L 4 AS 12/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 35 AS 1581/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 12/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. März 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 2. Januar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2012 aufgehoben. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Aufhebungsentscheidung.

Die im Jahr 1980 geborene hilfebedürftige Klägerin erhielt von der Beigeladenen bis Ende Oktober 2011 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII (zuletzt Bescheid v. 8.8.2011), wobei als Kosten der Unterkunft eine Monatsmiete von 431,71 EUR berücksichtigt wurde. Ab Anfang November 2011 erhielt sie auf im Oktober 2011 gestellten Antrag hin vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt (Bescheid v. 24.10.2011), wobei wiederum als Kosten der Unterkunft monatlich 431,71 EUR berücksichtigt wurden. Mit Schreiben vom 29. August 2011 hatte der Vermieter der Klägerin dieser mitgeteilt, dass zu ihren Gunsten ein Betriebskostenguthaben in Höhe von 318,01 EUR entstanden sei, welches mit der Oktobermiete 2011 verrechnet werde; dies ist auch tatsächlich geschehen (vgl. Kontoauszug vom 11.10.2011). Die Klägerin teilte dies der Beigeladenen nicht mit. Wann der Beklagte von diesem Sachverhalt erfuhr, ist unklar.

Mit Bescheid vom 2. Januar 2012 setzte der Beklagte die Leistungen für November 2011 neu fest, wobei er von geringeren Kosten der Unterkunft in Höhe von 113,70 EUR ausging. Der Bescheid vom 24. Oktober 2011 werde teilweise in Höhe von 318,01 EUR aufgehoben. Über mögliche Rückzahlungsforderungen ergehe ein gesonderter Bescheid.

Die Klägerin erhob Widerspruch, der mit Bescheid vom 18. April 2012 zurückgewiesen wurde: Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung sei nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben. Die Mietzahlungspflicht der Klägerin sei im Oktober 2011 aufgrund der Betriebskostengutschrift gemindert gewesen. Dies habe gemäß § 22 Abs. 3 SGB II ihren Leistungsanspruch im Folgemonat November 2011 entsprechend reduziert.

Der Widerspruchsbescheid ist am 18. April 2012 zur Post gegeben worden. Am 19. Mai 2012 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben: § 22 Abs. 3 SGB II sei hier nicht anwendbar, da sie im Zeitpunkt der Betriebskostenerstattung noch nicht einmal einen Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt habe.

Mit Urteil vom 28. März 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Gründen heißt es, die Aufhebung der Bewilligung für den Monat November 2011 finde ihre rechtliche Grundlage in § 40 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Der Bewilligungsbescheid vom 24. Oktober 2012 sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da der der Klägerin am 5. Oktober vom Vermieter gutgeschriebene Betrag kein (Schon-)Vermögen gewesen sei, sondern nach der Spezialregelung in § 22 Abs. 3 SGB II im Folgemonat November 2011 ihren Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft gemindert habe; die Klägerin könne sich daher nicht darauf berufen, im Zuflussmonat noch keine Leistungen nach dem SGB II bezogen zu haben. Die zuviel erbrachten Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten.

Das Urteil ist der Klägerin am 10. Mai 2013 zugestellt worden. Am 10. Juni 2013 hat sie Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 6. Januar 2014 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Die Klägerin hält § 22 Abs. 3 SGB II in ihrem Fall nicht für anwendbar.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Hamburg vom 28. März 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 2. Januar 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.

Die Beigeladene unterstützt die Rechtsauffassung des Beklagten in Bezug auf § 22 Abs. 3 SGB II. Sie hatte zunächst vorgetragen, eine Rückforderung von Leistungen für den Monat Oktober 2011 sei nicht beabsichtigt, da dies zu einer doppelten Belastung der Klägerin und zu einer doppelten Entlastung des kommunalen Trägers führen würde. Mittlerweile hat die Beigeladene vorsorglich ebenfalls einen Rückforderungsbescheid erlassen mit dem Vorbehalt, dass dieser aufgehoben werden soll, falls der Rückforderungsanspruch des Beklagten gerichtlich bestätigt wird.

Die Sachakten des Beklagten und der Beigeladenen haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach entsprechendem Beschluss des Senats zulässig. Sie ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte den Bescheid vom 2. Januar 2012 und den Wider-spruchsbescheid vom 18. April 2012 aufheben müssen, weil diese rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Daran ändert sich unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsschutzbedürfnisses nichts dadurch, dass die Klägerin jedenfalls gegenüber der Beigeladenen zur Rückzahlung überzahlter Sozialhilfe verpflichtet werden kann.

Die Bewilligungsentscheidung vom 24. Oktober 2011 hätte nicht – sei es nach § 48 oder nach § 45 SGB X – aufgehoben werden dürfen. Der Klägerin standen für den Monat November 2011 nicht, wie in den Bescheiden angenommen, geringere Kosten der Unterkunft wegen eines im Oktober 2011 mit der Miete verrechneten Betriebskostenguthabens zu. Dies ergibt sich auch nicht aus der hier allein zu erwägenden Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II. Danach mindern zwar Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder Gutschrift. Das kann jedoch dann nicht gelten, wenn der Betroffene im Monat der Rückzahlung noch gar nicht Leistungsempfänger nach dem SGB II gewesen ist. Man würde ihn nämlich so dem Regime dieses Gesetzes unterwerfen und entsprechende Vermögensdispositionen von ihm verlangen, obwohl eine solche Notwendigkeit noch gar nicht feststeht. Der Senat versteht § 22 Abs. 3 SGB II als bloße Anrechnungsregelung, die den kommunalen Träger durch Zuweisung der Rückzahlung auf die von ihm aufgebrachten Kosten von Unterkunft und Heizung entlasten soll (vgl. Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 22 Rn. 143). Diese systeminterne Abgrenzung von Agentur für Arbeit einerseits und kommunalem Träger andererseits geht jedoch ins Leere, wenn im Zuflussmonat kein Leistungsbezug nach dem SGB II besteht.

Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass auch die Beigeladene berechtigt ist, für Oktober 2011 eine Überzahlung zurückzufordern, sie also möglicherweise doppelt in Anspruch genommen werden würde. Dass die Beigeladene hier das Vorgehen des Beklagten ausdrücklich billigt und daher von einer eigenen Rückforderung zunächst absehen wollte bzw. diese nun ausdrücklich unter Vorbehalt stellt, ändert nichts an der grundsätzlichen Pro¬blematik einer Anwendbarkeit von § 22 Abs. 3 SGB II in Fällen der vorliegenden Art. Denn die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Beklagten kann nicht vom Verhalten einer dritten Behörde abhängig sein.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 193 und § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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