L 11 R 1560/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 2562/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1560/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19.03.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten.

Die am 21.11.1950 geborene Klägerin ist Mutter des am 13.04.1978 geborenen S. und der am 10.07.1981 geborenen K ... Mit Bescheid vom 30.03.1987 merkte die Beklagte Kindererziehungszeiten für die Klägerin vom 01.05.1978 bis 30.04.1979 und vom 01.08.1981 bis 31.07.1982 vor.

Mit Schreiben vom 10.06.2013 begehrte die Klägerin die Berücksichtigung von drei Jahren Kindererziehungszeiten für jedes Kind, da sonst Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren hätten, benachteiligt würden. Mit Bescheid vom 04.09.2013 lehnte die Beklagte die Berücksichtigung einer Versicherungspflicht wegen Kindererziehungszeiten über zwölf Monate ab, da das geltende Recht dies nicht vorsehe.

Hiergegen richtet sich die am 09.10.2013 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobene Klage.

Mit Bescheid vom 18.11.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.12.2013 iHv 950,80 EUR. Der Bescheid enthielt auf Seite 6 den Zusatz: "Die Rente ist unter Außerachtlassung der im Verfahren gegen den Bescheid vom 04.09.2013 geltend gemachten Ansprüche berechnet worden. Sie wird neu festgestellt, wenn und soweit dieses Verfahren zu Ihren Gunsten beendet wird. Der Zahlungsausschluss des § 44 Abs 4 SGB X findet dabei keine Anwendung. Wegen dieser Ansprüche ist ein Widerspruch gegen den Rentenbescheid ausgeschlossen."

Die Beklagte fasste die Klageerhebung als Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.09.2013 auf und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2013 zurück.

Mit Urteil vom 19.03.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig, da das Widerspruchsverfahren während des Klageverfahrens nachgeholt worden sei. Die Klage sei aber unbegründet, da die Beklagte die Kindererziehungszeit im durch § 249 Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vorgegebenen Umfang berücksichtigt habe. Nach dieser Vorschrift ende die Kindererziehungszeit für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. § 249 SGB VI sei weder im Vergleich mit § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VI noch für sich betrachtet verfassungswidrig (unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 29.03.1996, 1 BvR 1238/95 und 07.07.1992 – 1 BvL 51/86). Zwar sei der Gesetzgeber nach Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 Grundgesetz (GG) verpflichtet, den Mangel des Rentenversicherungssystems, der in dem durch Kindererziehung bedingten Nachteil bei der Altersversorgung liege, in weiterem Umfang als bisher auszugleichen. Dem sei der Gesetzgeber mit der zeitlichen Ausdehnung ab dem Stichtag 01.01.1992 aber nachgekommen. Auch Art 6 Abs 1 GG gebiete keine längere Anerkennung von Kindererziehungszeiten für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder (unter Hinweis auf BVerfGE 87, 35).

Hiergegen richtet sich die am 04.04.2014 eingelegte Berufung der Klägerin. Das BVerfG sei 1996 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Gesetzgeber noch im Rahmen seines Gestaltungsspielraums bewegt habe. Mit der Änderung des § 307d SGB VI habe sich die Situation zwar verbessert, aber eine Gleichstellung mit Müttern, deren Kinder nach dem Stichtag geboren worden seien, sei immer noch nicht erreicht. Der Gesetzgeber habe erneut eine Ungleichbehandlung in Kauf genommen und gezeigt, dass er nicht gewillt sei, das Grundsatzurteil des BVerfG von 1992 vollständig umzusetzen. Der Gesetzgeber erhöhe die Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder um zwölf Monate und lehne eine völlige Gleichstellung mit der Begründung ab, dass sich die Kosten für die Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten dann verdoppeln würden und dies nicht finanzierbar sei. Die Frage der Finanzierbarkeit dürfe nach Auffassung der Klägerin nur eine untergeordnete Rolle spielen, die Funktionsfähigkeit des Systems Rentenversicherung sei nicht in Gefahr. Zudem sei die pauschale Behauptung der fehlenden Finanzierbarkeit durch keine konkreten Zahlen belegt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19.03.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für ihre Kinder S. und K. jeweils drei Jahre als Kindererziehungszeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Auffassung des SG im angefochtenen Urteil für zutreffend. Die Beklagte hat den Rentenbescheid vom 22.09.2014 vorgelegt, mit dem die Altersrente der Klägerin ab 01.07.2014 neu berechnet wird und ein Zuschlag für Kindererziehung von 2 persönlichen Entgeltpunkten zusätzlich berücksichtigt wird (sog Mütterrente).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte und statthafte (§ 143 SGG) Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung weiterer rentenrechtlicher Zeiten wegen Kindererziehung.

Zulässiger Prüfungsgegenstand der vorliegend statthaften kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist allein der Bescheid vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2013. Zwar erledigt sich ein Vormerkungsbescheid iSv § 39 SGB X, wenn während des Widerspruchsverfahrens ein Rentenbescheid ergeht, der die Regelungen des Vormerkungsbescheids übernimmt (BSG 14.12.2011, B 5 R 36/11 R, SozR 4-2600 § 248 Nr 1). Vergleichbar ist das Verhältnis eines Überprüfungsbescheids nach § 44 SGB X hinsichtlich einer Vormerkung zu einem Rentenbescheid (Senatsbeschluss 15.05.2015, L 11 R 5172/14 B). Im konkreten Fall ist der Bescheid über die Altersrente vom 18.11.2013 jedoch gerade nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nach § 86 SGG geworden. Denn der Rentenbescheid enthält ausdrücklich keine Regelung zu den hier streitigen Kindererziehungszeiten, diese Frage wird vielmehr explizit ausgeklammert. Insoweit ist den Ausführungen auf Seite 6 des Rentenbescheids ausdrücklich zu entnehmen, dass die Rente unter Außerachtlassung der Frist des § 44 Abs 4 SGB X neu festgestellt wird, wenn das laufende Verfahren zu Gunsten der Klägerin beendet wird. Durch den Rentenbescheid erfolgt daher gerade keine Änderung oder Ersetzung der im Bescheid vom 04.09.2013 getroffenen Regelung zur Ablehnung weiterer Kindererziehungszeiten (vgl LSG Berlin-Brandenburg 05.06.2008, L 3 R 1148/07, juris; Senatsbeschluss vom 15.05.2015, L 11 R 5172/14 B). Das SG hat daher zutreffend allein über den Bescheid vom 04.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2013 entschieden.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zwar die Altersrente mit Bescheid vom 22.09.2014 ab 01.07.2014 neu berechnet und einen zusätzlichen Zuschlag für Kindererziehung berücksichtigt (sog Mütterrente). Dieser Bescheid ist jedoch nicht nach §§ 153 Abs 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden, denn er ändert die bisherige Regelung zur Anrechnung der Kindererziehungszeiten nicht ab. Mit dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23.06.2014, BGBl I S 787) wurde die Kindererziehungszeit für vor 1992 geborene Kinder von 12 auf 24 Kalendermonate verlängert (§ 249 Abs 1 SGB VI). Nach § 306 Abs 1 SGB VI werden aus Anlass einer Rechtsänderung die der Rente zugrunde liegenden persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, wenn vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften bereits Anspruch auf eine Rente bestand, soweit nicht in den folgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Um eine solche abweichende Vorschrift, die zu einer Neubestimmung der persönlichen Entgeltpunkte führt, handelt es sich bei § 307d VI (idF des G vom 23.06.2014, BGBl I S 787). Die Vorschrift sieht einen pauschalen Zuschlag von einem persönlichen Entgeltpunkt für jedes vor dem 01.01.1992 geborene Kind vor, wenn am 30.06.2014 bereits eine Rente bezogen wird. Damit soll auch im Hinblick auf die Verwaltungspraktikabilität die reibungslose Umsetzung der Einbeziehung des Rentenbestands in die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 gewährleistet werden. Die Leistung ist damit nicht wie die seinerzeitige Leistung für Kindererziehung ausgestaltet, sondern als Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkte zu den bisherigen Entgeltpunkten (BR-Drs 25/14 S 21). Die ursprünglichen Feststellungen zum Vorliegen von Kindererziehungszeiten bleiben daher von der Neuberechnung der Rente unberührt. Der Senat hat damit nicht zu entscheiden, ob der Klägerin ab 01.07.2014 höhere Rente zusteht. Einen entsprechenden Antrag hat die Klägerin davon abgesehen auch nicht gestellt.

Die Beklagte hat zu Recht einen Rücknahmeanspruch der Klägerin abgelehnt. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Im Übrigen ist ein rechtwidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen; er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs 2 SGB X). Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 und 2 SGB X für einen Anspruch auf Rücknahme des bindenden Vormerkungsbescheids vom 30.03.1987 hinsichtlich der Kindererziehungszeiten sind nicht erfüllt, weil diese Festsetzung im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht rechtswidrig war. Die Beklagte hat als Zeiten der Erziehung der am 13.04.1978 und 10.07.1981 geborenen Kinder der Klägerin zu Recht nur die ersten zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt berücksichtigt. Soweit die Klägerin der Sache nach begehrt, drei Jahre Kindererziehungszeiten gemäß § 56 SGB VI ohne Einschränkung des § 249 Abs 1 SGB VI zu berücksichtigen, konnte die Beklagte diese Bestimmungen im Bescheid vom 30.03.1987 schon deshalb nicht anwenden, weil sie zu diesem Zeitpunkt weder im Bundesgesetzblatt verkündet noch in Kraft getreten waren. Das RRG 1992, dessen Art 1 die Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs um das SGB VI ergänzt hat, wurde erst am 18.12.1989 verkündet (BGBl I 2261); die vorgenannten Bestimmungen des SGB VI sind erst am 01.01.1992 in Kraft getreten (Art 85 Abs 1 RRG 1992). Für die Rechtmäßigkeit davor getroffener Entscheidungen haben sie allein schon deshalb keine Wirkung (Art 82 GG, § 300 Abs 1 SGB VI; vgl BSG 18.10.2005, B 4 RA 56/04 R, juris).

Bereits das SG hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das BVerfG die Regelung einer zwölfmonatigen Kindererziehungszeit für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder als mit dem GG vereinbar erklärt hat (BVerfG 07.07.1992, 1 BvL 51/86 ua, BVerfGE 87, 1, 35 ff, 43 ff; BVerfG 29.03.1996, 1 BvR 1238/95, FamRZ 1996, 789; BVerfG 21.10.2004, 1 BvR 1596/01). BSG 18.10.2005, B 4 RA 56/04 R, juris). An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass zum 01.07.2014 eine verbesserte Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten bei der Rentenberechnung in Kraft getreten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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