L 11 KR 797/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2387/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 797/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.01.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1941 geborene Kläger bezieht seit 01.04.2006 eine Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (derzeitige Rentenhöhe 587,84 /Monat), ist aber noch berufstätig.

Seinen Antrag, ihm wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (Krankschreibung seit 09.08.2013, Ende der Lohnfortzahlung am 19.09.2013) ab dem 20.09.2013 Krankengeld (Krg) zu gewähren, lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2014 ab. Versicherte, die Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, hätten keinen Krg-Anspruch. Ab 01.04.2006 könne daher kein Krg-Anspruch mehr entstehen.

Hiergegen hat der Kläger hat am 20.05.2014 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, in dem gesetzlich vorgesehen Ausschluss des Krg liege eine unzulässige Altersdiskriminierung. Der Fortfall des Lohnes könne bei Rentnern fast die gleiche Auswirkung haben wie bei noch nicht im Rentenalter stehenden Arbeitnehmern, da Renten regelmäßiger niedriger seien als das Arbeitseinkommen. Es liege ein Verstoß gegen Art 3 GG sowie eine im Sinne des Art 6 der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung vor. Er werde ausschließlich wegen des eingetretenen Rentenalters diskriminiert, was nicht zulässig sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide Bezug genommen.

Mit Urteil vom 16.01.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheid der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Er habe keinen Anspruch auf Krg im streitgegenständlichen Zeitraum, da er Regelaltersrente beziehe. Mit dem Ausschluss des Krg-Anspruchs in diesem Fall wolle der Gesetzgeber eine Doppelversorgung mit Leistungen gleicher Zweckbestimmung verhindern, was weder nach Art 3 Abs 1 GG noch unter europarechtlichen Gesichtspunkten unzulässig sei.

Gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 04.02.2015 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 03.03.2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Hauptgrund seiner Klage sei die niedrige Rente. Altersrentner mit niedriger Rente seien zur Aufrechterhaltung eines gewissen Lebensstandards oder aus anderen Gründen häufig zu einer Erwerbstätigkeit genötigt. Würde der Gesetzgeber Doppelleistungen ausschließen wollen, müsste er auch Entgeltfortzahlung bei Altersrentnern einschränken. Es gehe um eine Entlastung der Krankenkassen, die an das Rentenalter anknüpfe, mithin altersdiskriminierend wirke.

Der Kläger beantragt:

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 16.01.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld für die Zeit vom 20.09.2013 bis zum 31.03.2014 zu gewähren

hilfsweise, die Revision zum Bundessozialgericht zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Erörterungstermin am 18.06.2015 sind die Beteiligten vom Berichterstatter darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und einer mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten haben sich hiermit einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 18.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Krankengeld im Zeitraum vom 20.09.2013 bis 31.03.2014.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden und haben sich damit einverstanden erklärt.

Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs 4, §§ 24, 40 Abs 2 und § 41 SGB V) behandelt werden (§ 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch SGB V). Für Versicherte, die Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, endet ein Anspruch auf Krankengeld vom Beginn dieser Leistungen an; nach Beginn dieser Leistungen entsteht ein neuer Krankengeldanspruch nicht (§ 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V).

Ein Anspruch auf Krankengeld ist bei Bezug der Vollrente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeschlossen (BSG 30.05.2006, B 1 KR 14/05 R, USK 2006-11).

Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an. § 50 Abs 1 SGB V ist zum 01.01.1989 durch das Gesundheitsreformgesetz (BGBl I 1988, 2477) eingefügt worden und entsprach bis zu seiner Änderung durch das 3. SGB-V-ÄndG v. 10.05.1995 (BGBl I 1995, 678, hierzu BT-Drs 13/340, S 9) inhaltlich weitgehend § 183 Abs 3 RVO. Jedoch hat der Gesetzgeber gerade die Regelung in § 183 Abs 4 RVO nicht übernommen, wonach weiterarbeitende Rentner einen Anspruch auf Krankengeld von "höchstens sechs Wochen, gerechnet vom Tag des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an" hatten. Mit Wirkung vom 19.05.1995 hat der Gesetzgeber § 50 Abs 1 SGB V neu gefasst, um "jeglichen Krankengeldbezug neben den in der Vorschrift genannten Leistungen auszuschließen" (BT-Drs 13/340, S 9). § 50 Abs 1 SGB V betrifft Versicherte, die typischerweise dauerhaft vollständig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und eine diese Situation entschädigende Dauerleistung erhalten. Sie werden ausschließlich (also nicht als Rangfolge gleichzeitig bestehender Ansprüche) auf ihre Rente oder ähnliche Leistung verwiesen, falls diese - unabhängig von deren Höhe im Einzelfall - volle Erwerbseinkommensersatzfunktion hat, wie dies beim Kläger mit der seit 2006 bezogenen Regelaltersrente der Fall ist.

Die Verfassungsmäßigkeit (insb im Hinblick auf Art 3 Abs 1 iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 GG; Art 14 Abs 1 GG) von gesetzlichen Normen mit derartigen Zwecken ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich anerkannt (vgl BVerfG 15.06.1971, 1 BvR 88/69 ua, BVerfGE 31, 185, 189 f, 193 f, SozR Nr 18 zu Art 14 GG [Zusammentreffen von Arbeitslosengeld und Altersruhegeld]; BVerfG 31.03.1980, 1 BvR 229/80, SozR 2200 § 183 Nr 32; 11.07.1980, 1 BvR 491/80, SozR 2200 § 183 Nr 32: "RVO § 183 Abs 4 mit der von den Sozialgerichten zugrunde gelegten Auslegung verletzt nicht GG Art 3 Abs 1. Diese Regelung soll den Doppelbezug von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung verhindern" mwN; BVerfGE 53, 313, 331 = SozR 4100 § 168 Nr 12; BSGE 73, 10, 17 f; vgl auch BSG 20.08.1986, 8 RK 69/84, BSGE 60, 189, BSG SozR 2200 § 183 Nr 50). Insbesondere sind Regelungen, die eine Doppelversorgung mit Leistungen gleicher Zweckbestimmung verhindern sollen, unter dem Gesichtspunkt des Art 3 Abs 1 GG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 33/03 R, SozR 4-2500 § 48 Nr 2 Rn 20, 25; BSG 30.05.2006, B 1 KR 14/05 R, USK 2006-11, jeweils mwN).

Eine unzulässige Altersdiskriminierung im Sinne der Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG liegt nicht vor, wie das SG zutreffend ausgeführt hat. Die Richtlinie 2000/78/EG berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand (vgl Ziff 14 der Vorbemerkung der Richtlinie 2000/78/EG: "Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand").

Der Ausschluss des Krg-Anspruchs knüpft auch nicht an eine bloße Altersgrenze, sondern typisierend an den Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, einer Vollrente wegen Alters oder eines Ruhegehalts nach beamtenrechtlichen Vorschriften an. Dies sind Leistungen, die nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben an Versicherte ausgezahlt werden.

Der Kläger, der noch erwerbstätig ist, erhält nicht wegen seines Alters kein Krg mehr, sondern wegen seines Vollrentenbezugs aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Gesetzgeber leitet aus dem Bezug einer derartigen Vollrente (auch aus dem Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung) eine geringere soziale Schutzbedürftigkeit der betreffenden Krankenversicherten her, die es rechtfertigt, einen weiteren Anspruch auf Krankengeld auszuschließen. Dem steht spiegelbildlich auch ein geringerer Beitragssatz dieses Personenkreises in der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber, worauf das SG ebenfalls zutreffend hingewiesen hat. Dass der Gesetzgeber typisierend davon ausgeht, ein Bezieher einer Vollrente wegen Alters sei, wenn er neben dem Rentenbezug noch arbeitet, im Hinblick auf einen Krankengeldanspruch gerade wegen des Rentenbezuges nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie derjenige, der allein von seinem Entgelt aus Erwerbstätigkeit leben muss, ist nachvollziehbar (vgl zu Kriterien der Angemessenheit einer Regelung EuGH 12.10.2010, C-45/09, NJW 2010, 3767); zudem wird dem Kläger die Fortführung einer Berufstätigkeit gerade nicht untersagt (vgl EuGH aaO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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