L 5 KR 81/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 598/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 81/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 50/15 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ambulante Liposuktion zählt nicht zum Leistungsbereich der Gesetzlichen Krankenversicherung
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Liposuktion im Bereich der unteren und oberen Extremitäten im Rahmen der Kostenerstattung hat. Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 05.01.2011 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Liposuktion im Bereich der unteren und oberen Extremitäten im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung. Mit dem Antrag legte sie ein Attest des Facharztes für Dermatologie Dr. G. R. vor, in dem dieser ausführt, dass die Klägerin seit 2005 in seiner Behandlung wegen eines Lipödems sei. Die Situation belaste die Klägerin schwer. Die Klägerin scheue sich insbesondere Badeanzüge oder kurze Hosen zu tragen. Es bestehe eine ausgeprägte Hämatomneigung an den Beinen sowie Schmerzhaftigkeit. Auch im Bereich der Arme sei ein Lipödem aufgetreten mit zunehmender Verschlechterungstendenz. Auch manuelle Lymphdrainage sowie das Tragen von Kompressionsstrümpfen hätten keine nachhaltige Besserung der Erkrankung gebracht. Auch Diätmaßnahmen könnten das Krankheitsbild eines Lipödems nicht verbessern, da die Gewichtsreduktion überwiegend in anderen Körperbereichen erfolge. Medizinisch indiziert und Erfolg versprechend sei in diesem Fall eine Liposuktionsbehandlung. Die Indikation ergebe sich sowohl aus der Schmerzhaftigkeit des Lipödems und den damit verbundenen Einschränkungen als auch aufgrund der durch die Erkrankung bedingten psychosozialen Beeinträchtigungen und des psychischen Leidensdrucks. Am 07.03.2011 erstellte der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ein Gutachten nach Aktenlage. In diesem Gutachten führt der MDK aus, dass es sich bei dem bei der Klägerin vorliegenden Lipödem um eine chronische Erkrankung handle. Es wird charakterisiert durch eine meist in der Pubertät beginnende, symmetrische Fettgewebsvermehrung, die mit Ödemen einhergehe. Neben dem dadurch verursachten Spannungs- und Schweregefühl an Ober- und Unterschenkeln finde sich eine ausgeprägte Berührungs- und Druckschmerzhaftigkeit sowie eine auffallende Hämatomneigung nach Bagatelltraumen. Bei dem bei der Klägerin vorliegenden Lipödem mit schmerzhafter Symptomatik handle es sich um einen Befund von Krankheitswert im Sinne des SGB V. Als etabliertes Therapieverfahren des Lipödems sei die lebenslange komplexe physikalische Entstauungstherapie zu nennen. Diese Therapie sei bereits mehrfach bei der Klägerin angewandt worden. Durch diese konservative Behandlung der Patienten mit Lipödemen könnten deutliche Verbesserungen bei den betroffenen Patienten erzielt werden. Bezüglich der Liposuktion stünde eine Validierung dieses therapeutischen Vorgehens durch aussagekräftige Studien noch aus. Ebenso lägen keine verlässlichen Aussagen zu Langzeiteffekten vor. Mit Bescheid vom 10.03.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme ab, dabei bezog sie sich in ihrer Begründung inhaltlich im Wesentlichen auf die Ausführungen des MDK in dessen Gutachten vom 07.03.2011. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die bisher durchgeführten manuellen Lymphdrainagen hätten keinen sichtbaren Erfolg gebracht. Im Gegenteil, das Krankheitsbild habe sich sogar noch verschlechtert. Inzwischen sehe sich die Klägerin auch einem sehr starken psychischen Leidensdrucks aufgrund der Erkrankung ausgesetzt. In einem weiteren Gutachten nach Aktenlage vom 27.04.2012 führte der MDK aus, dass es über die physikalische Entstauungstherapie hinaus keiner Behandlung durch Liposuktion bedürfe. Es sei bislang nicht durch wissenschaftliche aussagekräftige Studien nachgewiesen, dass es durch die Liposuktion zu einer Verbesserung der Beschwerden kommt. Darüber hinaus läge auch keine Vergleichsstudie zwischen konservativen und operativen Therapieverfahren vor. Somit sei bislang nicht sicher nachgewiesen, ob durch eine operative Fettreduktion der Progredienz der Erkrankung auf Dauer entgegengewirkt werden könne. Darüber hinaus habe auch durch eine erfolgte Operation nur bei 25 % der behandelten auf weitere Lymphdrainage und Kompressionsverhandlungen verzichtet werden können, wohingegen es bei 75 % der behandelten Personen weiterer regelmäßiger physikalischer Maßnahmen bedurft habe. Zusammenfassend bestehe keine medizinische Notwendigkeit der beantragten Liposuktion. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Zur Begründung der Klage hat die Klägerin im Wesentlichen ausgeführt, dass es zurzeit noch keine kausale Behandlungsmethode für die Behandlung des Lipödems gebe. Alle konservativen Methoden seien bei ihr bereits voll ausgeschöpft. Seit 2005 hätten diese zu keinem sichtbaren Erfolg geführt. Es sei sogar noch zu einer Verschlimmerung der Beschwerdesymptomatik gekommen. Dies würden auch die dem Gericht übersandten Fotos zeigen. Auch treibe die Klägerin regelmäßig Sport und habe ihr Gewicht um mehr als 25 kg reduziert. Die Operation sei die einzige Möglichkeit die Erkrankung adäquat zu behandeln. Das Sozialgericht Würzburg hat mit Urteil vom 28.01.2014 die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung. Es sei zwar unstrittig, dass die Klägerin an einer behandlungsbedürftigen Krankheit leide, die stationäre Durchführung einer Liposuktion gehöre jedoch nicht zum Leistungsspektrum der GKV. Die Liposuktion im Rahmen einer stationären Behandlung entspreche nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse. Ein solcher Standard sei jedoch auch für eine stationäre Behandlung erforderlich. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Es liege unstreitig eine behandlungsbedürftige Krankheit vor. Am 20.3.2014 habe die Patientenvertretung gem. § 140f SGB V einen Antrag auf Überprüfung der Methode Liposuktion bei Lipödem nach § 135 Abs.1 und § 137c SGB V beim Gemeinsamen Bundesausschuss gestellt. Dieser habe mit Beschluss vom 22.5.2014 ein Beratungsverfahren eingeleitet. Damit sei die Argumentation des Sozialgerichts nicht mehr haltbar, dass die Liposuktion zur Behandlung des Lipödems nicht dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Am 26.5.2014, 29.9.2014 und 3.11.2014 habe die Klägerin die Liposuktion ambulant von Dr. S. durchführen lassen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 28.01.2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten der am 26.5.2014, 29.9.2014 und 3.11.2014 durch Dr. S. durchgeführten Liposuktion freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zunächst auf die aus ihrer Sicht zutreffende Begründung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg. Da die Liposuktion von der Klägerin mittlerweile durchgeführt worden sei, komme einem möglichen zukünftigen positiven Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses auf das vorliegende Verfahren keine Bedeutung zu. Maßgeblich sei die Sach- und Rechtslage bei zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung. Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluss angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, welche sämtlich Gegenstand der Entscheidung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz, SGG) der Klägerin ist nicht begründet. Der Senat durfte nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden. Der Senat hält die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

1. Das Klagebegehren der Klägerin ging zunächst dahin, dass die Beklagte ihr die Liposuktion im Rahmen der Sachleistung zur Verfügung stellt und die Klägerin nicht mit den Kosten hierfür belastet wird. Ob bei dem Wechsel des Antrags der Klägerin vom reinen Sachleistungsanspruch zu einem Erstattungsanspruch insoweit nur eine Konkretisierung des Klagebegehrens im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 SGG anzunehmen ist (so BSG Urt. v. 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R) oder eine Klageänderung, mag dahinstehen, weil die Änderung des ursprünglichen Sachleistungsantrags in einen Kostenfreistellungsantrag jedenfalls eine im Sinne von § 99 Abs. 1 SGG sachdienliche Klageänderung darstellt, der auch die Beklagte nicht widersprochen hat.

Da ein (nachträglicher) Kostenerstattungsanspruch stets die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags zum Inhalt hat, muss grundsätzlich ein bezifferter Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt. Auch bei einem Antrag auf Kostenfreistellung handelt es sich um eine Leistungsklage, die der Höhe nach beziffert werden muss (vgl. nur BSG v. 17.03.2005 - B 3 KR 35/04 R - Die Leistungen Beilage 2005, 373-380). Vorliegend wurde nicht ausdrücklich ein bezifferter Kostenerstattungsanspruch gestellt. Aus den vorgelegten Honorarvereinbarungen, kann jedoch hinreichend geschossen werden, dass die Klägerin Kostenfreistellung in Höhe von 13.010,14 EUR begehrt.

2. Dieser Kostenfreistellungsanspruch reicht jedoch nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st Rspr, vgl. zuletzt BSG Urt. v. 7.5.2013 - B 1 KR 8/12 R). Dies ist hier nicht der Fall. Wie zuletzt auch das LSG Hessen mit Urteil vom 29.01.2015 - L 8 KR 339/11 ausgeführt hat, besteht kein Anspruch auf eine ärztliche Liposuktion, da die streitige Behandlung nicht dem Qualitäts- und Wissenschaftsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entspricht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der GBA mit Beschluss vom 22. Mai 2014 nunmehr ein Beratungsverfahren zur Bewertung der Liposuktion bei Lipödem eingeleitet hat. Selbst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss im Ergebnis zu einer Positivempfehlung kommen sollte, könnte sich die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht darauf berufen. Maßgeblich ist, ob ein Leistungsanspruch zum Zeitpunkt der Behandlung bestanden hat, spätere Änderungen zugunsten der Versicherten genügen nicht (LSG Thüringen, Beschluss v. 06.08.2014 - L 6 KR 645/14 B; vgl. auch Brandts in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V Rn. 53). Das gesetzliche Verbot neuer Behandlungsmethoden im ambulanten Bereich § 135 SGB V hat im Interesse der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung den Sinn, den Versicherten und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen Maßnahmen zu schützen. Mit diesem Ziel wäre es nicht zu vereinbaren, wenn nachträglich die Kosten für eine Therapie zu erstatten wären, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Zeitpunkt der Behandlung nicht festgestanden hatten (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Februar 2000 - Az.: B 1 KR 18/99 B, nach juris Rn. 9).

Anhaltspunkte für einen Anspruch der Klägerin nach den Grundsätzen eines Systemversagens sind nicht erkennbar. Ein Systemversagen liegt nur vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Behandlungs- und Untersuchungsmethode durch den GBA darauf zurückzuführen ist, dass das erforderliche Verfahren beim GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 26.9.2006, Az. B 1 KR 3/06 R, Rdnr. 24, zitt. nach Juris; Bundessozialgericht, von Urteil vom 07.11.2006, Az. B 1 KR 24/06 R, Rdnr. 18, zitt. nach Juris). Auf Antrag der Patientenvertreter hat der GBA mit Beschluss vom 22.05.2014 beschlossen, ein Bewertungsverfahren nach §§ 135 Abs. 1 und 137c SGB V zur Liposuktion bei Lipödem einzuleiten und den Unterausschuss "Methodenbewertung" mit der Durchführung der Bewertung beauftragt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die antragsberechtigten Stellen aus willkürlichen oder sachfremden Erwägungen nicht früher einen Antrag im Hinblick auf die Behandlung von Lipödem mittels Liposuktion gestellt haben (Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.5.2012, Az. B 1 KR 78/11 B, Rdnr. 6, zitt. nach Juris). Zwar mag die Liposuktion von Ärzten großflächig angeboten werden und auch in der bereits genannten Leitlinie erwähnt worden sein. Gleichwohl erlauben die bisherigen Studien keine verlässliche Nutzen-Risiko-Abwägung. Auf der Grundlage der Recherche der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes, "Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen" mit Stand vom 6.10.2011 ist davon auszugehen, dass die Liposuktion zur Therapie des Lipödems und des Lymphödems noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion ist und weitere (randomisierte) Studien erforderlich sind.

Schließlich liegt auch keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V vor, die den Anspruch der Klägerin begründen könnte.

Die Berufung wird im Übrigen aus den überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts vom 28.01.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird nach § 153 Abs. 2 SGG abgesehen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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