L 13 R 440/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 4390/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 440/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. November 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer ab 1. November 2010.

Die 1959 geborene Klägerin erlernte von September 1975 bis Juni 1978 den Beruf der Zahnarzthelferin. Anschließend arbeitete sie in diesem Ausbildungsberuf. Danach war sie im Einzelhandel selbstständig tätig. Am 29. November 2004 wurde die Klägerin als Weinfachberaterin in einem E.-Markt eingestellt. Zu den Aufgaben gehörten im Wesentlichen das Bedienen und Beraten der Kunden, die Warenpräsentation und das Überprüfen der Mindesthaltbarkeitsdaten (siehe Arbeitszeugnis der H. KG vom 11. März 2008; Bl. 19, 20 der Gerichtsakten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg [LSG]). Sie war dort in Teilzeit versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 18. Januar 2007 wurden bei der Klägerin in den Segmenten C5/6 und C6/7 die Bandscheiben reseziert (siehe Operationsbericht vom 22. Januar 2007, Bl. 143 der Akten des Sozialgerichts Freiburg [SG]). Am 20. September 2007 erfolgte eine Vertebrektomie des Wirbelkörpers C6 und es wurde eine ventrale Spondylodese C6-C7 durchgeführt (siehe Operationsbericht vom 25. September 2007, Bl. 77 der SG-Akten). Zum 15. Januar 2008 gab die Klägerin die Beschäftigung als Weinfachberaterin auf und begann eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen, die wegen einer Reduzierung auf Teilzeit bis zum 8. Juli 2010 andauerte. Vom 1. April bis 31. August 2011 arbeitete die Klägerin versicherungspflichtig in der Patientenaufnahme der Frauenklinik Dr. Di., die jedoch in Insolvenz fiel. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit hat die Klägerin im Februar 2012 als Pflegehilfskraft bei der K. Sozialstation ambulant hauswirtschaftliche Leistungen und Grundpflege bei pflegebedürftigen Menschen halbtags verrichtet. Zudem hat sie eine weitere Tätigkeit als Haushaltshilfe und Gebäudereinigungskraft in der Schweiz aufgenommen, wo sie zweimal pro Woche jeweils vier bis fünf Stunden arbeitete. Beide Tätigkeiten gab die Klägerin auf und arbeitet seit Februar 2013 als Pflegekraft in der Schweiz (siehe hierzu Arbeitsvertrag vom 19. Februar 2013, Bl. 130 der Akten des LSG).

Am 19. November 2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin darauf von Dr. Mo. orthopädisch begutachten. In seinem Gutachten vom 24. Dezember 2010 gelangte er zu der Einschätzung, dass die Klägerin als Weinfachberaterin nicht mehr arbeiten könne, aber im Umschulungsberuf als Kauffrau im Gesundheitswesen noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten und auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in diesem Umfang ausüben könne. Die Beklagte holte noch ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bei Dr. Dor. ein. Er diagnostizierte eine Anpassungsstörung sowie ein Schmerzsyndrom bei Ausschluss einer Depression. Nachvollziehbar bleibe die von der Betroffenen geäußerte Einschränkung auf vier Stunden täglich. Sitzende und im Wechsel stehende Tätigkeiten mit beliebigen Pausen bis über sechs Stunden täglich seien möglich. Bei vornehmlich sitzender Tätigkeit seien maximal vier Stunden zumutbar. Die Klägerin sei drei- bis unter sechsstündig leistungsfähig. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Dr. Va. vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 9. März 2011 ab. Die Klägerin könne zwar ihren bisherigen Beruf als Weinfachberaterin nicht mehr vollschichtig verrichten, aber als Kauffrau im Gesundheitswesen könne sie in diesem Umfang arbeiten. Deshalb sei sie weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, auch nicht berufsunfähig. Die Klägerin erhob am 17. März 2011 hiergegen Widerspruch. Sie legte eine fachärztliche Stellungnahme ihres Psychotherapeuten Bi. vom 18. März 2011 vor. Die Beklagte holte einen Bericht des behandelnden Neurologen und Psychiaters Hil. vom 27. Mai 2011 ein, in dem dieser die vorwiegenden Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule sah und die Klägerin als klagsam schilderte. Nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Dr. Pan. vom 21. Juni 2011 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. August 2011 zurück. Die Klägerin könne eine mindestens sechs Stunden tägliche Beschäftigung als Kauffrau im Gesundheitswesen verrichten.

Am 12. August 2011 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat zunächst von den behandelnden Ärzten und Therapeuten der Klägerin schriftliche sachverständige Zeugenaussagen eingeholt. In seiner Auskunft vom 20. November 2011 hat Diplom-Psychologe Bi. die Auffassung vertreten, das Durchhaltevermögen sei auf höchstens vier Stunden täglich begrenzt. Dr. Hil. hat keine Anhaltspunkte für eine quantitative Leistungsminderung gesehen. Der Schwerpunkt leistungsmindernder Faktoren liege im orthopädisch-neurochirurgischen Bereich. In seiner Auskunft hat der Internist und Hausarzt Hor. ausgeführt, der Schwerpunkt liege eindeutig auf orthopädischem Fachgebiet. Das Leistungsvermögen hat er auf unter sechs Stunden täglich eingeschätzt. Dr. Scha., Facharzt für Orthopädie, hat das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter sechs Stunden täglich gesunken eingeschätzt.

Das SG hat hierauf ein Gutachten beim Orthopäden Dr. Bir. eingeholt. In seinem Gutachten vom 8. Mai 2012 hat er eine stark eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule festgestellt. Weiterhin sei es der Klägerin nicht möglich, schwerere Gegenstände anzuheben und zu tragen. Als Weinfachverkäuferin sei die Klägerin nicht einsetzbar, da es hierbei notwendig sei, schwere Weinkisten anzuheben, was ihr vom operierenden Neurochirurgen Dr. Scher. untersagt worden sei. Es sei angegeben worden, dass das Heben von Lasten, welche vier bis fünf kg übersteigen, unter allen Umständen zu vermeiden sei. Im Verweisungsberuf Kauffrau im Gesundheitswesen sei die Klägerin durchaus einsetzbar. Die noch möglichen Tätigkeiten könne die Klägerin drei bis sechs Stunden täglich verrichten. Die angegebenen Einschränkungen bestünden unter der Vorstellung einer etwa einjährigen Erholungszeit nach der zweiten Operation ab 20. September 2008. Das SG hat noch von Arzt Hor. weitere Berichte beigezogen.

In der mündlichen Verhandlung am 27. November 2012 hat die anwaltlich vertretene Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. November 2010 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren. Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Beklagte hierzu verurteilt. Der Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung sei mit der zweiten Operation im September 2007 eingetreten. Ausführungen zu den weiteren Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung fehlen.

Gegen das der Beklagten am 7. Januar 2013 zugestellte Urteil hat sie am 29. Januar 2013 Berufung erhoben. Unter Vorlage eines Versicherungsverlaufes vom 22. Februar 2013 trägt sie vor, zum vom SG angenommenen Leistungsfall September 2007 lägen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht vor, da nur 35 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Die Klägerin sei zwar unter vollschichtig leistungsfähig, aber bereits seit 12. Juni 2006, als sie sich beim Neurochirurgen Dr. Scher. vorgestellt habe (Verweis auf Bl. 181 der Verwaltungsakten der Beklagten). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen auch zum Januar 2007 nicht vor.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Leistungsfall sei nach dem Sachverständigen Dr. Bir. am 20. September 2008 eingetreten, sodass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Auch die Reha-Entlassungsberichte der Brk.-Klinik Ü. vom 8. März und 5. November 2007 gingen von einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin aus. In diesem Sinne sei die Klägerin dann auch tatsächlich über September 2007 hinaus weiterhin mehr als nur halbschichtig für ihren Arbeitgeber tätig gewesen. Die Klägerin sei dort noch bis zum 15. Januar 2008 beschäftigt gewesen, und zwar in einem Umfang zwischen 60 bis 70% eines Vollzeitbeschäftigten. Nach alledem könne der Leistungsfall nicht schon im September 2007 eingetreten sein. Wenn man den Leistungsfall nur um wenige Tage verschieben würde, wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, etwa in den Dezember 2007.

Der Senat hat von Prof. Dr. He. das orthopädische Gutachten vom 21. Mai 2013 eingeholt. Prof. Dr. He. hat an der Halswirbelsäule mittelgradige Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach operativer Versteifung zwischen dem fünften und dem siebten Halswirbelkörper (ventrale Spondylodese C5-C7) mit ventralen spondylotischen Reaktionen in den Segmenten C4/5 und C7/T1 sowie leichter Spondylarthrose im Segment C7/T1 ohne neurogene Reiz- oder Ausfallerscheinungen, an der Lendenwirbelsäule im Segment L4/5 mäßige Degenerationen (starke laterale und sonst leichte Spondylose, leichte Osteochondrose und mäßige Bandscheibenprotrusion) ohne neurogene Reiz- oder Ausfallerscheinungen, am rechten Fuß am Großzehengrundgelenk leichtgradige Arthrose, einen folgenlosen Zustand nach einer meniskalen Teilresektion am rechten Kniegelenk, auf orthopädischem Fachgebiet diagnostiziert. Es hätten weder damals noch heute, ausnehmend die operativ erzwungene Teilbewegungseinschränkung der HWS, wesentliche Gesundheitsstörungen an dieser und an den Armen nachgewiesen werden können, insbesondere keine neurogenen Ausfallserscheinungen. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten körperlicher Art zu verrichten, und zwar sowohl in stehenden als auch sitzenden Haltungen bzw. im Wechselrhythmus dieser Haltungen ohne Prävalenzen. Sie sei auch in der Lage, manuelle Tätigkeiten verrichten zu können, häufiger auch Hebe- und Tragearbeiten, und zwar mit Lasten bis zu fünf kg. Sie sei ebenso in der Lage, Tätigkeiten, die mit leichten Lage- und Haltungsveränderungen der Halswirbelsäule verbunden seien, auszuüben. Wesentliche funktionelle Einschränkungen der übrigen Wirbelsäule und der Extremitäten bestünden nicht. Tätigkeiten, die mit dem ständigen Heben und Tragen von größeren Lasten und Gewichten einhergingen oder ausgeprägte Mobilitäten der Halswirbelsäule verlangten, könnten dagegen nicht mehr ausgeführt werden, also keine schweren und mittelschweren Tätigkeiten körperlicher Art, da diese die Restgesundheit der Klägerin sowohl an der Hals- als auch an der Lendenwirbelsäule gefährdeten. Tätigkeiten als Weinfachberaterin würden die Restgesundheit nicht gefährden, wenn es sich um rein beratende und verkaufende Tätigkeiten und nicht um solche einer Lageristin oder Transporteurin größerer Mengen von Weinflaschen handelte. Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien dagegen möglich. Die genannten Tätigkeiten könnten mindestens sechs Stunden täglich ausgeführt werden.

Nach § 109 SGG hat der Senat von dem Orthopäden Dr. Hei. das Gutachten vom 4. März 2014 eingeholt. Dr. Hei. hat eine Cervicobrachialgie rechts, ein Cervicalsyndcrom bei Segmentversteifung mit Vertebrektomie HWK6 und Spondylodese, ein chronischres Lumbalsyndrom bei radiologischen Verschleißzeichen besonders L4/5, Lumbalsyndrom bei Iliosakralgelenk-Affektion rechts, einen Senk-Spreizfuß beidseits, eine Grundgelenksarthrose rechts der Großzehe sowie eine psychosomatische Erkrankung im Sinne einer somatisierten Depression sowie eine endogene Depression diagnostiziert. Der vollschichtigen Einsatzfähigkeit nur unter Zugrundelegung der orthopädischen Befunde stünde seines Erachtens nichts entgegen. Unter Berücksichtigung aller Diagnosen bestünde ein Leistungsvermögen unter sechsstündig. Eine nachweisbare Minderung der Leistungsfähigkeit bestünde erst ab Januar 2007. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 8. August 2014 hat Dr. Hei. daran festgehalten, dass die Minderung der Leistungsfähigkeit ab 17. Januar 2007 nachgewiesen sei. Vor der Operation sei eine Leistungsminderung nicht nachgewiesen. Der Neurochirurg Dr. Scher. beschreibe in seinem Befundbericht vom 13. Juni 2006 einen wechselnden Verlauf des HWS-Syndroms mit Beginn vor etwa elf Monaten, jedoch auch wieder deutlicher Besserung. Es werde auch eine Verbindung zur körperlich belastenden Tätigkeit als Weinfachberaterin hergestellt. Es habe sich um eine Operationsindikation aufgrund des Schmerzes und nicht aufgrund neurologischer Ausfälle oder Bewegungseinschränkungen gehandelt, also um eine relative Operationsindikation. Die Arbeitsunfähigkeit sei erst im Oktober 2006 eingetreten. Die in der Verwaltungsakte enthaltenen Befunde der behandelnden Ärzte berichteten vor der ersten Operation jeweils nicht über derartig schwerwiegende Beeinträchtigung, dass hier rückwirkend von einer relevanten Reduktion ausgegangen werden könne. Dies stehe auch in Übereinstimmung mit den Beschwerdeangaben der Klägerin bei Dr. Bir. Für den Leistungsfall ab der ersten HWS-Operation spreche die Tatsache, dass die Klägerin anschließend eine wöchentliche Gesamtarbeitszeit von maximal 24 Stunden erreicht habe und der Leistungsfall nicht allein auf der Erkrankung der Halswirbelsäule beruhe, sondern auch auf der psychischen Beeinträchtigung und Limitierung.

Die Klägerin hat hierauf vorgetragen, die gutachterlichen Äußerungen des Dr. Hei. seien nicht überzeugend. Wenn er allein aufgrund orthopädischer Erkrankungen ein vollschichtiges Leistungsvermögen annehme und im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen dann von einem unter vollschichtigen Leistungsvermögen ausgehe, könne der Leistungsfall nicht im Januar 2007 eingetreten sein. Denn im Januar 2007 seien keinerlei Hinweise auf eine psychische oder psychosomatische Erkrankung ersichtlich.

Der Senat hat von Prof. Dr. He. noch die ergänzende gutachtliche Stellungnahme vom 25. Oktober 2014 eingeholt. Prof. Dr. He. hat ausgeführt, er sehe es nicht als seine Aufgabe, Erkrankungen auf psychisch-psychiatrischem Fachgebiet zu bewerten. Er habe diese Erkrankungen bewusst nicht berücksichtigt. Er verbleibe bei seiner Beurteilung der Leistungsfähigkeit in seinem Gutachten, auch wenn im Arbeitsvertrag der Seniorenbetreuung die Fähigkeit beschrieben werde, Lasten bis zu elf kg zu tragen, zu ziehen und zu heben.

Schließlich hat der Senat noch von Prof. Dr. Bie. ein nervenärztliches Gutachten vom 23. Dezember 2014 eingeholt. Prof. Dr. Bie. hat ein operativ korrigiertes Wirbelsäulen-Syndrom ohne aktuelle Nervenwurzelreizsymptome und ohne auf die Wirbelsäule beziehbare segmentale sensible oder motorische neurologische Defizite sowie eine Dysthymie diagnostiziert, eine psychiatrische Krankheit klinisch-relevanten Ausmaßes als auch ein chronisches Schmerz-Syndrom als auch ein psychosomatisches Syndrom anderer Prägung als auch ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom ausgeschlossen. Aus dem operativ korrigierten Wirbelsäulen-Syndrom resultierten lediglich qualitative Leistungseinschränkungen dahingehend, dass der Klägerin nur leichte und vorübergehend mittelschwere körperliche Arbeiten zugemutet werden könnten, wohingegen ihr schwere und dauernd mittelschwere körperliche Arbeiten, Arbeiten mit häufigem Sich-Bücken, Sich-Drehen und Sich-Wenden, Arbeiten in häufiger Zwangshaltung, Arbeiten mit häufiger Über-Kopf-Haltung und Arbeiten in Kälte und Nässe (ohne entsprechende Schutzkleidung) nicht zumutbar seien. Aus der Dysthymie resultierten keine weitergehenden Einschränkungen. Unter Berücksichtigung der qualitativen Leistungseinschränkungen seien der Klägerin entsprechende Tätigkeiten im Rahmen eines vollen Arbeitstages zumutbar.

Die Klägerin hat noch vorgetragen, das Gutachten des Prof. Dr. Bie. belege, dass der von Dr. Hei. angenommene Leistungsfall nicht richtig sei. Entsprechend dem Gutachten des Dr. Bir. bestünden ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente aufgrund eines Leistungsfalls seit September 2008. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist auch begründet. Die Klägerin hat entgegen dem Urteil des SG keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. November 2010.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 2011, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Da die rechtsanwaltlich vertretene Klägerin vor dem SG in der mündlichen Verhandlung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht mehr beantragt hat, ist nur noch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. November 2010 streitig, die vom SG zugesprochen und von der Beklagten mit Berufung angefochten worden ist.

Gemäß § 43 Abs. 1 SGBVI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind (Satz 1 Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Satz 1 Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Satz 1 Nr. 3). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 240 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die Klägerin ist nach wie vor in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten, weshalb sie keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung hat.

Die Klägerin leidet unter einer mittelgradigen Bewegungseinschränkung an der Halswirbelsäule bei Zustand nach operativer Versteifung zwischen dem fünften und dem siebten Halswirbelkörper mit ventralen spondylotischen Reaktionen in den Segmenten C4/5 und C7/T1 sowie unter einer leichter Spondylarthrose im Segment C7/T1 ohne neurogene Reiz- oder Ausfallserscheinungen sowie an der Lendenwirbelsäule im Segment L4/5 unter mäßigen Degenerationen ohne neurogene Reiz- oder Ausfallserscheinungen, wie Prof. Dr. He. für den Senat schlüssig und nachvollziehbar in seinem Gutachten vom 31. Mai 2013 ausgeführt hat. Prof. Dr. He. ist anhand der erhobenen Befunde überzeugend zu der Auffassung gelangt, dass der Klägerin damit nach wie vor leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig zumutbar sind. Überzeugend hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. He. ausgeführt, dass der Klägerin Tätigkeiten, die mit dem ständigen Heben und Tragen von größeren Lasten und Gewichten einhergehen (über fünf kg) oder ausgeprägte Mobilitäten der Halswirbelsäule verlangten, nicht ausgeführt werden könnten, also keine schweren und mittelschweren Tätigkeiten körperlicher Art. Leichte körperliche Tätigkeiten können sowohl in stehender, gehender als auch in sitzender Haltung oder im Wechselrhythmus verrichtet werden. Auch das Gutachten des Dr. Mo., das im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten ist, hat ein vollschichtiges Leistungsvermögen schlüssig und nachvollziehbar beschrieben. Nicht gefolgt werden konnte den gutachterlichen Ausführungen des Dr. Bir ... So hat Dr. Bir. schon die gestellten Diagnosen im Unklaren gelassen. Weshalb er eine unter vollschichtige Leistungsfähigkeit annimmt, wird nicht anhand von Befunden begründet. Dass der Leistungsfall im September 2008 eingetreten sein soll, hat bereits das SG nicht überzeugt und ist in keiner Weise nachvollziehbar. Dr. Bir. stellt zwar auf den zweiten operativen Eingriff an der Halswirbelsäule am 20. September 2007 als maßgebliches Ereignis ab, verlegt den Leistungsfall aber um ein Jahr nach hinten wegen einer einjährigen Erholungszeit. Dies ist nicht plausibel. Denn eine Erholungszeit vermag nicht zu begründen, dass das Leistungsvermögen anschließend schlechter ist. Dem Gutachten des Orthopäden Dr. Hei. vom 4. März 2014 kann nur darin gefolgt werden, dass die orthopädischen Erkrankungen einem vollschichtigen Leistungsvermögen der Klägerin nicht entgegenstehen. Seine Ausführungen zu den psychischen Erkrankungen überzeugen nicht. Prof. Dr. Bie., Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat die von Dr. Heinolod diagnostizierte somatisierte Depression sowie eine endogene Depression nicht bestätigen, sondern eine klinisch relevante psychiatrische Erkrankung ausschließen können. Schlüssig und nachvollziehbar hat Prof. Dr. Bie. ausgeführt, dass hinsichtlich des allgemeinen Interessensspektrums, der Tagesstrukturierung und vor allem der sozialen Interaktionsfähigkeit eine Einschränkung nicht festzustellen ist. Dies überzeugt den Senat auch anhand der tatsächlich ausgeübten Berufstätigkeit der Klägerin, der ein hoher Beweiswert (BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12) beizumessen ist. Die Klägerin hat im Februar 2012 eine - auch nach ihren Angaben - Arbeit aufgenommen, die körperlich und psychisch sehr schwer ist. Sie hat hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeiten ambulant vor Ort bei den pflegebedürftigen Menschen verrichtet, und zwar halbtags und zudem noch eine weitere Tätigkeit als Haushaltshilfe und Gebäudereinigungskraft in der Schweiz aufgenommen, was sie ca. acht bis zehn Stunden wöchentlich verrichtete. Wieso die Klägerin dann leichte körperliche Tätigkeiten nicht sechs Stunden verrichten können soll, ist nicht nachvollziehbar. Nicht gefolgt werden konnte auch den schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen des behandelnden Diplom- Psychologen Bi., des Internisten Hor. und des Orthopäden Scha., soweit sie ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert haben. Die Beurteilungen sind nicht schlüssig und nachvollziehbar anhand von Befunden begründet und von der Beurteilung durch die gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. He. und Prof. Dr. Bie. widerlegt.

Auch operationsbedingt sind keine längeren, mindestens sechs Monate andauernden Zeiten der Leistungsunfähigkeit festzustellen. Die Entlassungsberichte der Brk.-Klinik Ü. vom 8. März 2007 und 5. November 2007 ergeben keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin länger als sechs Monate (vgl. nur Kasseler Kommentar, § 43 SGB VI Rdnr. 25) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr verrichten konnte.

Es liegen nach den von Prof. Dr. He. und Prof. Dr. Bie. schlüssig und nachvollziehbar festgestellten qualitativen Einschränkungen auch keine Anhaltspunkte für eine schwere spezifische Leistungsminderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Der Klägerin sind z.B. einfache Bürotätigkeiten oder einfache Sortier- Montage- oder Verpackungstätigkeiten mit leichten Industrie- und Handelsprodukten aus Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R- SozR 3- 2600 § 44 Nr. 12) vollschichtig möglich, so dass sich Bereiche des allgemeinen Arbeitsmarktes beschreiben lassen, weshalb es der Benennung einer Verweisungstätigkeit von vorneherein nicht bedarf.

Die Klägerin ist und war aber auch nicht berufsunfähig. Die Klägerin hat sich zwar von der Tätigkeit als Weinfachberaterin in einem E.- Markt aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Diese Tätigkeit hat die Klägerin aber als ungelernte Kraft verrichtet, sodass ein sogenannter Berufsschutz dadurch nicht begründet ist. Zudem hat die Klägerin mit der nachfolgenden Umschulung einen Beruf erlernt, der qualitativ einem Facharbeiterberuf entspricht, den sie vollschichtig verrichten kann. Die Tätigkeit einer Kauffrau im Gesundheitswesen verlangt nur körperlich leichte Tätigkeiten, die der Klägerin vollschichtig zumutbar sind. Die Tätigkeit in der Frauenklinik Dr. Di. hat die Klägerin selbst für möglich erachtet. Die Tätigkeit wurde wegen Insolvenz der Klinik beendet und nicht aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen. Sowohl Dr. Mo. als auch Prof. Dr. He. haben diese Tätigkeit vollschichtig für möglich erachtet. Schließlich hat sich die Klägerin von diesem Beruf, der ihrem Leistungsvermögen entspricht, nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst. Die Klägerin hat im Anschluss hieran hauswirtschaftliche und pflegerische Tätigkeiten verrichtet, die den Berufsschutz durch die Tätigkeit als Kauffrau im Gesundheitswesen wieder haben entfallen lassen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin diese Tätigkeit als sogenannte obere Angelernte verrichtet, liegen nicht vor. Weder hat sie eine Ausbildung noch ein Anlernverhältnis durchlaufen noch lässt sich aus der Berufserfahrung ab Februar 2012 eine Wettbewerbsfähigkeit mit einer angelernten bzw. gelernten Fachkraft ableiten.

Nach alledem kommt es auf die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI) nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat eingeräumten Ermessens ist es für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit ihrer Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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