L 5 KA 2225/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KA 5328/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 2225/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 (S 10 KA 5328/13) wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge endgültig auf 7.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Disziplinarbescheid der Beklagten vom 05.04.2013, mit dem eine Geldbuße von 2.000 EUR gegen ihn festgesetzt wurde.

Die Beklagte begründete den Bescheid vom 05.04.2013 damit, dass der Kläger, der zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, seine Pflicht zur gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen den an der vertragszahnärztlichen Versorgung Beteiligten verletzt habe (§ 4 Abs. 3 Satzung KZV BW i.V.m. § 81 Abs. 3 SGB V). Er habe der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau R., vorsätzlich zu Unrecht unterstellt, dass sie ihm - obwohl ihr bekannt gewesen sei, dass er Unterlagen bereits an den Gutachter übersandt habe - wider besseres Wissen und vorsätzlich berufs- und disziplinarrechtliche Konsequenzen angedroht habe, falls die Übersendung nicht erfolge. Die Formulierung des von Frau R. übersandten Formschreibens sei nicht als konkrete Drohung zu verstehen. Die vom Kläger hierauf gestellte Strafanzeige gegen Frau R. wegen "fortgesetzter vorsätzlich falscher Anschuldigung, Nötigung, Verdunkelung, Betrug, Unterschlagung und anderer nicht benannter Delikte" stelle sich als Diffamierung dar (vgl. Bl. 145 ff. VA).

Mit Urteil vom 30.01.2015 wies das Sozialgericht Stuttgart die fristgerecht gegen den Bescheid vom 05.04.2013 erhobene Klage ab. Zur Begründung führte die Kammer des Sozialgerichts aus, dass das vom Kläger "so heftig monierte Schreiben" der bei der Beklagten beschäftigten Frau R. weder seiner Form noch seinem Inhalt nach Anlass zur Strafanzeige oder für ehrabschneidende Äußerungen gebe. Im Rahmen der Fürsorgepflicht gegenüber der Mitarbeiterin habe sich die Beklagte zu Recht zum Erlass des angefochtenen Disziplinarbescheids veranlasst gesehen, nachdem der Kläger wiederholt eingeräumte Gelegenheiten, sich zu entschuldigen, habe verstreichen lassen. Die Geldbuße könne nach § 12 Abs. 1 Ziffer c) der Disziplinarordnung mit bis zu 10.000 EUR festgesetzt werden. Dieser Rahmen sei bei weitem nicht ausgeschöpft. Auch im Termin vom 30.01.2015 habe der Kläger sich nicht veranlasst gesehen, einzuräumen, dass er mit seiner Anzeige, "über das Ziel hinausgeschossen" sei.

Das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 wurde dem Kläger ausweislich der hierüber angefertigten Postzustellungsurkunde am 19.03.2015 zugestellt. In der Postzustellungsurkunde ist die Anschrift des Klägers vermerkt und festgehalten, dass der Postbedienstete das Schriftstück (Urteil vom 30.01.2015) dem Adressaten persönlich übergeben hat.

Am 26.05.2015 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart gegen das Urteil "Beschwerde" eingelegt und "Wiedereinsetzung in das Verfahren" beantragt. Das am 30.01.2015 noch gegen ihn geführte anhängige Strafverfahren wegen Beleidigung und übler Nachrede (34 Cs 260 Js 2 /14) sei abgeschlossen. Das Amtsgericht F. habe ihn mit Urteil vom 13.04.2015 freigesprochen. In seiner Urteilsbegründung führt das Gericht aus, dass die den Tatbestand der Beleidigung erfüllenden Worte durch § 193 StGB gerechtfertigt seien. Im Streit um das Recht zur Wahrung eigener Interessen sei auch die Wahl scharfer Worte durch § 193 StGB gerechtfertigt (vgl. Bl. 11/12 LSG). Der Kläger vertritt die Auffassung, damit habe sich ein neuer Sachverhalt ergeben. Er habe auch nicht Berufung eingelegt, weil der Kammervorsitzende des Sozialgerichts Stuttgart ihm in der mündlichen Verhandlung keine Hoffnung gemacht habe, dass das Berufungsverfahren ein anderes Rechtsprechungsergebnis erzielen werde. Er habe auch erst jetzt erfahren, dass die Zuständigkeiten für die Organisation des kieferorthopädischen Gutachterwesens zum 01.04.2015 geändert worden seien. Dies geschehe nicht von ungefähr. Die Mitarbeiterin R. habe sicherlich mit anderen Personen weitere Schwierigkeiten gehabt. Frau R. hätte als Zeugin vor dem Sozialgericht Stuttgart gehört werden müssen, wie am 13.04.2015 vor dem Amtsgericht F ... Er habe erhebliche Zweifel, ob sein Recht auf freie Meinungsäußerung nicht auch gegenüber Personen, die mit hoheitlichen Aufgaben der K. BW befasst seien, zum Tragen kommen müsse. Die Sachverhalte seien geeignet ein Berufungsverfahren zu begründen. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung möge zugestimmt werden. Das Sozialgericht Stuttgart hat den Antrag als Berufung an das Landessozialgericht weitergeleitet.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 05.04.2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zu verwerfen.

Die Berufung des Klägers sei verfristet. Der Kläger sei in keiner Weise gehindert gewesen, gegen das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Urteil rechtzeitig vorzugehen.

Der Kläger ist mit Schreiben vom 03.06.2015 über den verfristeten Eingang seiner Berufung informiert worden. Ebenso wurde ihm mitgeteilt, dass die angeführten Gründe eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist nicht rechtfertigen dürften. Mit Schreiben vom 18.06.2015 wurde eine Entscheidung des Senats durch Beschluss angekündigt.

Der Kläger machte hierauf geltend, dass eine Entscheidung des Sozialgerichts Stuttgart über die zwischenzeitlich beantragte Wiederaufnahme seines Verfahrens (S 10 KA 2659/15) abzuwarten und das Berufungsverfahren auszusetzen sei. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass der Rechtsstreit hinsichtlich der Berufung und der Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist entscheidungsreif und eine Aussetzung nicht angezeigt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akte der Beklagten, des Sozialgerichts (2 Bd.) und des Senats Bezug genommen.

II.

Über die als "Beschwerde" bezeichnete Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 30.01.2015 hat das Landessozialgericht zu entscheiden. Für die Auslegung des Antrags als Berufung spricht bereits die Formulierung "ich lege gegen das Urteil vom 16.03.2015 Beschwerde ein". Sie bringt zum Ausdruck, dass eine Überprüfung des verfahrensabschließenden Urteils durch das übergeordnete Gericht angestrebt wird. Das Begehren des Klägers in seinem Schreiben vom 26.05.2015 ist demgegenüber nicht als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Sozialgericht Stuttgart auszulegen. Zugleich hat der Senat, der über die Berufung zu entscheiden hat, gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - über den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist zu befinden.

Der Senat macht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens von der Möglichkeit Gebrauch, die unzulässige Berufung ohne mündliche Verhandlung mittels Beschluss zu verwerfen (§ 158 Satz 2 SGG). Eine Entscheidung nach mündlicher Verhandlung ist zur Wahrung des Gebots des fairen und effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht geboten. § 158 Satz 2 SGG stellt es in das Ermessen des Landessozialgerichts, über eine unzulässige Berufung im Beschlussweg zu entscheiden. Vorliegend hatte der Kläger Gelegenheit zur Äußerung.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Der Kläger hat die einmonatige Berufungsfrist des § 151 SGG versäumt (1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht zu gewähren (2.). Die Berufung ist daher gem. § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen. 1. Gem. § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt wird. Das angefochtene Urteil war mit einer ordnungsgemäßen und vollständigen Rechtsmittelbelehrung versehen. Sie benannte das Gericht (Landessozialgericht Baden-Württemberg bzw. Sozialgericht Stuttgart), bei dem die Berufung einzulegen ist, dessen Sitz und die einzuhaltende Frist (einen Monat). Sie entsprach damit den gesetzlichen Anforderungen des § 66 Abs. 1 SGG. Die Berufungsfrist begann gem. § 64 Abs. 1 SGG mit dem Tag nach der Zustellung des Urteils an den Kläger, bei erfolgter Zustellung am 19.03.2015 also am 20.03.2015. Ein Zustellungsmangel liegt nicht vor. Gem. § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt. Ausweislich der Zustellungsurkunde wurde das Schriftstück dem Kläger persönlich übergeben. Nach dem Inhalt der bei den Akten des Sozialgerichts befindlichen Zustellungsurkunde, die das zuzustellende Schriftstück bezeichnet, ist dies am 19.03.2015 um 11.20 Uhr geschehen. Die zum Nachweis der Zustellung angefertigte Urkunde enthält die in § 182 Abs. 2 ZPO festgelegten Angaben und ist als Zustellungsurkunde gem. § 182 Satz 2 ZPO öffentliche Urkunde i. S. d. § 418 ZPO. Sie begründet daher den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen (§ 418 Abs. 1 ZPO). § 64 Abs. 2 SGG regelt, dass eine nach Monaten bestimmte Frist mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats endet, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Damit wäre der Fristablauf hier am 19.04.2015 (Sonntag) um 24.00 Uhr eingetreten. Für den Fall, dass das Ende der Frist - wie hier - auf einen Sonntag fällt, sieht § 64 Abs. 3 SGG vor, dass die Frist erst mit dem Ablauf des nächsten Werktags endet, mithin vorliegend erst am 20.04.2015 um 24.00 Uhr.

Diese Frist hat der Kläger verstreichen lassen. Er hat erst am 26.05.2015, mithin über einen Monat nach Fristablauf, Berufung beim Sozialgericht Stuttgart eingelegt.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist dem Kläger nicht zu gewähren. Die Wiedereinsetzung setzt gem. § 67 Abs. 1 SGG voraus, dass der Kläger an der Einhaltung der Berufungsfrist ohne Verschulden gehindert war. Verschulden bedeutet das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Das heißt, dass der Beteiligte zum Ausschluss des Verschuldens diejenige Sorgfalt walten lassen muss, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (etwa Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 67 Rn. 3).

Der Kläger hat zwar Gründe vorgetragen, weshalb er sich erst verspätet zur Erhebung der Berufung entschlossen hat. Insbesondere schätzt er die Erfolgsaussichten seiner Berufung nach dem Freispruch im gegen ihn geführten Strafverfahren wegen Beleidigung günstiger ein. Das Urteil des Amtsgerichts erging jedoch in der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2015. Zu diesem Zeitpunkt stand die Berufungsfrist noch offen. Innerhalb der Berufungsfrist ist die Entscheidung zu treffen, ob von einem Rechtsmittel Gebrauch gemacht wird. Falls eine abschließende Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht möglich ist, besteht die Möglichkeit, die Berufung jedenfalls fristwahrend zu erheben. Dies ist von einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen zu erwarten und ist ihm auch zuzumuten. Es ist nicht ersichtlich, weshalb nicht auch der Kläger diese Möglichkeit hätte nutzen können, um den Eintritt der Rechtskraft zu hindern.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger zwischenzeitlich die Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Sozialgericht Stuttgart beantragt hat. Die hier zu entscheidende Frage der Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist, bei der es darauf ankommt, ob ein unverschuldetes Versäumen der Berufungsfrist vorliegt, ist unabhängig von der Prüfung einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch das Sozialgericht nach § 202 SGG i.V.m. §§ 578, 580 ZPO, bei der es insbesondere auf das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen ankommt.

Da die Berufung bereits als unzulässig zu verwerfen ist, ist über deren Begründetheit nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO. Der Kläger ist unterlegen und hat daher die Kosten zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 S. 1 GKG und entspricht der Höhe der festgesetzten Geldbuße zuzüglich des Regelstreitwerts (C. X. 5.1 des Streitwertkatalogs der Sozialgerichtsbarkeit 2012). Der Beschluss des Sozialgerichts vom 13.04.2015 war von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG).

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 158 Satz 3 i. V. m. § 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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