Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 766/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 83/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Wiederaufnahmegrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfasst (insbesondere) die fehlende Vertretung einer wegen Prozessunfähigkeit vertretungsbedürftigen Partei (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 2 A 2/08).
2 .Der Wiederaufnahmegrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfasst auch Fälle, in denen einer Partei die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen (Anschluss an BGH, Urteil vom 5. März 1982 – IVb ZR 707/80).
3. Die Frage, ob der in einer mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam ist oder aber wirksam widerrufen wurde, ist in einem Rechtsmittelverfahren zu beantworten (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 3 StR 23/08).
2 .Der Wiederaufnahmegrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erfasst auch Fälle, in denen einer Partei die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen (Anschluss an BGH, Urteil vom 5. März 1982 – IVb ZR 707/80).
3. Die Frage, ob der in einer mündlichen Verhandlung zu Protokoll erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam ist oder aber wirksam widerrufen wurde, ist in einem Rechtsmittelverfahren zu beantworten (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 3 StR 23/08).
I. Die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des Senats vom 9. April 2015 wird verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12.
Mit Urteil vom 9. April 2015 hat der Senat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 6. Dezember 2011 (Az. S 9 AL 766/09), mit dem ihr Begehren auf Verpflichtung der Beklagten auf Bewilligung einer Kraftfahrzeugbeihilfe abgewiesen worden war, zurückgewiesen. Nach Verkündung des Urteilstenors in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 haben sowohl die für die Klägerin erschienene Rechtsanwältin als auch die Beklagtenvertreterin den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Das nach § 136 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe abgefasste Urteil ist der Klägerin am 15. April 2015 zugestellt worden.
Mit Telefax vom 13. April 2015 hat die Klägerin den Widerruf des durch Rechtsanwältin erklärten Rechtsmittelverzichts erklärt. Die Rechtsanwältin habe keine Bevollmächtigung gehabt und sei durch sie, die Klägerin, nicht ermächtigt gewesen. Sie habe keine Vollmacht erteilt und verweise auf § 73 Abs. 6 SGG.
Mit Telefax vom 14. April 2015 hat die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und sich auf § 179 SGG i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) berufen. Es habe keine Bevollmächtigung bestanden. Sie sei daher im Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen. Rechtsanwältin habe wissentlich entgegen ihres ausdrücklichen Willens gehandelt.
Mit weiterem Telefax vom 14. April 2015 hat Rechtsanwältin mitgeteilt, dass sie von der Klägerin nicht zur Abgabe eines Rechtsmittelverzichts bevollmächtigt gewesen sei. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass sie keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht habe. Dies stelle einen Mangel des Verfahrens im Sinne von § 73 Abs. 6 SGG dar, so dass die abgegebene Erklärung unwirksam sei. Vorsorglich widerrufe sie den am 9. April 2015 zu Protokoll gegebenen Rechtsmittelverzicht.
Mit Telefax vom 5. Mai 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr "eine Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin wegen des massiven Vertrauensbruchs nicht mehr zumutbar" sei. Sie nehme daher ihre Rechte jetzt selber wahr. Schriftverkehr sei an sie selbst zu richten. Vorsorglich beantrage sie die Aufhebung der (mit Beschluss vom 23. Juli 2014 im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfolgten) Beiordnung der Rechtsanwältin im Verfahren Az. L 3 AL 55/12.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Senats vom 9. April 2015 aufzuheben und die Beklagte entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 gestellten Antrag zu verurteilen, der Klägerin eine Kraftfahrzeughilfe zu gewähren.
Die Beklagte und die beiden Beigeladenen, die Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, haben keine Anträge gestellt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des zugehörigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
II. Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens in der Gestalt der Nichtigkeitsklage ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Nach § 179 Abs. 1 SGG i. v. m. § 578, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens statt, wenn die Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Der Wiederaufnahmegrund erfasst (insbesondere) die fehlende Vertretung einer wegen Prozessunfähigkeit vertretungsbedürftigen Partei (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 2 A 2/08 – Buchholz 235.1 § 71 BDG Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; vgl. auch Greger, in: Zöller, ZPO [30. Aufl., 2014], § 579 Rdnr. 5 ff.). Er ist verfassungsrechtlich geboten, um diese Partei vor einem Urteil zu schützen, das bis zu seiner Aufhebung formell gegen sie wirkt, obwohl es in einem Verfahren ergangen ist, in dem das rechtliche Gehör gemäß Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht gegeben war. Die Wiederaufnahme ist auch zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG und eines fairen Verfahrens gemäß Artikel 2 Abs. 1, Artikel 20 Abs. 3 GG erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009, a. a. O.).
Der Wiederaufnahmegrund erfasst auch Fälle, in denen einer Partei die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1982 – IVb ZR 707/80 – BGHZ 84, 24 ff. = NJW 1982, 2449 ff. = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Dies ist in dem Lichte zu sehen, dass das Wiederaufnahmeverfahren nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellt, wenn eine Partei infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat, daran gehindert war, sich im Prozess (eigenverantwortlich) zu äußern (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1982, a. a. O.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Oktober 1997 – 2 BvR 1390/95 – NJW 1998, 745 = JURIS-Dokument Rdnr. 10). Fehlt allerdings nur die Vollmachtsurkunde und war der Prozessbevollmächtigte von der Partei jedenfalls mündlich bevollmächtigt, ist die Nichtigkeitsklage ausgeschlossen (vgl. Greger, a. a. O., Rdnr. 6).
Das Wiederaufnahmeverfahren ist in drei Abschnitte unterteilt, nämlich die Zulässigkeitsprüfung (1), das aufhebende Verfahren (2) und das ersetzende Verfahren (3). Das Gericht darf den folgenden Abschnitt erst prüfen, wenn die Anforderungen des vorausgehenden erfüllt sind (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 179 Rdnr. 9). Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit (§ 589 ZPO) ist zu beachten, dass eine Statthaftigkeit nur gegeben ist, wenn ein zulässiger Anfechtungsgrund schlüssig behauptet ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RV 2/96 – BSGE 81, 46 ff. = SozR 3-1500 § 179 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Daran fehlt es hier.
Der von der Klägerin geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO könnte vorliegen, wenn sie geschäftsunfähig (vgl. § 104 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) und damit prozessunfähig (vgl. § 71 SGG) gewesen wäre und dennoch einen Prozess ohne gesetzlichen Vertreter (vgl. auch § 72 SGG) mit nachteiligem Ergebnis geführt hätte.
Die Klägerin behauptet aber nicht, während des (gesamten) Verlaufs des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12 geschäfts- und prozessunfähig gewesen zu sein. Sie macht vielmehr geltend, die für sie im Verfahren auftretende Rechtsanwältin habe keine schriftliche Vollmacht zur Gerichtsakte gereicht und sei zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichtes nicht bevollmächtigt gewesen. Dieser Umstand, sollte er vorliegen, wäre aber als Wiederaufnahmegrund ungeeignet und das Wiederaufnahmebegehren damit unzulässig.
Dass Rechtsanwältin unbeauftragt tätig geworden ist, macht die Klägerin nicht geltend. Zwar trägt sie vor, die Rechtsanwältin habe "keine Genehmigung zur Prozessführung" gehabt (Schriftsatz vom 19. Juni 2015, Seite 3), führt dazu erklärend aber weiter aus, dass sie alle Entscheidungen selbst getroffen habe. Die Rechtsanwältin habe "ausdrückliche Anweisung gehabt, jegliche Handlung mit mir abzusprechen!". Über den geplanten Rechtsmittelverzicht habe die Anwältin sie, die Klägerin, nicht in Kenntnis gesetzt und dafür keine Genehmigung eingeholt.
Waren damit schon nach Darstellung der Klägerin alle Prozesshandlungen von Rechtsanwältin mit Ausnahme lediglich des Rechtsmittelverzichts zwischen ihr und der Rechtsanwältin abgesprochen, liegt auf der Hand, dass eine Bevollmächtigung zur Prozessführung bestand. Ohne das Bestehen eines Mandatsverhältnisses hätte die Klägerin der Anwältin keine "Anweisung" erteilen können.
Letztlich macht die Klägerin nach alldem lediglich geltend, die Rechtsanwältin habe ohne oder gegen ihren Willen und damit "ohne Vollmacht" den Rechtsmittelverzicht erklärt. Darin kann jedoch ein Vertretungsmangel im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht liegen, zumal die von der Klägerin beanstandete Erklärung erst nach der Verkündung des Urteils und damit nach Beendigung der Instanz abgegeben wurde.
Ergänzend ist anzumerken, dass die Beiordnung von Rechtsanwältin mit Beschluss des Senats vom 23. Juni 2014 auf den ausdrücklichen und mehrfach wiederholten Antrag der Klägerin hin erfolgte. Die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht war wegen § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG entbehrlich. Danach hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Der zweite Halbsatz dieser Regelung blieb sowohl seitens der Klägerin als auch seitens Rechtsanwältin unerwähnt. Im Übrigen hatte die Rechtsanwältin die Klägerin bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertreten. Die Argumentation der Klägerin wie auch der Rechtsanwältin zur fehlenden Bevollmächtigung letzterer erscheint konstruiert und abwegig.
Mit der Frage, ob der in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 zu Protokoll erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam ist oder aber wirksam widerrufen wurde, hat sich der Senat nicht zu befassen. Sie ist gegebenenfalls in einem Rechtsmittelverfahren zu beantworten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 3 StR 23/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 3 [zu § 349 Abs. 1 StPO]).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Krewer
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12.
Mit Urteil vom 9. April 2015 hat der Senat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 6. Dezember 2011 (Az. S 9 AL 766/09), mit dem ihr Begehren auf Verpflichtung der Beklagten auf Bewilligung einer Kraftfahrzeugbeihilfe abgewiesen worden war, zurückgewiesen. Nach Verkündung des Urteilstenors in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 haben sowohl die für die Klägerin erschienene Rechtsanwältin als auch die Beklagtenvertreterin den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt. Das nach § 136 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe abgefasste Urteil ist der Klägerin am 15. April 2015 zugestellt worden.
Mit Telefax vom 13. April 2015 hat die Klägerin den Widerruf des durch Rechtsanwältin erklärten Rechtsmittelverzichts erklärt. Die Rechtsanwältin habe keine Bevollmächtigung gehabt und sei durch sie, die Klägerin, nicht ermächtigt gewesen. Sie habe keine Vollmacht erteilt und verweise auf § 73 Abs. 6 SGG.
Mit Telefax vom 14. April 2015 hat die Klägerin die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und sich auf § 179 SGG i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) berufen. Es habe keine Bevollmächtigung bestanden. Sie sei daher im Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen. Rechtsanwältin habe wissentlich entgegen ihres ausdrücklichen Willens gehandelt.
Mit weiterem Telefax vom 14. April 2015 hat Rechtsanwältin mitgeteilt, dass sie von der Klägerin nicht zur Abgabe eines Rechtsmittelverzichts bevollmächtigt gewesen sei. Dies ergebe sich schon aus dem Umstand, dass sie keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht habe. Dies stelle einen Mangel des Verfahrens im Sinne von § 73 Abs. 6 SGG dar, so dass die abgegebene Erklärung unwirksam sei. Vorsorglich widerrufe sie den am 9. April 2015 zu Protokoll gegebenen Rechtsmittelverzicht.
Mit Telefax vom 5. Mai 2015 hat die Klägerin mitgeteilt, dass ihr "eine Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin wegen des massiven Vertrauensbruchs nicht mehr zumutbar" sei. Sie nehme daher ihre Rechte jetzt selber wahr. Schriftverkehr sei an sie selbst zu richten. Vorsorglich beantrage sie die Aufhebung der (mit Beschluss vom 23. Juli 2014 im Rahmen der Prozesskostenhilfe erfolgten) Beiordnung der Rechtsanwältin im Verfahren Az. L 3 AL 55/12.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Senats vom 9. April 2015 aufzuheben und die Beklagte entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 gestellten Antrag zu verurteilen, der Klägerin eine Kraftfahrzeughilfe zu gewähren.
Die Beklagte und die beiden Beigeladenen, die Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, haben keine Anträge gestellt.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des zugehörigen Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht entscheidet gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
II. Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens in der Gestalt der Nichtigkeitsklage ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Nach § 179 Abs. 1 SGG i. v. m. § 578, § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens statt, wenn die Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat. Der Wiederaufnahmegrund erfasst (insbesondere) die fehlende Vertretung einer wegen Prozessunfähigkeit vertretungsbedürftigen Partei (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 2 A 2/08 – Buchholz 235.1 § 71 BDG Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 16; vgl. auch Greger, in: Zöller, ZPO [30. Aufl., 2014], § 579 Rdnr. 5 ff.). Er ist verfassungsrechtlich geboten, um diese Partei vor einem Urteil zu schützen, das bis zu seiner Aufhebung formell gegen sie wirkt, obwohl es in einem Verfahren ergangen ist, in dem das rechtliche Gehör gemäß Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht gegeben war. Die Wiederaufnahme ist auch zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG und eines fairen Verfahrens gemäß Artikel 2 Abs. 1, Artikel 20 Abs. 3 GG erforderlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2009, a. a. O.).
Der Wiederaufnahmegrund erfasst auch Fälle, in denen einer Partei die Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1982 – IVb ZR 707/80 – BGHZ 84, 24 ff. = NJW 1982, 2449 ff. = JURIS-Dokument Rdnr. 16). Dies ist in dem Lichte zu sehen, dass das Wiederaufnahmeverfahren nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellt, wenn eine Partei infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat, daran gehindert war, sich im Prozess (eigenverantwortlich) zu äußern (vgl. BGH, Urteil vom 5. März 1982, a. a. O.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Oktober 1997 – 2 BvR 1390/95 – NJW 1998, 745 = JURIS-Dokument Rdnr. 10). Fehlt allerdings nur die Vollmachtsurkunde und war der Prozessbevollmächtigte von der Partei jedenfalls mündlich bevollmächtigt, ist die Nichtigkeitsklage ausgeschlossen (vgl. Greger, a. a. O., Rdnr. 6).
Das Wiederaufnahmeverfahren ist in drei Abschnitte unterteilt, nämlich die Zulässigkeitsprüfung (1), das aufhebende Verfahren (2) und das ersetzende Verfahren (3). Das Gericht darf den folgenden Abschnitt erst prüfen, wenn die Anforderungen des vorausgehenden erfüllt sind (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [11. Aufl., 2014], § 179 Rdnr. 9). Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit (§ 589 ZPO) ist zu beachten, dass eine Statthaftigkeit nur gegeben ist, wenn ein zulässiger Anfechtungsgrund schlüssig behauptet ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RV 2/96 – BSGE 81, 46 ff. = SozR 3-1500 § 179 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 11). Daran fehlt es hier.
Der von der Klägerin geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO könnte vorliegen, wenn sie geschäftsunfähig (vgl. § 104 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]) und damit prozessunfähig (vgl. § 71 SGG) gewesen wäre und dennoch einen Prozess ohne gesetzlichen Vertreter (vgl. auch § 72 SGG) mit nachteiligem Ergebnis geführt hätte.
Die Klägerin behauptet aber nicht, während des (gesamten) Verlaufs des Berufungsverfahrens Az. L 3 AL 55/12 geschäfts- und prozessunfähig gewesen zu sein. Sie macht vielmehr geltend, die für sie im Verfahren auftretende Rechtsanwältin habe keine schriftliche Vollmacht zur Gerichtsakte gereicht und sei zur Erklärung eines Rechtsmittelverzichtes nicht bevollmächtigt gewesen. Dieser Umstand, sollte er vorliegen, wäre aber als Wiederaufnahmegrund ungeeignet und das Wiederaufnahmebegehren damit unzulässig.
Dass Rechtsanwältin unbeauftragt tätig geworden ist, macht die Klägerin nicht geltend. Zwar trägt sie vor, die Rechtsanwältin habe "keine Genehmigung zur Prozessführung" gehabt (Schriftsatz vom 19. Juni 2015, Seite 3), führt dazu erklärend aber weiter aus, dass sie alle Entscheidungen selbst getroffen habe. Die Rechtsanwältin habe "ausdrückliche Anweisung gehabt, jegliche Handlung mit mir abzusprechen!". Über den geplanten Rechtsmittelverzicht habe die Anwältin sie, die Klägerin, nicht in Kenntnis gesetzt und dafür keine Genehmigung eingeholt.
Waren damit schon nach Darstellung der Klägerin alle Prozesshandlungen von Rechtsanwältin mit Ausnahme lediglich des Rechtsmittelverzichts zwischen ihr und der Rechtsanwältin abgesprochen, liegt auf der Hand, dass eine Bevollmächtigung zur Prozessführung bestand. Ohne das Bestehen eines Mandatsverhältnisses hätte die Klägerin der Anwältin keine "Anweisung" erteilen können.
Letztlich macht die Klägerin nach alldem lediglich geltend, die Rechtsanwältin habe ohne oder gegen ihren Willen und damit "ohne Vollmacht" den Rechtsmittelverzicht erklärt. Darin kann jedoch ein Vertretungsmangel im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht liegen, zumal die von der Klägerin beanstandete Erklärung erst nach der Verkündung des Urteils und damit nach Beendigung der Instanz abgegeben wurde.
Ergänzend ist anzumerken, dass die Beiordnung von Rechtsanwältin mit Beschluss des Senats vom 23. Juni 2014 auf den ausdrücklichen und mehrfach wiederholten Antrag der Klägerin hin erfolgte. Die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht war wegen § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG entbehrlich. Danach hat das Gericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Der zweite Halbsatz dieser Regelung blieb sowohl seitens der Klägerin als auch seitens Rechtsanwältin unerwähnt. Im Übrigen hatte die Rechtsanwältin die Klägerin bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vertreten. Die Argumentation der Klägerin wie auch der Rechtsanwältin zur fehlenden Bevollmächtigung letzterer erscheint konstruiert und abwegig.
Mit der Frage, ob der in der mündlichen Verhandlung vom 9. April 2015 zu Protokoll erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam ist oder aber wirksam widerrufen wurde, hat sich der Senat nicht zu befassen. Sie ist gegebenenfalls in einem Rechtsmittelverfahren zu beantworten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 3 StR 23/08 – JURIS-Dokument Rdnr. 3 [zu § 349 Abs. 1 StPO]).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Dr. Scheer Höhl Krewer
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