L 3 SB 3370/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 2548/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3370/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).

Bei dem am 01.06. 1964 geborenen Kläger hatte das Landratsamt Enzkreis (LRA) als Versorgungsamt mit Bescheid vom 10.09.2001 einen GdB von 30 und mit Bescheid vom 30.04.2010 einen GdB von 50 - diesen seit dem 07.01.2010 - festgestellt.

Am 22.03.2012 beantragte der Kläger, den GdB neu festzustellen. Er legte unter anderem das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. A. vom 06.12.2011 aus einem Rentenstreitverfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) vor. Das LRA zog weitere Untersuchungsbefunde bei. Mit Bescheid vom 26.04.2012 lehnte es die Feststellung eines höheren GdB ab. In der dem Bescheid zugrundeliegende Stellungnahme vom 09.04.2012 berücksichtigte der versorgungsmedizinische Dienst als Behinderung "Depression, Seelische Störung, Kopfschmerzsyndrom, Ohrgeräusche beidseits" mit einem (Einzel-)GdB von 50.

Den Widerspruch des Klägers wies das Landesversorgungsamt des Beklagten mit Bescheid vom 03.07.2012 zurück.

Aus diesem Grund hat der Kläger am 16.07.2012 Klage zum SG erhoben. Er hat vor allem auf die ärztliche Begutachtung durch Dr. A. in dem Rentenstreitverfahren verwiesen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugenvernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die Angaben von Dr. B. und Dr. C. Bezug genommen.

Sodann hat das SG von Amts wegen den Kläger bei dem Psychiater Dr. D. begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 23.08.2013 ausgeführt, bei dem Kläger handle es sich um eine mittelgradige depressive Episode und eine generalisierte Angststörung. Eine zusätzliche somatoforme Störung liege nicht vor, auch nicht eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Der Tinnitus sei im Hinblick auf die originär psychischen Beeinträchtigungen nachrangig. Auf physischem Gebiet seien keine Beeinträchtigungen festzustellen, auch die Merk- und Konzentrationsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt. Auf psychischem Gebiet finde sich eine mäßige Absenkung der Stimmungslage und eine mittelgradige Absenkung des Antriebs sowie diffuse Ängste. In der sozialen Leidensdimension sei ein gewisser Rückzug in die Familie zu verzeichnen. Insgesamt habe der Beklagte den GdB zutreffend mit 50 festgestellt.

Daraufhin hat das SG auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein Gutachten bei dem Psychiater Dr. E. erhoben. Dieser hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.04.2014 - nur - eine Dysthymie diagnostiziert. Eine deutliche depressive Komponente sei allenfalls in Ansätzen festzustellen. Das chronische Erschöpfungssyndrom beruhe auf der Persönlichkeitsstruktur (hypochondrisch ausgebaute Erlebnisstörungen) und nicht mitgeteilten Lebensumständen. Die Zuerkennung eines GdB von 50 sei relativ üppig, eine höhere Festsetzung könne nicht erfolgen.

Gestützt auf die Ausführungen der beiden Sachverständigen hat das SG sodann die Klage mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 23.07.2014 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 11.08.2014 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben. Er trägt vor, er habe seit 15 Jahren den GdB von 50 und sei Gesundheitszustand habe sich seitdem verschlechtert, weshalb eine Höherbewertung nötig sei. Er verweist erneut auf die Ausführungen in dem Gutachten Dr. A ...

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juli 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 26. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03. Juli 2014 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 60 seit dem 22. März 2012 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Berufungsakten des Rentenstreitverfahrens (L 4 R 2829/12) beigezogen und zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht.

Der Berichterstatter des Senats hat den Kläger mit Hilfe eines Dolmetschers persönlich angehört und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 20.04.2015 verwiesen. In jenem Erörterungstermin haben sich beide Beteiligte mit einer Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Über die Berufung entscheidet im Einvernehmen mit beiden Beteiligten der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), weswegen auch die ehrenamtlichen Richter nicht zu beteiligen sind (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 155 Rn. 11).

2. Die Berufung ist statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 151 SGG), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewiesen, mit welcher der Kläger die Verurteilung zur behördlichen Feststellung eines GdB von wenigstens 60 begehrt hat. Der GdB ist mit 50 zutreffend festgestellt.

Die rechtlichen Voraussetzungen der Zuerkennung eines GdB nach § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die einzelnen medizinischen Anforderungen an die Bewertung einzelner Behinderungen mit einem GdB sowie die Bildung eines Gesamt-GdB nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG), der Anlage zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) i.V.m. § 69 Abs. 5 SGB IX erlassenen Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV), hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Dies gilt auch für die Voraussetzungen einer Abänderung bereits bindend festgestellten GdB (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Auf diese Ausführungen wird, auch um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Auch in der Sache schließt sich der Senat der Einschätzung des SG an.

a) Bei dem Kläger besten diagnostisch eine Dysthymie oder eine nicht rezidivierende depressive Episode nach F34.1 oder F32.0 bzw. F32.1 der ICD-10, der Internationalen statischen Klassifikation der Krankheiten, ggfs. in Verbindung mit einer generalisierten Angststörung (F41.1), eventuell gemischt (F41.2). Eine genauere Diagnose ist für dieses Verfahren unnötig, denn mit dem GdB werden nicht bestimmte Behinderungen, sondern die aus ihnen folgenden Funktionseinbußen bewertet, und alle bei dem Kläger (möglicherweise) bestehenden Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind als Neurosen bzw. Persönlichkeitsstörungen nach Teil B Nr. 3.7 VMG zu bewerten.

Hiernach setzt bereits der schon zuerkannte GdB von 50 eine schwere Störung mit bereits mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen voraus.

Noch stärkere Einbußen als diese liegen bei dem Kläger auf psychiatrischem Fachgebiet nicht vor. Insoweit haben die beiden in erster Instanz gehörten Sachverständigen überhaupt nur Einbußen in der psychischen und der sozialen Leidensdimension gesehen und jeweils für geringfügig eingestuft. Die Antriebsreduzierung des Klägers, die dieser auf Schlafmangel zurückführt, ist nicht erheblich. Der Kläger hat bei seiner Anhörung am 20.04.2015 von langen Spaziergängen, dem Versuch zu lesen und auch von Urlauben, wenn auch nicht allein, berichtet. Dass er keine weitergehenden Aktivitäten entfaltet, ist - insbesondere nach der überzeugenden Beschreibung von Dr. E. - persönlichkeitsbedingt und nicht auf eine Erkrankung zurückzuführen. Die langen Spaziergänge, die der Kläger allein durchführt, sind allerdings auch ein Zeichen für die Einschränkungen auf der sozialen Ebene, nämlich einen gewissen Rückzug aus der Gesellschaft, die der Kläger mit "Angst vor Menschen" umschreibt. Diese Einschränkung ist allerdings auch nicht erheblich. Der persönliche Eindruck von dem Kläger im Erörterungstermin, insbesondere seine Interaktion mit dem Dolmetscher, und seine Schilderungen, haben gezeigt, dass zumindest im kleineren Kreis der Umgang mit Menschen, auch mit fremden Menschen, nicht eingeschränkt ist. Vor diesem Hintergrund folgt der Senat auch der übereinstimmenden Einschätzung beider Sachverständiger - und der behandelnden Ärzte -, dass ein höherer GdB als 50 nicht vorliegt.

Die Ausführungen in dem Gutachten von Dr. A. bedingen keine andere Einschätzung. Jenes Gutachten ist älter und es betraft die Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers, also Leistungseinschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, während im Behindertenrecht Einschränkungen in der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft relevant sind.

Das Gleiche gilt für die Ausführungen des Klägers, sein Zustand habe sich in den letzten 15 Jahren verschlechtert. Der jetzige GdB von 50 ist erst seit fünf Jahren zuerkannt, er spiegelt also etwaige Verschlechterungen in den zehn Jahren davon wider. Hinzu kommt, dass nicht jede Verschlechterung unmittelbar zu einer Erhöhung des GdB führt, weil z.B. mit der vorherigen Festsetzung der Spielraum, der den GdB-Werten innewohnt, noch nicht vollständig ausgereizt war. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht relevant, dass dem Kläger nunmehr mit Mirtazapin ein weiteres Antidepressivum verschrieben worden ist; dies beruht möglicherweise auch auf einer Umstellung der bisherigen medikamentösen Behandlung.

b) Der Tinnitus, der auch nach dem Eindruck im Termin nicht mit einer Hörminderung verbunden ist und daher nicht zwingend gesondert nach Teil A Nr. 5.3 VMG zu bewerten ist, verstärkt die psychischen Beeinträchtigungen nicht in nennenswerter Weise.

c) Da nur eine Behinderung im Rechtssinne vorlag, musste nicht gesondert ein Gesamt-GdB gebildet werden.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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