händen nach Gegenständen gegriffen. Ende Februar sei sie im Wochenenddienst im O.-Hospital gewesen, habe Fieber und Durchfall gehabt, gespuckt. Zwei Tage später habe sie die Praxis G. aufgesucht, der die Symptome als Infekt gedeutet habe. Zwischen der 5. und 6. Woche nach dem Impfen sei der Mutter erstmals leichtes Kopfschütteln aufgefallen, in der 6. Woche abnorme Kopfbewegungen, Verdrehen der Augen, sie habe nicht mehr laufen können. Nach stationärer Aufnahme im O.-Hospital sei die Klägerin ohne Behandlungsvorschlag mit Aussicht auf Besserung innerhalb von vier Wochen entlassen worden; als die Besserung nicht eingetreten sei, habe die Mutter erstmals an einen Impfschaden gedacht. In der UKT sei unter Kortisontherapie allmähliche Besserung der Symptome eingetreten, zweimal habe sich die Krankheit im Rahmen einer Erkältung deutlich verschlechtert. Seit Erkrankungsbeginn werde kontinuierlich Physiotherapie, seit zwei Jahren Ergotherapie und Logopädie durchgeführt. Sie besuche einen Körperbehindertenkindergarten. Der Sachverständige hat den Entwicklungsstand als deutlich retardiert eingeschätzt. Nach dem neurologischen und psychischen Befund bestünden eine deutliche grobmotorische Koordinationsstörung der unteren Extremitäten sowie allenfalls leichte Koordinationsstörungen der oberen Extremitäten. Eine eigentliche Ataxie liege nicht mehr vor. Es bestünden schwere Entwicklungsstörungen der expressiven Sprache, eine erhebliche Störung der Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit sowie im kognitiven Bereich eine deutlich unreife Form- und Raumwahrnehmung. Bei der Klägerin liege eine akute cerebelläre Ataxie in schwerer Ausprägung vor. Dies sei eine insgesamt seltene, aber charakteristische Funktionsstörung des Kleinhirns, die besonders im Kleinkindalter bekannt sei. Sie trete meist im Gefolge eines viralen Infekts und sehr selten in Folge einer Impfung auf. Häufigster Erreger sei der Windpockenvirus, es könnten aber fast alle diagnostizierbaren Viren und andere Erreger beteiligt sein.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen vom 28.01.2008 und der frühestens fünf Wochen nach der Impfung aufgetretenen akuten cerebellären Ataxie müsse als unwahrscheinlich angesehen werden. Die alternative Ursache der zwischen der Impfung und dem Auftreten der Ataxie interkurrierenden Infekte sei sehr viel wahrscheinlicher. Es könne somit kein hinreichender Zusammenhang zwischen der Impfung und der nachfolgenden neurologischen Erkrankung hergestellt werden. Berichte über akute cerebelläre Ataxien nach Impfungen seien sehr selten. Ryan und Engle (2003) gingen davon aus, dass trotz einiger vorliegender Berichte mit engem zeitlichen Zusammenhang eine Kausalbeziehung nicht bewiesen sei. Bei Impfungen mit Totimpfstoffen komme der Feststellung eines plausiblen zeitlichen Zusammenhangs für die prinzipielle Möglichkeit einer Kausalität besondere Bedeutung zu. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht aus dem Jahr 2004 enthielten Hinweise für die Beurteilung kausaler Zusammenhänge bei neurologischen Impfschäden. Die akute cerebelläre Ataxie sei zwar nicht erwähnt, könne aber aufgrund der pathogenen Abläufe unter Enzephalitis/Enzephalopathie subsumiert werden. Die relativ neue Meningokokken-Impfung (NeisVac) sei ebenfalls nicht erwähnt. Es könnten aber analoge Schlüsse gezogen werden. Danach bestehe ein plausibler zeitlicher Zusammenhang bei - Pocken-Schutzimpfung: postvakzinale Enzephalitis/Enzephalopathie 3 Tage bis 3 Wochen nach Impfung, - Polyomyelitis-Lebendimpfung: Impfpolio 3 – 30 Tage, Guillain-Barré–Syndrom bis 10 Wochen, - Masern-Lebendimpfstoff: Krampfanfälle und Enzephalitis 7 – 14 Tage, - Influenza: Enzephalitis maximal 3 Wochen, Guillain-Barré-Syndrom bis 10 Wochen, - Pertussis-Ganzkeimvakzine: Enzephalopathie 1 – 3 Tage, - Diphterie: zentrales Nervensystem (ZNS)-Entzündung extrem selten, maximal bis 28 Tage, - Tetanus: sehr selten Meningitis 7 – 30 Tage, - Hepatitis A und B: sehr selten Guillain-Barré-Syndrom bis 10 Wochen, Enzephalitis nicht bekannt. Nach diesen Feststellungen seien entzündliche Komplikationen des Gehirns und Rückenmarks nur innerhalb von 1 – 3, maximal 4 Wochen nach der Impfung abzuerkennen, während das Guillain-Barré-Syndrom mit Markscheidenschädigung der peripheren Nerven auch noch später auftreten könne. In der Datenbank der Verdachtsfälle von Impfkomplikationen des P.-Instituts seien neben der Klägerin unter 15.706 gemeldeten Fällen nur 6 weitere Fälle akuter cerebellärer Ataxie oder Cerebellitis im Zusammenhang mit Impfungen erfasst, wobei die Erfassung keine Anerkennung eines kausalen Zusammenhangs beinhalte. Von diesen 6 stünden 4 im Zusammenhang mit dem Hepatitis B-Impfstoff in Kombination mit weiteren Impfstoffen, einer mit Twinrix Erwachsene und einer mit NeisVac. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der Ataxie betrage 1 Tag, 3 Tage und 4 Tage, in 3 Fällen fehle entweder das Impfdatum oder das Datum des Auftretens der Ataxie. Die eigene ausführliche Literaturrecherche des Sachverständigen habe Folgendes ergeben: - bei einer Massenimpfung mit Masern-Vakzine in China eine akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) unter 14,3 Millionen Geimpften am 3. Tag nach der Impfung (post vacc.) ohne akute Ataxie (Shue et al 2011); - in geschätzter Häufigkeit von 0,5 – 2 Fällen auf eine Million Geimpfte 6 Fälle von Enzephalitis oder Enzephalopathie am 4 – 24. Tag post vacc., 3 Fälle von ADEM am 7. – 20. Tag post vacc. und 6 Fälle von Guillain-Barré-Syndrom 7. -27. Tag post vacc., keine akute Ataxie (McMahon et al 2007); - 6 Fälle von Enzephalitis, 7 Fälle von ADEM bei 67,2 Millionen Impfdosen, eine Ataxie nach Masernimpfung; keine Angabe eines Zeitintervalls, diskutiert werde aber ein Intervall von 6 – 14 Tagen post vacc. (Nakayama und Onoda 2007); - ein aktueller Literaturüberblick über die postvakzinale Enzephalomyelitis schätze die Häufigkeit nach unterschiedlichen Impfungen auf 1 – 2 Fälle bei 1 Million Impfungen mit einem Zeitintervall von 1 – 2 Wochen post vacc. Die Ataxie werde nicht gesondert diskutiert (Hyunh et al 2008); - beschrieben werde der Fall eines 5-jährigen Mädchens mit akuter cerebellärer Ataxie 8 Tage nach Influenza-Impfung im Vergleich zu postinfektiösen Fällen mit einem Intervall von 1 – 21 Tagen (Saito und Yanagisawa 1989); - beschrieben werde eine akute Ataxie bei einer 26-jährigen Frau 10 Tage nach Hepatitis B-Impfung (Deisenhammer et al 1994); - beschrieben werde eine akute Ataxie bei einem 2-jährigen Kind 10 Tage nach Varizellen-Impfung. Das Kind habe sich innerhalb von 3 Wochen vollständig erholt. (Sunaga et al 1995); - unter 73 Fällen mit akuter Ataxie seien 2 Kinder gewesen, bei denen je eine Pocken- und Masernimpfung 8 und 14 Tage vorausgegangen sei. Die Kinder hätten sich innerhalb kurzer Zeit vollständig erholt (Connolly et al 1994); - In einer epidemiologischen Studie in den Niederlanden seien 45 Fälle von akuter cerebellärer Ataxie bei Kindern erfasst. Bei 15 seien Windpocken, bei 22 andere Infektionen als Ursache identifiziert worden mit einem Zeitintervall von 1 – 29 Tagen zwischen Infektion und Auftreten der Ataxie (Mittel 6). Eines der 45 Kinder habe am Tag vor der Ataxie eine Masern-Mumps-Röteln-Lebendimpfung erhalten, aber 2 Wochen zuvor an einem oberen Luftwegsinfekt gelitten. Die Datenlage zeige, dass eine akute cerebelläre Ataxie nach einer Impfung ein extrem seltenes Ereignis sei, deutlich seltener als Enzephalitis, ADEM und Guillain-Barré-Syndrom. Um eine kausale Beziehung in Betracht zu ziehen, dürfe auf der Grundlage dieser Daten ein Zeitraum zwischen Impfung und Auftreten der Ataxie von 3, maximal 4 Wochen nicht überschritten werden.
Bei der Klägerin habe eine Woche vor der Impfung ein Luftwegsinfekt mit etwas Fieber, am Impftag noch eine leichte Rhinitis, vorgelegen. Nach den Richtlinien der STIKO seien nur akute hochfieberhafte Infektionen ein Ausschlussgrund für Impfungen, ausdrücklich nicht afebrile oder subfebrile leichte Infekte. Der impfende Kinderarzt habe sich somit korrekt verhalten. Am Tag nach der Impfung und in den folgenden Wochen habe die Klägerin wiederholt Infektzeichen mit Spucken, Durchfall und Husten gezeigt. Dies könne in der ersten Woche nach der Impfung als häufige und bekannte Nebenwirkung der verabreichten Impfstoffe ohne erhöhtes Risiko späterer Komplikationen gewertet werden. Die späteren Infekte seinen hingegen als unspezifische Virusinfekte zu werten. Bei der virologischen Untersuchung im O.-Hospital seien nur die wichtigsten, auch therapeutisch relevanten Erreger einer Hirnhautentzündung erfasst worden. Ein Ausschluss jedweder Infektion sei weder möglich noch beabsichtigt gewesen.
Der erste Tag einer spezifischen Kleinhirnsymptomatik bei der Klägerin sei nicht mit einem exakten Datum zu bestimmen. Nach der Erinnerung der Mutter seien die Symptome Kopfwackeln und Gangstörung etwa 5 – 6 Wochen nach der Impfung erstmals aufgetreten. Dies decke sich mit den anamnestischen Angaben bei der stationären Aufnahme im O.-Hospital und im UKT "Mitte März". Wenn die offenbar geringe Unsicherheit in der Praxis Dr. L. am 08.03.2008 bereits als beginnende neurologische Symptomatik gedeutet werde, ergebe sich ebenfalls ein Zeitraum von 5 - 6 Wochen nach der Impfung. Das in der Klageschrift auf Mitte Februar datierte Einkrallen der Zehen und auf Ende Februar eingeordnete Greifen mit beiden Händen sei beides bei den Arztbesuchen und stationären Aufnahmen im März und April nicht dokumentiert worden und damit offensichtlich vorübergehender Natur gewesen. Diese Auffälligkeiten seien nicht als Frühsymptome der nachfolgenden cerebellären Ataxie zu deuten, sonst hätte sich diese in den nächsten Tagen und nicht erst nach Wochen eindeutig manifestieren müssen. Da die verabreichten Impfstoffe Totimpfstoffe aus Erregerbestandteilen seien, deren Vermehrung und Persistenzen im Körper nicht möglich sei, hätte eine auf den Impfstoff kausal zu beziehende neurologische Komplikation innerhalb von 3, allerspätestens 4 Wochen nach Impfung beginnen müssen.
Angesichts der gesicherten Diagnose der akuten cerebellären Ataxie – weder im MRT noch im Nervenwasser habe sich ein Hinweis auf ADEM ergeben – müsse dies nach Pathophysiologie und Verlaufsparametern von den anderen neurologischen Erkrankungen unterschieden werden. Zwar sei die tatsächliche Häufigkeit von neurologischen Komplikationen nach Impfungen nicht bekannt, die zitierten Studien erfassten aber über einen langen Zeitraum Fälle akuter cerebellärer Ataxie bei Kindern und suchten gezielt nach Auslösern. Es erscheine unwahrscheinlich, dass Eltern in dieser Situation eine vorangegangene Impfung verschwiegen hätten. Ein längeres Zeitintervall könne bei der akuten cerebellären Ataxie nicht als plausibel angesehen werden. Das längere Zeitintervall von 6 Wochen, in Ausnahmefällen 10 Wochen gelte für das Guillain-Barré-Syndrom und andere periphere postvakzinale Neuropathien, bei denen sich die klinische Symptomatik häufig schleichend entwickele und progressive Verschlechterungen über 4 Wochen akzeptiert würden. Die akute cerebelläre Ataxie sei hingegen eine akute Erkrankung, bei der sich die klinische Symptomatik wie bei der ADEM innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen entwickele.
Sowohl den Einträgen in den Krankenunterlagen des Kinderarztes, aber auch der eingehenden Befragung der Mutter durch den Sachverständigen sei zu entnehmen, dass die Klägerin keinesfalls wenige Tage nach der Impfung erkrankt und in den folgenden Wochen ständig kränker geworden sei, einmündend in die neurologische Symptomatik. Vielmehr habe die Klägerin bereits am Tag nach der Impfung Fieber gehabt, wahrscheinlich infolge der Impfung, habe sich aber in der Folge erholt, sei eine Woche symptomfrei gewesen, was sich bis in den März mehrfach wiederholt habe. Bei der kinderärztlichen Vorstellung am 08.03.2008 sei sie fieberfrei gewesen. Virusinfektionen bei Kleinkindern in den Wintermonaten seien ein außerordentlich häufiges Phänomen. Die Diagnose rezidivierender viraler Infektionen der Klägerin sei deshalb als plausible alternative Ursache für die Auslösung der akuten cerebellären Ataxie anzusehen, auch wenn im O.-Hospital kein bestimmter Erreger gefunden worden sei.
Ob das Adjuvans Aluminiumhydroxyd auf der Basis einer genetischen Neigung zu einer verstärkten und abnormen Immunantwort führen könne, sei umstritten (Weißer et al., 2009). Die Klägerin habe immerhin in der Vergangenheit mehrere Impfungen mit in gleicher Weise adjuvantiertem Impfstoff ohne Probleme vertragen.
Zusammenfassend werde nach den WHO-Kriterien die Klassifizierung "wahrscheinlicher Zusammenhang (probable/likely)" nicht erreicht, da der zeitliche Zusammenhang für die vorliegende Symptomatik nicht plausibel sei und die zwischen Impfung und Ataxie rezidivierend aufgetretenen dokumentierten viralen Infektionen als bedeutsame alternative Ursachen zu werten seien. Aufgrund des nicht plausiblen zeitlichen Zusammenhangs könne nicht einmal eine Klassifikation als möglich (possible) erfolgen. Der Zusammenhang sei als unwahrscheinlich (unlikely) zu klassifizieren.
Eine Kann-Versorgung komme nicht in Betracht, weil bezüglich der Ursache der Schädigung kein grundsätzlicher wissenschaftlicher Dissens bestehe. Die Ursache der Schädigung sei autoimmun, ein Auftreten nach Impfungen grundsätzlich bekannt, aber extrem selten. In der Literatur bestehe weitgehende Übereinstimmung, dass ein langes Intervall von 6 Wochen nur bei Erkrankungen der peripheren Nerven zu akzeptieren sei. Entscheidend für die Beurteilung dieses Falles sei der zu lange Zeitabstand zwischen Impfung und Auftreten der neurologischen Erkrankung.
Auf Antrag der Klägerin hat Dr. H. ein medizinisch-wissenschaftliches Gutachten nach Aktenlage vom 23.04.2012, ergänzt um eine Stellungnahme vom 06.08.2012, erstattet. Die Hepatitis A-Impfung sei nicht im Impfkalender für Säuglinge enthalten, nur für Hepatitis B liege eine STIKO-Empfehlung vor. Nach dem Klagevorbringen seien 2 Tage nach den Impfungen Fieber und ein reduzierter Allgemeinzustand aufgetreten, die Klägerin habe sich nur langsam erholt und in den nun folgenden Wochen seien Appetitlosigkeit, Husten, Übelkeit und Erbrechen hinzugekommen. Bereits 2,5 Wochen nach der Impfung, Mitte Februar 2008, habe die Klägerin nach Angaben der Mutter im Sitzen die Zehen gelegentlich eingekrallt. Ende Februar, also etwa 4 Wochen nach den Impfungen, sei der Mutter aufgefallen, dass die Klägerin häufiger mit beiden Händen nach Gegenständen greife, was sie zuvor nicht getan habe. Am 04.03.2008 habe die Klägerin beim Spielen einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten. In der 5. und 6. Woche nach den Impfungen sei ein abnormales Kopfschütteln aufgefallen, in der 6. Woche sei es zu abnormen Kopfbewegungen, Verdrehen der Augen und Schwierigkeiten beim Laufen gekommen.
Es sei gesicherter Kenntnisstand, dass die Hepatitis B-Impfung im Einzelfall bei entsprechend disponierten Individuen eine autoimmune Erkrankung des Nervensystems auslösen könne. Entscheidend seien hierfür die aluminiumhaltigen Adjuvantien, die lokale Entzündungs-reaktionen induzierten und damit die effektive Prozessierung und den Transport von antigenen Bestandteilen in die sekundären lymphatischen Organe unterstützten. Die Adjuvantien seien Auslöser des ASIA-Syndroms (Autoimmune Syndrome induced by Adjuvants). Mit hoher Wahrscheinlichkeit würden Autoimmunerkrankungen bei Vorliegen einer genetischen Disposition durch Impfungen ausgelöst, experimentelle Untersuchungen (Tiermodell) sprächen für den Zusammenhang. Schwere Impfschäden seien abhängig von einer speziellen Disposition des Impflings und träten so selten auf, dass sie in kontrollierten klinischen Studien nicht oder nur sehr schwer zu fassen seien. Die kontinuierliche Überwachung von seltenen schweren Impfkomplikationen sei schwierig, weil bislang unbekannte Reaktionen in zeitlicher Latenz durch die impfenden Ärzte nicht als Impfkomplikation erkannt und nicht berichtet würden. Schätzungsweise würden nur ca. 5 % der auftretenden unerwünschten Ereignisse gemeldet. Die seit 2001 bestehende gesetzliche Meldepflicht habe dies nicht nachhaltig beeinflusst. Die Datenbank des Paul-Ehrlicher-Instituts ergebe für die Ataxie 103 Verdachtsfallberichte, darunter den der Klägerin. Für die Enzephalitis gebe es 306 Verdachtsfallberichte, von denen in 48 Fällen der Hepatitis B-Impfstoff angewendet worden sei. Für den Meningokokken C-Impfstoff nach alleiniger Anwendung gebe es keine Verdachtsfallberichte.
Zum Nachweis der bei der Klägerin aufgetretenen cerebellären Enzephalitis gebe es keinen Goldstandard. Anzuwenden sei der WHO-Algorhythmus, der in den wesentlichen Überlegungen mit den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit übereinstimme. Wichtig seien die Faktoren des plausiblen zeitlichen Intervalls, der Bekanntheit der unerwünschten Reaktion und der pathophysiologischen Erklärbarkeit des Geschehens. Da Ataxien nach autoimmuner cerebellärer Enzephalitis eine Ausschlussdiagnose seien, sollten alternative Ursachen verneint worden sein.
Diese Kriterien seien im Fall der Klägerin erfüllt. Das Zeitintervall sei plausibel, denn erste sichere Anzeichen der Cerebellitis seien 5 Wochen nach der Impfung aufgetreten und für immunologische Impfkomplikationen wie Enzephalitiden oder das Guillain-Barré-Syndrom nach Anwendung inaktivierter Impfstoffe gelte derzeit ein zeitliches Intervall von wenigen Tagen bis zu 6 Wochen als plausibel. Mit diesem Zeitintervall von 42 Tagen werde auch im Paul-Ehrlicher-Institut gearbeitet (vgl. Klaus Hartmann, Brigitte Keller-Stanislawski: Rekombinante Hepatitis B-Impfstoffe und Verdachtsfälle unerwünschter Reaktionen, Bundesgesundheitsblatt 2002, 45, 355-359). Die Reaktion der autoimmunen Enzephalitis sei nach inaktiven Impfungen selten, aber bekannt, und die Pathophysiologie plausibel. Es seien keine anderen möglichen Ursachen der Erkrankung (im Sinne von zeitlich koinzidierenden Infektionen) trotz umfangreicher Untersuchungen festgestellt worden, da kein Erreger identifiziert worden sei. Die Annahme eines nicht gesicherten Infekts sei nicht statthaft, weil eine akute Impfreaktion mit Fieber und reduziertem Allgemeinzustand häufig Stunden bis wenige Tage nach der Impfung auftrete und die immunologische Reaktion zeige. Eine solche Impfreaktion könne durchaus einige Tage anhalten und einem Infekt klinisch ähnlich sehen. Vorliegend sei die Annahme eines Infekts spekulativ und ziele darauf ab, eine alternative Ursache ins Spiel zu bringen.
Prof. Dr. K. interpretiere das zeitliche Intervall nicht korrekt und nehme zu Unrecht eine alternative Ursache an.
Bei der Klägerin habe vor den Impfungen keine wesentliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes bestanden. In der Folge der Impfungen sei eine cerebelläre Enzephalitis aufgetreten. Folge dieser Hirnentzündung sei eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die sprachliche, kognitive und motorische Funktionen betreffe und zu einem komplexen Retardierungssyndrom führe. Diese autoimmune Entzündung mit Schädigung des Gehirns bedürfe einer gewissen genetischen Veranlagung und eines speziellen immunologischen Auslösers, häufig durch eine Infektion oder auch durch eine Impfung. Da beide Impfstoffe aluminiumhaltige Adjuvantien enthielten, kämen beide Produkte als Auslöser der Erkrankung in Frage und sehr wahrscheinlich habe die Gesamtmenge der Adjuvantien die entscheidende Rolle gespielt. Die Erkrankung der Klägerin sei mit Wahrscheinlichkeit durch die beiden zeitgleich verabreichten Impfungen ausgelöst worden.
Durch die generalisierte Schädigung der Hirnentwicklung sei derzeit von einem GdS von 80 auszugehen, wie vom Versorgungsamt festgestellt. Dies gelte ab Februar 2008.
Eine Kann-Versorgung komme in Betracht, wenn über die Ursache einer Erkrankung in der medizinischen Wissenshaft Unklarheit bestehe. Dazu müsse ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Gesundheitsstörung und Impfung bestehen und nach mindestens einer nachvollziehbaren wissenschaftlichen Lehrmeinung müssten Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung sprächen. Es dürfe nicht nur die theoretische Möglichkeit, sondern eine "gute" Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet habe, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden könne. Dies sei vorliegend der Fall. Die Erkrankungszeichen seien durch eine Hirnentzündung ausgelöst, die durch eine adjuvantierte Impfung vorkommen könne. Unklar sei, warum bei manchen Menschen das Immunsystem mit einer autoimmunen Reaktion auf Impfungen reagiere.
Der Beklagte ist mit den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. G. vom 23.05.2012 und 13.09.2012 dem Gutachten entgegengetreten. Nach dem Kenntnisstand des Robert-Koch-Instituts (Epidemiologisches Bulletin Ausgabe 25/2007) gebe es keine Evidenz für einen ursächlichen Zusammenhang von cerebellärer Ataxie und Hepatitis A/B/-Meningokokken-Impfung. Nach Kenntnisstand des Robert-Koch-Instituts sei die Aufnahme von Aluminium mit Adjuvantien in Impfstoffen im Vergleich zur Aufnahme im Trinkwasser, Lebensmitteln oder Antacida gering und birge kein systemisches Toxizitätsrisiko. Da eine Beurteilung mit Wahrscheinlichkeit möglich sei, komme eine Kann-Versorgung nicht in Frage.
Mit Urteil vom 21.03.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Gericht folge den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. K. auf der Grundlage des herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und nicht dem Gutachten des Dr. H ... Die verschiedenen neurologischen Krankheitsbilder müssten sauber getrennt werden. Die interkurrenten Infekte bildeten eine plausible alternative Ursache.
Die Klägerin hat gegen das am 02.04.2013 zugestellte Urteil am 30.04.2013 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Das Gutachten von Prof. Dr. K. sei nicht plausibel, aber das von Dr. H ...
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. März 2013 und den Bescheid vom 24. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr eine akute cerebelläre Ataxie als Folge der Impfung mit NeisVac-C und Twinrix Kinder am 28. Januar 2008 festzustellen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Infektionsschutzgesetz, hilfsweise als Kann-Versorgung, zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für richtig.
Der Senat hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 03.06.2014 abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 151, 143, 144 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der akuten cerebellären Ataxie als Folge einer Impfung sowie auf Gewährung von Versorgungsleistungen ist § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund des IfSG angeordnet wurde oder gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer durch diese Maßnahme eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.
Unter weiterer Berücksichtigung der im Sozialen Entschädigungsrecht und mithin auch im Bereich des IfSG geltenden allgemeinen Grundsätze bedarf es für die von der Klägerin begehrte Feststellung somit der folgenden Voraussetzungen (vgl. dazu auch Urteile des Senats vom 21.02.2013 - L 6 VJ 4771/12 - und vom 20.06.2013 - L 6 VJ 599/13):
Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R, terminologisch anders noch die Rechtsprechung des BSG nach dem Bundesseuchengesetz, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde, so z. B. BSGE 60, 58, 59).
Die Schutzimpfung muss nach der im Sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausa-litätstheorie von der wesentlichen Bedingung wesentliche Ursache für den Eintritt der Impfkomplikation und diese wesentliche Ursache für die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, den Impfschaden, sein. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.
Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog. Vollbeweis - feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (§ 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (BSGE 60, 58). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis-standes zu beantworten, auch wenn ein bestimmter Vorgang unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat (BSG SozR 3-3850 § 52 Nr. 1 S. 3).
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im Sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS]) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (siehe nur BSG SozR 4-3250 § 69 Nr. 9). Die AHP sind in den Bereichen des Sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Die AHP enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen (2005 bis 2008) unter den Nrn. 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 2005 sind Ende 2006 allerdings aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden:
"Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergeb-nisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Standard der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Absatz 1 der Anhaltspunkte) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von § 60 IfSG durchzuführen. Siehe hierzu auch Nr. 35 - 52 (S. 145 - 169) der Anhaltspunkte."
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes anders als die AHP keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern enthält, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - a. a. O.).
Bei der Klägerin liegt eine schwere akute cerebelläre Ataxie bzw. eine Cerebellitis vor. Dies entnimmt der Senat den Gutachten von Prof. Dr. K. und Dr. H. sowie den Entlassungsberichten des O.-Hospitals und des UKT. Weder im MRT noch im Nervenwasserbefund fanden sich hingegen Hinweise auf eine ADEM (Akute Disseminierte Enzephalomyelitis), so dass die diesbezügliche Diskussion beider Erkrankungen, wie dies Dr. H. verfolgt hat, nicht nachvollziehbar ist. Darauf hat Prof. Dr. K. zu Recht hingewiesen. Die am 28.01.2008 durchgeführten Impfungen gegen Hepatitis B und gegen Meningokokken entsprachen den Empfehlungen der STIKO Stand Juli 2007.
In Auswertung der Befundunterlagen und der beiden im Klageverfahren erstatteten Gutachten besteht zur Überzeugung des Senats kein wahrscheinlicher Zusammenhang zwischen den Impfungen der Klägerin mit NesVac-C und Twinrix Kinder und der später aufgetretenen akuten cerebellären Ataxie. Nach dem vom SG von Amts wegen eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K. ist ein wesentlich ursächlicher Zusammenhang zwischen den am 28.01.2008 verabreichten Impfungen gegen Meningokokken C sowie Hepatitis A und B und der cerebellären Ataxie im Kindesalter nicht hinreichend wahrscheinlich. Zwar werden auf der Fachinformation des Herstellers für Twinrix Kinder Nebenwirkungen aus der Anwendungserfahrung nach der Markteinführung in Form von Erkrankungen des Nervensystems, Enzephalitis, Enzephalopathie, Neuritis, Neuropathien und Krampfanfällen berichtet. Auch nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts Ausgabe 25/2007 treten nach Impfungen mit Hepatitis-A/Hepatitis-B-Impfstoff in der medizinischen Fachliteratur in Einzelfällen neurologische Störungen (Meningitis, Enzephalitis, Enzephalopathie, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom) auf, wobei ein ursächlicher Zusammenhang als fraglich bezeichnet wird. Für den ursächlichen Zusammenhang sind nach den insoweit übereinstimmenden Darlegungen beider Sachverständiger drei Voraussetzungen zu prüfen: Es muss ein plausibler zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Krankheitssymptome vorliegen, plausible alternative Ursachen sind zu diskutieren und die Pathophysiologie muss plausibel sein.
Die Pathophysiologie ist vorliegend nachvollziehbar, denn die autoimmun verursachte Funktionsstörung des Kleinhirns kann nach medizinischen Erkenntnissen durch virale Infektionen oder einen Impfstoff ausgelöst werden. Sie ist aber allein nicht ausreichend, wenn der zeitliche Zusammenhang nicht überzeugend ist und alternative Ursachen ernsthaft zu erwägen sind.
Der zeitliche Zusammenhang ist danach im Fall der Klägerin nicht plausibel. Prof. Dr. K. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass es sich bei der erebellären Ataxie um eine akute Erkrankung handelt, bei der sich die klinische Symptomatik innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen entwickelt, was er durch zahlreiche Studien belegt hat. Angesichts der verwendeten Totimpfstoffe muss das Zeitintervall maximal vier Wochen betragen (also allerspätestens 31 Tage), um den kausalen Zusammenhang plausibel erscheinen zu lassen, weil eine Vermehrung und Persistenz im Körper nicht möglich ist. Hierbei besteht ein Unterschied zwischen entzündlichen Komplikationen des Gehirns und Rückenmarks, wie der hier vorliegenden Cerebellitis, und anderen neurologischen Erkrankungen, wie dem Guillain-Barré-Syndrom mit Markscheidenschädigung der peripheren Nerven, die auch später auftreten können. Dies deckt sich mit den von Prof. Dr. K. berichteten Ergebnissen seiner Literaturrecherche. Soweit Dr. H. den plausiblen zeitlichen Zusammenhang annimmt, weil er insoweit nicht zwischen den verschiedenen neurologischen Erkrankungen differenziert und generell einen Zusammenhang auch bei einer Dauer von 42 Tagen zwischen Impfung und Auftreten von Symptomen bejaht und sich hierzu auf seine eigene und eine veraltete Veröffentlichung aus 1993 stützt, vermag dies den Senat nicht zu überzeugen.
Die ersten nachgewiesenen Symptome der Kleinhirnsymptomatik in Form von Kopfwackeln und Gangstörung traten nach den gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. K. gemachten Angaben der Mutter der Klägerin aber erst rund 5 bis 6 Wochen nach den Impfungen auf, was auch Dr. H. nicht in Frage stellt. Dabei ist das von der Mutter berichtete gelegentliche Einkrallen der Zehen im Sitzen Mitte Februar bei normalem Gangbild und das berichtete beidhändige Greifen nach einem Gegenstand Ende Februar in Übereinstimmung mit der Auffassung von Prof. Dr. K. nicht als neurologische Auffälligkeit anzusehen, jedenfalls nicht als persistierender Zustand Dieser Sachverständige hat zu Recht darauf verwiesen, dass Dr. L. am 08.03.2008 und der Kinderarzt G. am 10.03.2008 einen unauffälligen neurologischen Befund erhoben haben, die Klägerin nach den Angaben des Dr. L. am 08.03.2008 sogar noch "durch den Flur gerannt" ist, somit die beschriebenen Phänomene nicht ärztlicherseits dokumentiert und vorübergehender Natur waren. Damit sie als Frühsymptome zu deuten sind, hätte es aber einer eindeutigen Manifestation bedurft.
Außerdem ist eine alternative Ursache in Form von viralen Infekten vorhanden. Die cerebelläre Ataxie tritt meist im Gefolge eines viralen Infekts und extrem selten in Folge einer Impfung auf. Die Klägerin litt bereits eine Woche vor der Impfung an einem Luftwegsinfekt mit etwas Fieber und am Impftag unter einem leichten Schnupfen, wobei nach den aktuellen Richtlinien nur akute hochfieberhafte Infektionen als Ausschlussgrund für die Verabreichung von Impfungen gelten. In der Woche nach der Impfung traten Infektzeichen auf, die als Impfnebenwirkung ohne erhöhtes Risiko späterer Komplikationen zu sehen sind. Nach den Fachinformationen ist Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Fieber bei Kindern eine häufige Nebenwirkung nach der Impfung mit NeisVac-C und Fieber eine häufige Nebenwirkung von Twinrix Kinder: gelegentlich tritt auch eine Infektion der oberen Atemwege auf. Nach einer Woche war die Klägerin symptomfrei, bis dann weitere unspezifische virale Infekte auftraten. Dies entnimmt der Senat der Befragung der Mutter der Klägerin durch Prof. Dr. K ... Dass ein bestimmter Erreger nicht identifiziert wurde, steht angesichts der Vielzahl der in Frage kommenden Viren und der Tatsache, dass nur die therapeutisch bedeutsamen und häufigsten gesucht wurden, nicht entgegen. Diese zwischenzeitliche Symptomfreiheit negiert Dr. H. und gelangt so - für den Senat nicht überzeugend - zu der Bewertung einer seit der Impfung progredienten Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin. Dessen Darstellung, dass diese nach der Impfung einmündend in die neurologische Symptomatik ständig kränker geworden sei, deckt sich nicht mit den aktenkundigen medizinischen Befunden.
Ein Beleg für die These des Dr. H., dass die Adjuvanten auf der Basis einer genetischen Neigung zu einer verstärkten und abnormen Immunantwort führen und damit Auslöser der Cerebellitis sein können, findet sich in dem Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch Instituts Ausgabe 25/2007 nicht, vielmehr wurde gerade ein systemisches Toxizitätsrisiko durch die in den Blutkreislauf gelangten Aluminium-Mengen aus Impfstoffen ausgeschlossen. Prof. Dr. K. hat nämlich für den Senat überzeugend darauf hingewiesen, dass dies auch im Falle der Klägerin gilt, die in der Vergangenheit mehrere adjuvantierte Impfungen ohne Probleme vertragen hat.
Es besteht auch kein Anspruch auf die hilfsweise beantragte Kann-Versorgung. Gemäß § 61 Satz 2 IfSG kann ein Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbe-hörde anerkannt werden, wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer über das übliche Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung und einem dauerhaften Gesundheitsschaden nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht.
Die Regelung entspricht der des § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG, so dass die dafür entwickelten Grundsätze auch für § 61 Satz 2 IfSG gelten (so Meßling in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 61 IfSG Rdnr. 21). Die wesentlichen rechtlichen Maßstäbe zur richtigen Anwendung der Kann-Bestimmung ergeben sich seit dem 1. Januar 2009 aus Teil C Nr. 4b der Anlage zu § 2 VersMedV (siehe oben). Danach ist eine Kann-Versorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb).
Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus (vgl. zum Folgenden Urteil des Senats vom 13.12.2012 - L 6 VJ 1702/12 - Juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.11.2011 - L 4 VJ 2/10 - Juris). Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993 - 9/9a RV 41/92 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995 - SozR 3-3200 § 81 Nr. 13, sowie Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr. 5) und damit zu¬mindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). In seiner ständigen Rechtsprechung hat das BSG diesen Maßstab auf die "gute Möglichkeit" eingeschränkt (BSG, Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4 - 3200 § 81 Nr. 5).
Die abweichende Bewertung durch Dr. H. belegt nicht im Sinne einer fachwissenschaftlichen Mindermeinung mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs. Sie beruht zum einen auf der Annahme, bis zu 6 Wochen nach einer Impfung auftretende Symptome einer Kleinhirnentzündung stünden zu dieser in ursächlichem Zusammenhang und der nicht belegten Sachverhaltsbewertung, dass von der Mutter berichtete Verhaltensauffälligkeiten, die bereits Mitte bis Ende Februar aufgetreten seien, bereits Kleinhirnsymptome darstellten, obwohl zwei Ärzte am 08.03.2008 und zwei Tage später am 10.03.2008 einen neurologisch unauffälligen Befund erhoben haben. Zum anderen beruht seine abweichende Bewertung auf der angenommenen Toxizität der Aluminium-Adjuvantien als Auslöser übersteigerter Immunantworten. In beiden Punkten konnte der Senat sich der Auffassung dieses Sach-verständigen nicht anschließen, sondern folgt den nachvollziehbaren Darlegungen von Prof. Dr. K. aufgrund eingehender Literaturrecherche, der ob des nicht plausiblen zeitlichen Zusammenhangs eine Klassifizierung nach WHO als unwahrscheinlich (unlikely) vornahm. Die "gute Möglichkeit" wird nicht dadurch begründet, dass ein einzelner Sachverständiger eine theoretische Möglichkeit in Betracht zieht, die im Epidemiologischen Bulletin des Robert-Koch-Instituts weder empirisch belegt, benannt oder nur theoretisch in Erwägung gezogen wird (Urteil des Senats vom 13.12.2012 – L 6 VJ 1702/12 - Juris).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved