S 2 SO 119/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 119/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.2014 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerin Sozialhilfe nach dem 3. Kapitel des SGB XII gemäß Antrag vom 24.04.2013 ohne Anrechnung des Wertes des Skoda Fabia als Vermögen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung ergänzender Sozialhilfeleistungen zu ihrer Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit.

Die am 00.00.1958 geborene Klägerin bezog seit 1989 Leistungen der Arbeitsverwaltung. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50, wobei der höchste Einzelwert auf einer seelischen Erkrankung beruht. Sie lebt alleine, nachdem ihr Lebensgefährte, mit dem sie 21 Jahre zusammen gelebt hatte, im Jahre 2010 durch Suizid verstorben ist. Die Klägerin hat ihren Lebensgefährten seinerzeit sterbend vorgefunden. Seit dem 01.05.2013 bezog die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 31.10.2014. Ab dem 01.11.2014 erhält die Klägerin wieder Leistungen nach dem SGB II.

Am 24.04.2013 beantragte sie ergänzend zu ihrer Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit Leistungen der Sozialhilfe. Die Gewährung von Leistungen lehnte die Beklagte ab, da die Klägerin über Vermögen jenseits der Freigrenze in Form eines Skoda Fabia (Baujahr 2011) mit einem Wert von 7000 Euro liege. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie benötige das Auto zum Einkaufen. Sie wohne sehr abgelegen und habe wegen ihrer Knie- und Wirbelsäulenbeschwerden eine GdB von 50. Da der Bezug von Sozialhilfe hier nur vorübergehend sei, sei die Verwertung des PKW nicht zumutbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2014 wies der Kreis I den Widerspruch zurück. Neben einem Sparvermögen von 963,03 Euro verfüge die Klägerin über einen Skoda Fabia Kombi, Baujahr 2011, mit einem Wert von mindestens 7.000 Euro. Nach § 90 SGB XII sei das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Der Freibetrag von 2.600 Euro sei überschritten. Die Verwertung des Vermögens stelle keine Härte dar. Die Klägerin habe zwar eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 50, jedoch sei ihr weder das Merkzeichen "G" noch "aG" zuerkannt worden. Auch die Spaziergänge mit dem Hund sprächen dagegen, dass ihr es nicht zumutbar sei, zu Fuß zu gehen.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie wiederholt ihren Standpunkt. Seit Anfang 2014 sei sie nun auch noch ehrenamtlich für die Diakonie tätig. Für den weiteren Sachvortrag wird auf die Schriftsätze der Klägerin Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Kreises I vom 03.04.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr gemäß Antrag vom 24.04.2013 Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt auch sie ihren bisherigen Standpunkt. Im Wesentlichen trage die Klägerin vor, den PKW für Einkaufsfahrten zu benötigen. Nun trage sie erstmals vor, auch ehrenamtlich tätig zu sein.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens und die beigezogene Akte S 15 SB 288/13, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs.2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist im Sinne von § 54 Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.04.2014 ist rechtswidrig und die Klägerin insoweit in ihren Rechten verletzt.

Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe nach dem 3. Kapitel ohne Anrechnung ihres Skoda Fabia als Vermögen.

Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 27 SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Eigene Mittel sind gemäß § 27 Abs.2 SGB XII insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen.

Einzusetzen ist nach § 90 SGB XII das gesamte verwertbare Vermögen. Die Sozialhilfe darf nach § 90 Abs.2 SGB XII nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung 1. eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird, 2. eines Ka-pitals einschließlich seiner Erträge, das der zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde, 3. eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken behinderter (§ 53 Abs. 1 Satz 1 und § 72) oder pflegebedürftiger Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde, 4. eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen, 5. von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind, 6. von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde, 7. von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wis-senschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist, 8. eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes, 9. kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen.

Die Sozialhilfe darf gemäß § 90 Abs.3 SGB XII ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.

Hiervon ausgehend fällt der PKW zwar nicht unter eine der in § 90 Abs.2 SGB XII enumerativ aufgezählten Konstellationen. Die Verwertung des PKW wäre im vorliegenden Fall jedoch unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles eine unzumutbare Härte, weil die Klägerin absehbar nur vorübergehend Leistungen nach dem 3. Kapitel beziehen und mit Wiederaufleben ihrer Erwerbsfähigkeit im November 2014 wieder auf ein Auto angewiesen war bzw. dieses im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II bis zu einem Wert von 7.500 Euro geschütztes Vermögen im Sinne des § 12 Abs.3 Nr.2 SGB II ist, während PKW im SGB XII grundsätzlich kein geschütztes Vermögen sind. Dieser Unterschied zwischen dem SGB II und dem SGB XII ergibt sich strukturell grundsätzlich daraus, dass die Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII regelmäßig nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind und auch nicht mehr sein werden. Insoweit ist dann eine Verwertung des PKW zumutbar, da er regelmäßig nicht mehr aus beruflichen Gründen benötigt wird. Eine Besonderheit bildet hier die Gruppe der vorübergehend erwerbsgeminderten Personen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie demnächst wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können. Dabei schaffen das SGB II und das SGB XII auch noch innerhalb dieser Gruppe eine Ungleichheit, indem vorübergehend erwerbsunfähige Personen in einer Bedarfsgemeinschaft nicht Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII sondern Sozialgeld nach § 19 Abs.1 S.2 SGB II erhalten, was sich dann auf die Pflicht zur Verwertung eines PKW unterschiedlich auswirkt. Hätte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in einer gemischten Bedarfsgemeinschaft mit einem Leistungsbezieher nach dem SGB II gelebt, so hätte sie Sozialgeld nach § 19 Abs.1 S.2 SGB II beziehen können. Das Fahrzeug hätte dann durch die Bedarfsgemeinschaft nicht verwertet werden müssen.

Die Tatsache, dass das Fahrzeug in dieser vorübergehenden Situation nur von einem Alleinlebenden verwertet werden soll, der Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII beziehen möchte, während es in der Bedarfsgemeinschaft, wenn diese nicht gerade über mehrere Autos verfügt, geschütztes Vermögen bleibt, ist kaum zu rechtfertigen. Hierin könnte letztlich eine ungerechtfertigte Schlechterstellung von Alleinlebenden liegen. Gerade der Alleinlebende, der im Falle des späteren Leistungsbezugs nach dem SGB II Ansparungen nur aus einem Regelsatz vornehmen kann, während Paare gemeinsam nutzbare Gegenstände wie Auto oder Fernseher oder Waschmaschine aus annähernd zwei Regelsätzen ansparen können, wird sich kaum noch ein Fahrzeug zusammensparen können, obwohl es nach der Wertung des Gesetzgebers in § 12 Abs.3 Nr.2 SGB II als zwecks Arbeitsaufnahme schützenswertes Vermögen bewertet wird. Insoweit kommt hier wegen des nur befristeten Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII die Annahme eines Härtefalls in Betracht, indem die Klägerin weggeben soll, was sie alsbald wieder benötigen wird. Jedenfalls ist im konkreten Einzelfall unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Verwertung unzumutbar. Insbesondere sind die ländliche Situation in Hiddenhausen und der Aspekt zu berücksichtigen, dass die Klägerin, die den Suizid ihres langjährigen Lebensgefährten miterleben musste, soziale Kontakte pflegen und aufbauen können muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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