S 5 AL 3838/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 3838/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Löst ein Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrags, so kann er sich auf einen wichtigen Grund für die Arbeitsaufgabe berufen, wenn er im Anschluss an die Altersteilzeit nahtlos in den Ruhestand wechseln will und dies prognostisch möglich erscheint, insbesondere nach der rentenrechtlichen Lage. Unerheblich ist, ob der Arbeitnehmer später entsprechend seiner ursprünglichen Absicht tatsächlich Altersrente beantragt oder ob er seine Pläne für den Ruhestand ändert, z.B. wegen einer neuen Rechtslage.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 1.9.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2014 wird aufgeho-ben. 2. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe.

Die Klägerin wurde am xx. Juli 1952 geboren. Seit dem 1.8.1984 war sie bei der F. GmbH beschäftigt. Am 15.11.2002 schloss die Klägerin mit der Arbeitgeberin einen Vertrag für Altersteilzeit. Darin vereinbarten die Parteien Altersteilzeitarbeit im Blockmodell mit einer "Arbeitsphase" vom 1.8.2007 – 31.1.2011 und einer "Freizeitphase" vom 1.2.2011 – 31.7.2014. Am 31.7.2014 sollte das Arbeitsverhältnis enden.

Am 4.7.2014 stellte die Klägerin bei der DRV Baden-Württemberg einen Antrag auf Altersrente.

Diesen Antrag nahm die Klägerin mit Schreiben vom 11.7.2014 wieder zurück. Zur Begründung gab sie an, nach reiflicher Überlegung habe sie sich dafür entschieden, doch erst ab August 2015 in Rente zu gehen.

Stattdessen meldete sich die Klägerin am 7.8.2014 bei der Beklagten arbeitslos. Auf Nachfrage der Beklagten, aus welchen Gründen sie das Beschäftigungsverhältnis beendet habe, gab sie an, sie habe seinerzeit, im Jahr 2002, die Auskunft erhalten, Altersrente für Frauen gebe es – wenn überhaupt – "nur bis Jahrgang 1951". Sie hätte also bis zum 65. Lebensjahr arbeiten müssen. Ihr Ehemann sei sechs Jahre älter; er wäre dann über 70 Jahre alt gewesen.

Am 1.9.2015 nahm die Klägerin eine neue Beschäftigung auf. Das Arbeitsverhältnis ist befristet bis zum 15.8.2015.

Mit Bescheid vom 1.9.2014 stellte die Beklagte fest, in der Zeit vom 1.8 – 23.10.2014 sei eine zwölfwöchige Sperrzeit eingetreten; während dieser Zeit ruhe der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld. Außerdem mindere die Sperrzeit die Anspruchsdauer um ein Viertel, hier also um 180 Tage. Zur Begründung gab sie an, die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages gelöst. Sie habe voraussehen müssen, dass sie dadurch arbeitslos wird. Das von der Klägerin geschilderte Motiv für die Arbeitsaufgabe stelle bei Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft keinen wichtigen Grund dar.

Hiergegen legte die Klägerin am 19.9.2014 Widerspruch ein. Sie machte geltend, bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags habe sie beabsichtigt, nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, also zum 1.8.2014, in vorzeitige Altersrente zu gehen. Nach der damaligen Rechtslage sei eine solche Rente nur mit Abschlag möglich gewesen; dies habe sie gewusst. Entsprechend ihrer ursprünglichen Absicht habe sie sodann im Jahr 2014 bei der DRV Baden-Württemberg einen Antrag auf vorzeitige Altersrente gestellt. Die DRV habe ihr geraten, zunächst noch ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu beziehen und im Anschluss daran mit Vollendung des 63. Lebensjahres die neu eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b SGB VI ohne Abschlag in Anspruch zu nehmen. Angesichts dessen habe sie sich entschieden, nun doch noch nicht – wie ursprünglich geplant – zum 1.8.2014 aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Dies stelle ihre frühere Absicht indes nicht infrage. Denn die Altersrente nach § 236b SGB VI sei erst zum 1.7.2014 eingeführt worden. Bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags sei die Möglichkeit einer abschlagsfreien Altersrente mit Vollendung des 63. Lebensjahres noch nicht abzusehen gewesen. Im Übrigen habe sie zum 1.9.2015 wieder eine Beschäftigung aufgenommen. Auch das belege, dass sie nicht auf den Bezug von Arbeitslosengeld "hingearbeitet" habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung bekräftigte sie ihre Auffassung, wonach die Klägerin für die Auflösung ihres Beschäftigungsverhältnisses keinen wichtigen Grund gehabt habe. Maßgeblich seien die Verhältnisse im Zeitpunkt der Arbeitsaufgabe. Mit der Altersteilzeit habe der Gesetzgeber einen nahtlosen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen wollen – ohne einen Zwischenschritt über die Arbeitslosigkeit. Angesichts dessen fehle es an einem wichtigen Grund für die Arbeitsaufgabe, wenn sich der Arbeitnehmer nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitslos meldet, anstatt planmäßig Altersrente – ggf. mit Abschlägen – zu beantragen. Zu Recht habe sie daher den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit festgestellt. Es liege auch keine besondere Härte vor, die eine Verkürzung der Sperrzeit rechtfertigen könnte. Denn es gehöre zum allgemeinen Lebensrisiko, dass sich durch eine nachträgliche Rechtsänderung (hier: im Rentenversicherungsrecht) eine günstigere Gestaltungsmöglichkeit ergibt.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 14.11.2014 erhobenen Klage. Sie trägt ergänzend vor, nach Abschluss des Altersteilzeitvertrags habe sich ein wichtiger Grund ergeben. Denn durch die Änderung der Rechtslage zum 1.7.2014 habe sie nun die Möglichkeit, ab Vollendung des 63. Lebensjahres (am xx. Juli 2015) abschlagsfreie Altersrente zu beziehen. Wäre sie hingegen bereits zum 1.8.2014 in Altersrente gegangen, hätte der Abschlag 10,8 % betragen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1.9.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, zwar komme es für die Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Altersteilzeitvertrags an. Weiche aber der Arbeitnehmer später von seiner ursprünglichen Absicht ab, nahtlos in Rente zu gehen, rechtfertige dies eine Sperrzeit; maßgeblich hierfür sei die "absprachewidrige" Herbeiführung der Beschäftigungslosigkeit. So verhalte es sich hier: Die Klägerin hätte auch nach der neuen Rechtslage schon ab dem 1.8.2014 Altersrente in Anspruch nehmen können – wenn auch mit Abschlag.

Das Gericht hat die Rentenakte der Klägerin von der DRV Baden-Württemberg beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe festgestellt.

Hat der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt u.a. vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (§ 159 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 SGB III).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt:

a) Zweifelhaft erscheint bereits, ob sich die Klägerin versicherungswidrig verhalten hat.

Zwar hat die Klägerin durch den Abschluss des Altersteilzeitvertrags ihr vormals unbefristetes Beschäftigungsverhältnis mit der F. GmbH zum 31.7.2014 gelöst. Diese Vereinbarung war auch ursächlich für die Arbeitslosigkeit ab dem 1.8.2014.

Fraglich ist allerdings, ob die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Ein Arbeitnehmer handelt nicht schuldhaft, wenn er bei Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses eine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz hatte. Dem steht es möglicherweise gleich, wenn der Arbeitnehmer von einem nahtlosen Übergang in den Ruhestand ausgehen durfte (so Karminski in: Brand, SGB III, 6. Aufl., § 159 Rdnr. 27). Ob in einer solchen Konstellation das Verschulden entfällt, braucht die Kammer indes nicht zu entscheiden; denn jedenfalls liegt dann ein wichtiger Grund vor, der einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe entgegensteht (dazu b).

b) Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Es kommt darauf an, ob dem Arbeitnehmer bei Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden konnte. Löst der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrags, so kann er sich auf einen wichtigen Grund berufen – allerdings nur, wenn er nach der Altersteilzeit nahtlos, ohne "Umweg" über den Bezug von Arbeitslosengeld, in den Ruhestand wechseln will und dies auch prognostisch möglich erscheint, insbesondere nach der rentenrechtlichen Lage. Mit der Einführung der Altersteilzeit wollte der Gesetzgeber einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen. Macht ein Arbeitnehmer von dieser Möglichkeit durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrags Gebrauch, ist ihm sein Verhalten nicht vorzuwerfen (BSGE 104, 90 Rdnr. 12 – 14; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.2.2014, L 13 AL 283/12, Rdnr. 28 – nach Juris).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer im Anschluss an die Altersteilzeit seine ursprüngliche Absicht auch umsetzt und tatsächlich nahtlos Altersrente beantragt. Denn für die Prüfung des wichtigen Grundes sind ausschließlich die Verhältnisse bei Lösung des Beschäftigungsverhältnisses maßgeblich, also bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags (BSG, a.a.O., Rdnr. 12). Weder kann ein zu diesem Zeitpunkt bestehender wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe nachträglich entfallen noch lässt sich umgekehrt die Arbeitsaufgabe durch einen erst später eintretenden Umstand rückwirkend rechtfertigen (Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB III, § 159 Rdnr. 178 und 183). Das Verhalten des Arbeitnehmers nach Abschluss des Altersteilzeitvertrags ist allenfalls insoweit von Interesse, als es einen Rückschluss auf seine Motivation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zulässt – mithin für die Beweiswürdigung (verfehlt daher die Erwägungen des SG Speyer (Urteil vom 13.5.2015, S 1 AL 311/14, Rdnr. 21 ff. – nach Juris), das nicht nur den Abschluss des Altersteilzeitvertrags als versicherungswidriges Verhalten wertet, sondern auch das Unterlassen eines Rentenantrags; letzteres ist von § 159 Abs. 1 S. 2 SGB III aber gar nicht erfasst).

Die Klägerin hat anlässlich ihrer Arbeitslosmeldung sinngemäß angegeben, sie habe – auch mit Rücksicht auf ihren älteren Ehemann – nicht bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen. Bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags am 15.11.2002 habe sie daher beabsichtigt, nahtlos nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 31.7.2014 im Alter von dann 62. Jahren in Rente zu gehen, so ihr Vortrag im Widerspruchs- und Klageverfahren. Dies erscheint der Kammer glaubhaft. Für die Behauptung spricht insbesondere, dass die Klägerin am 4.7.2014, also kurz vor Ende der Beschäftigung, bei der DRV Baden-Württemberg tatsächlich einen Antrag auf Altersrente gestellt hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin noch nicht fachkundig vertreten; die Gefahr einer Sperrzeit war ihr wohl noch nicht bewusst. Angesichts dessen war der Rentenantrag offenkundig nicht taktisch motiviert (mit Blick auf ein absehbares Verfahren gegen die Beklagte), sondern durchaus "ernst gemeint", also Ausdruck der ursprünglichen Absicht der Klägerin.

Aufgrund der Rechtslage bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags am 15.11.2002 durfte die Klägerin auch davon auszugehen, dass sie ab dem 1.8.2014 nahtlos Altersrente beziehen kann; ihre damalige Absicht stand also im Einklang mit dem objektiven Rentenrecht: Gemäß § 36 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes vom 19.2.2002, BGBl. I Seite 754) konnten Versicherte seinerzeit eine Altersrente für langjährig Versicherte vor Vollendung des 65. Lebensjahres vorzeitig in Anspruch nehmen, wenn sie (1.) das 62. Lebensjahr vollendet und (2.) die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Diese Voraussetzungen hätten bei der Klägerin zum 1.8.2014 vorgelegen. Allerdings hätte die Klägerin für die vorzeitige Inanspruchnahme einen Abschlag in Höhe von 10,8 % in Kauf nehmen müssen (vgl. § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 a) SGB VI).

Zu keinem anderen Ergebnis führt der Umstand, dass die Klägerin mit Schreiben vom 11.7.2014 ihren Antrag auf Altersrente wieder zurückgenommen hat. Insbesondere lässt sich daraus nicht schlussfolgern, die Klägerin habe schon bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags beabsichtigt, erst zum 1.8.2015 in Rente zu gehen, also erst ein Jahr nach dem Ende ihrer Beschäftigung bei der F. GmbH. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe ihre ursprüngliche Absicht nachträglich geändert – und zwar im Hinblick auf die neue rentenrechtliche Lage, die so bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags noch nicht bestanden habe. Dieser Vortrag erscheint der Kammer plausibel: Zwar hätte die Klägerin nach geltendem Recht weiterhin zum 1.8.2014 vorzeitig Altersrente für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen können (§ 236 Abs. 3 Nr. 1 und 2 a) SGB VI), nach wie vor mit einem Abschlag von 10,8 % (§ 236 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 a) i.V.m. § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 a) SGB VI). Seit dem 1.7.2014 besteht aber für Versicherte des Jahrgangs 1952 – also auch für die Klägerin – darüber hinaus die Möglichkeit, ab Vollendung des 63. Lebensjahres Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu beziehen – und zwar ohne Abschlag (§ 236b Abs. 1 und 2 S. 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 23.6.2014, BGBl. I Seite 787). Angesichts dieser wirtschaftlich klar vorteilhaften Möglichkeit vermag die Kammer nachzuvollziehen, dass die Klägerin ihren ursprünglichen Plan geändert hat und nun erst ein Jahr später Altersrente beantragen will; dies wurde ihr wohl auch vom Rentenversicherungsträger so empfohlen. Bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags am 15.11.2002 gab es die Altersrente für besonders langjährig Versicherte (ohne Abschlag) noch nicht. Vor diesem Hintergrund spricht das Verhalten der Klägerin für einen nachträglichen Sinneswandel. Wie ausgeführt, hat indes eine nachträgliche Änderung der Sachlage keinen Einfluss mehr auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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