S 36 AS 828/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
36
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 828/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 571/15 ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:
I.

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 10.02.2015 und 26.02.2015 gegen den Sanktionsbescheid vom 13.01.2015 und des Änderungsbescheides vom 17.02.2015.

Die 1992 geborene Antragstellerin bezieht gemeinsam mit ihrer 2012 geborenen Tochter laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antragsgegner. Mit Bescheid vom 13.01.2015 beschränkte der Antragsgegner die Leistungen für die Antragstellerin für den Zeitraum Februar bis April 2015 auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II.

Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass die Antragstellerin trotz Kenntnis der Rechtsfolgen Anlass für einen Ausschluss aus einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (FbW) bei der E. GmbH gegeben habe. Sie habe mehrfach ohne Angabe eines wichtigen Grundes unentschuldigt gefehlt. Außerdem enthält der Sanktionsbescheid den Hinweis, dass während der Zeit vom 01.02.-30.04.2015 ergänzende Sachleistungen auf Antrag erbracht werden können.

Mit Änderungsbescheid vom 17.02.2015 setzte der Antragsgegner den Sanktionsbescheid vom 13.01.2015 um und änderte den Bewilligungsbescheid vom 19.12.2014 für den Zeitraum 01.02.2015-30.04.2015 ab. Danach erhält die Antragstellerin in diesem Zeitraum lediglich Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 197,76 EUR. Die Tochter der Antragstellerin erhält unter Anrechnung von Unterhalt und Kindergeld in Höhe von insgesamt 317,00 EUR ebenfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 114,76 EUR.

Mit Schreiben vom 10.02.2015 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Sanktionsbescheid vom 13.01.2015.
Mit weiterem Schreiben vom 26.02.2015 erhob der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 17.02.2015. Ebenfalls am 26.02.2015 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die vorgenannten Bescheide gestellt.

Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Regelung des § 31a Abs. 2 SGB II verfassungswidrig sei, da sie gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Grundgesetz (GG) verstoße. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin mit einem unter dreijährigem Kind in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Die gewährten Leistungen für die Monate Februar bis April 2015 seien nicht einmal zur Zahlung der Miete ausreichend. Auch hätte der Antragsgegner ergänzende Sachleistungen nicht bereits mit dem Sanktionsbescheid bewilligt. Zudem habe sich die Antragstellerin die Maßnahme selbst ausgesucht und hätte diese aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen abbrechen müssen.

Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 10.02.2015 gegen den Sanktionsbescheid vom 13.01.2015 und des Widerspruchs vom 26.02.2015 gegen den Änderungsbescheid vom 17.02.2015 anzuordnen und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Conradis zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Sanktionsentscheidung nicht verfassungswidrig und nicht offensichtlich rechtswidrig sei. Auch seien der Antragstellerin bereits Sachleistungen in Höhe von monatlich 200 EUR in Gutscheinform gewährt worden. Diese könne sie im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei dem Antragsgegner abholen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist unbegründet. Das Gericht entscheidet über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung sowie das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Widerspruchs eine wesentliche Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse zu stellen. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig und der Betroffene dadurch in seinen Rechten verletzt, wird die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil in diesen Fällen ein öffentliches Interesse oder ein Interesse eines Dritten an der Vollziehung des Verwaltungsakts nicht erkennbar ist. Wenn der Widerspruch hingegen aussichtslos ist, wird die aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens mitberücksichtigt werden kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rdnr. 12 ff.).

Wenn – wie hier – ein Fall des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG vorliegt, ist weiterhin zu berücksichtigen, dass § 39 Nr. 1 SGB II ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zulasten des Suspensiveffekts vorsieht, weil der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen (Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rdnr. 7) die sofortige Wirkung zunächst einmal angeordnet hat und damit dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen eingeräumt hat.
Davon abzuweichen besteht nur Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten begründete Ausnahme bleiben (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b Rdnr. 12) und ist nur dann gerechtfertigt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen.

Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs besteht danach keine Veranlassung.
Die Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin. Durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Sanktionsentscheidung ergeben sich nicht. Nach der im einstweiligen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung sind die Voraussetzungen für die Sanktion nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 31a Abs. 2 und § 31b SGB II gegeben. Denn die Antragstellerin hat mehrfach unentschuldigt nicht an der Maßnahme teilgenommen. Hierbei spielt es keine Rolle, dass sie die Maßnahme aus eigenem Antrieb aufgenommen hat.
Auch die geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen können keine Berücksichtigung finden, da etwaige Nachweise nicht vorgelegt wurden.

Auch hält das Gericht die Vorschrift des § 31a Abs. 2 SGG nicht für verfassungswidrig. Aus der gesetzgeberischen Motivation ergibt sich der sachliche Grund für die unterschiedliche Behandlung von Angehörigen der Altersgruppe unter bzw. über 25 Jahren. Dieses gesetzgeberische Motiv ist nicht zu beanstanden. Darüber hinaus ist entscheidend, dass § 31a Abs. 2 SGG Regelungen enthält, mit denen die Rechtsfolgen der Sanktionierung abgeschwächt werden können (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21.12.2012, Az.: L 12 AS 2232/12 B). Schließlich hat der Antragsgegner auch den Anforderungen von § 31a Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II genügt.
Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs, kann der Träger nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Nach Satz 2 der Vorschrift hat der Träger Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben.

Bereits zu § 31 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (a.F.) wurde in der Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Nichtentscheidung über die Bewilligung von Sachleistungen bei einer Minderung von 100 % des Regelbedarfs - auch wenn ausschließlich volljährige Leistungsempfänger betroffen waren – unmittelbar zu einer Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheides führe (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 05.01.2011, Az.: L 2 AS 428/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21.04.2010; Az.: L 13 AS 100/10 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 09.09.2009, Az.: L 7 B 211/09 AS ER). Dieser Rechtsprechung ist der Gesetzgeber mit den Änderungen im Sanktionsrecht des SGB II zum 1. April 2011 durch die Einfügung des Antragserfordernisses in § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II entgegengetreten (BT-Drs. 17/4032). Zusätzlich hat der Gesetzgeber in Satz 2 der Vorschrift geregelt, dass die nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II im Ermessen des Leistungsträgers stehenden ergänzenden Leistungen zwingend zu erbringen sind, wenn der Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Hierdurch soll verhindert werden, dass minderjährige Kinder durch die Minderung übermäßig belastet werden. Aus dem Verweis auf § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II in Satz 2 der Vorschrift ergibt sich allerdings, dass die Leistungen ebenfalls nur auf Antrag des Leistungsberechtigten zu erbringen sind (Loose in GK-SGB II, VI-1 § 31a Rdnr. 38). Mit der Regelung in § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II wird ausschließlich die Ermessensentscheidung über das "Ob" der Leistungserbringung durch eine gebundene Entscheidung des Leistungsträgers ersetzt. Es wird weder von der Voraussetzung abgewichen, dass eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des maßgebenden Regelbedarfs gegeben sein muss, noch von dem Antragserfordernis, noch von der Voraussetzung, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen in "angemessenem Umfang" zu erbringen sind. Ein Hinweis im Sanktionsbescheid auf die Möglichkeit der Erbringung ergänzender Sach- bzw. geldwerter Leistungen "auf Antrag" ist damit ausreichend, insbesondere wenn dieser Hinweis wie im vorliegenden Fall bereits zuvor in den Anhörungsschreiben erteilt worden ist und ausreichend Zeit verblieben wäre, um sicherzustellen, dass diese Leistungen bereits zu Beginn der Absenkungszeiträume hätten zur Verfügung stehen können. Zuletzt kann auch der Vortrag des Prozessbevollmächtigten, dass die noch ausgezahlten Leistungen nicht einmal zur Zahlung der Unterkunftskosten ausreichend seien, nicht zu einem anderen Ergebnis führen.

Auch bei der vollständigen Leistungsgewährung musste ein Teil der Unterkunftskosten aus dem Einkommen des minderjährigen Kindes bestritten werden. Hieran ändert auch der Sanktions- bzw. Änderungsbescheid nichts. Der Antragstellerin steht es vielmehr frei, für die Dauer der Sanktion das Einkommen ihrer Tochter zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu verwenden. Die dann ungedeckten Unterkunftskosten würden den Vermieter nicht zur fristlosen Kündigung der Unterkunft berechtigen. Auch kann und hat die Antragstellerin, wie bereits dargelegt, ergänzende Sachleistungen zu erhalten. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher nicht offensichtlich rechtswidrig.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung war demnach abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Conradis war ebenfalls abzulehnen, weil der Antrag nicht die gemäß den §§ 73a SGG und 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderliche Erfolgsaussicht hatte.
Rechtskraft
Aus
Saved