L 6 R 1362/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 17 R 2981/10
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 1362/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 16. Juli 2012 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Er-werbsminderung hat.

Die 1956 geborene Klägerin absolvierte von September 1972 bis Juli 1974 erfolgreich eine Ausbildung zum Bauzeichner (Facharbeiterzeugnis vom 15. Juli 1974) und war danach bis August 1975 als technische Zeichnerin tätig. Von August 1975 bis August 1978 absolvierte sie ein Studium, das sie als Ingenieur in der Fachrichtung Werkzeugmaschinenbau abschloss. Von August 1978 bis Dezember 1992 arbeitete sie als Konstrukteurin für Betriebsmittel, danach war sie arbeitslos. Vom 28. November 1994 bis 21. April 1995 war sie als Technikerin bei der N. M. Stahl- und Metallbau GmbH & Co. KG tätig. Unterbrochen durch Umschulungs-, Weiterbildungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bezog sie bis 31. Dezember 2004 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Sie besuchte u.a. die Lehrgänge "Modulares Trainingszentrum für kaufmännische und IT - Branchenlösungen" (1. November 2007 bis 25. März 2008), "Trainingsmaßnahme -Medienkompetenz" (9. Februar 2004 bis 31. März 2004)) und "Fachkraft für Multimedia" (24. September 2001 bis 23. September 2002).

Im Januar 2009 beantragte sie die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte ein onkologisches Gutachten des Dr. J. vom 12. März 2009 (Diagnosen: essen-zielle Thrombozythämie, Hypertonie; Leistungsbild: leichte bis mittelschwere überwiegend sitzende Tätigkeiten vollschichtig möglich) ein und lehnte mit Bescheid vom 19. März 2009 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Im Widerspruchsverfahren holte sie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten der Dr. H. vom 13. Mai 2009 ein (Diagnosen: mittelgradige depressive Episode im Rahmen einer Anpassungsstörung, Dorsolumbalgien ohne Anhalt für zervikalen oder lumbalen Wurzelreiz oder spinale Symptomatik, Verdacht auf ISG-Blockierung rechts, Ausschluss eines Polyneuropathiesyndroms; Leistungsbild: leichte Arbeiten unter Beachtung von Einschränkungen sechs Stunden und mehr) und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2010 zurück.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen beigezogen, ein internistisch-sozialmedizinisches Gutachten des Dr. Sch. vom 7. Februar 2012 und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. B. vom 10. Februar 2012 eingeholt. Zusammenfassend nennt Dr. Sch. folgende Diagnosen: Vermehrung der Blutplättchenzahl, medikamentös ausreichend kompensiert, ohne bisherige Manifestation von thromboembolischen Ereignissen (essenzielle Thrombozythämie bei myeloproliferativem Syndrom), Bluthochdruck, medikamentös ausreichend behandelt, ohne Anhalt für eine Herzbeteiligung, normale linksventrikuläre Pumpfunktion, vorbefundlich Herzrhyth-musstörungen, medikamentös behandelt (paroxysmales Vorhofflimmern), Neigung zu Magenschleimhautentzündungen, unter bedarfsweise eingesetzter Medikation ausreichend therapiert, Ausschluss einer Lungenfunktionsstörung bei angegebener Belastungsatemnot, Übergewichtigkeit, intermittierende Blockierung des rechten Kreuz-Darmbein-Gelenkes, Lendenwirbelsäulen-(LWS-)Syndrom mit wurzelreizähnlicher Symptomatik im rechten Bein ohne wesentliche Funktionseinschränkungen und ohne Zeichen einer Nervenwurzelirritation zum Untersuchungszeitpunkt, Kopfschmerz vom Spannungstyp, aktuell Ausschluss einer Erkrankung aus dem entzündlich-rheumatischen Formenkreis, aktuell kein Hinweis auf eine leistungslimitierende Gesundheitsstörung auf psychiatrischem bzw. neurologischem Fachgebiet. Die Klägerin könne körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Technikerin bestehe ein über sechsstündiges Leistungsvermögen.

Mit Urteil vom 16. Juli 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) lägen nicht vor. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dres. Sch. und B. könne die Klägerin mindestens sechs Stunden täglich einer Tätigkeit nachgehen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestehe nicht, weil sie die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Technikerin weiterhin ausüben könne.

Im Berufungsverfahren trägt die Klägerin vor, aufgrund ihrer Erkrankung an essenzieller Trombozythämie leide sie unter einer Vielzahl von Beschwerden, die es ihr nicht ermöglichten eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 16. Juli 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Februar 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lägen nur noch für einen (fiktiven) Leistungsfall bis Juni 2011 vor. Dem Versicherungsverlauf vom 16. November 2012 sei zu entnehmen, dass nur noch bis Mai 2009 eine lückenlose Belegung im Sinne des § 241 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) vorliege.

Der Senat hat diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen, einen Arztbrief des A. Fachklinikums St. vom 7. Oktober 2014, ein nervenärztliches Gutachten des Dr. K. vom 30. Dezember 2014 sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 11. März 2015 eingeholt. Dr. K. hat auf psychiatrischem Fachgebiet eine Double-Depression mit Dysthymia (ICD-10 F34.1) und rezidivierender depressiver Störung - gegenwärtig leichte Episode - (ICD-10 F33.0), Zwangsgedanken und -handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) auf dem Boden einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.5), auf neurologischem Fachgebiet Migräne ohne Aura (ICD-10 G43.0), Carpaltunnelsyndrom ohne funktionelle Relevanz (ICD-10 G56.0), LWS-Syndrom ohne Nachweis einer Radikulopathie (ICD-10 M54.5) und keinen Anhalt für eine neurologische Komplikation bei bekannter essenzieller Trombozythämie diagnostiziert. Die Klägerin könne noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung von Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

Der Senat hat den Beteiligten eine anonymisierte Kopie des Gutachtens der berufskundlichen Sachverständigen J. zur Tätigkeit einer Registratorin vom 15. Dezember 2004 sowie eine Be-rufsbeschreibung aus dem BERUFENET (http://www.berufenet.arbeitsagentur.de; Stichwort: Registrator/in) zur Kenntnisnahme übersandt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Ver-waltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet; sie hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2009 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 15. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt sie nicht in ihren Rechten.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 SGB VI scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.

Die Klägerin ist nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 SGB VI, weil ihre Leistungsfähigkeit nicht im erforderlichen Umfang herabgesunken ist. Damit ist sie auch nicht voll oder teilweise er-werbsgemindert i.S.v. § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich aus-üben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Berufsunfähigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn der Versicherte "seinen Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mehr möglich ist. Die Definition der Berufsunfähigkeit in § 240 Abs. 2 SGB VI entspricht insofern der in § 43 Abs. 2 SGB VI in der Fassung vor dem 1. Januar 2001 mit dem Unterschied, dass nunmehr auf ein Herabsinken auf weniger als sechs Stunden abgestellt wird.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bis-herigen Berufes festgestellt, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das sogenannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Die verschiedenen Stufen sind nach dem quali-tativen Wert des bisherigen Berufes - dieser wird nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht anhand von Prestige oder Entlohnung bestimmt - hierarchisch geordnet (vgl. BSG, Urteile vom 14. Mai 1996 - Az.: 4 RA 60/94 in BSGE 78, 207, 218 und vom 24. März 1998 - Az.: B 4 RA 44/96 R, nach juris). Bei den Angestelltenberufen erfolgt eine Untergliederung in sechs Berufsgruppen: Angestelltenberufe von hoher Qualität, die regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht und in denen regelmäßig ein Arbeitsentgelt oberhalb, an oder in der Nähe der Beitragsbemessungsgrenze erzielt wird (sechste Stufe); Angestelltenberufe, die zwar ein abgeschlossenes Studium an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule voraussetzen, jedoch nur Kenntnisse und Fähigkeiten unterhalb der Führungsebene - d.h. unterhalb der obersten Stufe – erfordern (fünfte Stufe); Angestelltenberufe, die eine Meisterprüfung oder einen erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen - im Kern mit der Berufstätigkeit der höchsten Stufe der Arbeiterberufe übereinstimmen – (vierte Stufe); der Angestelltenberufe mit einer längeren Ausbildung als zwei Jahre (dritte Stufe); der angelernten Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren (zweite Stufe) und der unausgebildeten (ungelernten) Angestellten. Im Rahmen der sozialen Zumutbarkeit kann auf eine Tätigkeit der jeweils nächst niedrigeren Gruppe verwiesen werden.

Die Einordnung der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit in das Berufsschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermitteln-den Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – Az.: 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Absatz 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlich-qualitativ gleichwertig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema" in die gleiche oder nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind.

Die Klägerin ist aufgrund der zuletzt auf Dauer ausgeübten Tätigkeit als Technikerin als An-gestellte mit einer längeren Ausbildung als zwei Jahre einzustufen. Der Senat lässt offen, ob sie diesen Beruf noch im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben vermag; er verweist sie auf die sozial zumutbare (Entlohnung nach Vergütungsgruppe VIII BAT Bund/Länder - jetzt Entgeltgruppe 3 des TVÖD) Tätigkeit einer Registratorin. Diese Tätigkeit kann nach einer Anlernzeit von weniger als drei Monaten ausgeübt werden (vgl. Senatsurteil vom 5. September 2001 - Az.: L 6 RA 294/97). Nach den Ausführungen der Sachverständigen J., die sich der Senat zu Eigen macht, handelt es sich um eine kaufmännisch-verwaltende Tätigkeit auf der Ebene der Angestellten mit einer Ausbildung von bis zu zwei Jahren. Der Zugang ist geregelt; bevorzugt wird das Einarbeiten/Anlernen von Bewerbern aus kaufmännischen und verwaltenden Berufen. Registratoren führen eine vielfach gegliederte Registratur; sie sind verantwortlich für das Registrieren und Archivieren von Akten und anfallendem Schriftverkehr, Vergeben von Aktenzeichen nach den geltenden Aktenplänen und von fortlaufenden Aktennummern sowie das Anlegen von Neuakten und Aussondern von Altakten unter Beachtung von Aufbewahrungsfristen. Die Tätigkeit umfasst folgende Aufgaben und Anforderungen: Kenntnis der Unternehmens- und Betriebsstruktur und Kenntnis der Betriebsabläufe, Erkennen der verschiedenen Sachverhalte und Kenntnis der verschiedenen Belege für die richtige Zuordnung, Einsortieren bzw. Entnahme von Schriftstücken zur Weiterbearbeitung, Kontrolle der Entnahme von Schriftstücken zum Schutz vor Verlusten, Aussortieren nicht mehr benötigter Schriftstücke, Beherrschen der Ordnungssysteme (alphabetisch, numerisch, chronologisch), Beherrschen der Ablagesysteme (Ordner, Stehsammler, vertikale Hängeregistratur etc.), Arbeiten mit alternativen Registraturformen (z.B. Mikroverfilmung), Arbeit mit Karteien (z.B. Karteikarten), zum Teil Arbeit mit Dateien (Disketten, CD-Rom), Arbeit mit weiterer Bürotechnik (z.B. Schreibmaschine). Es handelt sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen, gelegentlich im Stehen und Gehen ausgeübt wird. Diese Beschreibung entspricht der aktuellen Berufsbeschreibung im BERUFENET.

Nach dem Gutachten des Dr. K. vom 30. Dezember 2014 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. März 2015 kann die Klägerin leichte und mittelschwere Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Die neurologische, psychiatrische, psychosomatische, test-psychologische und elektrophysiologische Untersuchung ergaben die o.g. Diagnosen. Bei der Klägerin hat sich im Rahmen der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit eine chronische über Jahre andauernde depressive Verstimmung entwickelt, die im Juli 2014 die Kriterien einer mittelgradigen depressiven Episode erfüllte. Es handelt es sich um eine sogenannte Double-Depression, d.h. eine Dysthymia mit zusätzlichen depressiven Episoden. Weiterhin bestehen auf dem Boden einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung Zwangsgedanken und -handlungen, gegenwärtig überwiegend bezogen auf das Einkaufen über sogenannte Shoppingsender. Es handelt sich jedoch um keine Verhaltensstörung oder unkontrollierbaren Impuls; erfüllt sind die Kriterien einer Zwangsstörung. Auf neurologischem Fachgebiet besteht eine Migräne ohne Aura. Der im Arztbrief des A. Fachklinikums St. beschriebene Verdacht auf eine 50-prozentige Stenose der Arteria carotis interna rechts konnte nicht bestätigt werden. Bezüglich der internistisch bestehenden Trombozythämie ist eine neurologische Komplikation, z.B. ein klinisch manifester Schlaganfall nicht aufgetreten. Eine funktionelle Relevanz ist daher zurzeit nicht gegeben. Das Krankheitsbild der Klägerin hat der Sachverständige einer Konsistenzprüfung unterzogen (vgl. Widder/Schiltenwolf/Egle et al. "Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen", AWMF-Register Nr. 030/102 S2k) und dabei Inkonsistenzen festgestellt. Es besteht eine massive Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung des depressiven Bildes. Während sich in der Selbstbeurteilung (Beck-Depressions-Inventar (BDI)) eine schwere Depression abbildete, ist in der Fremdbeurteilung (Hamilton Depressions-Scala (HAMD), Strukturiertes Klinische Inverview (SKID-I)) nur eine leichte depressive Episode neben einer chronisch depressiven Verstimmung (Dysthymia) nachweisbar. Die Aktivität und Partizipationsfähigkeit der Klägerin spricht gegen eine schwere depressive Symptomatik. Inkonsistenzen bestehen auch bei ihrer Verhaltensbeobachtung. Obwohl sie mehrfach angegeben hat, müde und erschöpft zu sein, hat sich nach mehrstündiger Begutachtungszeit objektiv keine Erschöpfungssymptomatik gezeigt. Es ergeben sich Hinweise auf eine negative Antwortverzerrung im SFSS (Deutsche Übersetzung des Structured Inventory of Malingered Symptomatology (SIMS)), die diese Diskrepanzen erklärt. Die Symptome der Zwangsstörung kann die Klägerin im Alltag bei Bedarf überwinden. Die Fähigkeit zur Willensanspannung ist nicht beeinträchtigt. Funktionsstörungen zeigen sich dahingehend, dass eine leichte Einschränkung der Stressresistenz und der Frustrationstoleranz sowie der psychosozialen Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestehen. Das Durchsetzungsvermögen ist leicht eingeschränkt; die Kommunikationsfähigkeit ist nicht gestört; Teamfähigkeit ist durchaus gegeben. Quantitative oder qualitative Bewusstseins- und Orientierungsstörungen sind nicht feststellbar. Die Klägerin hat keine psychotischen Erlebnisinhalte, die kognitive Funktion ist regelrecht. Es bestehen keine wesentlichen Antriebsstörungen; eine mittelgradige oder schwere affektive Störung konnte ausgeschlossen werden. Insgesamt ist das psychische und psychosomatische Funktionsniveau leicht eingeschränkt. Zusammenfassend ergeben sich aufgrund der seelischen Problematik nur leichte Funktionsstörungen; eine globale Fähigkeitsstörung ist auszuschließen. Bezüglich der neurologischen Erkrankungen hat der Sachverständige keine Funktionsstörung festgestellt. Hieraus schlussfolgert er nachvollziehbar, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin nicht quantitativ eingeschränkt ist. Qualitative Einschränkungen bestehen dahingehend, dass ihr keine Tätigkeiten, die Zwangshaltungen der Wirbelsäule erfordern (Arbeiten in gebückter, halbgebückter Haltung sowie in Hockstellung, Arbeiten im Knien sowie Überkopfarbeiten), mehr zumutbar sind. Die Tätigkeiten sind durchführbar in geschlossenen Räumen unter Vermeidung von Nässe, Kälte und Zugluft. Aufgrund des psychopathologischen Befundes scheidet Schicht- und Akkordarbeit aus. Gefährdung durch Reizstoffe wie Staub, Rauch, Gas und Dampf sind zu vermeiden. Es besteht eine leichte Störung der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, eine besondere nervliche Belastung wie besonderer Zeitdruck, ein hohes Maß an Publikumsverkehr und besondere Verantwortung sind zu vermeiden. Einschränkungen der Wegefähigkeit bestehen nicht; die Klägerin kann öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Betriebsunübliche Pausen sind nicht erforderlich.

Die Verwertbarkeit des Gutachtens ist auch nicht deshalb eingeschränkt, weil der Sachver-ständige die Anwesenheit der Tochter der Klägerin während der Begutachtung nicht gestattet hat. Unabhängig davon, dass sich die Klägerin anlässlich der Begutachtung damit einverstanden erklärt hat, entspricht diese Vorgehensweise den allgemein anerkannten Kriterien für die psychiatrische und psychosomatische Begutachtung (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. November 2013 - Az.: L 2 SF 155/12 B mit zustimmender Anmerkung von Keller in jurisPR-SozR 6/2014 Anm. 5; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 - Az.: L 31 R 1292/09 B, beide nach juris). Eine Rechtspflicht zur Zulassung eines Dritten steht immer unter dem Vorbehalt, dass dadurch das Ergebnis der Exploration und Begutachtung nicht verfälscht werden darf. Die Anwesenheit vor allem von nahen Familienangehörigen oder Freunden kann nicht nur die Exploration (vgl. Hausotter, MEDSACH 2007, 27), sondern auch die testpsychologische Diagnostik (vgl. Gaidzik "Rechtsgrundlagen der Begutachtung" in Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Auflage 2011, S. 27) beeinflussen. Einem Sachverständigen ist es kaum möglich, dies bereits vorab abzuklären und auszuschließen. Deshalb ist es rechtlich und medizinisch gerechtfertigt, hier bereits vorab generell die Anwesenheit dieser Personen abzulehnen.

Eine Begutachtung auf einem anderen Fachgebiet war nicht erforderlich. Dr. Sch. führt in seinem internistisch-sozialmedizinischen Gutachten vom 7. Februar 2012 aus, dass es aufgrund der essenziellen Thrombozythämie bei myeloproliferativem Syndrom bisher zu keinen thromboembolischen Ereignissen kam; es besteht auch keine erhöhte Blutungsneigung. Unter der derzeit durchgeführten Therapie liegen die Thrombozytenzahlen in einem akzeptablen Bereich bei weitgehend unauffälligem Blutbild. Insoweit begründet diese Erkrankung qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen.

Die Möglichkeit der Ausübung einer Tätigkeit als Registratorin hat Dr. K. ausdrücklich bejaht. Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass sich die Klägerin innerhalb von drei Monaten in diese Tätigkeit einarbeiten kann. Sie hat den Beruf des Bauzeichners erlernt, ein Ingenieursstudium absolviert und mehrere Lehrgänge, u.a. vom 1. November 2007 bis 25. März 2008 den Lehrgang "Modulares Trainingszentrum für kaufmännische und IT - Branchenlösungen", erfolgreich absolviert. Unwesentlich ist, ob ihr mit dem festgestellten Leistungsvermögen eine entsprechende Tätigkeit vermittelt werden kann. Das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden, trägt nicht die Beklagte sondern die Arbeitslosenversicherung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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