L 8 U 3145/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 U 242/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3145/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung streitig.

Der 1994 geborene Kläger erlitt am 03.03.2009 während des Besuchs der Schule einen Unfall. Er klemmte sich - durch fremdes Verschulden - die Finger D3 und D4 in einer Tür ein. Dabei zog sich der Kläger eine Endgliedamputation des Fingers D3 links sowie eine Avulsionsverletzung des Fingers D4 links mit freiliegendem Knochen bis zur Endgliedbasis bei Schrägfraktur und Nagelkranzfraktur zu (Unfallanzeige vom 03.03.2009 und Durchgangsarztbericht PD Dr. Ma. vom 04.03.2009). Am 03.03.2009 erfolgte im Klinikum P. eine operative Revision und Nachamputation der Finger D3 und D4 bei komplikationslosem Verlauf. Der Kläger befand sich im Klinikum P. vom 03.03. bis 06.03.2009 in stationärer Behandlung (Bericht des Klinikums P. vom 05.03.2009 und Entlassungsanzeige vom 10.03.2009). Am 30.04.2009 wurde der Kläger aus der ambulanten Behandlung entlassen (Mitteilung PD Dr. Ma. vom 06.05.2009).

Am 01.07.2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten wegen des Unfalls vom 03.03.2009 Leistungen. Er sei durch den Unfall traumatisiert und psychisch sehr angeschlagen.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.11.2010 schlug Dr. E. für die Zeit bis sechs Monate nach dem Unfallereignis eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i.H.v.20 v.H., danach i.H.v.10 v.H. vor.

Mit Bescheid vom 08.12.2010 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 03.03.2009 als Versicherungsfall (Arbeitsunfall) an und lehnte einen Anspruch auf Rente ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt ein Zustand nach Quetschung des dritten und vierten Fingers der linken Hand mit Endgliedamputation des dritten Fingers links und Avulsionsverletzung (=Aushülsverletzung) des vierten Fingers links im Endgliedbasisbereich mit nachfolgender Operation sowie eine Nachamputation des Endgliedes und Stumpfbildung am dritten und vierten Finger der linken Hand. Über die 26. Woche hinaus bedingten die Verletzungsfolgen eine MdE i.H.v.10 v.H., somit nicht in rentenberechtigendem Grad.

Gegen den Bescheid vom 08.12.2010 legte der Kläger am 03.01.2011 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, er könne seine Hand fast nicht mehr einsetzen, weil zwei Finger fehlten. Zudem habe er seit dem Vorfall schwere psychische Probleme. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger außerdem mit, eine psychiatrische Behandlung finde derzeit nicht statt.

Die Beklagte holte das Gutachten der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie O.-P. vom 11.07.2011 sowie das unfallchirurgische Gutachten des PD Dr. Ma. vom 21.06.2011 ein. Die Nervenärztin O.-P. diagnostizierte auf ihrem Fachgebiet an Unfallfolgen einen Zustand nach einer mittlerweile abgeklungenen Anpassungsreaktion. Sie schätzte die MdE auf ihrem Fachgebiet bis sechs Monate nach dem Unfall auf 10 v.H. Anschließend bestehe keine Beeinträchtigung mehr. PD Dr. Ma. diagnostizierte an Unfallfolgen eine Endgliedamputation des Fingers D3 links auf Höhe der Endgliedbasis, eine Endgliedamputation des Fingers D4 nach Avulsionsverletzung mit verbliebenem Nagelrest sowie Dysästhesien an der Stumpfkuppe D3/D4 links. PD Dr. Ma. schätzte die MdE ab 01.06.2009 auf unter 10 v.H. ein.

Mit Teilabhilfebescheid vom 18.11.2011 anerkannte die Beklagte eine Anpassungsreaktion für sechs Monate nach dem Unfall als Folge des Versicherungsfalles an. Im Übrigen wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 zurückgewiesen.

Am 16.01.2012 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit dem Ziel, ihm Rente zu gewähren. Er machte zur Begründung geltend, er sei psychisch sehr angeschlagen. Er habe sich seit dem Vorfall negativ verändert. Seine Erwerbsfähigkeit sei eingeschränkt.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.06.2012 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Folgen des Arbeitsunfalls vom 03.03.2009 bedingten keine rentenberechtigende MdE um mindestens 20 v.H. Nach dem Gutachten der Nervenärztin O.-P. sei eine MdE-bedingende Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet nicht nachweisbar. Die im Gutachten des PD Dr. Ma. beschriebenen Befunde rechtfertigten nach den arbeitsmedizinischen Beurteilungsmaßstäben keine rentenberechtigende MdE.

Gegen den der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21.06.2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am Montag, den 23.07.2012 eingelegte Berufung. Der Kläger hat zur Begründung unter Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen ausgeführt, seine Erwerbsfähigkeit sei aufgrund der Fingeramputationen auch über die 26. Woche hinaus um mindestens 20 v.H. gemindert. Ihm stehe nicht mehr die gesamte Palette der Berufsbilder zur Verfügung. Die grundsätzlich zur Auswahl stehenden Berufe würden durch den Verlust der Fingerglieder erheblich eingeschränkt. Er müsse sich der Konkurrenz mit Mitbewerbern um einen Ausbildungsplatz mit einem erheblichen Handicap stellen. Das SG habe versäumt, Nachforschungen zu der tatsächlichen Einschränkung anzustellen. Auch die Feststellungen zu den psychischen Auswirkungen des Verlustes der Fingerglieder seien zu beanstanden. Er leide unter vielfältigen Problemen. Auch durch die auftretenden Missempfindungen in den betroffenen Fingern sei er beeinträchtigt, insbesondere bei Kälte.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 8. Dezember 2010 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 18. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2011 zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, der Einschätzung der MdE begegne weder rechtlichen noch tatsächlichen Bedenken.

Der Senat hat den Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. H. schriftlich als sachverständigen Zeugen angehört. Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 28.10.2013 mitgeteilt, der Kläger habe sich einmalig am 10.07.2013 in seiner Behandlung befunden. Beim Kläger habe eine depressive Anpassungsstörung nach Extrembelastung diagnostiziert werden müssen.

Anschließend hat der Senat (von Amts wegen) das nervenärztliche Gutachten des Professor Dr. Schw. vom 08.11.2014 eingeholt. Professor Dr. Schw. gelangte zu der Beurteilung, rückblickend sei für die ersten sechs Monate nach dem Schädigungsereignis eine unfallursächliche Anpassungsstörung mit sensitiver Reaktion zu diagnostizieren. Diese Gesundheitsstörung sei zum Zeitpunkt der hiesigen Begutachtung sicher nicht mehr gegeben gewesen. Die psychischen Unfallfolgen seien mit einer MdE von 10 v.H. einzuschätzen. Nach Ablauf von sechs Monaten sei rückblickend keine messbare MdE auf nervenärztlichem Fachgebiet mehr anzunehmen. Die diagnostische Einschätzung von Dr. H. sei nicht nachzuvollziehen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat den Berufungsantrag des Klägers nach seinem erkennbaren Begehren sachdienlich gefasst.

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 08.12.2010 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 18.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 03.03.2009 keinen Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird die Vollrente geleistet, bei einer MdE wird eine Teilrente geleistet, die in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt wird, der der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Hiervon ausgehend rechtfertigen die beim Kläger auf unfallchirurgischem Fachgebiet verbliebenen Folgen des Unfallereignisses vom 03.03.2009 keine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 SGB VII). Die Bemessung der MdE ist die Feststellung von Tatsachen, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1).

Nach dem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten des PD Dr. Ma. vom 21.07.2011, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, bestehen beim Kläger an Unfallfolgen eine Endgliedamputation des Fingers D3 links auf Höhe der Endgliedbasis, eine Endgliedamputation des Fingers D4 links mit verbliebenem Nagelrest sowie Dysästhesien an der Stumpfkuppe D3/D4 links. In Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 8.7.8 Seite 565ff. (Abb. 2.30) wird bei einer Amputation der Endglieder an den Fingern D3 und D4 nach Ablauf von sechs Monaten eine MdE von 10 vorgeschlagen, wie das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt hat. Demgegenüber wird in Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Auflage, Seite 259, Abb. 13 eine messbare MdE für den Verlust der Fingerendglieder D3 und D4 nicht vorgeschlagen (MdE 0). Damit ist von einer MdE von maximal 10 auszugehen. Weitere MdE-relevante Funktionseinschränkungen bestehen durch die Unfallfolgen nicht. Zwar hat der Kläger nach den Beschreibungen im Gutachten des PD Dr. Ma. über vor allem morgendliches Pochen im Bereich der Fingerstümpfe D3 und D4 links sowie über ein zeitweise auftretendes leichtes Brennen und Missempfindungen insbesondere bei Kälte sowie über Schmerzen im Bereich der Hohlhand nach Belastung der linken Hand geklagt. Nach den im Gutachten von Professor Dr. Schw. beschriebenen Angaben des Klägers treten Schmerzen lediglich ein- bis zweimal pro Woche für die Dauer von ein bis zwei Minuten auf. Dass der Kläger durch die Dysästhesien und durch Schmerzen im Gebrauch der linken Hand wesentlich eingeschränkt ist, beschreibt PD. Dr. Ma. in seinem Gutachten nicht. Auch eine wesentliche Einschränkung der Einsetzbarkeit der Amputationsstümpfe der betroffenen Finger besteht beim Kläger nicht. Nach dem im Gutachten des PD Dr. Ma. beschriebenen Befund der Unfallfolgen bestehen völlig reizlose Narbenverhältnisse an den Fingern D3 und D4. Die Durchblutung und die Motorik sind intakt. Die Prüfung ist völlig schmerzfrei. Der Faustschluss ist vollständig. Durchblutungsstörungen sowie Neurome oder Bewegungseinschränkungen der Gelenke der teilamputierten Finger bzw. nicht betroffener Nachbarfinger liegen beim Kläger damit nicht vor. Auch nach den im Gutachten von Professor Dr. Schw. beschriebenen Angaben des Klägers lässt sich eine wesentliche Einschränkung der Einsetzbarkeit der Amputationsstümpfe der betroffenen Finger nicht entnehmen. Immerhin ist der Kläger danach in der Lage, das Musikinstrument "Saz", ein Saiteninstrument mit sieben Saiten, zu spielen, wobei lediglich eine Einschränkung hinsichtlich einzelner Griffe besteht. Eine Erhöhung der MdE von maximal 10 wegen der Amputation der Endglieder an den Fingern D3 und D4 ist damit nicht gerechtfertigt. Dem entspricht auch die Bewertung der MdE durch PD Dr. Ma. in seinem Gutachten, der von einer MdE von unter 10 seit dem 01.06.2009 ausgeht.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die grundsätzlich zur Auswahl stehenden Berufe würden durch den Verlust der Fingerglieder erheblich eingeschränkt, er müsse sich der Konkurrenz mit Mitbewerbern um einen Ausbildungsplatz mit einem erheblichen Handicap stellen, wie er im Berufungsverfahren geltend macht. Die dargestellten MdE-Erfahrungssätze beziehen sich auf das gesamte Gebiet des Erwerbslebens. Sie sind Ausgangspunkt für die Feststellung der MdE und berücksichtigen damit bereits das Berufungsvorbringen des Klägers. Eine besondere berufliche Betroffenheit liegt beim Kläger nicht vor. Zwar werden nach § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Nicht erfasst wird demgegenüber ein berufliches, länger erprobtes Fachwissen, da dies in der Regel in jedem Beruf vorliegt, der für eine gewisse Dauer ausgeübt wurde (BSG 19.09.1974 8 RU 94/73 SozR 2200 § 581 Nr. 2 = juris). Als besondere Nachteile i.S.d. § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII kommen dabei nur Umstände in Betracht, die nicht schon von der nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII bemessenen MdE im allgemeinen Erwerbsleben und vom Jahresarbeitsverdienst (JAV) erfasst sind (Scholz in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 56 SGB VII RdNr. 78). Eine besondere berufliche Betroffenheit setzt daher voraus, dass eine wirtschaftlich messbare Beeinträchtigung der Nutzung erworbener besonderer Kenntnisse und Erfahrungen vorliegt, die eine durch die bisher verrichtete Tätigkeit erworbene besonders günstige Stellung im allgemeinen Erwerbsleben mindert (BSG 30.06.2009 - B 2 U 3/08 R - Breith. 2010, 31 = juris). Vorliegend macht der Kläger keinen Verlust von Fähigkeiten geltend, die ihm eine besonders günstige Stellung im Erwerbsleben verschafft haben, sondern lediglich Einschränkungen, die mit der allgemeinen Ausbildung und der Berufserfahrung in einem allgemeinen Lehrberuf bzw. einer Anlerntätigkeit verbunden und erworben werden. Der Verlust bzw. die Einschränkung dieser allgemeinen Fähigkeiten wird aber gerade durch die Bemessung der MdE ausgeglichen, weshalb eine zusätzliche Erhöhung der MdE nicht gerechtfertigt ist.

Weitere zu berücksichtigende Unfallfolgen - über die 26. Woche nach dem schädigenden Ereignis hinaus - liegen beim Kläger nicht vor. Nach den für den Senat nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Professor Dr. Schw. in seinem Gutachten vom 08.11.2014 ist beim Kläger nach seinen eigenanamnestischen Angaben und den aktenkundigen Vorbefunden - rückblickend - lediglich für die ersten sechs Monate nach dem Schädigungsereignis, und damit nicht über die 26. Woche nach dem Unfallereignis hinaus, eine Anpassungsstörung mit sensitiver Reaktion (temporäre Selbstwertstörung mit Grübeln und teilweisem sozialen Rückzug) zu diagnostizieren. Für diese temporäre Anpassungsstörung ist das Schädigungsereignis am 03.03.2009 nach Art und Auswirkung auf den Organismus des Klägers einschließlich seiner prämorbiden Persönlichkeit wesentlich ursächlich relevant, wie Professor Dr. Schw. in seinem Gutachten für den Senat aufgrund der von ihm beschriebenen Befunde nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat. Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang, die nachvollziehbare psychische Initialreaktion und die Belastungsverarbeitung sprechen vorliegend für einen wesentlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungsereignis und die anschließend temporär aufgetretenen psychischen Störungen. Nach Ablauf von sechs Monaten (d.h. der 26. Woche nach dem Schädigungsereignis vom 03.03.2009) kann jedoch eine messbare schädigungsbedingte MdE auf psychischem Fachgebiet nicht mehr festgestellt werden, wie Professor Dr. Schw. in seinem Gutachten weiter nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat. So hat Professor Dr. Schw. nach den von ihm im Gutachten beschriebenen Befunden nachvollziehbar dargelegt, dass sich in klinischer Hinsicht beim Kläger ein unauffälliges Bild ergeben hat. Der psychopathologische Befund war ohne Pathologika. Insbesondere hat sich eine krankheitswertige depressive Symptomatik beim Kläger nicht gezeigt. Professor Dr. Schw. hat eine relevante depressive Symptomatik klar ausschließen können. Auch Hinweise auf eine krankheitswertige Persönlichkeitsstruktur bzw. Persönlichkeitsakzentuierung oder auf eine psychopathologische Traumafolgestörung (posttraumatische Belastungsstörung) ergaben sich beim Kläger bei der Untersuchung durch Professor Dr. Schw. nicht. Dem entsprechen im Wesentlichen auch die von der Nervenärztin O.-P. in ihrem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten vom 11.07.2011, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, beschriebenen Befunde. Auch die Nervenärztin O.-P. ist in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet ein Zustand nach einer mittlerweile abgeklungenen Anpassungsreaktion besteht. Der Senat folgt den übereinstimmenden Bewertungen des Professor Dr. Schw. sowie der Nervenärztin O.-P. in ihren Gutachten, dass beim Kläger über die 26. Woche nach dem Unfallereignis vom 03.03.2009 hinaus auf psychischem Fachgebiet Unfallfolgen nicht mehr bestanden haben, jedenfalls nicht nachgewiesen sind, und dass damit beim Kläger eine MdE durch die temporäre Anpassungsreaktion nicht mehr anzunehmen ist. Hierfür spricht auch, dass sich der Kläger in eine psychiatrische Behandlung nicht begeben, sondern sich erst auf eine Nachfrage des Berichterstatters mit Schreiben vom 13.05.2013 einmalig am 10.07.2013 bei Dr. H. vorgestellt hat, wie Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 28.10.2013 berichtet hat.

Der abweichenden Ansicht des Dr. H. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 28.10.2013 kann nicht gefolgt werden. Seine nicht auf längerer Behandlungsdauer sondern auf einer lediglich einmaligen, allein auf die unfallanamnestischen Angaben beschränkte Untersuchung des Klägers am 10.07.2013 gestützte diagnostische Einschätzung einer depressiven Anpassungsstörung nach Extrembelastung ist im Hinblick auf die von Professor Dr. Schw. und der Nervenärztin O.-P. in ihren Gutachten im Wesentlichen übereinstimmend erhobenen und beschriebenen psychischen Befunde nicht nachvollziehbar, worauf auch Professor Dr. Schw. in seinem Gutachten überzeugend hinweist. Dies überzeugt, da beiden Gutachten im Gegensatz zu dem Befund von Dr. H. eine ausführliche Exploration zur Primärpersönlichkeit, sozialen/familiären Umfeld etc. zu entnehmen ist.

Das Vorliegen eines Stützrententatbestandes ist nicht ersichtlich. Ein Rentenanspruch des Klägers besteht damit gegen die Beklagte nicht.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die von der Beklagten sowie vom Senat im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt. Diese vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt.

Die Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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