L 13 AS 1587/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 1956/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 1587/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrags nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) streitig.

Die 1950 geborene Klägerin wohnt im Erdgeschoss eines in ihrem Eigentum stehenden Gebäudes in den Räumlichkeiten einer ehemaligen Gaststätte. Im 1. Obergeschoß befindet sich eine Wohnung, in der bei der erstmaligen Antragstellung der Klägerin im Jahr 2011 ihr Sohn sowie ihre eigene pflegebedürftige Mutter jeweils zwei Zimmer bewohnt hatten. Mittlerweile ist die Mutter der Klägerin verstorben und ihr Sohn bewohnt - nach Angaben der Klägerin - nur noch ein Zimmer in dieser Wohnung. Das Grundstück ist 1115 qm groß. Laut Verkehrsgutachten von März 2012 beträgt der Wert der Immobilie und des Grundstücks 65.000,- EUR, dem noch eine Belastung in Höhe von ca. 90.000,- EUR gegenüber steht. Durch die Vermietung von Räumlichkeiten an ihren Sohn verfügt die Klägerin laut ihren Angaben über monatliche Mieteinnahmen in Höhe von 180,- EUR. Sie bezieht seit Ende 2011 SGB II-Leistungen von dem Beklagten, zuletzt von Januar 2013 bis März 2013 in Höhe von 690,24 EUR (Bescheid vom 20. September 2012), wobei ihr neben der Regelleistung auch Nebenkosten (87,35 EUR) und Zinsen (286,67 EUR) gewährt werden. Eine Vermittlung der Klägerin in Arbeit ist zuletzt nicht erfolgreich gewesen.

Am 23. August 2012 vermerkte der Beklagte die Ergebnisse einer fachaufsichtlichen Prüfung. Dabei sei festgestellt worden, dass die Klägerin nach damaligen Sachstand verpflichtet sei, ab 1. Juni 2013 eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen (§ 12a Satz 2 Nr. 1 SGB II) und dass eine Rentenauskunft einzuholen sei.

Ausweislich einer Information der Deutschen Rentenversicherung (DRV) R. vom 13. September 2012 (Bl. 240 V-Akte) beträgt die abschlagsfreie Regelaltersrente der Klägerin ab dem 21. September 2015 628,00 EUR monatlich. Ein Bezug der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit sei frühestens ab 1. Juni 2013 möglich, wobei deren monatlicher Zahlbetrag im Verhältnis zur Regelaltersrente je Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme um 0,3 % gekürzt würde (d.h. insgesamt um 7,2 %).

Nachdem eine Integration in den Arbeitsmarkt nicht erfolgte, forderte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 5. März 2013 auf, bis zum 20. März 2013 einen Rentenantrag zu stellen. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt das Schreiben nicht. Die Klägerin lehnte die Antragstellung mit der Begründung ab, die hohen Abschläge für die Rente seien nicht zumutbar.

Auf ihren Weitergewährungsantrag bewilligte der Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 3. April 2013 SGB II Leistungen in Höhe von monatlich 599,07 EUR für April bis September 2013.

Mit weiterem Schreiben vom 3. April 2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, er habe ersatzweise einen formlosen Antrag auf geminderte Altersrente für sie bei der DRV B. gestellt. Unbeschadet dessen sei sie verpflichtet, einen förmlichen Antrag auf Altersrente zu stellen. Sie solle den Antrag spätestens bis zum 19. April 2013 stellen, ansonsten werde die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz entzogen.

Die Klägerin erhob durch ihre Prozessbevollmächtigte am 9. April 2013 Widerspruch gegen den "Bescheid vom 05. März 2013" und teilte mit, sie habe das 63. Lebensjahr noch nicht beendet. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass sie -infolge einer Eingliederungsvereinbarung vom 25. Juni 2013- am Projekt "Perspektive 50plus" teilnehme und sich aktiv um eine Arbeitsaufnahme bemühe. Es sei auch unberücksichtigt geblieben, dass sie bereits ab 1. Oktober 2015 eine Altersrente ohne Abschläge in Anspruch nehmen könne. Mit der vorgezogenen Altersrente sei sie hingegen lebenslang auf ergänzende Sozialhilfeleistungen angewiesen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 zurück. Es lägen keine Ausnahmetatbestände nach der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente vom 14. April 2008 (UnbilligkeitsVO) vor. Ausschlaggebend sei § 12a SGB II als Ausformung des Subsidiaritätsprinzips, wonach jeder für die Sicherung seines Lebensunterhalts in erster Linie verantwortlich sei.

Am 29. Mai 2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie trägt vor, die Unbilligkeitsverordnung sei nicht abschließend. Eine Aufforderung zum Rentenantrag sei nur dann zulässig, wenn im Rahmen einer Ermessensentscheidung geprüft werde, ob in diesem Fall überhaupt zur Antragstellung aufgefordert werden soll. Diese Pflicht gelte zusätzlich zu den Bestandsschutzregelungen. Es sei nicht ausreichend, wenn der Beklagte lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen des Bestandsschutzes nach § 65 Abs. 4 SGB II und die Fälle der UnbilligkeitsVO prüfe, so dass ein Ermessensausfall, schon zum "Ob" der Aufforderung, vorliege. Es müsste die individuelle Interessenlage der Klägerin und nicht nur pauschalierte Versicherteninteressen berücksichtigt werden, weshalb eine Ermessensfehlgewichtung vorliege. Ergänzend hat sie vorgetragen, bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente sei sie wegen fortwährender Bedarfsunterdeckung dauerhaft auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) angewiesen, was andernfalls vermeidbar wäre.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten; man habe das Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Ein Ermessensfehler sei nur bei einem atypischen Fall gegeben, der hier nicht vorliege. Leistungsberechtigte Personen seien nach dem SGB II grundsätzlich zur Selbsthilfe verpflichtet (§ 2 SGB II). Es sei zumutbar, einen Antrag auf geminderte Altersrente zu stellen, auch wenn dies zu Rentenabschlägen führe. Unter Abwägung dieser Gründe hätten die persönlichen Interessen der Klägerin nicht berücksichtigt werden können, wobei das Anstellen von Ermessenserwägungen zudem im Gerichtsverfahren nachholbar sei. Ergänzend hat er vorgetragen, auch bei späterer Inanspruchnahme der Altersrente könne ein Bezug von Leistungen nach dem SGB XII nicht vermieden werden.

Das SG hat am 24. Februar 2014 einen Erörterungstermin durchgeführt und die Beteiligten dort zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Rechtsgrundlage für die Aufforderung des Beklagten an die Klägerin, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, sei § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach könnten Leistungsträger einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte einen solchen Antrag trotz Aufforderung nicht selbst stellt. Auch die Aufforderung zur Stellung des Rentenantrags stehe im Ermessen des Leistungsträgers. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II setze dabei eine Pflicht des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen, wie z.B. der Rente, voraus. Diese bereits zuvor in §§ 5, 7 und 9 SGB II vorausgesetzte Pflicht zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen werde durch § 12a SGB II konkretisiert, wie die BT-Drs. 16/7460 S 12 zu § 12a belege. § 12a SGB II betreffe unter Berücksichtigung von § 65 Abs. 4 SGB II alle Leistungsberechtigten, die nach dem 1. Januar 2008 das 58. Lebensjahr vollendet haben. Gemäß § 12a Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II seien Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sei. Bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres gelte dies aber nicht für eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente. Auch nach Vollendung des 63. Lebensjahres müsse eine Rente ausnahmsweise dann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden, wenn dies eine "Unbilligkeit" im Sinne der (auf Grundlage von § 13 Abs. 2 SGB II mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 erlassenen) UnbilligkeitsVO darstelle. Nach der gesetzlichen Konzeption stelle die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente den Grundsatz und die fehlende Pflicht bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres bzw. bei Unbilligkeit die Ausnahme dar. Das SG hat dabei u.a. auf die BT-Drs 16/7460 S 12 zu § 13 sowie das LSG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2013, Az. L 19 AS 291/13 B ER, juris Rn. 19, 20 verwiesen. Die Klägerin habe am 22. Mai 2008 (also nach dem 1. Januar 2008) das 58. Lebensjahr und am 22. Mai 2013 das 63. Lebensjahr vollendet. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei bisher gescheitert und es liege kein Fall von §§ 2 bis 5 UnbilligkeitsVO vor. Das gelte auch für § 3 UnbilligkeitsVO, der eine Inanspruchnahme einer Rente dann für unbillig erklärt, wenn der Hilfebedürftige in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann. Ausweislich der Verordnungsbegründung sei mit "in nächster Zukunft" ein Zeitraum von längstens drei Monaten gemeint, der auch mit einer abschlagsfreien Rente ab dem l. Juni 2015 deutlich überschritten werde.

Es könne vorliegend dahinstehen, ob ein weiterer Ausnahmefall anzunehmen sei, soweit der Betreffende gerade aufgrund der mit der vorzeitigen Inanspruchnahme verbundenen Abschläge dauerhaft hilfebedürftig nach dem SGB II oder dem SGB XII bliebe. Denn selbst wenn die in der UnbilligkeitsVO genannten Fälle nicht abschließend wären und ein weiterer Ausnahmefall vorliegen sollte, wenn der Betreffende aufgrund der mit der vorzeitigen Inanspruchnahme verbundenen Abschläge dauerhaft hilfebedürftig nach dem SGB II oder dem SGB XII bliebe, sei hier ein solcher Fall nicht ersichtlich. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass eine zukünftige Hilfebedürftigkeit dadurch vermieden werden könne, dass die Klägerin noch bis zur abschlagsfreien Rente im SGB II-Bezug steht. Nach Auskunft der DRV vom 12. November 2013/18. Februar 2014 belaufe sich die monatliche Rente der Klägerin bei einer Beantragung im März 2013 auf brutto ca. 615,00 EUR und netto 552,00 EUR. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Rentenabzug von 7,2% die wirtschaftliche Lage der Klägerin verschlechtern würde. Eine wesentliche Erhöhung des Rentenbetrags von 628,00 EUR (Stand September 2012) durch die Anrechnungszeiten wegen SGB II-Bezugs ist nicht zu erwarten. Selbst bei einer Steigerung der Rentenhöhe auf circa 670,00 EUR würde der Brutto-Abschlag (von 7,2 %) 48,24 EUR betragen und die Netto-Differenz wäre noch geringer. Die Klägerin sei weder mit den SGB II-Leistungen noch mit der abschlagsfreien Rente in der Lage, die Belastungen der Immobilie zu tragen und ihre Schulden zu verringern. Dazu würden auch die sehr niedrigen Mietzahlungen ihres Sohnes beitragen. Eine relevante Schlechterstellung durch die frühere Inanspruchnahme der Rente sei dabei nicht erkennbar. Da keine Ausnahmefälle vorlägen, sei die Klägerin zur Beantragung der vorzeitigen Rente verpflichtet gewesen. Deshalb habe der Beklagte sie auch zur Stellung des Rentenantrags auffordern dürfen. Der von der Klägerin angenommene Ermessensausfall wegen fehlender Prüfung einer späteren Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II/SGB XII liege nicht vor. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt sei, nach ihrem Ermessen zu handeln, sei ein Verwaltungsakt gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) rechtswidrig, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) hätten die Leistungsträger das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Auf pflichtgemäße Ermessensausübung bestehe nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I ein Anspruch.

Es sei schon fraglich, ob die etwaige spätere Hilfebedürftigkeit eine Frage des Tatbestands oder des Ermessens darstelle (LSG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2013, Az. L 19 AS 291/13 B ER, juris Rn. 28). In letzterem Fall müssten dann aber sämtliche Fälle der UnbilligkeitsVO neben dieser Hilfebedürftigkeitsprüfung im Rahmen des Ermessens geprüft werden und als gesetzliche Anordnung einer Ermessensreduzierung auf Null angesehen werden. Die Prüfung der Hilfebedürftigkeit führe nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis.

Auch wenn in den angefochtenen Bescheide nicht ausdrücklich auf ausgeübtes Ermessen eingegangen worden sei, dürfte bereits die Prüfung der UnbilligkeitsVO eine Ermessensausübung darstellen, die auch nach dem Wortlaut des Widerspruchsbescheids gerade deshalb erfolgt sei, um eine subjektive Unbilligkeit zu vermeiden. Zusätzlich sei in den Ausführungen im Widerspruchsbescheid zum Projekt "Perspektive Plus" eine Ermessensausübung dahingehend erkennbar, dass eine Vergleichbarkeit mit der in § 4 UnbilligkeitsVO geregelten Erwerbstätigkeit geprüft werde. Auch in den Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip, die in Kenntnis der Rentenabschläge erfolgen, sei nach Überzeugung des Gerichts eine Ermessensausübung erkennbar. Ein "Nachschieben" von Ermessensgründen, soweit die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII relevant wäre, sei daher bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung möglich gewesen.

Gegen den ihr am 5. März 2014 zugestellten Gerichtsbescheid vom 28. Februar 2014 hat die Klägerin mit eingegangenem Schreiben vom 8. April 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist sie zunächst auf ihr bisherigen Vorbringen, dass sie vertieft. Ferner seien die Erwägungen des SG zu den Schulden- und Immobilienbelastungen spekulativ und im Hinblick auf den sozialhilferechtlichen Bedarf unerheblich. Die Daten zur Altersrente seien erst im Klageverfahren erhoben worden und hätten bei Erlass der streitgegenständlichen Aufforderung noch gar nicht vorgelegen. Dies könne auch nicht im Widerspruchsbescheid nachgeholt werden, da ein Nachschieben von Gründen nur bei einer bereits getroffenen Ermessensentscheidung in Betracht kommt. Der von dem Beklagten gestellte Rentenantrag sei im Zuge des Folgenbeseitigungsanspruchs zurückzunehmen. Ergänzend verweist sie auf ein Missverständnis zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung in der Aufforderung selbst hin und den Charakter als Schonvermögen bei einer eigengenutzten Immobilie. Ermessensgesichtspunkte seien letztlich weder in den angefochtenen Bescheiden erkennbar noch von der ersten Instanz ausreichend thematisiert worden, da eine Wiederholung allgemeiner Erwägungen nicht genüge. Mit der vorzeitige Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente führe die Klägerin ihre Bedürftigkeit erst herbei und riskiere angesichts zumindest grober Fahrlässigkeit einen dortigen Leistungsausschluss.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Karlsruhe vom 28. Februar 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 5. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung und den angefochtene Gerichtsbescheid rechtmäßig seien und verweist zur Begründung auf ihre bisherigen und die dortigen Ausführungen. Es sei von vornherein nur eine unverzügliche Rentenantragstellung mit Blick auf den Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahres gemeint gewesen, die die Bearbeitungszeiten berücksichtige. Es habe von Beginn an eine - später dann aktualisierte - Rentenauskunft vorgelegen. Eine zukünftige Hilfebedürftigkeit hänge von vielen Faktoren ab und sei im Hinblick auf die Klägerin auch von einer etwaigen Veräußerung ihrer Immobilie abhängig. Ob eine spätere Hilfsbedürftigkeit eintrete, sei vorliegend keine Ermessensfrage. Ausnahmetatbestände als Grundlage für eine atypische Ermessensausübungen hätten nicht vorgelegen.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, denn sie hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide und darauf, dass der für sie gestellten Rentenantrag vom Beklagten zurückgezogen wird. Auch ein Anspruch auf eine erneute Ermessensausübung durch den Beklagten steht ihr nicht zu. Die Aufforderung der Beklagten zur Rentenantragstellung ist nicht zu beanstanden.

Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 5. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2013. Mit diesem wird die Klägerin zur Beantragung vorrangiger Leistungen, mithin einer Beantragung einer geminderten Altersrente bei der zuständigen DRV, aufgefordert. Da die Klägerin sich strikt gegen eine solche Aufforderung wendet, ist zutreffende Klageart die Anfechtungsklage. Da es ihr nicht um eine Neubescheidung, sei es mit konkretem Ausspruch oder unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts geht, scheidet eine darüber hinaus gehende Verpflichtungsklage aus. Ob die Rücknahme des bereits vom Beklagten für die Klägerin gestellten Rentenantrags ein Annex im Falle der Beanstandung der Aufforderung darstellt, kann dahinstehen, da bereits die Anfechtung des Bescheides vom 5. März 2011 vorliegend nicht erfolgreich ist und der Beklagte dies für den Fall einer erfolgreichen Anfechtung in der mündlichen Verhandlung bereits angeboten hatte.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen den angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von der Beklagten ausgesprochene Aufforderung dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf deren Aufhebung hat. Dies hat das SG in nicht zu beanstandender Würdigung der Sach- und Rechtslage nachvollziehbar und ausführlich begründet im angegriffenen Gerichtsbescheid dargelegt und der Klage daher zutreffend abgewiesen. Der Senat nimmt auf die diesbezüglichen Ausführungen des SG zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug, macht sich diese aufgrund eigener Überprüfung und Überzeugungsbildung - auch unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin uneingeschränkt- vollinhaltlich zu eigen und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Die Berufung wird daher aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen.

Im Hinblick auf das Vorbringen im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend sowie zum anzuwendenden Rechtsmaßstab folgendes auszuführen:

Anhaltspunkte dafür, dass sich vorliegend ausnahmsweise die Wahlmöglichkeit der Beklagten auf eine einzige Alternative reduziert, weil alle anderen Entscheidungen ermessensfehlerhaft wären (sog. Ermessensreduzierung auf Null), liegen nicht vor (vgl. S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 12a Rdnr. 10). Eine solche Ermessensreduzierung auf Null, vorliegend in dem Sinne keine Aufforderung auszusprechen, kommt bei erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter in Betracht; daneben kann sich eine solche Ermessensreduzierung auch durch die Einwirkung von Grundrechten und sonstigen Verfassungssätzen ergeben. Solches Verfassungsrecht wie auch erhebliche Gefahren für wesentliche Rechtsgüter sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Entscheidungsoptionen des Beklagten waren gerade nicht auf eine einzige denkbare Entscheidung, die von der Klägerin begehrte unterlassen Aufforderung, verdichtet.

Verbleibt dem Beklagten demnach sein ihm gesetzlich eingeräumte Ermessensspielraum in vollem Umfang, so hat sich die gerichtliche Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes auf die Frage zu beschränken, ob der Beklagte bei der Ermessensbetätigung die Grenzen seins Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Eine weitergehende Inhaltskontrolle findet durch den Senat nicht statt (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Eine Berücksichtigung einer ermessenslenkenden (Verwaltungs-) Vorschrift wie hier der UnbilligkeitsVO durch den Beklagten begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken. Die Bestimmung einer einheitlichen Handhabung des Ermessens der nachgeordneten Behörden durch Verwaltungsrichtlinien einer vorgesetzten Behörde ist rechtlich unbedenklich; denn das Ermessen ist nicht nur der einzelnen Behörde, sondern auch "der Verwaltung" eingeräumt, um dieser einen Handlungsspielraum zur Entwicklung eigener Entscheidungsprogramme und -maßstäbe zu gewähren (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., § 7 Rdnr. 14). Darüber hinaus kommt eine solche generelle Ermessensausübung durch Ermessensrichtlinien dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegen (Maurer a.a.O.). Das ihm eingeräumte Ermessen gerade auch im hier zu entscheidenden Fall hat der Beklagte ausweislich der Ausführungen spätestens mit den weiteren Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 auch erkannt und dargelegt.

Aus den vom SG genannten Gründen hat er sich vor allem auf die dort aufgezählten Fälle beschränkt, die zwar nach zutreffender Auffassung nicht abschließend sind und lediglich exemplarischen Charakter haben. Die in § 5 Abs 3 S. 1 SGB 2 zugunsten des Grundsicherungsträgers eingeräumte Befugnis zur Stellung von Anträgen auf Leistungen eines anderen Trägers anstelle eines Grundsicherungsempfängers führt jedoch entsprechend der obergerichtlichen Rechtsprechung im Regelfall zur Pflicht des Grundsicherungsempfängers, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Das in der Vorschrift eingeräumte Ermessen dient dann als intendiertes Ermessen im Wesentlichen dazu, im Einzelfall besonderen Gründen Rechnung tragen zu können, die ein Abweichen vom Regelfall geboten erscheinen lassen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. November 2014 – L 10 AS 2254/14 B ER –, juris). Allerdings ist vorliegend eine von der Klägerin begehrte Atypik ihres Falles gerade nicht gegeben. Sie hat auch keinen Anspruch darauf, dass in ihrem Falle sämtliche, von ihr genannte Aspekte zumindest in die Erwägungen der Ermessensprüfung vor Bescheiderlass einfließen. Denn es ist zumindest nicht Teil dieses Verfahrens, die Verwertung der eigengenutzte Immobilien weiter als geschehen zu thematisieren.

Bei der zur Ausgestaltung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses geschaffene UnbilligkeitsVO als ermessenslenkende Weisung hat die Beklagte bei jeder Aufforderung eine Abwägung zwischen den Interessen des Leistungsbeziehers einerseits an einer zu seinen Gunsten möglichst späten Realisierung des Rentenbegehrens und andererseits des öffentlichen Interesses des subsidiären SGB II-Bezugs zu beachten. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt nur vor, wenn die Behörde bei der Ausübung des Ermessens die gesetzlichen Zielvorstellungen nicht beachtet oder die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend in ihre Erwägungen miteinbezieht (Ermessensunterschreitung). Ein solcher letztgenannter Ermessensfehler liegt hier nicht vor.

Maßgeblich ist vielmehr entsprechend der gesetzgeberischen Konzeption, einen Leistungsbezug zu beenden, wenn andere Träger vorrangig in Anspruch genommen werden können. Eine weitere Auseinandersetzung mit einer etwaigen zukünftigen Hilfebedürftigkeit ist nicht vorzunehmen. Der von der Klägerin dargelegte Entwurf von Nutzungskonzeptionen für die eigengenutzte Immobilie ist nicht bechtlich. Die Aufforderung des Leistungsträgers gemäß § 12a SGB II, vorzeitig eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen, ist regelmäßig ermessensfehlerfrei, wenn der Auszahlungsbetrag der geminderten Altersrente über dem SGB II-Bedarf liegt und Anhaltspunkte für eine besondere Härte nicht ersichtlich sind (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Oktober 2014 – L 4 AS 448/14 B ER –, juris; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Februar 2015,- L 8 AS 1232/14 ER, juris). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Eine belastbare Information der Deutschen Rentenversicherung (DRV) R. vom 13. September 2012 (Bl. 240 V-Akte) hat bereits vor der Aufforderung zur Antragstellung vorgelegen. Anders als etwa in der Entscheidung des Senats vom 27. Januar 2015, Az., L 13 AS 4299/14, juris, sind auch rentenwertsteigenden Faktoren in belastbarer Form (dort: Neubewertung von Erziehungszeiten zum 1. Juli 2014 ("Mütterrente") nicht dargetan, die zwingend in die Abwägungen hätten einbezogen werden müssen. Zwar ist etwa auch zu berücksichtigen, dass die zu beantragende Leistung bei späterer Antragstellung in nächster Zukunft höher ausfallen würde, weil weitere Anwartschaftszeiten sich nicht nur unerheblich auswirken (S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 12a Rdnr. 10). Im Hinblick darauf ist von der Klägerin jedoch nicht konkret dargetan, woher eine etwaige Erhöhung des Rentenzahlbetrags herrühren könnte. Eine genauere Berechnung ist dabei zumindest nicht Aufgabe des Senats. § 3 UnbilligkeitsV, wonach die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente unbillig ist, wenn der Leistungsberechtigte in nächster Zukunft die Altersrente abschlagsfrei in Anspruch nehmen kann, stellt auf einen Zeitraum von längstens drei Monaten ab (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. Mai 2013 – L 19 AS 291/13 B ER –, juris). Mit dieser Vorgabe setzt sich die Klägerin angesichts eines dazwischenliegenden Zeitraums von ca. zwei Jahren (je nach Rentenart) nicht auseinander.

Auch eine Verletzung verfassungsrechtlich geschützter Rechte liegt weder in der Aufforderung zur Rentenantragstellung noch in der zugrunde liegenden gesetzlichen Systematik (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04. Dezember 2014 – L 7 AS 1775/14 –, juris).

Der Beklagte hat sein Ermessen somit vorliegend rechtsfehlerfrei ausgeübt. Da der angefochtene Gerichtsbescheid nicht zu beanstanden ist, weist Senat die Berufung des Beklagten zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit ihrer Rechtsverfolgung keinen Erfolg hatte. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 197a SGG Rdnr. 3; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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