L 6 AS 595/15 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 40 AS 3805/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 595/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.02.2015 geändert und den Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B, C, bewilligt. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob den Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten für ihre Klage auf die Gewährung höherer Leistungen im Leistungszeitraum April bis September 2014 für die Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu bewilligen ist.

Der Kläger zu 1) bezieht mit seiner Ehefrau (Klägerin zu 2) und seinen sechs Kindern (Kläger zu 3) bis 8)) Leistungen nach dem SGB II. Nach dem Umzug der Familie aus C nach E, dem das Jobcenter C wegen der Arbeitsaufnahme des Klägers zu 1) zugestimmt hatte, beantragten die Kläger am 25.03.2014 Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Sie legten einen Mietvertrag vor, aus dem sich ergibt, dass die Grundmiete für die angemietete Wohnung 1280 EUR, die Nebenkosten 320 EUR und die Heizkostenvorauszahlung 110 EUR monatlich betragen. Für März mussten die Kläger keine Miete zahlen.

Mit Bescheid vom 08.05.2014 bewilligte der Beklagte den Klägern vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014. Auf die KdU entfielen 1195 EUR (Miete und Nebenkosten) sowie 110 EUR Heizkostenvorauszahlung. Mit Schreiben vom 22.05.2014 baten die Kläger um Überprüfung des Bescheides. Sie wiesen darauf hin, dass nur Heizkosten von 110 EUR bewilligt worden seien. Die Nebenkosten betrügen jedoch 320 EUR. Zudem werde das Wasser über zwei Durchlauferhitzer aufbereitet.

Mit Bescheid vom 17.06.2014 wies der Beklagte darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung unangemessen seien. Es würden nur die angemessenen Kosten in Höhe von 1195 EUR übernommen. In diesem Betrag seien die Nebenkosten schon enthalten.

Mit Änderungsbescheiden vom 18.06.2014 und 08.07.2014 wurde ein weiterer Betrag für die Warmwasserbereitung bewilligt und es erfolgten Änderungen bei der Einkommensanrechnung.

Mit Schreiben vom 31.07.2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 18.06.2014 wegen der Höhe der KdU. Mit Bescheid vom 08.08.2014 lehnte der Beklagte die Überprüfung mit der Begründung ab, der Ausgangsbescheid sei nicht zu beanstanden, bei seinem Erlass sei das Recht richtig angewandt und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2014 als unbegründet zurück. Das Jobcenter habe eine sachliche Überprüfung des Bescheides vom 18.06.2014 ablehnen dürfen, da der Kläger nichts vorgebracht habe, was für die Unrichtigkeit sprechen könnte. Es hätten sich insofern auch keine neuen Erkenntnisse ergeben, dass der Bescheid falsch gewesen sei. Auch die Rechtsbehelfsstelle müsse sich auf die Bindungswirkung berufen. Die Einwände des Klägers hätten unberücksichtigt bleiben müssen, da sie nicht entscheidungserheblich seien.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 06.10.2014 bewilligte der Beklagte den Klägern für den Monat September 2014 Kosten der Unterkunft in Höhe von 1466 EUR (Miete und Nebenkosten) und 110 EUR (Heizkostenvorauszahlung).

Am 07.10.2014 haben die Kläger Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 30.09.2014 erhoben. Sie begehren die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und beziehen sich auf die Bewilligung des Beklagten im Bescheid vom 18.06.2014. Die Kosten der Unterkunft seien zu niedrig festgesetzt worden. Den Unterschiedsbetrag berechnen sie im Einzelnen mit 405 EUR monatlich. Zudem habe der Beklagte die Mietkaution in Höhe von 3840 EUR nicht anerkannt.

Mit Beschluss vom 18.02.2015 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es sei völlig unklar, was die Klägerseite mit ihrer Klage begehre. Der Klageantrag sei nicht eindeutig. In der Klageschrift habe der Bevollmächtigte angedeutet, dass die Kläger die Kosten der Unterkunft und einer Kaution begehren. Obwohl er dieses Ziel mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolge, stelle er hilfsweise einen Antrag auf Neubescheidung. Da nach der obergerichtlichen Rechtsprechung die Klageanträge von durch Rechtsanwälte vertretenen Klägern nicht gegen ihren Wortlaut ausgelegt werden dürften, spreche vieles dafür, dass die Klage insoweit schon unzulässig sei. Dies könne jedoch dahinstehen, da die Klage jedenfalls aus anderen Gründen unzulässig bzw. unbegründet sei. Denn der Beklagte habe im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid nur über die Höhe der Kosten der Unterkunft entschieden. Falls der Kläger etwas anderes (z.B. eine Kaution) begehre sei die Klage schon unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bemesse sich die angemessene KdU nach dem Wohngeldgesetz. Dies mache bei einem 8-Personenhaushalt mit der Stufe 5 für E einen Betrag von 737 EUR plus 3x88 EUR. Daraus ergebe sich eine Summe von 101 EUR (gemeint wohl 1001 EUR). Selbst wenn man den in der Rechtsprechung teilweise geforderten Aufschlag von 10 % hinzu rechne, komme man nur zu einem Betrag von 1101 EUR, der Beklagte habe aber eine Bruttokaltmiete von 1195 EUR ausgezahlt. Dieser Betrag liege über der vom BSG festgesetzten Höchstsumme.

Gegen den am 26.02.2015 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 26.03.2015 Beschwerde erhoben.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, das die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 73a Rn 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, darf der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt werden (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 juris Rn 26 - BVerfGE 81, 347). Eine Beweisantizipation ist in engen Grenzen möglich. Kommt eine Beweisaufnahme jedoch ernsthaft in Betracht und liegen keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde, ist PKH in der Regel zu gewähren (BVerfG Beschluss vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04 juris Rn 14 - NJW-RR 2005, 140). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH ebenfalls bewilligt werden. Klärungsbedürftig in diesem Sinn ist nicht bereits jede Rechtsfrage, die noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 juris Rn 29 - BVerfGE 81, 347). Ist dies der Fall muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG Beschluss vom 10.12.2001 - 1 BvR 1803/97 - juris Rn 9 - NJW-RR 2002, 793).

Nach Maßgabe dieser Kriterien bietet die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist durchaus erkennbar, was die Kläger mit ihrer Klage begehren. Sie wollen erreichen, dass ihnen (auch) für den o.a. Bewilligungszeitraum die KdU in tatsächlicher Höhe (1600 EUR) gezahlt werden. Den nicht gedeckten Unterschiedsbetrag berechnen und beziffern sie im Schriftsatz vom 12.02.2015 mit 405 EUR seit März 2014. Ob es angesichts dieser im Zusammenhang mit der Darstellung des Klagebegehrens klaren Bezifferung darüber hinaus - worauf anscheinend das Sozialgericht abzielt - unbedingt erforderlich ist, auch einen bezifferten Antrag zu stellen, mag offen bleiben. Jedenfalls führt der Umstand, dass der Bevollmächtigte dem Hinweis des Gerichts (ausdrücklich) nicht gefolgt ist, nicht dazu, dass das Klagebegehren, dadurch "undeutlich" geworden ist.

Unklar ist allerdings, ob die Kläger in diesem Verfahren auch die Übernahme der Kaution in Höhe von 3840 EUR verfolgten; nach entsprechender Antragstellung hat der Bevollmächtigte diesen Antrag nicht noch einmal formuliert, ohne allerdings insoweit eine prozessbeendende Erklärung abzugeben.

Von der Frage, ob das Begehren schon nicht deutlich genug erkennbar ist, ist zu unterscheiden, ob die Kläger dieses Begehren in diesem Verfahren mit den von ihnen gestellten Anträgen zulässigerweise erreichen können. In diesem Zusammenhang kommt der Verpflichtung des Vorsitzenden Bedeutung zu, sowohl im vorbereitenden Verfahren gem. § 106 Abs. 1 SGG als auch in der mündlichen Verhandlung gem. § 112 Abs. 2 SGG darauf hinzuwirken, dass angemessene und sachdienliche Anträge gestellt werden.

Ob in dem angefochtenen Bescheid vom 08.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014, wie es das Sozialgericht annimmt, tatsächlich (schon) über die Höhe der KdU inklusive kalter Nebenkosten entschieden wurde oder hier bereits auf einer vorgelagerten Stufe (nur) die Überprüfung des Ausgangsbescheides vom 18.06.2014 abgelehnt wurde, mag dahinstehen. Jedenfalls enthält dieser Bescheid keine Entscheidung zur Kaution, so dass die Klage insoweit keinen Erfolg haben kann.

Aussicht auf Erfolg hat die Klage jedoch bezüglich der begehrten höheren Kosten für Unterkunft und Heizung. Dies entspricht anscheinend auch der Auffassung des Beklagten, der für den Monat September 2014 schon höhere Kosten der Unterkunft bewilligt hat (1466 EUR Miete und Nebenkosten; 110 EUR Heizung; Änderungsbescheid vom 06.10.2014).

Ob höhere Kosten der Unterkunft auch für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 31.08.2014 zu bewilligen gewesen wären, ist im Klageverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zu überprüfen. Entgegen der möglicherweise missverständlich formulierten Aussage des Sozialgerichts im angefochtenen Beschluss bemessen sich die angemessenen Kosten nicht nach ständiger Rechtsprechung des BSG nach dem Wohngeldgesetz. Die danach maßgeblichen Werte sind erst auf einer dem sog schlüssigen Konzept zur Bestimmung der angemessenen KdU nachgelagerten Ebene von Bedeutung. Selbst wenn der Beklagte davon ausgeht, über kein schlüssiges Konzept zu verfügen und sich für die Heranziehung der Tabellenwerte nach § 12 WoGG ausspricht, entbindet dies die Gerichte nicht davon, zunächst die angemessenen Unterkunftskosten anhand eines vorrangigen schlüssigen Konzeptes zu ermitteln (BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - juris Rdnr 20; BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 17; BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 109/11 R - RdNr 26). Hierzu ist insbesondere zu ermitteln aufgrund welcher Datengrundlage/welchen Konzeptes der Beklagte die Kosten der Unterkunft festgesetzt hat. Dies geht weder aus den Verwaltungsakten noch aus dem Vortrag des Beklagten im Klageverfahren hervor.

Außergerichtliche Kosten sind im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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