L 13 VE 48/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 VE 102/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VE 48/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 2012 aufgehoben und der Beklagte unter Änderung seines Bescheides vom 12. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 verpflichtet, für die am 16. Juli 2009 erfolgte Versorgung des Klägers mit Zahnersatz einen Zuschuss in Höhe von 758,20 Euro zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das Verfahren in beiden Instanzen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Versorgung mit Zahnersatz in Form einer Teleskopbrücke nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG).

Der im Jahre 1942 geborene Kläger hatte am 5. Mai 1997 einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt. Durch eine Gewalttat am 26. Dezember 1996 habe er eine Verletzung der linken Seite des Brustkorbes, ein HWS-Beschleunigungstrauma, ein psychisches Trauma, hohen Blutdruck und eine Spaltung der Verankerung der Zahnbrücke mit anschließendem Verlust derselben erlitten. Er hatte dem ein Attest des behandelnden Zahnarztes Dr. P vom 7. März 1997 beigefügt, der ausführte, dass die Untersuchung eine Längsspaltung der Wurzel des Zahnes 13, damit Herauslösen der Stiftverankerung in 13 und dadurch Verlust der gesamten festen Brücke von 12, 13-17 sowie eine Abplatzung der Keramikschicht der Metallkeramikkrone am Zahn 12, leichte Lockerung und Druckempfindlichkeit des Zahnes 12 ergeben habe. Eine erneute Versorgung mit festem Zahnersatz im Oberkiefer sei nicht möglich, da die Spanne der fehlenden Zähne zu groß sei und außerdem der Zahn 12 als Pfeilerzahn nicht mehr in Frage komme. Im Oktober 1997 war nach der Entfernung der Zähne 12 und 13 sowie einer weiteren stabil sitzende Brücke über Zähne 23-26 eine mit sechs Teleskopen verankerte circuläre Teleskopbrücke von Zahn 17 bis Zahn 26 in den Oberkiefer eingesetzt worden, wobei die Zähne 17, 11, 21, 22, 23 und 26 als Pfeiler gedient hatten und die verlorenen Zähne 16, 15, 14, 13, 12, 24 und 25 überbrückt worden waren.

Der Beklagte hatte bei dem Kläger mit Bescheid vom 14. Januar 2000 in der Fassung des Bescheides vom 19. Juli 2001

1. Posttraumatische Belastungsstörung, depressive Entwicklung mit Ängsten und psychosomatischen Störungen 2. Schädigung der Zähne 13/12 im Sinne der Verschlimmerung mit nachfolgendem Verlust als Folgen der am 26. Dezember 1996 gegen ihn verübten Gewalttat anerkannt. Außerdem hatte er festgestellt, dass von den zahnärztlichen Behandlungen die Zeit vom 4. Februar 1997 bis zum 11. April 1997 bei Dipl.-Med. P als schädigungsbedingt anzusehen sei.

In dem anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren (S 46 VG 9/99) hatte das Sozialgericht Berlin den Beklagten mit Urteil vom 19. August 2002 dazu verurteilt, die zahnärztliche Behandlung (Erstellung und Einsatz einer Teleskopbrücke) bis zum 6. Oktober 1997 sowie die zahnärztliche Behandlung (Wurzelresektion Zahn 26) vom 10. November 1998 bis zum 9. Juni 1999 als mittelbar schädigungsbedingt anzuerkennen. Mit Bescheid vom 21. November 2002 hatte der Beklagte das Urteil ausgeführt und festgestellt, "dass die die zahnärztliche Behandlung (Erstellung und Einsatz einer Teleskopbrücke) bis zum 6. Oktober 1997 sowie die zahnärztliche Behandlung (Wurzelresektion Zahn 26) vom 10. November 1998 bis zum 9. Juni 1999 in ursächlichem Zusammenhang mit der Gewalttat vom 26. Dezember 1996 standen." Mit Bescheid vom 7. Januar 2003 hatte der Beklagte dem Kläger den Eigenanteil der Kosten für die zahnprothetische Versorgung in Höhe von 2.576,80 EUR erstattet.

Mit Schreiben vom 30. April 2007 und 25. Mai 2007 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass die im Jahre 1997 gefertigte Teleskopbrücke gebrochen sei. Er beantragte eine Kostenerstattung entsprechend einem Heil- und Kostenplan der Beigeladenen für eine Behandlung durch die Zahnärztin Dr. T. Mit Bescheid vom 11. Juli 2007 erklärte der Beklagte, dass Kosten in Höhe von 159,66 EUR übernommen würden.

Am 20. Dezember 2009 teilte der Kläger mit, dass der zerbrochene Zahnersatz nunmehr durch die Zahnärztin Dr. B-W ersetzt und eingesetzt worden sei und reichte eine Rechnung der Dr. B-W vom 24. November 2009 ein, der ein Heil- und Kostenplan vom 11. März 2009 zugrunde lag. Die Zahnärztin hatte im Oberkiefer eine neue Teleskopprothese, 7 Kronen und 4 Verblendungen eingesetzt. Aus der Rechnung ergab sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 7.028,34 EUR abzüglich des Festzuschusses der Beigeladenen in Höhe von 2.509,56 EUR und somit ein vom Kläger zu zahlender Betrag in Höhe von 4.518,78 EUR. Er bat um Kostenübernahme für den Anteil, der die prothetische Versorgung des Oberkiefers betraf.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 11. Juli 2007 auf, da Zahnersatz laut Heil- und Kostenplan vom 31. Mai 2007 von der Zahnärztin Dr. T nicht angefertigt worden sei. Nach dem Heil- und Kostenplan der Dr. B-W würden als Zuschuss nach § 18 Abs. 6 BVG 162,34 EUR gewährt. Der Zahnersatz erstrecke sich auf Zähne, die durch Schädigungen im Sinne des § 1 OEG in Verlust geraten seien und auf solche, die durch versorgungsfremde Ursachen verlorengegangen seien. Bei der Zuschussgewährung könne nur ein Betrag in Höhe des festgesetzten Betrages für die befundbezogene Regelversorgung berücksichtigt werden. Ein Zuschuss für die Kronen könne nicht gewährt werden, weil eine Beschädigung dieser Zähne nicht als Schädigungsfolge anerkannt sei. Der doppelte Festzuschuss für den Zahnersatz betrage 568,28 EUR. Davon würden 2/7 der Kosten, also 162,34 EUR, übernommen. Von diesem Betrag werden zur Deckung des Ersatzanspruches der Beigeladenen, die bereits ohne Berücksichtigung des schädigungsbedingten Anteils einen Festzuschuss in Höhe von 369,32 EUR und somit 2/7 = 105,52 zu viel geleistet habe, einbehalten. Der Restbetrag in Höhe von 56,82 EUR werde überwiesen.

Hiergegen legte der Kläger am 11. Februar 2010 Widerspruch ein. Der Einsatz der Teleskopbrücke im Jahre 1997 sei durch Bescheid vom 21. November 2002 als Schädigungsfolge anerkannt worden. Es sei auch anerkannt worden, dass ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2010 zurück. Als Schädigungsfolge sei der Verlust der Zähne 12 und 13 anerkannt, so dass ein Anspruch auf Heilbehandlung nach dem BVG, zu der auch der Zahnersatz gehöre, nur für diese Zähne bestehe. Mit Bescheid vom 21. November 2002 sei festgestellt worden, dass die zahnärztliche Heilbehandlung bis zum 6. Oktober 1997 in ursächlichem Zusammenhang mit der Gewalttat gestanden habe.

Mit der am 25. Mai 2010 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. August 2002 sei die Erstellung und der Einsatz der Teleskopbrücke vollumfänglich anerkannt worden. Da Teleskopbrücken nur eine begrenzte Nutzungsdauer haben, müsse auch der Ersatz übernommen werden. Die Nutzungsdauer sei geringer, als die von fest installierten Brücken. Die Kosten seien nicht von ihm zu vertreten, sondern beruhten auf der Gewalttat. Auch sei der Zuschuss nicht richtig berechnet worden. Es müsse ausgegangen werden von einem einfachen Festzuschuss für die Behandlung des Oberkiefers in Höhe von 1.289,75 EUR abzüglich des Zuschusses für Zahn 27 in Höhe von 118,86 EUR, somit 1.170,89 EUR. Der doppelte Festzuschuss betrage somit 2.341,78 EUR, davon habe die Beigeladene 1.522,16 EUR (einfacher Zuschuss plus 30 % Bonus) und 61,42 EUR (unzumutbare Belastung) getragen, so dass von dem Beklagten noch 758,20 EUR zu tragen seien.

Mit Gerichtsbescheid vom 6. Juni 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der streitgegenständliche Zahnersatz, die Eingliederung einer Teleskopbrücke im Oberkiefer zum Ersatz der Zähne 16, 15, 14, 13, 12, 24 und 25, betreffe nicht die Behandlung einer anerkannten Schädigungsfolge. Die Teleskopbrücke sei nicht als Schädigungsfolge anerkennt worden. Aus dem Tenor des Urteils selbst ergebe sich allein die Anerkennung der zahnärztlichen Behandlung bis zum 6. Oktober 1997 als mittelbare Schädigungsfolge. Es handele sich um die Feststellung, dass die Teleskopbrücke nach §§ 10 Abs. 10 OEG, 8b BVG als fiktive Schädigungsfolge anzuerkennen war. Diese Vorschrift ziele jedoch allein auf die Beseitigung der Auswirkungen des Hilfsmittels, z.B. durch Reparatur oder Ersatz. Soweit dadurch das zerstörte Hilfsmittel wieder hergestellt sei, bestehe kein weiterer Anspruch auf Reparatur oder Ersatz. Der nunmehr notwendig gewordene Ersatz sei nicht als mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen. Ein Anspruch auf Zuschuss ergebe sich allein hinsichtlich der Versorgung der als Schädigungsfolgen anerkannten Zähne 12 und 13. Die Berechnung des Beklagten sei korrekt. Von ihm seien bereits 162,34 EUR gewährt worden. Die Beschwer betrage 595,86 EUR. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.

Der Kläger hat am 10. Juli 2012 Beschwerde gegen die Nichtzulassung eingelegt. Die Schädigung lasse sich nicht auf die Zähne 12 und 13 begrenzen. Hätte es im Zeitpunkt des Überfalls die Brücke nicht gegeben, wären die Zähne 14, 15, 16 auch beschädigt worden. Es seien zum Einsatz der Teleskopbrücke auch weitere bis dahin gesunde Zähne abgeschliffen worden. Mit Beschluss vom 26. November 2012 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Juni 2012 aufzuheben und den Beklagten Änderung seines Bescheides vom 12. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2010 zu verpflichten, für die am 16. Juli 2009 erfolgte Versorgung des Klägers mit Zahnersatz einen Zuschuss in Höhe von 758,20 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Er bezieht sich im Wesentlichen auf das erstinstanzliche Urteil. Die Beigeladene hat einen eigenen Antrag bislang nicht formuliert. Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Beigeladenen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Klage nach Aktenlage entscheiden, obwohl der Kläger und die Beigeladene im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeblieben sind, weil sie mit der fristgerecht zugestellten Ladung auf die in §§ 153, 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehene Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die zulässige Berufung ist auch begründet, denn der Kläger hat einen Anspruch auf die von ihm geltend gemachte Kostenbeteiligung des Beklagten an der Versorgung mit Zahnersatz aus § 1 Abs. 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG), §§ 10 Abs. 1; 11 Abs. 1 Nr. 4 und 18 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Zwischen Kläger und Beklagtem ist im Kern nur streitig, ob der vom Beklagten zu leistende Anteil an der Versorgung des Klägers mit Zahnersatz sich auf 2/7 des doppelten Festzuschusses beläuft, weil die 1996 erlittene Zahnverletzung nur die Zähne 12 und 13 betraf, oder der Beklagte auch für den Ersatz von Zähnen einstehen muss, die seinerzeit bereits mit einer Brücke ersetzt waren und nunmehr erneut ersetzt wurden.

Diese Frage ist im Sinne des Klägers zu beantworten. Zu Unrecht hält der Beklagte einen Anwendungsfall von § 8b BVG für gegeben. Nach dieser Vorschrift steht einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG die Beschädigung von Zahnersatz gleich. Dies bedeutet, dass bei einer Beschädigung von Zahnersatz im Anwendungsbereich der Versorgungsbestimmungen des BVG die Versorgung den einmaligen Ersatz des beschädigten Zahnersatzes umfasst, wodurch der Zustand vor der Beschädigung hergestellt wird. Verschleiß des neu angefertigten Zahnersatzes ließe sich mithin nicht kausal auf das schädigende Ereignis zurückführen und wäre nicht anders zu beurteilen als Verschleiß der ursprünglichen Brücke. So liegt es hier indes nicht, denn bei dem schädigenden Ereignis 1996 war der seinerzeit beim Kläger eingegliederte Zahnersatz in der Form einer Brücke unbeschädigt geblieben, wenn auch nutzlos geworden. Beschädigt worden waren hingegen die Zähne 12 und 13, die der Befestigung jener Brücke gedient hatten und nun nicht mehr zu diesem Zweck Verwendung finden konnten. Da – zwischen den Beteiligten nicht umstritten – jene beiden Zähne nicht mittels Implantaten ersetzt werden konnten, musste 1997 eine umfassende Lösung mittels der Teleskopbrücke gewählt werden, die nun neben den bei der Gewalttat beschädigten Zähnen 12 und 13 auch jene ersetzte, die zuvor isoliert mittels der Brücke ersetzt waren. Die Anfertigung der Teleskopbrücke war also in Gänze notwendig, um den von der Gewalttat bedingten Verlust der Zähne 12 und 13 zu kompensieren. Damit ist bei deren Verschleiß erneut versorgungsrechtlich dieselbe Situation gegeben, wie bei der Erstversorgung 1997.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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