L 12 AS 125/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1875/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 125/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Besteht bei einem Hilfebedürftigen über mehrere Jahre hinweg eine Differenz zwischen den tatsächlichen und den vom Jobcenter übernommenen Kosten der Unterkunft von 200 € und macht der Hilfebedürftige in dieser Zeit keine höheren Ansprüche geltend, so begründet dies ernsthafte Zweifel an dessen Hilfebedürftigkeit.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 04.12.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung von weiteren Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von 200,00 EUR monatlich für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.07.2010.

Der 1956 geborene und im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Kläger bezog ab 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Daneben betrieb er – auch im streitgegenständlichen Zeitraum – ein Gewerbe (L.- und F. R. S.). Aus den in den Jahren 2005, 2006, 2007, 2008 und 2009 vorgelegten Kontoauszügen ergaben sich immer wieder Bareinzahlungen und Überweisungen auf das Konto des Klägers, u.a. mit dem Verwendungszweck "Strom".

Zum 01.01.2008 zog der Kläger in die Wohnung "G., R.". Die Miete betrug 500 EUR warm, für die vorherige Wohnung bezahlte der Beklagte monatlich 293,47 EUR. Mit Schreiben vom 14.02.2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er auf Grund der monatelangen Mobbingaktionen des Vermieters habe ausziehen müssen. Der Beklagte berücksichtigte in seinen Bewilligungsentscheidungen weiterhin nur KdU in Höhe von 293,47 EUR.

Am 29.01.2010 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Leistungen. Aus den zum Antrag vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich folgende Zahlungseingänge: 22.12.2009 Kabel Deutschland 148,75 EUR 28.12.2009 K. GmbH 234,19 EUR 01.12.2009 M. B. 178,38 EUR 23.11.2009 D. A. 130,90 EUR 24.11.2009 Kabel Deutschland 116,62 EUR 17.11.2009 Finanzamt R. 222,35 EUR 17.11.2009 Finanzamt R. 266,78 EUR 11.11.2009 Techn. Artikel 62,33 EUR

Mit Bescheid vom 18.02.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen in Höhe von 652,53 EUR (KdU 293,53 EUR) für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.07.2010. Eine Endgültige Bewilligung könne noch nicht erfolgen, da die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum noch nicht feststünden.

Gegen den Bewilligungsbescheid erhob der Kläger am 17.03.2010 Widerspruch. Die Miete betrage 500,00 EUR (Kaltmiete 405,00 EUR), die bewilligten 293,53 EUR reichten für das Wohnen in keinster Weise.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Umzug sei nicht erforderlich gewesen, so dass nur die bisherigen KdU gezahlt würden.

Mit Bescheid vom 03.12.2010 setzte der Beklagte die Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum endgültig in Höhe von 652,53 EUR monatlich fest (KdU 293,53 EUR).

Mit Schreiben vom 01.06.2010, eingegangen am 04.06.2010, hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 23.02.2010/Widerspruchsbescheid vom 03.05.2010 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er habe nach der mündlichen Kündigung durch den Vermieter am 25.09.2007 um 6:40 Uhr schnell eine neuen Wohnung finden müssen; diese sei teurer als die vorherige.

In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger angegeben, dass er Unterstützung von Freunden gehabt habe, die immer an seinen Erfolg geglaubt hätten. Die Vorsitzende hat darauf hingewiesen, der 2. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg habe im Berufungsverfahren L 2 AS 4894/10 entschieden, dass erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers bestünden, diese jedoch im dortigen Verfahren zu Lasten des Beklagten gegangen seien, da es um einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid gegangen sei.

Mit Urteil vom 04.12.2012, zugestellt am 21.12.2012, hat das SG die Klage abgewiesen, da der Kläger seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen habe.

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 08.01.2013. Das Urteil des SG sei verfahrensfehlerhaft, da die fehlende Hilfebedürftigkeit erstmals in der mündlichen Verhandlung thematisiert worden sei, hierin liege ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs. Der Umzug sei notwendig gewesen, da sich der Kläger immer abstruseren Unterstellungen und Beleidigungen durch seinen Vermieter ausgesetzt gesehen habe. Im streitgegenständlichen Zeitraum habe auch Hilfebedürftigkeit bestanden, den Einnahmen von 3.921,50 EUR hätten Ausgaben in Höhe von 5.163,25 EUR gegenüber gestanden. Seine Buchhaltung sei von der Finanzbehörde nie bemängelt worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts R. vom 04.12.2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 23.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2010 in der Fassung des Bescheides vom 03.12.2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.07.2010 weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 200,00 EUR monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es sei nicht klar, wie der Kläger seit dem Umzug zum Jahreswechsel 2007/2008 seinen Lebensunterhalt finanziert habe.

Auf Aufforderung des Berichterstatters hat der Kläger eine Einnahmen- und Ausgaberechnung vorgelegt, die auch den streitgegenständlichen Zeitraum betrifft. Danach hatte er im streitgegenständlichen Zeitraum Einnahmen in Höhe von 3.921,50 EUR, denen jedoch Ausgaben in Höhe von 5.163,25 EUR gegenüberstanden. Aus den im weiteren Verwaltungserfahren vorgelegten Kontoauszügen ergeben sich folgende Einnahmen und Ausgaben ohne die Leistungen des Beklagten von monatlich 652,53 EUR: Einnahmen Ausgaben Verwendungszweck Summe Verwendungszweck Summe Februar Telekom Miete 21,44 500,00 März A. 270,13 Telekom B. T. Finanzamt Telekom 21,44 270,83 161,00 56,04 April F.T.GmbH 904,40 Telekom Kontoführung Bar Telekom Kontoführung Fairenergie Haftpflicht Miete Miete Lager 53,75 4,60 500,00 21,44 5,80 177,00 108,10 500,00 166,17 Mai A. 170,17 Telekom B. B. Miete Miete Lager 21,44 71,60 27,88 500,00 332,34 Juni FA R. AG H., LOK A. 167,01 112,00 220,15 Telekom Telekom B. T. Telekom Kontoführung Miete Miete Lager Landkreis T. 53,40 21,44 207,10 50,40 3,20 500,00 332,40 15,00 Juli A. Abschlag Vermittlung 89,25 1.999,20 Telekom Telekom Bar 46,18 21,44 150,00 3.932,31 4.921,43

Mit Schreiben vom 11.12.2014 hat der Vermieter des Klägers mitgeteilt, dass bis Dezember 2012 die Miete von 500,00 EUR regelmäßig gezahlt worden sei.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes hat der Kläger angegeben, die Mietdifferenz durch Einsparungen finanziert zu haben und Geld von Menschen bekommen zu haben, die noch Hoffnung in ihn gesetzt hätten. Die Namen der "Hoffnungsträger" werde er nicht nennen. Wie viel Geld er bekommen habe, daran könne er sich nicht erinnern.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Absatz 1 SGG) eingelegt worden. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf weitere KdU in Höhe von 200,00 EUR monatlich.

Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche des Klägers auf KdU für die Zeit vom 01.02.2010 bis 31.07.2010 im Bescheid des Beklagten vom 23.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 in der Fassung des Bescheides vom 03.12.2010. Bei der Leistung für KdU handelt sich um einen abtrennbaren selbständigen Anspruch, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes möglich ist (BSG, Urteil vom 18.06.2008 – B 14/11b AS 61/06 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 12).

Der Kläger ist Berechtigter i.S.d. § 7 Absatz 1 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, nicht jedoch das 65. Lebensjahr (§ 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB II). Er ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger ist jedoch nicht hilfebedürftig i.S.d. § 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11 und 12 SGB II.

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Absatz 1 SGB II). Der Kläger trägt die Beweislast für die Hilfebedürftigkeit, als für ihn günstige Tatsache (BSG, Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 32/08 R– SozR 4-4200 § 9 Nr. 9; Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 10/08 R –; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.09.2012 – L 19 AS 937/12 –; Bayerisches LSG, Urteil vom 09.11.2011 – L 16 AS 453/11 ;vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 01.02.2010 - 1 BvR 20/10 -; alle in juris). Ernsthafte Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Klägers haben indessen nicht ausgeräumt werden können.

An der Hilfebedürftigkeit des Klägers bestehen ernsthafte Zweifel. Der Kläger war offensichtlich in der Lage, die seit seinem Umzug zum 01.01.2008 durch den Leistungsbezug nicht gedeckten Mietkosten in Höhe von ca. 200 EUR monatlich zwei Jahre lang und auch über den streitigen Zeitraum hinaus zu tragen. Die monatlichen Mietzahlungen sind als Abbuchungen seinen Kontoauszügen zu entnehmen. Seine Erklärung hierzu, dass er sich persönlich einschränke, ist nicht glaubhaft, da dies aus der lediglich das Existenzminimum sichernden Regelleistung in Höhe von seinerzeit 351 EUR schlichtweg nicht möglich ist. Zudem ist der Kläger seit dem Jahr 2005 in der Lage seine seit 2005 dauerhaft erheblich negativen Einnahmen, die sich zuletzt zum Jahresende 2009 auf 13.100,03 EUR beliefen, zu tragen. Hierzu gab der Kläger an, Geld von Freunden und "Hoffnungsträgern" zu erhalten, was er aber nicht näher offen legt. Ob es sich dabei um Einkommen handelt, das zu berücksichtigen ist oder andernfalls nicht, weil es sich tatsächlich um Zuwendungen Dritter handelt, die einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II dienen, und diese die Lage des Klägers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht gerechtfertigt wären (vgl. § 11 Absatz 3 Nr. 1a SGB II i.d.F. des Gesetzes vom 05.12.2006 BGBl. I, 2757; § 1 Absatz 1 Nr. 2 ALG II-V i.d.F. v. 17.12.2007 BGBl. I, 2942), lässt sich nicht überprüfen. Der Kläger verweigert jegliche Angaben zu Personen, die ihm Geld gegeben haben könnten. Noch nicht einmal zur Höhe des erhaltenen Geldes vermag der Kläger Angaben zu machen. Im Übrigen ist anhand der Kontoauszüge schon deshalb nicht nachvollziehbar, wovon der Kläger gelebt hat, weil über das Konto abgesehen von Mietzahlungen im Wesentlichen keine privaten Buchungen oder Abhebungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts erfolgten und im gesamten Bewilligungszeitraum lediglich zwei Barabhebungen von insgesamt 650 EUR erfolgten; wobei nicht ausgeschlossen ist, dass es sich bei der Abhebung von 500 EUR im April um die Miete für März gehandelt haben könnte.

Der Kläger hat letztlich nichts vorgetragen, um die Zweifel auszuräumen. Die vorgelegte Einnahmen- und Ausgabenübersicht ist dazu nicht geeignet, da auch hieraus nicht klar hervorgeht, wovon er gelebt hat oder wie er seine Verluste decken konnte. Eine weitere Beweiserhebung ist nicht möglich, da sich der Kläger weigert, die Personen zu benennen, von denen er Geld erhalten hat; somit können diese weder zum Verwendungszweck noch zur Höhe der Geldleistungen befragt werden.

Da der Kläger jedoch wie bereits dargelegt die Beweislast für die Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit trägt, weil die Unerweislichkeit einer Tatsache – vorliegend die Hilfebedürftigkeit – zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der aus ihr eine günstige Rechtsfolge herleitet, ist zu Lasten des Klägers zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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