Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 320/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1154/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.02.2014 und der Bescheid der Beklagten vom 18.02.2010 in der Gestalt des Bescheids vom 23.09.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04.01.2011 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.08.2010 bis 31.07.2016 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 6/7 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.
Die Klägerin ist am 30.04.1955 geboren. Sie erlernte von 1970 bis 1973 den Beruf der Zahnarzthelferin. In diesem Beruf war sie langjährig versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch zwei Schwangerschaften 1975 und 1979. Zuletzt war sie von 1985 bis 2000 als Bürokraft im Betrieb des Ehemannes versicherungspflichtig beschäftigt. Nach der Firmeninsolvenz war sie arbeitslos. Im Versicherungsverlauf sind ab 08.11.2005 Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vermerkt (Bl 3 Rückseite und Bl 31 Verwaltungsakte).
Ab 2006 wurde die Klägerin mehrfach vom Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag der ARGE Villingen-Schwenningen untersucht. Im Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen, Fachärztin der Agentur für Arbeit, H., vom 17.03.2006 wird eine depressive Erkrankung beschrieben. Die Klägerin sei zur Zeit nicht ausreichend belastbar und voraussichtlich bis zu sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig. Eine medikamentöse Behandlung sei eingeleitet, könne aber intensiviert werden. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt oder ein psychosomatisches Heilverfahren sei möglicherweise geeignet, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wieder Erwerbsfähigkeit herzustellen. In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 09.10.2007 riet die Ärztin H. nochmals nachdrücklich zu einer stationären Reha-Maßnahme. Nach wie vor würden Schlafstörungen und Depressionen bestehen. Daneben bestünde eine Schultergelenkserkrankung mit mäßigen Funktionseinschränkungen sowie beginnende Verschleißerscheinungen im Daumengrundgelenk. Prognostisch sei die Klägerin voraussichtlich bis zu sechs Monaten nicht leistungsfähig. Bei einer entsprechenden Behandlung/Therapie sei mit dem Wiedereintreten der Leistungsfähigkeit zu rechnen.
Der behandelnde Facharzt für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. G. teilte in einem Arztbrief vom 16.10.2008 dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in Villingen-Schwenningen mit, dass eine schwere und festgefügte erlebnisreaktive Depression, Angstneurose bei zugrundeliegender gravierender depressiv-neurotischer Strukturierung vorliege. Derzeit bestehe Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin sei für ca zunächst vier bis fünf Monate beruflichen Anforderungen noch nicht gewachsen. Bei intensiver Weiterführung der Therapie werde auf weitere Anhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit hingearbeitet.
In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 25.11.2008 führte die Ärztin der Agentur für Arbeit H. aus, dass aufgrund der noch nicht ausgeschöpften Therapiemöglichkeiten die Leistungsunfähigkeit erneut auf bis zu sechs Monate eingeschätzt werde. Eine stationäre Behandlung, entweder Krankenhausbehandlung oder Rehabilitation sei angeraten.
In einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme führte die Ärztin der Agentur für Arbeit H. am 19.08.2009 aus, dass voraussichtlich bis zu sechs Monate verminderte oder aufgehobene Leistungsfähigkeit bestehe. Wie bereits in früheren Gutachten beschrieben, sei eine stationäre Krankenhausbehandlung oder stationäre Reha-Maßnahme erforderlich.
Im Zeitraum 2006 bis 2009 wurden von keinem Träger der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation entsprechende Leistungen eingeleitet.
Am 06.10.2009 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte zog die Unterlagen der Agentur für Arbeit Villingen-Schwenningen bei.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W ... Im Gutachten vom 28.01.2010 (Bl 71 Verwaltungsakte, Untersuchungstag 26.01.2010) diagnostizierte der Sachverständige eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Die Klägerin sei örtlich, zeitlich, zur Person und situativ voll orientiert gewesen. Auffassung, Merkfähigkeit, Konzentration und Gedächtnis sowie das formale Denken seien unauffällig gewesen. Die Klägerin habe deprimiert und hoffnungslos gewirkt. Im Vordergrund stehe ein depressives Syndrom im Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen. Eine ambulante Richtlinien-Psychotherapie sei bisher nicht erfolgt. In den letzten Jahren sei mehrmals auf die Notwendigkeit einer stationären Maßnahme hingewiesen worden, ohne dass dies umgesetzt worden sei. Derzeit sei die Klägerin wegen suizidaler Phasen nicht rehabilitationsfähig. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei die Klägerin drei bis sechs Stunden leistungsfähig. Leichte körperliche Tätigkeiten unter gut strukturierten Bedingungen und ohne besondere mentale Anforderungen könnten vollschichtig ausgeübt werden. Die psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Durch eine Intensivierung der ambulanten und stationären Behandlung sei damit zu rechnen, dass sich das Leistungsbild innerhalb der nächsten sechs Monate bessere.
Mit Bescheid vom 18.02.2010 (Bl 91 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.
Hiergegen erhob die Klägerin am 24.02.2010 Widerspruch. Sie könne aus gesundheitlichen Gründen keine berufliche Tätigkeit mehr ausüben. Sie sei in den letzten Jahren wegen ihrer Krankheit arbeits- und leistungsunfähig gewesen.
Die Beklagte forderte bei dem behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. einen Befundbericht an (Bl 104 Verwaltungsakte). Dr. G. führte aus, dass momentan keine Besserung der Leistungsfähigkeit in Aussicht sei. Die Klägerin sei momentan auch einfachen beruflichen Anforderungen psychisch nicht mehr gewachsen.
In einer nervenärztlichen Stellungnahme führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. unter dem 30.08.2010 aus, dass von einer schweren erlebnisreaktiven Depression auszugehen sei und daher dem Gutachten von Dr. W. nicht gefolgt werde könne. Aus seiner Sicht habe seit Oktober 2007 in Übereinstimmung mit dem Arbeitsamt ein vorübergehend aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden.
In einem Aktenvermerk der Beklagten vom 07.09.2010 ist festgehalten, dass bei einem Leistungsfall Oktober 2007 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Bei einem Leistungsfall 25.11.2008 (Bl 46, 52) seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Dr. S. wurde gebeten, zur Frage einer Zeitrentengewährung Stellung zu nehmen.
In der erbetenen Stellungnahme führte Dr. S. unter dem 09.09.2010 aus, dass man nicht umhin komme, an einem Leistungsfall Oktober 2007 festzuhalten. Bereits im Oktober 2007 sei die Klägerin durch Frau H. für das Arbeitsamt begutachtet und ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen worden. Ab September 2008 sei es in kleinen Schritten sukzessive zu einer weiteren Verschlechterung gekommen. Eine Berentung könne bis September 2012 erwogen werden.
Mit Bescheid vom 23.09.2010 lehnte die Beklagte erneut den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die Klägerin sei bereits seit dem 09.10.2007 voll erwerbsgemindert. Zu diesem Zeitpunkt seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen. Im Zeitraum vom 09.10.2002 bis zum 08.10.2007 würden nur 24 Monate mit Pflichtbeiträgen vorliegen.
Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 12.10.2010 mit, sie halte ihren Widerspruch aufrecht. Nach Rücksprache mit der Ärztin der Agentur für Arbeit H. sei nicht von einer dauerhaften Erwerbsminderung am 09.10.2007 auszugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2011 (Bl 146 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Als Zeitpunkt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung sei vom beratungsärztlichen Dienst der 09.10.2007 festgelegt worden. Ausgehend hiervon seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung nicht erfüllt.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.02.2011 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Den Rentenantrag habe sie im Oktober 2009 gestellt. Eine Erwerbsminderung zum Zeitpunkt Oktober 2007 sei nicht im Raum gestanden. Die Agentur für Arbeit habe erst mit Wirkung zum 01.03.2011 die Leistungsbewilligung aufgrund des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit aufgehoben. Die Klägerin hat diesbezüglich das Gutachten der Ärztin H. vom 11.02.2011 vorgelegt (Bl 30 SG-Akte).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erstmalig ab Oktober 2008 erfüllt gewesen.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Die Allgemeinmedizinerin K.-H. hat mit Schreiben vom 22.09.2011 mitgeteilt, dass die Klägerin derzeit aufgrund der schweren psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig sei. Es liege eine schwere chronische Depression mit Angststörung vor. Rückschauend bestünden seit 2006 Bedenken, ob die Klägerin leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. hat mit Schreiben vom 11.10.2011 mitgeteilt, dass er die Klägerin seit Februar 2008 behandle. Sie habe nachvollziehbar hochgradig unter der belastenden Situation des unverschuldeten Zusammenbruchs des Geschäfts gelitten. Sie habe bei guter Einsatzbereitschaft eine Besserung des Gesundheitszustandes und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit angestrebt, was aufgrund der guten psychischen Kompensationsfähigkeit der Klägerin mit viel persönlicher Geduld und Durchhaltebereitschaft über einen langen Zeitraum offen gewesen sei. Erst ab 2009 hätte sich mit Erschöpfung der Kompensationsmechanismen die Depression weiter verS.t mit gesteigerter Antriebsminderung, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, zunehmender schwerer Reduzierung von Durchhaltevermögen, Frustrations- und Angsttoleranz sowie psychischer Belastbarkeit. Im Oktober 2007 hätten keine Bedenken gegen die Beurteilung bestanden, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Die Verringerung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden täglich sei erst ab 2009 eingetreten. Im Oktober 2008 habe er der Agentur für Arbeit mitgeteilt, dass die Klägerin momentan für ca vier bis fünf Monate aufgrund schwerer psychischer Überlastung beruflichen Anforderungen noch nicht gewachsen sei, jedoch bei intensiver Weiterführung der Therapie auf eine Anhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit hingearbeitet werde. Auch im Befundbericht vom 10.08.2009 habe er noch keinen endgültigen Ausfall der psychischen Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit objektiviert.
Die Beklagte nahm hierzu Stellung und führte aus, dass jedenfalls ab September 2008 ein aufgehobenes Leistungsvermögen sowohl im Bezugsberuf als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorgelegen habe. Auch zu diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen nicht erfüllt.
Das SG hat die sozialmedizinischen Gutachten der Ärztin H. von der Agentur für Arbeit beigezogen.
Dr. G. hat in einem weiteren Schreiben vom 27.02.2012 (Bl 74 SG-Akte) ausgeführt, er habe im September 2008 lediglich Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Er sei nicht davon ausgegangen, dass dies ein aufgehobenes Leistungsvermögen im Bezugsberuf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beinhalte. Noch im August 2009 (Befundbericht vom 10.08.2009 an den Ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur Villingen-Schwenningen) sei er noch nicht von einem endgültigen Ausfall der Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit ausgegangen.
Die Beklagte hat eine nervenärztliche Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 02.04.2012 vorgelegt. Dieser hat nunmehr ausgeführt, dass der Leistungsfall für eine Erwerbsunfähigkeit im September 2008 eingetreten sei, da in der Folge der behandelnde Arzt Dr. G. laufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Es sei bereits zu diesem Zeitpunkt eine festgefügte erlebnisreaktive Depression vorhanden gewesen.
Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S., Villingen-Schwenningen. Im Gutachten vom 15.02.2013 (Bl 173 SG-Akte) hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine rezidivierende depressive Störung mit einer mittelgradigen Ausprägung vorgelegen habe. Nach Aktenlage sei eine unzureichende Behandlung erfolgt. Im September 2008 sei nach Aktenlage eine Besserung und Stabilisierung in einem überschaubaren Zeitpunkt unwahrscheinlich gewesen. Positiv für die Prognose einer erfolgreichen Depressionsbehandlung sei allerdings, dass noch keine echten, auch keine stationären, Behandlungsversuche unternommen worden seien.
Die Beklagte hat sich den Feststellungen Dr. S. angeschlossen und ist weiter von einem Leistungsfall September 2008 ausgegangen.
Die Klägerin hat auf das Gutachten der Ärztin H. vom 19.08.2009 hingewiesen. Für die retrospektive Einschätzung der Erwerbsfähigkeit seien die Ausführungen des behandelnden Facharztes Dr. G. maßgeblich. Diese habe Dr. S. nicht ausreichend gewürdigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Versicherungsfall der Erwerbsminderung sei nach Auffassung der Kammer im Oktober 2007 bzw im September 2008 eingetreten. Die Ausführungen des behandelnden Arztes in den Befundberichten aus dem Jahr 2008 bzw den Arztbriefen an die Agentur für Arbeit spreche nicht gegen die Festlegung des Leistungsfalls der Erwerbsminderung spätestens im Monat September 2008. Die Einschätzungen der Fachärztin H. aus den Jahren 2006 bis 2009, wonach zwar Arbeitsunfähigkeit bestehe, aber in sechs Monaten eine Besserung möglich sei, sei nicht nachzuvollziehen. Es werde den Feststellungen und Einschätzungen Dr. S. gefolgt.
Gegen den ihren Bevollmächtigten am 13.02.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 07.03.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sowohl Dr. G. als auch die Ärztin H. seien der Auffassung gewesen, dass erst nach Oktober 2008 von dauerhaften rentenrelevanten Einschränkungen auszugehen sei. Den Einschätzungen der untersuchenden Ärzte komme höheres Gewicht zu als dem nur nach Aktenlage erstellten Gutachten Dr. S. Dr. G. habe in seinen Stellungnahmen nicht eine stets gleiche Ausprägung der psychischen Erkrankung der Klägerin beschrieben. Er habe dargelegt, dass sich die Depression erst ab 2009 verstärkt habe und demensprechend die Verringerung auf weniger als sechs Stunden erst eingetreten sei, als die Kompensationsmechanismen erschöpft gewesen seien. Nicht nachzuvollziehen sei, dass Dr. S. bei der von ihm angenommenen depressiven Episode von lediglich mittelgradiger Ausprägung eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich annehme. Es werde nicht einmal diskutiert, ob ein Leistungsvermögen zwischen drei und unter sechs Stunden in Betracht komme. Diese Diskussion hätte nahegelegen, da ein unter dreistündiges Leistungsvermögen regelmäßig erst bei einer schweren depressiven Erkrankung anerkannt werde.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.02.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 18.02.2010 in der Gestalt des Bescheids vom 23.09.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04.01.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.10.2009 Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug und hat eine ärztliche Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S. vom 15.10.2014 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Die an-gefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtwidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Form einer Zeitrente.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).
Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.
Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Ausgehend von diesen Grundsätzen und nach Abschluss der Beweiserhebung ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin voll erwerbsgemindert ist. Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem Sachverständigengutachten von Dr. S. vom 15.02.2013, in welchem dieser eine rezidivierende depressive Störung mit einer mittelgradigen Ausprägung beschrieben und ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich angenommen hat.
Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung um den Jahreswechsel 2009/2010 eingetreten ist; nachgewiesen ist er (erst) mit der Untersuchung bei Dr. W. am 26.01.2010. Die behandelnden Ärzte der Klägerin, der gerichtliche Sachverständige Dr. S., die Ärztin der Agentur für Arbeit und die Beratungsfachärzte der Beklagten sind sich insoweit einig, dass jedenfalls 2010 die Klägerin voll erwerbsgemindert war. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung bereits im Oktober 2007 bzw im September 2008 eingetreten ist, wie von der Beklagten angenommen.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. hat im Gutachten vom 28.01.2010 eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert. Die Klägerin ist von ihm wegen suizidaler Phasen als nicht rehabilitationsfähig eingeschätzt worden. Zwar ist Dr. W. von einem noch sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ausgegangen, jedoch hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in seiner nervenärztlichen Stellungnahme vom 30.08.2010 für den Senat überzeugend ausgeführt, dass eine schwere erlebnisreaktive Depression vorliegt und daher der Leistungseinschätzung von Dr. W. nicht gefolgt werden kann. Dr. S. hat weiter darauf hingewiesen, dass seit Oktober 2007 nur ein vorübergehend aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden hat. Dies hat auch die Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen, Fachärztin der Agentur für Arbeit, H. in ihren Gutachten aus den Jahren 2007, 2008 und 2009 so beschrieben und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der bestehenden Rehabilitationsmöglichkeiten nur von einer unter sechsmonatigen Einschränkung des Leistungsvermögens ausgegangen werden könne. Der Beratungsfacharzt Dr. S. hat unter dem 09.09.2010 dargelegt, dass es nach September 2008 in kleinen Schritten sukzessive zu einer weiteren Verschlechterung gekommen sei; später hat er die Auffassung vertreten, nachdem er zunächst einen Leistungsfall Oktober 2007 angenommen hat, der Leistungsfall sei bereits im September 2008 eingetreten. Dem hat sich Dr. S. im Gutachten vom 15.02.2013 angeschlossen und ausgeführt, dass nach Aktenlage eine Besserung und Stabilisierung in einem überschaubaren Zeitpunkt unwahrscheinlich gewesen sei. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Dr. G. hat für den Senat überzeugend dargelegt, er habe im September 2008 lediglich Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Damit sei gerade nicht die Feststellung eines aufgehobenen Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbunden gewesen. Er habe bis in das Jahr 2009 hinein eine Besserung des Gesundheitszustandes für möglich gehalten, gerade auch angesichts zunächst noch vorhandener Kompensationsressourcen bei der Klägerin. Noch im August 2009 ist er nicht von einem endgültigen Ausfall der Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit ausgegangen. Dies wird bestätigt die Einschätzung der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen der Agentur für Arbeit, H., die noch anlässlich der Untersuchung am 19.08.2009 davon ausgegangen ist, dass nur bis zu sechs Monate eine verminderte Leistungsfähigkeit vorliegt. Frau H. hat die Klägerin in den Jahren 2006-2009 mehrfach untersucht und für die ARGE Villingen-Schwenningen keine Veranlassung gesehen, das Verfahren der Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a SGB II einzuleiten. Dies ist erst im Frühjahr 2011 geschehen. Schließlich hat auch die Beklagte der Klägerin, wenn auch zu Unrecht, mit Bescheid vom 18.02.2010 attestiert, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Dies zeigt in der Gesamtschau, dass ein Leistungsfall bereits im September 2008 nicht nachzuweisen ist.
Auch wenn man zum Untersuchungszeitpunkt 26.01.2010 bei Dr. W. noch von einem drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgehen würde, wäre wegen eines Leistungsfalles der teilweisen Erwerbsminderung (§ 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI) und Verschlossenheit des Arbeitsmarktes die Voraussetzungen des Leistungsfalles einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfüllt. Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur noch weniger als täglich sechs Stunden und mindestens täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, kommt es darauf an, ob für entsprechende Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. Insoweit kann jedoch ohne weitere Prüfung bzw ohne Nachweis - fehlgeschlagener - Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres von der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ausgegangen werden (vgl BSG 08.09.2005, B 13 RJ 10/04 R mwN; 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Bei einem quantitativ auf drei bis unter sechs Stunden täglich reduzierten Leistungsvermögen ist mithin grundsätzlich neben dem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung zugleich auch der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung liegen vor. Nach § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Nr 3 SGB VI iVm § 43 Abs 4 und 5 SGB VI müssen vor Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt und in den davor liegenden fünf Jahren für mindesten 36 Monate Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt worden sein. Dies ist ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Kontenspiegels und des fortlaufenden Bezuges von Arbeitslosengeld II der Fall.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 1 und 2 SGB VI). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 S 5 SGB VI). Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI).
Die Rente war zu befristen, da ein Dauerzustand zum gegenwärtigen Zustand nicht angenommen werden kann. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 S 5 SGB VI). Eine Besserung im Gesundheitszustand ist solange noch nicht unwahrscheinlich, solange nicht alle therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, auch geläufige Operationen, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht im Gesundheitszustand des Versicherten liegende Kontraindikationen entgegenstehen (BSG 29.03.2005, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2). Die Frage, ob die Behebung unwahrscheinlich ist, ist zum Zeitpunkt der Bewilligung prognostisch zu beurteilen und unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der umfassenden gerichtlichen Nachprüfung. Dr. S. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass noch im September 2008 für eine positive Prognose einer erfolgreichen Depressionsbehandlung gesprochen habe, dass bislang nur unzureichende Behandlungsversuche stattgefunden hätten. Die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten sind damit nicht erschöpft.
Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Maßgeblich ist im Übrigen der Rentenantrag (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Danach ist, ausgehend von einem Leistungsfall 26.01.2010 der Rentenbeginn am 01.08.2010. Die Rente hat der Klägerin befristet bis zum 31.07.2013 zugestanden. Danach hat die Klägerin Anspruch auf Verlängerung der Zeitrente (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI) bis zum 30.07.2016. Die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder die Weitergewährung einer befristeten Rente setzen zwar grundsätzlich die Antragstellung iS der §§ 99 Abs 1, 115 Abs 1 SGB VI voraus. Bei einem laufenden Gerichtsverfahren über den Rentenanspruch ist ein solcher Antrag immer in dem Fortbetreiben des Verfahrens durch den Versicherten zu sehen (vgl Senatsurteil vom 18.05.2010, L 11 R 1126/14; LSG Sachsen-Anhalt 19.07.2011, L 3 R 485/07 unter Hinweis auf BSG 14.11.2002, B 13 RJ 47/01 R, BSGE 90, 136, SozR 3-2600 § 300 Nr 18).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten, Reha-Entlassungsberichte und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO); weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.08.2010 bis 31.07.2016 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 6/7 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten.
Die Klägerin ist am 30.04.1955 geboren. Sie erlernte von 1970 bis 1973 den Beruf der Zahnarzthelferin. In diesem Beruf war sie langjährig versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch zwei Schwangerschaften 1975 und 1979. Zuletzt war sie von 1985 bis 2000 als Bürokraft im Betrieb des Ehemannes versicherungspflichtig beschäftigt. Nach der Firmeninsolvenz war sie arbeitslos. Im Versicherungsverlauf sind ab 08.11.2005 Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vermerkt (Bl 3 Rückseite und Bl 31 Verwaltungsakte).
Ab 2006 wurde die Klägerin mehrfach vom Ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag der ARGE Villingen-Schwenningen untersucht. Im Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen, Fachärztin der Agentur für Arbeit, H., vom 17.03.2006 wird eine depressive Erkrankung beschrieben. Die Klägerin sei zur Zeit nicht ausreichend belastbar und voraussichtlich bis zu sechs Monate vermindert oder nicht leistungsfähig. Eine medikamentöse Behandlung sei eingeleitet, könne aber intensiviert werden. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt oder ein psychosomatisches Heilverfahren sei möglicherweise geeignet, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums wieder Erwerbsfähigkeit herzustellen. In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 09.10.2007 riet die Ärztin H. nochmals nachdrücklich zu einer stationären Reha-Maßnahme. Nach wie vor würden Schlafstörungen und Depressionen bestehen. Daneben bestünde eine Schultergelenkserkrankung mit mäßigen Funktionseinschränkungen sowie beginnende Verschleißerscheinungen im Daumengrundgelenk. Prognostisch sei die Klägerin voraussichtlich bis zu sechs Monaten nicht leistungsfähig. Bei einer entsprechenden Behandlung/Therapie sei mit dem Wiedereintreten der Leistungsfähigkeit zu rechnen.
Der behandelnde Facharzt für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. G. teilte in einem Arztbrief vom 16.10.2008 dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in Villingen-Schwenningen mit, dass eine schwere und festgefügte erlebnisreaktive Depression, Angstneurose bei zugrundeliegender gravierender depressiv-neurotischer Strukturierung vorliege. Derzeit bestehe Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin sei für ca zunächst vier bis fünf Monate beruflichen Anforderungen noch nicht gewachsen. Bei intensiver Weiterführung der Therapie werde auf weitere Anhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit hingearbeitet.
In einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 25.11.2008 führte die Ärztin der Agentur für Arbeit H. aus, dass aufgrund der noch nicht ausgeschöpften Therapiemöglichkeiten die Leistungsunfähigkeit erneut auf bis zu sechs Monate eingeschätzt werde. Eine stationäre Behandlung, entweder Krankenhausbehandlung oder Rehabilitation sei angeraten.
In einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme führte die Ärztin der Agentur für Arbeit H. am 19.08.2009 aus, dass voraussichtlich bis zu sechs Monate verminderte oder aufgehobene Leistungsfähigkeit bestehe. Wie bereits in früheren Gutachten beschrieben, sei eine stationäre Krankenhausbehandlung oder stationäre Reha-Maßnahme erforderlich.
Im Zeitraum 2006 bis 2009 wurden von keinem Träger der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation entsprechende Leistungen eingeleitet.
Am 06.10.2009 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte zog die Unterlagen der Agentur für Arbeit Villingen-Schwenningen bei.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W ... Im Gutachten vom 28.01.2010 (Bl 71 Verwaltungsakte, Untersuchungstag 26.01.2010) diagnostizierte der Sachverständige eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion. Die Klägerin sei örtlich, zeitlich, zur Person und situativ voll orientiert gewesen. Auffassung, Merkfähigkeit, Konzentration und Gedächtnis sowie das formale Denken seien unauffällig gewesen. Die Klägerin habe deprimiert und hoffnungslos gewirkt. Im Vordergrund stehe ein depressives Syndrom im Zusammenhang mit belastenden Lebensereignissen. Eine ambulante Richtlinien-Psychotherapie sei bisher nicht erfolgt. In den letzten Jahren sei mehrmals auf die Notwendigkeit einer stationären Maßnahme hingewiesen worden, ohne dass dies umgesetzt worden sei. Derzeit sei die Klägerin wegen suizidaler Phasen nicht rehabilitationsfähig. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei die Klägerin drei bis sechs Stunden leistungsfähig. Leichte körperliche Tätigkeiten unter gut strukturierten Bedingungen und ohne besondere mentale Anforderungen könnten vollschichtig ausgeübt werden. Die psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft. Durch eine Intensivierung der ambulanten und stationären Behandlung sei damit zu rechnen, dass sich das Leistungsbild innerhalb der nächsten sechs Monate bessere.
Mit Bescheid vom 18.02.2010 (Bl 91 Verwaltungsakte) lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.
Hiergegen erhob die Klägerin am 24.02.2010 Widerspruch. Sie könne aus gesundheitlichen Gründen keine berufliche Tätigkeit mehr ausüben. Sie sei in den letzten Jahren wegen ihrer Krankheit arbeits- und leistungsunfähig gewesen.
Die Beklagte forderte bei dem behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. einen Befundbericht an (Bl 104 Verwaltungsakte). Dr. G. führte aus, dass momentan keine Besserung der Leistungsfähigkeit in Aussicht sei. Die Klägerin sei momentan auch einfachen beruflichen Anforderungen psychisch nicht mehr gewachsen.
In einer nervenärztlichen Stellungnahme führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. unter dem 30.08.2010 aus, dass von einer schweren erlebnisreaktiven Depression auszugehen sei und daher dem Gutachten von Dr. W. nicht gefolgt werde könne. Aus seiner Sicht habe seit Oktober 2007 in Übereinstimmung mit dem Arbeitsamt ein vorübergehend aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden.
In einem Aktenvermerk der Beklagten vom 07.09.2010 ist festgehalten, dass bei einem Leistungsfall Oktober 2007 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Bei einem Leistungsfall 25.11.2008 (Bl 46, 52) seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Dr. S. wurde gebeten, zur Frage einer Zeitrentengewährung Stellung zu nehmen.
In der erbetenen Stellungnahme führte Dr. S. unter dem 09.09.2010 aus, dass man nicht umhin komme, an einem Leistungsfall Oktober 2007 festzuhalten. Bereits im Oktober 2007 sei die Klägerin durch Frau H. für das Arbeitsamt begutachtet und ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen worden. Ab September 2008 sei es in kleinen Schritten sukzessive zu einer weiteren Verschlechterung gekommen. Eine Berentung könne bis September 2012 erwogen werden.
Mit Bescheid vom 23.09.2010 lehnte die Beklagte erneut den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die Klägerin sei bereits seit dem 09.10.2007 voll erwerbsgemindert. Zu diesem Zeitpunkt seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen. Im Zeitraum vom 09.10.2002 bis zum 08.10.2007 würden nur 24 Monate mit Pflichtbeiträgen vorliegen.
Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 12.10.2010 mit, sie halte ihren Widerspruch aufrecht. Nach Rücksprache mit der Ärztin der Agentur für Arbeit H. sei nicht von einer dauerhaften Erwerbsminderung am 09.10.2007 auszugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2011 (Bl 146 Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Als Zeitpunkt des Leistungsfalls der vollen Erwerbsminderung sei vom beratungsärztlichen Dienst der 09.10.2007 festgelegt worden. Ausgehend hiervon seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rentengewährung nicht erfüllt.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.02.2011 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Den Rentenantrag habe sie im Oktober 2009 gestellt. Eine Erwerbsminderung zum Zeitpunkt Oktober 2007 sei nicht im Raum gestanden. Die Agentur für Arbeit habe erst mit Wirkung zum 01.03.2011 die Leistungsbewilligung aufgrund des Wegfalls der Erwerbsfähigkeit aufgehoben. Die Klägerin hat diesbezüglich das Gutachten der Ärztin H. vom 11.02.2011 vorgelegt (Bl 30 SG-Akte).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erstmalig ab Oktober 2008 erfüllt gewesen.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Die Allgemeinmedizinerin K.-H. hat mit Schreiben vom 22.09.2011 mitgeteilt, dass die Klägerin derzeit aufgrund der schweren psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig sei. Es liege eine schwere chronische Depression mit Angststörung vor. Rückschauend bestünden seit 2006 Bedenken, ob die Klägerin leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. hat mit Schreiben vom 11.10.2011 mitgeteilt, dass er die Klägerin seit Februar 2008 behandle. Sie habe nachvollziehbar hochgradig unter der belastenden Situation des unverschuldeten Zusammenbruchs des Geschäfts gelitten. Sie habe bei guter Einsatzbereitschaft eine Besserung des Gesundheitszustandes und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit angestrebt, was aufgrund der guten psychischen Kompensationsfähigkeit der Klägerin mit viel persönlicher Geduld und Durchhaltebereitschaft über einen langen Zeitraum offen gewesen sei. Erst ab 2009 hätte sich mit Erschöpfung der Kompensationsmechanismen die Depression weiter verS.t mit gesteigerter Antriebsminderung, Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, zunehmender schwerer Reduzierung von Durchhaltevermögen, Frustrations- und Angsttoleranz sowie psychischer Belastbarkeit. Im Oktober 2007 hätten keine Bedenken gegen die Beurteilung bestanden, die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Die Verringerung des Leistungsvermögens auf weniger als sechs Stunden täglich sei erst ab 2009 eingetreten. Im Oktober 2008 habe er der Agentur für Arbeit mitgeteilt, dass die Klägerin momentan für ca vier bis fünf Monate aufgrund schwerer psychischer Überlastung beruflichen Anforderungen noch nicht gewachsen sei, jedoch bei intensiver Weiterführung der Therapie auf eine Anhebung der beruflichen Leistungsfähigkeit hingearbeitet werde. Auch im Befundbericht vom 10.08.2009 habe er noch keinen endgültigen Ausfall der psychischen Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit objektiviert.
Die Beklagte nahm hierzu Stellung und führte aus, dass jedenfalls ab September 2008 ein aufgehobenes Leistungsvermögen sowohl im Bezugsberuf als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorgelegen habe. Auch zu diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen nicht erfüllt.
Das SG hat die sozialmedizinischen Gutachten der Ärztin H. von der Agentur für Arbeit beigezogen.
Dr. G. hat in einem weiteren Schreiben vom 27.02.2012 (Bl 74 SG-Akte) ausgeführt, er habe im September 2008 lediglich Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Er sei nicht davon ausgegangen, dass dies ein aufgehobenes Leistungsvermögen im Bezugsberuf und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beinhalte. Noch im August 2009 (Befundbericht vom 10.08.2009 an den Ärztlichen Dienst der Arbeitsagentur Villingen-Schwenningen) sei er noch nicht von einem endgültigen Ausfall der Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit ausgegangen.
Die Beklagte hat eine nervenärztliche Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 02.04.2012 vorgelegt. Dieser hat nunmehr ausgeführt, dass der Leistungsfall für eine Erwerbsunfähigkeit im September 2008 eingetreten sei, da in der Folge der behandelnde Arzt Dr. G. laufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt habe. Es sei bereits zu diesem Zeitpunkt eine festgefügte erlebnisreaktive Depression vorhanden gewesen.
Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S., Villingen-Schwenningen. Im Gutachten vom 15.02.2013 (Bl 173 SG-Akte) hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine rezidivierende depressive Störung mit einer mittelgradigen Ausprägung vorgelegen habe. Nach Aktenlage sei eine unzureichende Behandlung erfolgt. Im September 2008 sei nach Aktenlage eine Besserung und Stabilisierung in einem überschaubaren Zeitpunkt unwahrscheinlich gewesen. Positiv für die Prognose einer erfolgreichen Depressionsbehandlung sei allerdings, dass noch keine echten, auch keine stationären, Behandlungsversuche unternommen worden seien.
Die Beklagte hat sich den Feststellungen Dr. S. angeschlossen und ist weiter von einem Leistungsfall September 2008 ausgegangen.
Die Klägerin hat auf das Gutachten der Ärztin H. vom 19.08.2009 hingewiesen. Für die retrospektive Einschätzung der Erwerbsfähigkeit seien die Ausführungen des behandelnden Facharztes Dr. G. maßgeblich. Diese habe Dr. S. nicht ausreichend gewürdigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.02.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Versicherungsfall der Erwerbsminderung sei nach Auffassung der Kammer im Oktober 2007 bzw im September 2008 eingetreten. Die Ausführungen des behandelnden Arztes in den Befundberichten aus dem Jahr 2008 bzw den Arztbriefen an die Agentur für Arbeit spreche nicht gegen die Festlegung des Leistungsfalls der Erwerbsminderung spätestens im Monat September 2008. Die Einschätzungen der Fachärztin H. aus den Jahren 2006 bis 2009, wonach zwar Arbeitsunfähigkeit bestehe, aber in sechs Monaten eine Besserung möglich sei, sei nicht nachzuvollziehen. Es werde den Feststellungen und Einschätzungen Dr. S. gefolgt.
Gegen den ihren Bevollmächtigten am 13.02.2014 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat die Klägerin am 07.03.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Sowohl Dr. G. als auch die Ärztin H. seien der Auffassung gewesen, dass erst nach Oktober 2008 von dauerhaften rentenrelevanten Einschränkungen auszugehen sei. Den Einschätzungen der untersuchenden Ärzte komme höheres Gewicht zu als dem nur nach Aktenlage erstellten Gutachten Dr. S. Dr. G. habe in seinen Stellungnahmen nicht eine stets gleiche Ausprägung der psychischen Erkrankung der Klägerin beschrieben. Er habe dargelegt, dass sich die Depression erst ab 2009 verstärkt habe und demensprechend die Verringerung auf weniger als sechs Stunden erst eingetreten sei, als die Kompensationsmechanismen erschöpft gewesen seien. Nicht nachzuvollziehen sei, dass Dr. S. bei der von ihm angenommenen depressiven Episode von lediglich mittelgradiger Ausprägung eine Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich annehme. Es werde nicht einmal diskutiert, ob ein Leistungsvermögen zwischen drei und unter sechs Stunden in Betracht komme. Diese Diskussion hätte nahegelegen, da ein unter dreistündiges Leistungsvermögen regelmäßig erst bei einer schweren depressiven Erkrankung anerkannt werde.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 07.02.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 18.02.2010 in der Gestalt des Bescheids vom 23.09.2010, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04.01.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.10.2009 Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug und hat eine ärztliche Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S. vom 15.10.2014 vorgelegt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Die an-gefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtwidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in Form einer Zeitrente.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554).
Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw teilweise erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt.
Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Ausgehend von diesen Grundsätzen und nach Abschluss der Beweiserhebung ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin voll erwerbsgemindert ist. Diese Überzeugung schöpft der Senat aus dem Sachverständigengutachten von Dr. S. vom 15.02.2013, in welchem dieser eine rezidivierende depressive Störung mit einer mittelgradigen Ausprägung beschrieben und ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich angenommen hat.
Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung um den Jahreswechsel 2009/2010 eingetreten ist; nachgewiesen ist er (erst) mit der Untersuchung bei Dr. W. am 26.01.2010. Die behandelnden Ärzte der Klägerin, der gerichtliche Sachverständige Dr. S., die Ärztin der Agentur für Arbeit und die Beratungsfachärzte der Beklagten sind sich insoweit einig, dass jedenfalls 2010 die Klägerin voll erwerbsgemindert war. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung bereits im Oktober 2007 bzw im September 2008 eingetreten ist, wie von der Beklagten angenommen.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. hat im Gutachten vom 28.01.2010 eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert. Die Klägerin ist von ihm wegen suizidaler Phasen als nicht rehabilitationsfähig eingeschätzt worden. Zwar ist Dr. W. von einem noch sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ausgegangen, jedoch hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in seiner nervenärztlichen Stellungnahme vom 30.08.2010 für den Senat überzeugend ausgeführt, dass eine schwere erlebnisreaktive Depression vorliegt und daher der Leistungseinschätzung von Dr. W. nicht gefolgt werden kann. Dr. S. hat weiter darauf hingewiesen, dass seit Oktober 2007 nur ein vorübergehend aufgehobenes Leistungsvermögen bestanden hat. Dies hat auch die Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen, Fachärztin der Agentur für Arbeit, H. in ihren Gutachten aus den Jahren 2007, 2008 und 2009 so beschrieben und für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der bestehenden Rehabilitationsmöglichkeiten nur von einer unter sechsmonatigen Einschränkung des Leistungsvermögens ausgegangen werden könne. Der Beratungsfacharzt Dr. S. hat unter dem 09.09.2010 dargelegt, dass es nach September 2008 in kleinen Schritten sukzessive zu einer weiteren Verschlechterung gekommen sei; später hat er die Auffassung vertreten, nachdem er zunächst einen Leistungsfall Oktober 2007 angenommen hat, der Leistungsfall sei bereits im September 2008 eingetreten. Dem hat sich Dr. S. im Gutachten vom 15.02.2013 angeschlossen und ausgeführt, dass nach Aktenlage eine Besserung und Stabilisierung in einem überschaubaren Zeitpunkt unwahrscheinlich gewesen sei. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Dr. G. hat für den Senat überzeugend dargelegt, er habe im September 2008 lediglich Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Damit sei gerade nicht die Feststellung eines aufgehobenen Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbunden gewesen. Er habe bis in das Jahr 2009 hinein eine Besserung des Gesundheitszustandes für möglich gehalten, gerade auch angesichts zunächst noch vorhandener Kompensationsressourcen bei der Klägerin. Noch im August 2009 ist er nicht von einem endgültigen Ausfall der Leistungsfähigkeit und Erwerbsfähigkeit ausgegangen. Dies wird bestätigt die Einschätzung der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen der Agentur für Arbeit, H., die noch anlässlich der Untersuchung am 19.08.2009 davon ausgegangen ist, dass nur bis zu sechs Monate eine verminderte Leistungsfähigkeit vorliegt. Frau H. hat die Klägerin in den Jahren 2006-2009 mehrfach untersucht und für die ARGE Villingen-Schwenningen keine Veranlassung gesehen, das Verfahren der Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a SGB II einzuleiten. Dies ist erst im Frühjahr 2011 geschehen. Schließlich hat auch die Beklagte der Klägerin, wenn auch zu Unrecht, mit Bescheid vom 18.02.2010 attestiert, noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Dies zeigt in der Gesamtschau, dass ein Leistungsfall bereits im September 2008 nicht nachzuweisen ist.
Auch wenn man zum Untersuchungszeitpunkt 26.01.2010 bei Dr. W. noch von einem drei bis unter sechsstündigen Leistungsvermögen ausgehen würde, wäre wegen eines Leistungsfalles der teilweisen Erwerbsminderung (§ 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI) und Verschlossenheit des Arbeitsmarktes die Voraussetzungen des Leistungsfalles einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI erfüllt. Für die Beurteilung, ob ein Versicherter, der aufgrund seines Gesundheitszustands in quantitativer Hinsicht nur noch weniger als täglich sechs Stunden und mindestens täglich drei Stunden arbeiten kann, voll erwerbsgemindert ist, kommt es darauf an, ob für entsprechende Erwerbstätigkeiten Arbeitsplätze vorhanden sind, die der Versicherte mit seinen Kräften und Fähigkeiten noch ausfüllen kann. Insoweit kann jedoch ohne weitere Prüfung bzw ohne Nachweis - fehlgeschlagener - Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung oder des Rentenversicherungsträgers innerhalb eines Jahres von der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes ausgegangen werden (vgl BSG 08.09.2005, B 13 RJ 10/04 R mwN; 19.10.2011, B 13 R 78/09 R). Bei einem quantitativ auf drei bis unter sechs Stunden täglich reduzierten Leistungsvermögen ist mithin grundsätzlich neben dem Leistungsfall der teilweisen Erwerbsminderung zugleich auch der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung eingetreten.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung liegen vor. Nach § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 und Nr 3 SGB VI iVm § 43 Abs 4 und 5 SGB VI müssen vor Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt und in den davor liegenden fünf Jahren für mindesten 36 Monate Pflichtversicherungsbeiträge gezahlt worden sein. Dies ist ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Kontenspiegels und des fortlaufenden Bezuges von Arbeitslosengeld II der Fall.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 1 und 2 SGB VI). Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 S 5 SGB VI). Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI).
Die Rente war zu befristen, da ein Dauerzustand zum gegenwärtigen Zustand nicht angenommen werden kann. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von neun Jahren auszugehen (§ 102 Abs 2 S 5 SGB VI). Eine Besserung im Gesundheitszustand ist solange noch nicht unwahrscheinlich, solange nicht alle therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind. Hierzu zählen alle anerkannten Behandlungsmethoden, auch geläufige Operationen, die zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit führen können, soweit nicht im Gesundheitszustand des Versicherten liegende Kontraindikationen entgegenstehen (BSG 29.03.2005, B 13 RJ 31/05 R, SozR 4-2600 § 102 Nr 2). Die Frage, ob die Behebung unwahrscheinlich ist, ist zum Zeitpunkt der Bewilligung prognostisch zu beurteilen und unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der umfassenden gerichtlichen Nachprüfung. Dr. S. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass noch im September 2008 für eine positive Prognose einer erfolgreichen Depressionsbehandlung gesprochen habe, dass bislang nur unzureichende Behandlungsversuche stattgefunden hätten. Die therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten sind damit nicht erschöpft.
Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet (§ 101 Abs 1 SGB VI). Maßgeblich ist im Übrigen der Rentenantrag (§ 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Danach ist, ausgehend von einem Leistungsfall 26.01.2010 der Rentenbeginn am 01.08.2010. Die Rente hat der Klägerin befristet bis zum 31.07.2013 zugestanden. Danach hat die Klägerin Anspruch auf Verlängerung der Zeitrente (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI) bis zum 30.07.2016. Die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung oder die Weitergewährung einer befristeten Rente setzen zwar grundsätzlich die Antragstellung iS der §§ 99 Abs 1, 115 Abs 1 SGB VI voraus. Bei einem laufenden Gerichtsverfahren über den Rentenanspruch ist ein solcher Antrag immer in dem Fortbetreiben des Verfahrens durch den Versicherten zu sehen (vgl Senatsurteil vom 18.05.2010, L 11 R 1126/14; LSG Sachsen-Anhalt 19.07.2011, L 3 R 485/07 unter Hinweis auf BSG 14.11.2002, B 13 RJ 47/01 R, BSGE 90, 136, SozR 3-2600 § 300 Nr 18).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten, Reha-Entlassungsberichte und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats und haben die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO); weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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