S 72 KR 1702/15 ER PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
72
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 1702/15 ER PKH
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Inanspruchnahme nicht zugelassener Psychotherapeuten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ist grundsätzlich nur im Notfall möglich, d.h. bei Erforderlichkeit einer Akutbehandlung und gleichzeitiger Nichtverfügbarkeit vertraglicher Leistungserbringer.

Ein Anordnungsgrund ist nicht feststellbar, wenn eine durchsetzbare Zahlungsverpflichtung nicht glaubhaft gemacht ist.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten hat die Antragsgegnerin nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 09.06.2015 beim Sozialgericht Berlin gestellten Anträge des Antragstellers,

"1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die Aufnahme und Kostenübernahme einer außervertraglichen Psychotherapie zu bewilligen,

2. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem An-tragsteller die entstandenen Kosten der Aufnahme einer außervertraglichen Psychotherapie zu erstatten,

3. den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 13.05.2015, Zugang 19.05.2015, aufzuheben."

waren abzulehnen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen nicht erfüllt sind.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) voraus, dass die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind.

Diese Voraussetzungen sind für keinen der gestellten Anträge glaubhaft gemacht.

1. Zum Antrag zu 1): Anspruch auf Übernahme der laufenden Kosten der Behandlung

Insoweit dürfte das Begehren des Antragstellers dahin auszulegen sein, dass er die Kostenübernahme für die im Dezember 2014 bei Frau R. begonnene Verhaltenstherapie wünscht.

Es ist bereits fraglich, ob der Antragsteller infolge der Bestandskraft des Bescheids vom 02.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2015, mit dem die Antragsgegnerin das Kostenübernahmebegehren abgelehnt hat, dieses Begehren noch zulässig im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgen kann (vgl. hierzu den richterlichen Hinweis vom 07.07.2015). Dies kann jedoch dahin stehen, da der Antragsteller insoweit jedenfalls weder einen Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

a) Anordnungsanspruch

Da der Antragsteller von seinem Wahlrecht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V keinen Gebrauch gemacht hat, hat er gemäß §§ 2 Abs. 2, 11 Abs. 1 Nr. 4, 12, 27 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 70 SGB V Anspruch auf notwendige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche psychothe-rapeutische Behandlung als kostenfreie Sach- und Dienstleistung grundsätzlich ausschließlich durch zugelassene Leistungserbringer. Frau R. besitzt keine Zulassung. Nicht zugelassene psychotherapeutische Leistungserbringer können Versicherte grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V in Anspruch nehmen. § 76 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V lauten:

"Die Versicherten können unter den zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärzten, den medizinischen Versorgungszentren, den ermächtigten Ärzten, den ermächtigten oder nach § 116b an der ambulanten Versorgung teilnehmenden Einrichtungen, den Zahnkliniken der Krankenkassen, den Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nach § 140 Abs. 2 Satz 2, den nach § 72a Abs. 3 vertraglich zur ärztlichen Behandlung verpflichteten Ärzten und Zahnärzten, den zum ambulanten Operieren zugelassenen Krankenhäusern sowie den Einrichtungen nach § 75 Abs. 9 frei wählen. Andere Ärzte dürfen nur in Notfällen in Anspruch genommen werden."

Die notfallmäßige Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Psychotherapeuten kommt nur dann in Betracht, wenn der Versicherte auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zuge-lassener Leistungserbringer zumutbar nicht erreichbar ist (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Februar 2008 – L 5 KR 113/07 –, Rn. 36, juris, mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BSG). Die Voraussetzungen für die Annahme eines Notfalls liegen hier jedoch ersichtlich nicht vor. Denn zum einen besteht die beim Antragsteller von Herrn S. diagnostizierte Depression ausweislich des vorliegenden Befundberichts von Herrn Dr. S. (gefertigt im Parallelverfahren S 10 R 4545/14, Eingang beim Sozialgericht Berlin am 29.10.2014) bereits seit Januar 2011. Gleichwohl ist dem Vortrag des Antragstellers zufolge bis zum Beginn der Therapie bei Frau R. keine Behandlung der Erkrankung erfolgt. Weiterhin nimmt der Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag die Therapie bei Frau R. lediglich einmal pro Monat wahr und erfolgte die Widervorstellung nach dem ersten Termin am 16.12.2014 erst ca. drei Monate später, am 10.03.2015. Eine Akutbehandlung ist insoweit nicht ersichtlich.

Auch eine Versorgungslücke, die ausnahmsweise zur Inanspruchnahme von Leistungen durch nicht zugelassene Leistungserbringer unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens berechtigt, ist nicht glaubhaft gemacht worden. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller aufgrund seiner schwerwiegenden Erkrankungen dringend psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung bedarf. Es ist jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich, dass er diese Behandlung nicht durch zugelassene Leistungserbringer erlangen kann. Wie bereits in dem ausführlichen richterlichen Hinweis vom 07.07.2015 ausgeführt, bestand eine gesteigerte Beratungs- und Mitwirkungspflicht der Antragsgegnerin. Zwar ist die Antragsgegnerin ihrer Mitwirkungspflicht erst in dem ablehnenden Bescheid nachgekommen, in dem sie dort mehrere Praxen und Terminvermittlungsstellen angegeben hat. Da der Antragsteller somit vor der Ablehnung keine Möglichkeit hatte, diese Stellen tatsächlich zu kontaktieren und einen Termin zu vereinbaren, stellt sich die Ablehnungsentscheidung als verfrüht bzw. voreilig dar. Gleichwohl wurde der Antragsteller mit der Benennung der Therapeut(inn)en bzw. der Vermittlungsstellen in die Lage versetzt, einen vertraglichen Leistungserbringer ausfindig zu machen.

Es kann hier dahin stehen, ob der Antragsteller die von der Antragsgegnerin benannten Stellen tatsächlich kontaktiert hat, wie er dies eidesstattlich versichert hat. Zweifel bestehen insoweit zum einen, weil er mit dem Widerspruch vom 23.03.2015 ausschließlich eine Liste mit Behandlern vorgelegt hat, die er im Zeitraum Dezember 2014 bis einschließlich Februar 2015 kontaktiert hat. Auf dieser Liste sind die von der Antragsgegnerin benannten Stellen nicht auf-geführt. Auch in dem Widerspruchsschreiben selbst geht der Antragsteller nicht auf die von der Antragsgegnerin benannten Stellen ein, legt nicht dar, dass er diese – erfolglos – kontaktiert hätte. Weiterhin hat die Vorsitzende, wie ebenfalls in dem richterlichen Hinweis vom 07.07.2015 dargelegt, die von der Antragsgegnerin bezeichneten Stellen telefonisch kontaktiert und insbesondere von Herrn S. von der Berliner Fortbildungsakademie die Auskunft erhalten, dass zwar grundsätzlich eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten besteht. Es werde aber jedem Versicherten, der eine besondere Dringlichkeit darlege, ein zeitnahes Vorgespräch angeboten.

Jedenfalls hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm die Einhaltung der Wartezeit nicht möglich gewesen wäre. Ob die in Berlin nach Auskunft der kontaktierten Stellen übliche Wartezeit von drei bis sechs Monaten stets und in jedem Einzelfall als zumutbar anzusehen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Im hier zu beurteilenden Einzelfall hat der Antragsteller die Unzumutbarkeit der Einhaltung dieser Wartezeit nicht darlegen können. Denn er war nach seinem eigenen Vortrag erstmalig am 16.12.2014 bei Frau R., dann erst wieder ab dem 10.03.2015 in einem monatlichen Rhythmus. Eine Unaufschiebbarkeit bzw. besondere Dringlichkeit der Behandlung ist hieraus nicht ersichtlich.

Schließlich hat der Antragsteller auch nicht substantiiert darlegen können, aus welchen Grün-den ihm ein zukünftiger Wechsel der Therapeutin nicht möglich ist. Das Interesse des Antragstellers an der Kontinuität der einmal gewählten Behandlung ist zwar nachvollziehbar. Gerade bei einer psychotherapeutischen Behandlung ist eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Behandler erforderlich. Die Antragsgegnerin ist jedoch gesetzlich zu einer wirtschaftlichen Mittelverwendung angehalten. Vor diesem Hintergrund dürfte ein die Unzumutbarkeit eines Behandlerwechsels begründender Vertrauensschutz nur dann in Betracht kommen, wenn anzunehmen ist, dass die vom gegenwärtigen Behandler durchgeführte Therapie nicht in gleich wirksamer Weise von einem anderen, hier vertraglichen Leistungserbringer durchgeführt werden kann (vgl. zum Vertrauensschutz bei Inanspruchnahme eines Leis-tungserbringers in einiger Entfernung zum Wohnort LSG Brandenburg, Urteil vom 16.04.2003, L 4 KR 27/00, Rn. 73 ff. bei juris). Dies ist hier nicht ersichtlich. Der Antragsteller beruft sich insoweit lediglich abstrakt auf das entstandene Vertrauensverhältnis, ohne konkret darzulegen, in welcher Weise dieses Verhältnis bei gerade einmal fünfmaliger Inanspruchnahme bereits so sehr vertieft worden sein soll, dass ihm ein Wechsel unzumutbar wäre. Aufgrund dieser zeitlich noch sehr kurzen Behandlungsdauer liegt die Annahme fern, dass gerade das Vertrauensverhältnis des Antragstellers zu Frau R. unbedingte Voraussetzung für einen Erfolg der Krankenbehandlung ist.

b) Anordnungsgrund

Auch einen Anordnungsgrund, also eine besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Er konnte schon nicht darlegen, dass er gegenwärtig einer durchsetzbaren Zahlungsverpflichtung von Frau R. ausgesetzt ist. Frau R. hat bisher keine Rechnungen gestellt. Der Antragsteller hat auch darauf hingewiesen, dass kein schriftli-cher Behandlungsvertrag vorliegen würde. Gem. § 630c Abs. 3 BGB dürfte hier jedoch die Verpflichtung der Frau R. bestanden haben, den Antragsteller vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten in Textform zu informieren. Die Durchsetzbarkeit von Honorar-forderungen ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich.

2. zum Antrag zu 2): Anspruch auf Erstattung der bisher entstandenen bzw. Freistellung von den bisher entstandenen Kosten

Anspruchsgrundlage kann insoweit allein § 13 Abs. 3 SGB V sein. Insoweit fehlt es jedoch ebenfalls an der Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, da bisher nicht ersichtlich ist, dass der Antragsteller einer wirksamen, durchsetzbaren Zahlungsverpflichtung ausgesetzt wäre.

3. zum Antrag zu 3): Aufhebung des ablehnenden Bescheids

Für das im Rahmen des Eilantrags geltend gemachte Anfechtungsbegehren ist ebenfalls ein Anordnungsgrund nicht ersichtlich. Die Aufhebung der Bescheide würde eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten, die im Eilverfahren nur dann ausnahmsweise zulässig ist, wenn nur auf diese Weise schwerwiegende, nicht wieder gut zu machende Nachteile vom Antragsteller abgewendet werden können. Dies ist hier nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Zwar hat der Antragsteller nicht mitgeteilt, in welcher Höhe ihm Kosten pro Sitzung entstehen. Da jedoch nach seiner Mitteilung zumindest 25 Sitzungen erforderlich sind und bisher erst 5 Sitzungen durchgeführt wurden, dürfte der für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Gegenstandswert von 750 EUR ohne weiteres überschritten werden.
Rechtskraft
Aus
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