L 12 AS 2359/15 WA

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2359/15 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Fehlt es an einem sinnhaften und ernst zu nehmenden Rechtsschutzbegehren kann in Ausnahmefällen (hier: Einlegung von über 2.500 Rechtsmitteln innerhalb weniger Wochen) eine bloße Nichtbearbeitung und schlichtes Austragen in Betracht kommen, wenn ein Begehren zu Unrecht als Klage in das Prozessregister eingetragen worden ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 8/14 B – SozR 4-1720 § 198 Nr. 8).
2. Die Qualifizierung einer Eingabe als nicht zu bearbeitend setzt eine richterliche Willensentschließung voraus, die, insbesondere wenn dem Kläger rechtliches Gehör gewährt werden soll, auch noch in einer mündlichen Verhandlung möglich ist.
3. Die Entscheidung, dass eine Eingabe nicht weiter zu bearbeiten ist, erfolgt analog den Vorschriften über die deklaratorische Verfahrenseinstellung nach einer Klagerücknahme (§ 102 Abs. 3 Satz 1 SGG, § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung, § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung) durch Beschluss.
4. Ergeht die Beschlussfassung aufgrund einer mündlichen Verhandlung, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Das Verfahren wird eingestellt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme zahlreicher Verfahren über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, die beim Landessozialgericht (LSG) und beim Bundessozialgericht (BSG) geführt worden sind (insgesamt 1238 Wiederaufnahmeklagen und -anträge). In zahlreichen Verfahren erhebt er gleichzeitig "nach § 54 SGG Verpflichtungsklage"; für alle Verfahren beantragt er die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.

Der 1953 geborene Kläger überzieht den Beklagten, das Sozialgericht Konstanz (SG), das LSG und das BSG seit Jahren mit einer Vielzahl von Verfahren, in denen er immer wieder dieselben Streitgegenstände, wie z. B. Friseurkosten, Reisekosten aus unterschiedlichsten Anlässen oder Kostenübernahmen für vielfältigste Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens geltend macht. Wurde über ein Begehren rechtskräftig entschieden, setzte der Kläger das Verfahren regelmäßig gegenüber dem Beklagten durch Überprüfungsanträge nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) oder gegenüber den Gerichten durch Wiederaufnahmeklagen erneut in Gang. Rechtsmittel legte er weitgehend undifferenziert und ohne Rücksicht auf die Rechtsmittelbelehrungen der angegriffenen Entscheidungen ein.

Im Jahr 2013 hat der Kläger allein beim LSG 428 Verfahren anhängig gemacht. Die erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden hat der Senat zunächst als unbegründet zurückgewiesen oder, soweit die Beschwerden nicht statthaft waren, als unzulässig verworfen. Mit Beschlüssen nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bzw. nach § 158 SGG vom 13.06.2013 hat der erkennende Senat zunächst über 79 Berufungen des Klägers gegen Urteile des Sozialgerichts Konstanz (SG) entschieden, die Berufungen zurückgewiesen bzw. als unzulässig verworfen und dem Kläger jeweils nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten in Höhe von 225,00 EUR auferlegt. Die Beschlüsse des Senats vom 13.06.2013 hat der Kläger erfolglos mit Nichtzulassungsbeschwerden beim BSG angegriffen (B 4 AS 209/13 B fortlaufend bis B 4 AS 287/13 B).

Der Kläger hat sein Prozessverhalten gleichwohl nicht geändert, weitere Berufungen und Nichtzulassungsbeschwerden eingelegt sowie zahlreiche Wiederaufnahmeklagen erhoben. Berufungen und Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers hat der erkennende Senat in der Folge (bis auf fünf einzelne, erst im Juni 2015 beim LSG eingegangene Nichtzulassungsbeschwerden) als unzulässig verworfen und in den Gründen jeweils ausgeführt, im Fall des Klägers liege ein zweckwidriges und missbräuchliches Beschreiten des Rechtsweges vor. Es fehle deshalb am Vorliegen eines (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses als Sachentscheidungsvoraussetzung für das Verfahren (vgl. beispielhaft Senatsbeschluss vom 14.08.2014 – L 12 AS 3299/13). Die Wiederaufnahmeklagen hat der Senat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 24.03.1988 – 5/5b RJ 92/86 – veröffentlicht in Juris) zum Teil an das SG verwiesen und im Übrigen als unzulässig verworfen.

Mit am 03.06.2015 beim LSG eingegangenem Schriftsatz vom 02.06.2013 hat der Kläger "nach § 179 SGG Wiederaufnahme" von insgesamt 78 Verfahren beantragt. Mit 97 weiteren, in der Zeit bis 14.07.2015 beim LSG eingegangenen Schriftsätzen hat der Kläger insgesamt 1160 weitere Wiederaufnahmeklagen erhoben bzw. Wiederaufnahmeanträge gestellt. Der Kläger führt dabei jeweils eine unterschiedliche Anzahl von Aktenzeichen auf, einzeln oder in Gruppen, zum Teil über 50 Verfahren mit einzelnen Schriftsätzen. Durch Wiederholungen oder Überschneidungen in unterschiedlichsten Kombinationen finden sich manche Aktenzeichen doppelt oder mehrfach. Die Aktenzeichen betreffen frühere Berufungsverfahren und Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sowie Beschwerde- und Antragsverfahren wegen Prozesskostenhilfe (PKH) beim LSG; der Kläger nennt zudem 78 Aktenzeichen von Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren, die beim BSG geführt worden sind (B 4 AS 209/13 B fortlaufend bis B 4 AS 286/13 B). Es finden sich auch Aktenzeichen von Verfahren, die beim LSG noch anhängig sind oder bei Eingang des Schreibens mit den Wiederaufnahmeanträgen noch anhängig waren (z. B. "L 12 AS 4359/13 bis fortlaufend L 12 AS 4375/13" und "L 12 AS 4919/13 bis fortlaufend L 12 AS 4939/13"; Schreiben des Klägers vom 06.06.2015).

Zur Begründung enthalten einige der Schreiben des Klägers folgenden Zusatz: "Die von der Kostenbeamtin des LSG Baden-Württemberg ... errechneten Verfahrenskosten, die in der Rechtssache nur durch Beschlüsse vom 13.06.2013 ergingen und dementsprechend abgerechnet hätten werden müssen, sind rechtswidrig ergangen. Es wird daher Klage eingereicht." Andere Schreiben des Klägers enthalten den Zusatz: "Da das Jobcenter ... und die zuständigen Gerichte immer wieder die Behauptung aufstellen, dass mein Antrag auf Leistungen in der Regelleistung sei und dies nicht zutreffend ist, wird nun im Zuge, weil ich durch den Verwaltungsakt beschwert bin, nach § 54 SGG Verpflichtungsklage eingereicht, mit dem Ziel, dass das Jobcenter ... oder die Gerichte den Nachweis erbringen müssen, ob meine Leistungsanträge im obigen Verfahren tatsächlich in der Regelleistung sind."

Schließlich hat der Kläger mit Schreiben vom 27.07.2015, beim LSG eingegangen am 29.07.2015, "hinsichtlich der Wiederaufnahmeverfahren nun für jedes Verfahren nach § 86b SGG" einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Ergänzend führt er aus: "Das LSG wird darauf hingewiesen, dass ich für jedes Verfahren einstweiligen Rechtsschutz beantragt habe und mir nun eine Eingangsbestätigung und für jedes Verfahren Aktenzeichen mitzuteilen sind. Für Ihre Bearbeitung bedanke ich mich im Voraus."

Mit kurz vor der mündlichen Verhandlung beim LSG eingegangenem Schriftsatz vom 10.08.2015 hat der Kläger erklärt, er könne am Termin nicht teilnehmen und "werde daher das zulässige Rechtsmittel ... vorerst zurücknehmen". Das "Rechtsmittel vom 27.07.2015", mit dem er für die jeweiligen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz beantragt habe, werde nicht zurückgenommen. Er trägt weiter vor: "Hier werden Sie darauf hingewiesen, dass Sie in den vorliegenden Verfahren vom 03.06.2015 bis 14.07.2015 begründen müssen, inwiefern die beantragten Leistungen nicht in der Regelleistung sind." Außerdem beantrage er für alle Verfahren die Bewilligung von PKH.

Seit Anfang Juli 2005 hat der Kläger auch beim SG unzählige Wiederaufnahmeklagen erhoben. Bis 03.08.2015 sind dort insgesamt 554 Klagen eingegangen. Die beim SG erhobenen Wiederaufnahmeklagen betreffen zum Teil Verfahren, die durch Vergleich oder Klagerücknahme erledigt worden sind; zum Teil handelt es sich um Verfahren, in denen das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden ist oder die mit anderen Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verfahrensakte des Senats Bezug genommen.

II.

Die Eingaben des Klägers sind nicht als wirksam erhobene und damit nach der Prozessordnung zu bearbeitende Klagen und Anträge zu werten; das Verfahren ist deshalb von Amts wegen einzustellen.

Fehlt es an einem sinnhaften und ernst zu nehmenden Rechtsschutzbegehren kann in Ausnahmefällen eine bloße Nichtbearbeitung und schlichtes Austragen in Betracht kommen, wenn ein Begehren zu Unrecht als Klage in das Prozessregister eingetragen worden ist (BSG, Beschluss vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 8/14 B – SozR 4-1720 § 198 Nr. 8, veröffentlicht auch in Juris, dort Rdnr. 7 m.w.N.). Die Qualifizierung einer Eingabe als nicht zu bearbeitend in diesem Sinne – es handelt sich dabei letztlich um die Prüfung der ersten Prozessvoraussetzung, nämlich des Vorliegens einer ordnungsgemäßen bzw. wirksamen Klageerhebung (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, Vorb. § 40 Rdnr. 17; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Auflage 2015, Vorbemerkung § 253 Rdnr. 15f.) – setzt eine richterliche Willensentschließung voraus, die, insbesondere wenn dem Kläger rechtliches Gehör gewährt werden soll, auch noch in einer mündlichen Verhandlung möglich ist. Jedenfalls in diesem Fall kann die Entscheidung, dass eine Eingabe nicht weiter zu bearbeiten ist, analog den Vorschriften über die deklaratorische Verfahrenseinstellung nach einer Klagerücknahme (§ 102 Abs. 3 Satz 1 SGG, § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung, § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung) durch Beschluss erfolgen. Ergeht die Beschlussfassung – wie hier – aufgrund einer mündlichen Verhandlung, entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Ein sinnhaftes und ernst zu nehmendes Rechtsschutzbegehren kann beispielsweise bei völlig wirrem oder stereotyp wiederholtem Vorbringen fehlen. So ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass es ausnahmsweise dann keiner Vertreterbestellung bedarf, wenn das Rechtsmittel unter Anlegung eines strengen Maßstabs "offensichtlich haltlos" ist (BSG, Urteil vom 28.05.1957 – 3 RJ 98/54BSGE 5, 176), was insbesondere bei absurden Klagebegehren ohne jeden Rückhalt im Gesetz oder bei offensichtlich unschlüssigem Vorbringen anzunehmen ist, etwa wenn kein konkreter Streitgegenstand erkennbar ist, der Kläger nur allgemeine Ausführungen ohne irgendeinen Bezug zum materiellen Recht macht oder wenn sein Vorbringen bereits mehrmals Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen war (BSG, Urteil vom 15.11.2012 – B 8 SO 23/11 R – SozR 4-1500 § 72 Nr. 2; BSG, Beschluss vom 25.9.2014 – B 8 SO 50/14 B – veröffentlicht in Juris). Entsprechendes gilt, wenn ein Rechtsschutzersuchen erkennbar nicht mehr der Wahrnehmung prozessualer Rechte, sondern ausschließlich verfahrensfremden Zwecken dient. In einem solchen Fall bedarf es keiner förmlichen Abweisung oder Verwerfung durch Prozessurteil; das Ersuchen ist dann von vornherein unbeachtlich (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14.03.1990 – 5 B 89.3542 – veröffentlicht in Juris).

So liegt der Fall hier. Der Kläger hat beim LSG und beim SG innerhalb weniger Wochen über 3000 Verfahren anhängig gemacht. Welches konkrete Begehren in den einzelnen Verfahren, deren Wiederaufnahme nun beantragt wird, geltend gemacht worden ist, ist dem Kläger offensichtlich selbst nicht bekannt. Dies zeigt sich bereits daran, dass keine der erhobenen Klagen bzw. keiner der gestellten Anträge mit einem erkennbaren Bezug zum Streitgegenstand des angegebenen Ausgangsverfahrens begründet worden ist. Darauf kommt es dem Kläger aber auch gar nicht an. Sein einziges Bestreben zielt ersichtlich dahin, durch sein Prozessieren die Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats möglichst nachhaltig zu schädigen. Deshalb unterscheidet er bewusst nicht zwischen unterschiedlichen Verfahrensarten, auseinanderfallenden Zuständigkeiten und abgeschlossenen oder nicht abgeschlossenen Verfahren. Es ist offensichtlich, dass der Kläger nur zusätzlichen Aufwand verursachen will, wenn er die Wiederaufnahme einzelner Verfahren mehrfach, in unterschiedlichen Schriftsätzen und in unterschiedlichen Gruppen zusammengefasst beantragt. Auch die gestellten Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und auf Bewilligung von PKH dienen erkennbar nur dazu, den Senat zu zwingen, für jedes einzelne Verfahren ein gesondertes Aktenzeichen zu vergeben und damit den vom Kläger bezweckten, ganz erheblichen Bearbeitungsaufwand zu veranlassen.

Der Senat hat in zahlreichen Verfahren Berufungen und Beschwerden des Klägers mit folgender Begründung als unzulässig verworfen (z. B. Beschluss vom 14.08.2014 - L 12 AS 3299/13 - nicht veröffentlicht):

"Der Kläger ist prozessfähig im Sinne des § 71 Abs. 1 SGG; ein besonderer Vertreter war deshalb nicht zu bestellen. Allein die Anzahl der vom Kläger beim LSG geführten Verfahren (1162 Verfahren seit 2005) mag darauf hindeuten, dass es sich bei ihm um eine querulatorische Persönlichkeit handelt und könnte die Prüfung einer durch Querulantenwahn bedingten partiellen Prozessunfähigkeit nahelegen. Der Senat ist jedoch aufgrund des Gesamtverhaltens des Klägers der Überzeugung, dass dieser (auch) im Hinblick auf sein Prozessverhalten in seiner Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, er also ohne Einschränkung in der Lage ist, sein Verhalten gegenüber dem Beklagten und den Gerichten ohne unzumutbare Willensanstrengung zu ändern oder gar zu beenden. Deutlich wird dies z. B. durch den Umstand, dass der Kläger gegenüber dem SG (Az. S 10 AS 745/12 u. a.) über 100 anhängige Klagen zurückgenommen hat, nachdem ihm im Gegenzug eine Nachzahlung für einen vergangenen Zeitraum angeboten worden ist. Dieses Verhalten belegt, dass der Kläger die Wahrnehmung gerichtlichen Rechtsschutzes gezielt einsetzt, um durch die Vielzahl der Verfahren und den mit deren Bearbeitung verbundenen ganz erheblichen Verwaltungsaufwand Druck auf Behörden und Gerichte auszuüben oder auch nur seinem Unmut Ausdruck zu verleihen, ohne dass eine seine Prozessfähigkeit beeinträchtigende Einschränkung der Steuerungsfähigkeit hierfür ursächlich wäre.

Die Berufung des Klägers gegen hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht zulässig; es fehlt am Vorliegen eines (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses als Sachentscheidungsvoraussetzung für das Berufungsverfahren.

Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.05.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 [58]). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl. dazu nur BVerfG, Beschluss vom 05.12.2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220 [232] m.w.N.). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (vgl. § 242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann, das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats (BSG, Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 m.w.N.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, vor § 51 Rdnr. 16a und 19).

Im Rechtsmittelverfahren muss das Rechtsschutzbedürfnis (oder -interesse) im Regelfall nicht als besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels geprüft werden. Im Allgemeinen ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit seinem Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist; denn mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht (BSG a.a.O.). Allerdings gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf (hierzu etwa BSG Urteil vom 08.05.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr. 3 Rdnr. 13; für die Wiederaufnahmeklage vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.06.2014 - L 8 AL 397/14 WA - veröffentlicht in Juris). Trotz Vorliegens der Beschwer kann deshalb in seltenen Ausnahmefällen das Rechtsschutzinteresse fehlen, insbesondere wenn der Rechtsweg unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich beschritten wird (BSG a.a.O. m.w.N.)

Dem einzelnen Leistungsberechtigten kommt dabei auch nicht schon deshalb ein Rechtsschutzinteresse zu, weil strukturelle Fehler im Vollzug des Gesetzes erkennbar werden. Das macht der Ausschluss der Popularklage im SGG ebenso wie in den anderen Verfahrensordnungen deutlich. Ein Einzelner kann eine Klage nicht nur führen, um sich zum Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen. Im Einzelfall muss ein darüber hinausgehendes allgemeines Rechtschutzinteresse hinzukommen um zu verhindern, dass gerade im hoch belasteten Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur aus Rechthaberei Prozesse geführt werden (BSG, Urteil vom 12.07.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234).

Im vorliegenden Fall liegt ein solches, das Rechtsschutzbedürfnis ausschließendes zweckwidriges und missbräuchliches Beschreiten des Rechtsweges vor. Bereits die Erhebung der Klage, aber auch - ausnahmsweise trotz der gegebenen formellen Beschwer - die Berufung sind deshalb unzulässig bzw. unzulässig gewesen. Der Kläger hat zunächst den Beklagten (dessen Verwaltungsakten umfassen 5654 Bl. [Stand: 13.02.2013]), das SG und das LSG mit einer Vielzahl von Verfahren überzogen, in denen er immer wieder dieselben Streitgegenstände, wie z. B. Friseurkosten, Reisekosten aus unterschiedlichsten Anlässen oder Kostenübernahmen für vielfältigste Bedarfsgegenstände des täglichen Lebens geltend gemacht hat. Wurde über ein Begehren rechtskräftig entschieden, hat der Kläger das Verfahren durch Überprüfungsanträge nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erneut in Gang gesetzt. Rechtsmittel hat er völlig undifferenziert und ohne Rücksicht auf die Rechtsmittelbelehrungen der angegriffenen Entscheidungen eingelegt. Wenn er etwa - wie hier - im Anschluss an erstinstanzliche Entscheidungen weiterprozessiert, beschränkt er sich regelmäßig darauf, in einem einzigen Schreiben die Aktenzeichen zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren aufzuzählen und dagegen pauschal Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Auf diese Weise hat der Kläger eine Unzahl von Verfahren "produziert"; beim erkennenden Senat sind beispielsweise an einem einzigen Tag, dem 09.08.2013, 155 (!) neue Rechtsmittel (Berufungen, Nichtzulassungsbeschwerden und Wiederaufnahmeklagen) eingegangen. Offensichtlich geht es dem Kläger nicht nur darum, allgemein seinen Unmut mit seiner Lebenssituation und der von ihm als ungerecht empfundenen Rechtslage zum Ausdruck zu bringen. Er legt es vielmehr ersichtlich darauf an, die personellen Ressourcen beim Beklagten, beim SG und beim LSG durch sein Prozessieren in höchstmöglichem Maße zu beanspruchen und die jeweiligen Sachbearbeiter dabei so weit als möglich zu schikanieren. Nur in diesem Sinne kann es verstanden werden, wenn z. B. an sechs aufeinanderfolgenden Tagen ohne jede Differenzierung inhaltsgleiche Zugunstenanträge im Hinblick auf ein und denselben Bewilligungsbescheid gestellt werden, jeweils bezogen auf nur einen Monat des insgesamt sechsmonatigen Bewilligungsabschnitts und am siebten Tag dann der Zugunstenantrag betreffend den ersten Monat des nachfolgenden Bewilligungsbescheids folgt (und so fort; vgl. dazu den in einem Parallelverfahren [des Klägers] ergangenen Beschluss des erkennenden Senats vom 13.06.2013 - L 12 AS 1372/13 -). Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen Verfahrensgegenständen erfolgt nicht und wäre angesichts der Vielzahl der Verfahren für den Kläger wohl auch nicht mehr zu bewältigen. Wenn Rechtsmittel überhaupt begründet worden sind, sind ausschließlich weitgehend gleichlautende und allgemein gehaltene Ausführungen (letztlich: die gesetzlichen Leistungen seien zu niedrig) ohne jeden konkreten Bezug zum jeweiligen Streitgegenstand erfolgt.

Ein solches Prozessverhalten stellt nach Auffassung des Senats einen besonders gravierenden Fall des Missbrauchs verfahrensrechtlicher und prozessualer Rechte dar und ist von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht mehr gedeckt. Mangels Rechtsschutzbedürfnis erweist sich die Berufung - ebenso wie schon die Klage - deshalb als unzulässig."

Die vorstehenden Ausführungen gelten uneingeschränkt auch für die vom Kläger seit 03.06.2015 beim LSG erhobenen Wiederaufnahme- und Verpflichtungsklagen, die gestellten Wiederaufnahmeanträge, die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und die Anträge auf Bewilligung von PKH. Allerdings hat der Missbrauch prozessualer Rechte nunmehr ein sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht nochmals über das bisherige Prozessverhalten des Klägers hinausgehendes Ausmaß erreicht. Die Quantität betreffend ergibt sich dies bereits aus der enormen Anzahl der erhobenen Klagen und gestellten Anträge. Selbst wenn man die Anträge sachgerecht auslegen wollte und für jedes vom Kläger (zum Teil mehrfach und mit unterschiedlichen Schriftätzen) angegebene Aktenzeichen nur eine einzige Klageerhebung bzw. Antragstellung unterstellen wollte, würden sich viele hundert Verfahren ergeben und durch die für alle Verfahren pauschal gestellten Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch einmal verdoppeln. Die mit Schriftsatz vom 10.08.2015 übermittelte Erklärung wäre – wirksam erhobene Klagen und wirksam gestellte Anträge unterstellt – im Übrigen nicht als wirksame Rücknahme der Wiederaufnahmeklagen und -anträge zu werten, da eine solche nicht mit hinreichender Bestimmtheit erklärt worden ist.

Inhaltlich hat sich der Kläger in der Vergangenheit zumindest noch überwiegend gegen ihn jedenfalls formell beschwerende Entscheidungen des SG gewandt. Demgegenüber kreiert der Kläger die Verfahren seit 03.06.2015 sozusagen "aus dem Nichts". Die Absurdität seines Handelns wird deutlich, wenn nun z. B. für die Wiederaufnahme von Verfahren einstweiliger Rechtsschutz begehrt wird, die die Übernahme von Friseurkosten für Zeiträume im Jahr 2008 zum Gegenstand hatten.

Bei dieser Sachlage ist der Senat auch unter Berücksichtigung der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verankerten Garantie effektiven Rechtschutzes nicht mehr gehalten, die einzelnen vorgebrachten Begehren nach Maßgabe der Prozessordnung zu prüfen. Der Senat müsste ansonsten für alle Verfahren zunächst die sachliche Zuständigkeit prüfen. Nach Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 24.03.1988 – 5/5b RJ 92/86 – veröffentlicht in Juris; vgl. auch Leitherer a.a.O., § 179 Rdnr. 8 und Reichold in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung [ZPO], 36. Aufl. 2015, § 584 Rdnr. 2) wäre für Wiederaufnahmeklagen nicht das LSG, sondern das SG sachlich zuständig, wenn Berufungen des Klägers als unzulässig verworfen worden sind, also ein zweitinstanzliches Prozessurteil oder ein Beschluss nach § 158 SGG im Wege der Wiederaufnahmeklage angegriffen wird (was hier in der großen Mehrzahl der erhobenen Wiederaufnahmeklagen der Fall ist). Für Wiederaufnahmeanträge gegen Beschlüsse des BSG über Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in Urteilen des Senats bzw. in Senatsbeschlüssen nach § 153 Abs. 4 SGG oder nach § 158 SGG wäre hingegen das BSG sachlich zuständig (BSG, Beschluss vom 23.04.2014 – B 14 AS 368/13 B – a.a.O.). Der Senat wäre somit gehalten, seine Zuständigkeit in den genannten Fallkonstellationen zu verneinen und die (einzelnen) Rechtsstreite – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten – durch bindende Beschlüsse (zu diesem Erfordernis vgl. u. a. Bundesfinanzhof (BFH), Beschluss vom 16.12.2014 – X K 5/14 – veröffentlicht in Juris) an das jeweils zuständige Gericht zu verweisen; denn auch über (offensichtlich) unzulässige Klagen und Anträge zu entscheiden, ist nur der gesetzliche Richter befugt (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 30.10.1959 – 6 RKa 8/59BSGE 11,1; für den Fall einer unzulässigen Wiederaufnahmeklage BSG, Urteil vom 24.03.1988 – 5/5b RJ 92/86 – veröffentlicht in Juris). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – vorrangig das Fehlen des (allgemeinen) Rechtsschutzbedürfnisses wegen rechtsmissbräuchlichen Prozessierens zu prüfen ist, bzw. naheliegt (BVerwG, Beschluss vom 05.02.2001 – 6 B 8/01NJW 2001, 1513, veröffentlicht auch in Juris, dort Rdnr. 6 m.w.N.).

Soweit der Kläger zusätzlich zu den Wiederaufnahmeklagen und -anträgen Verpflichtungsklagen erhoben hat, wären diese (Klage-) Verfahren jedenfalls bei auseinanderfallender Zuständigkeit zuvor abzutrennen; dadurch würde sich die Gesamtzahl der anhängigen Verfahren nochmals erheblich erhöhen.

Obwohl der Kläger Wiederaufnahmegründe nicht einmal ansatzweise behauptet hat und sich sämtliche Rechtsmittel bereits aus diesem Grund als offensichtlich haltlos erweisen würden, wäre der Senat – Entsprechendes gilt für das SG – bei einer Qualifizierung der Eingaben des Klägers als wirksame, nach der Prozessordnung zu bearbeitende Rechtsmittel allein mit der Bearbeitung dieser innerhalb weniger Wochen nur durch eine Aneinanderreihung unzähliger Aktenzeichen vorgebrachten Begehren auf lange Sicht beschäftigt. Eine (weitere) Bearbeitung der Eingaben des Klägers ist hier jedoch auch und gerade im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht angezeigt. Es ist nicht Aufgabe eines Gerichts, weit mehr als 1000 wahllos hingeworfene Aktenzeichen zu sortieren, die Verfahren (ggf. nach Aussortierung mehrfach genannter Aktenzeichen) zu ordnen und dem sachlich zuständigen Gericht zuzuführen, nur um am Ende mehr als zweieinhalbtausend prozessordnungsgemäß zustande gekommene Gerichtsentscheidungen zu ermöglichen, die für den Kläger von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht sind. Durch eine solche Bearbeitung würde dem offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Prozessieren des Klägers von Amts wegen und mit ganz erheblichem Aufwand eine scheinbare Sinnhaftigkeit beigemessen, die ihm tatsächlich nicht zukommt.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht gefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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