L 7 AS 2807/13 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 4450/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 2807/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. Mai 2013 aufgehoben.

Dem Kläger wird für das Klageverfahren S 16 AS 4450/12 ab 10. Dezember 2012 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt und Rechtsanwältin K., beigeordnet.

Gründe:

Die gemäß § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft, weil die Beschwerdeausschlussgründe des § 172 Abs. 3 SGG, insbesondere Nr. 2 a.a.O., nicht eingreifen; das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat die Ablehnung der Prozesskostenhilfe (PKH) nicht auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, sondern auf die fehlende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung gestützt. Die Ausschlussnorm des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG (in der hier noch anzuwendenden Fassung des Art. 6 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127)) greift demnach hier nicht ein. Die sonach zulässige Beschwerde ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von PKH unter Beiordnung der von ihm benannten Rechtsanwältin.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung - ZPO - (Fassung bis 31. Dezember 2013) erhält PKH, wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO verlangt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Dabei sind freilich keine überspannten Anforderungen zu stellen (ständige Rechtsprechung des Senats unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 81, 347, 357). Eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Ausgang des Klageverfahrens als offen zu bezeichnen ist. Dies gilt namentlich dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfG NJW 1997, 2102, 2103; NJW 2004, 1789; NVwZ 2006, 1156; Bundessozialgericht (BSG) SozR 4-1500 § 62 Nr. 9) oder eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch Beweisaufnahme, ernsthaft in Betracht kommt (vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1069; info also 2006, 279). Keinesfalls darf die Prüfung der Erfolgsaussichten dazu dienen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahren der PKH zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Bei zweifelhaften Rechtsfragen hat das Gericht demnach regelmäßig PKH zu bewilligen, auch wenn es der Auffassung ist, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Antragstellers zu entscheiden ist (Bundesgerichtshof NJW 2012, 1964).

Vorliegend spricht viel dafür, dass der im Klageverfahren vor dem SG streitgegenständliche, eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 12. November 2012 (§ 15 Abs. 1 Satz 6 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II)) an Rechtsfehlern leidet. Offenbleiben kann bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung, ob hier die Voraussetzungen für einen ersetzenden Verwaltungsakt überhaupt vorgelegen haben (vgl. hierzu BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr. 2 (jeweils Rdnrn. 17 ff.)). Denn der Verwaltungsakt vom 12. November 2012 begegnet bereits aus anderen Gründen rechtlichen Bedenken.

So ist im Verwaltungsakt vom 12. November 2012 die Gültigkeitsdauer festgelegt auf den Zeitraum vom 12. November 2012 bis 11. Mai 2013. Insoweit ist freilich nicht beachtet worden, dass der Verwaltungsakt dem Kläger zugesandt wurde, sodass er frühestens mit seiner Bekanntgabe Wirkungen hat entfalten können. Ausgehend vom Widerspruchsschreiben des Klägers vom 16. November 2012 dürfte die Bekanntgabe des Verwaltungsakts jedenfalls am 16. November 2012 erfolgt gewesen sein; mangels eines aktenkundigen Absendevermerks dürfte allerdings die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuchs (SGB X) nicht greifen. Mit dem bereits ab dem 12. November 2012 laufenden Geltungsbeginn sind dem Kläger aber Obliegenheiten auferlegt worden, die er seinerzeit mangels Zugangs des Verwaltungsakts überhaupt noch nicht erfüllen konnte. Dies scheint der Beklagte im Übrigen neuerdings selbst so zu sehen; so hat er nunmehr dem Widerspruch des Klägers gegen den eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 1. April 2014 abgeholfen (vgl. Zuschrift der Widerspruchsstelle vom 14. April 2014, Abhilfebescheid vom 24. April 2014), und zwar u.a. deswegen, weil auch in diesem Verwaltungsakt der Zeitpunkt der Bekanntgabe als maßgeblicher Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines Verwaltungsakts (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X) außer Acht gelassen worden war.

Darüber hinaus erscheinen auch die dem Kläger auferlegten Obliegenheiten zumindest in Teilen unklar und in sich widersprüchlich (vgl. zum Erfordernis hinreichender Bestimmtheit in anderem Zusammenhang BSGE 95, 176 = SozR 4-4300 § 119 Nr. 3; BSG, Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 13/05 R - (juris); ferner Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Februar 2007 - L 28 B 166/07 ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2013 - L 7 AS 40/13 B - (beide juris); Berlit in LPK-SGB II, 5. Auflage, § 15 Rdnr. 23; Kador (Stand: VII/12); Sonnhoff in jurisPK-SGB II, § 15 Rdnr. 71.2 (Stand: 02.06.2014)). Dem Kläger ist in dem Ersetzungsverwaltungsakt vom 12. November 2012 u.a. aufgegeben worden, Nachweise über die Eigenbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen (monatlich mindestens sieben an der Zahl) in den nächsten sechs Monaten jeweils unaufgefordert bis zum 29. des Folgemonats für den jeweiligen vorangegangenen Monat vorzulegen. Dies sollte dann aber - so die Bestimmung im Verwaltungsakt - bis zum 29. Dezember 2012 für die Monate November und Dezember 2012, bis zum 28. Februar 2013 für die Monate Januar und Februar 2013 und bis zum 29. April 2013 für die Monate März und April 2013 geschehen. Dem Kläger sollte mithin nach dem letztgenannten Satz des Ersetzungsverwaltungsakts zum Nachweis der Eigenbemühungen für die Monate Dezember 2012, Februar 2013 und April 2013 nicht die Zeit bis zum 29. des Folgemonats verbleiben, sondern nur bis zum entsprechenden Tag im laufenden Monat. Darüber hinaus konnte er in diesen Monaten die auferlegte Obliegenheit zu Eigenbemühungen nicht einmal bis zum Ende des Monats ausschöpfen.

Bereits aus den oben genannten Gründen ist sonach eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung zu bejahen; unter diesen Umständen erscheint die Klage auch nicht mutwillig. Das SG wird im Klageverfahren indes auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken haben (vgl. hierzu BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr. 2 (jeweils Rdnr. 16)).

Ferner ist die Bedürftigkeit des Klägers (§ 115 ZPO) gegeben. Die aufgezeigten schwierigen Rechtsfragen sowie der Sachaufklärungsbedarf bedingen, dass die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich ist (vgl. auch BVerfG NZS 2002, 420). Da der Kläger sein Gesuch indes erst am 10. Dezember 2012 vervollständigt hat, war die PKH erst ab diesem Tag zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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