L 4 AS 1023/13 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 1486/12
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 1023/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Der am ... 1974 geborene Kläger bezieht seit August 2007 Leistungen nach dem SGB II. Er bewohnt eine 61,4 m² große Mietwohnung in R. Am 14. Februar 2012 beantragte er weitere Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten, der mit Bescheid vom 27. Februar 2012 für 1. April bis 30. September 2012 monatlich 647,07 EUR bewilligte. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

Regelleistung: 374,00 EUR

Grundmiete: 197,63 EUR

Nebenkosten: 66,84 EUR

Mehrbedarf Warmwasserbereitung: 8,60 EUR

Gesamtbedarf: 647,07 EUR

Am 10. April 2012 beantragte der Kläger beim Beklagten die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Abs. 5 SGB II und führte zur Begründung aus: Bei ihm sei schon vor anderthalb Jahren eine Gichterkrankung festgestellt worden. Mit dem Regelsatz könne er die notwendige teure Ernährung nicht finanzieren und benötige daher einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Mit Bescheid vom 16. April 2012 lehnte der Beklagte Leistungen für Mehrbedarf ab und führte zur Begründung aus: Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhielten erwerbsfähige Hilfsbedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser Mehrbedarf werde nur gewährt, wenn die kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen nachweislich belegt sei. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober 2008 werde für die Gicht keine Krankenkostzulage gewährt. Hiergegen legte der Kläger am 27. April 2012 Widerspruch ein und machte geltend: Die Empfehlungen des Deutschen Vereins e.V. würden vom Bundessozialgericht nicht anerkannt. Am 30. April 2012 legte der Kläger eine Rechnung seines Vermieters wegen Schornsteinfegerkosten in Höhe von 75,10 EUR vor. Dies führte zu einem Änderungsbescheid vom 30. April 2012, in dem unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Februar 2012 für den Bewilligungsabschnitt April 2012 Leistungen in Höhe von 722,17 EUR bewilligt wurden. Am 31. Mai 2012 legte der Kläger die Anlage auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung sowie eine ärztliche Bescheinigung vom Facharzt für Chirurgie Dipl.-Med. R. beim Beklagten vor. Hiernach leide er an einer chronischen Arthritis urica, die eine kalorienreduzierte Kost erfordere. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2012 lehnte der Beklagte einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung ab. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen für die Sozialhilfe aus dem Jahre 2008 seien als Orientierungshilfe heranzuziehen. Dies rechtfertige es, mangels medizinischer Besonderheiten die Voraussetzungen einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung abzulehnen.

Hiergegen hat der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 18. Juni 2012 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben, sein Begehren weiterverfolgt und zur Begründung ausgeführt: Er wiege bei einer Körpergröße von 174 cm nur 55 kg, was einem BMI von 18,2 kg/m² entspreche. Diesen medizinischen Sachverhalt habe der Beklagte bei seiner ablehnenden Entscheidung nicht berücksichtigt. Neben der ärztlich verordneten purinreduzierten Kost müsse er auch auf sein Gewicht achten und dabei besondere Lebensmittel zu sich nehmen, um sein zu geringes Körpergewicht zu stabilisieren bzw. wieder zu erhöhen. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen seien nicht schematisch anzuwenden, sondern müssten die Besonderheiten seiner Erkrankung berücksichtigen.

Am 13. August 2012 stellte der Kläger einen Folgeantrag, auf den der Beklagte für Oktober 2012 bis März 2013 Leistungen in monatlicher Höhe von 647,07 EUR bewilligte (Bescheid vom 14. August 2012).

Das SG hat ärztliche Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen. Der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. W. hat am 1. September 2012 ausgeführt: Der Kläger sei in einem guten Allgemein- und ausreichendem Ernährungszustand (57 kg). Diagnostisch bestehe ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom, ein Bandscheibenvorfall sowie eine Gicht, chronische Gastritis und eine Pollinose (Eiweißallergie). Darüber hinaus leide er an Heuschnupfen sowie an einer Medikamentenunverträglichkeit gegen näher bezeichnete Substanzen.

Der Beklagte hat ausgeführt: Die vom Kläger geltend gemachte Besonderheit einer kalorienreduzierten Kost sowie der Notwendigkeit, sich mit Lebensmitteln mit hohem Nährwert zu versorgen, könne nicht nachvollzogen werden. Er möge daher darlegen, welche teuren Produkte er kaufen müsse, um sich erkrankungskonform zu ernähren.

Der Kläger hat einen Arztbrief des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. V. vom 1. August 2013 vorgelegt. Hiernach leide er an multiplen Unverträglichkeiten gegenüber NSAR (nichtsterodales Antirheumatikum) und Coxiben (entzündungshemmende Arzneistoffe). Entzündungszeichen lägen derzeit nicht vor. Zusammenfassend werde ärztlich eine Behandlung beim Schmerztherapeuten empfohlen.

In der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2013 hat der Kläger die Aufhebung der ablehnenden Bescheide sowie die Verpflichtung begehrt, ihm ab Antragstellung SGB-II-Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung zu bewilligen. Mit Urteil vom selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach den eingeholten medizinischen Unterlagen lasse sich ein krankheitsbedingter Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung nicht feststellen. Das Urteil enthielt eine Rechtsmittelbelehrung für eine Berufung.

Gegen das am 5. November 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. November 2013 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und geltend gemacht: Er leide neben der Gicht auch an Untergewicht. So habe er noch im Jahr 2010 bei einer Körpergröße von 174 cm ca. 70 kg gewogen. Seit Ende des Jahres 2012 habe sich sein Gewicht auf annähernd 50 kg reduziert. Die Hintergründe der stetigen Gewichtsabnahme seien noch ungeklärt. Gegen die Untergewichtigkeit müsse er hochkalorische Kost zu sich nehmen. Sein BMI habe mit deutlich unter 18,5 kg/m² (jetzt: 17,2 kg/m²) bereits eine kritische Grenze erreicht. Es entstünden ihm ernährungsbedingte Mehrkosten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Dessau-Roßlau vom 2. Oktober 2013 sowie den Bescheid vom 16. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2012 aufzuheben, den Bescheid vom 27. Februar 2012 sowie den Änderungsbescheid vom 30. April 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, für die Monate April bis September 2012 ihm monatlich weitere 131,74 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hat geltend gemacht: Bereits die Zulässigkeit der Berufung sei unklar, da der Berufungsgegenstand nicht konkret beziffert worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) bestehe nur dann ein Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe, wenn die Erkrankung eine besondere "Krankenkost" erfordere, die im Vergleich zur üblichen Ernährung kostenaufwändiger sei. Beim Kläger liege eine Gicht vor, die eine purinreduzierte Ernährung erfordere. Ein krankheitsbedingter Mehraufwand sei daher nicht nachgewiesen.

Der Kläger hat ergänzend ausgeführt: Da wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr geltend gemacht würden, sei von der Zulässigkeit der Berufung auszugehen. Nach einem vorgelegten Ernährungsprotokoll für die Zeit vom 11. November 2013 bis 11. Dezember 2013 habe er in diesem Monat 260,00 EUR allein für Ernährung ausgewendet. Im Regelbedarf seien für Ernährung lediglich monatlich 128,26 EUR vorgesehen. Die Mehrkosten würden insbesondere durch den Kauf von Vollkornprodukten verursacht. Zudem seien fettarme Produkte regelmäßig teurerer als normale Lebensmittel. Für Medikamente gegen die Gicht- und Magenerkrankung entstünden monatliche Zusatzaufwendungen von weiteren 3,00 EUR.

Der Beklagte hat dagegen eingewandt: Die vorgelegten Quittungen für einen Monat genügten nicht, um einen realistischen Mehrbedarf nachzuweisen. Die gekauften Lebensmittel seien teilweise auch nicht als Krankenkost anzuerkennen.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten vom Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Ernährungs-, Sozial- und Verkehrsmedizin Dr. M. vom 27. Januar 2015 eingeholt, der ausgeführt hat: Der Kläger habe angegeben, er habe bis zu einer Haftstrafe im Jahr 2006 maximal 84 kg gewogen. Während der Haft habe er auf 68 kg abgenommen und dabei auch Sonderkost erhalten. Während einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (Kinderbauernhof R.) hätten sich ein Heuschnupfen und Rückenschmerzen sowie Schmerzen und Steifigkeit in den Fingern entwickelt. Bei einer medizinischen Untersuchung seien zudem erhöhte Harnsäurewerte festgestellt worden. Zunächst habe er die Ernährungsempfehlungen zur Senkung der Harnsäurewerte nicht ernst genommen. Im Jahr 2011 sei das rechte Fußgelenk schmerzhaft angeschwollen. Die Ärzte hätten dann erstmals Gicht diagnostiziert. Die Empfehlung, auf eine purinarme Ernährung umzustellen, falle ihm aus finanziellen Gründen schwer. Er versuche sich fettarm und mittels Vollkornprodukten zu ernähren, die jedoch deutlich teurer seien. Ca. alle 10 Tage esse er auch einmal Fleisch, wobei er Pute oder Huhn bevorzuge. Wegen einer Osteoporose sei ihm der Konsum von Milchprodukten empfohlen worden, was er möglichst einhalte. Seit 2009 habe er Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Lähmungs- oder Gefühlsstörungen seien bisher noch nicht aufgetreten. In der bildgebenden Diagnostik sei ein Bandscheibenprolaps diagnostiziert worden. Therapeutisch erfolge eine konservative Schmerztherapie, mit der er unter der aktuellen Medikation gut zurecht komme. Die Fingergelenksarthrose habe sich seit 2009 nicht weiter verändert. Seit einer Desensibilisierungstherapie habe er anfallsweise einen beschleunigten Herzrhythmus, jedoch keine Angina pectoris.

Der Kläger sei ledig und bewohne eine Zweiraumwohnung im Erdgeschoss. Er lebe in einem Dorf, versorge seinen Haushalt selbstständig und backe das Brot selbst, fahre zum Einkaufen und treffe sich mit Freunden und Bekannten. Laut der von ihm vorgelegten Ernährungsprotokolle erfolge eine abwechslungsreiche Ernährung mit fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag. Die dabei erreichte Nährstoff- und Mineralstoffzufuhr entspreche nicht den empfohlenen Richtwerten nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Der Kläger habe angegeben, dass er innerhalb von ca. anderthalb Jahren 15 kg Gewicht verloren habe. Als Grund gebe er die durch die Gicht bedingte Umstellung der Ernährung auf eine eiweiß- und fettärmere Kost nach ärztlicher Empfehlung an. Er nehme vermehrt Gemüse sowie magere Milchprodukte zu sich und verzehre selbstgebackenes Vollkornbrot. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich ein normaler Allgemeinzustand sowie magerer Ernährungszustand. Der BMI betrage 17,63 kg/m² (Größe: 175 cm; Gewicht: 54 kg). Diagnostisch bestünden ein Untergewicht bei reduzierter Kalorienzufuhr, degenerative Skelettveränderungen sowie anamnestisch ein Zustand nach zweimaligem Gichtanfall bei nunmehr anhaltend normalen Harnsäurewerten im Serum. Die Diagnose einer Gicht als aktive Erkrankung könne so nicht mehr gestellt werden. Eine streng purinarme Diät sei nur für wenige Tage nach einem Gichtanfall zu empfehlen. Für die Dauertherapie sei eine purinarme Diät mit bis zu 500 mg Harnsäure pro Tag bzw. 3000 mg Harnsäure pro Woche zu empfehlen. Dabei sei der Verzehr von purinreichen Innereien verboten. Für den jeweiligen Puringehalt gebe es Ernährungstabellen. Aus der Ernährungsanamnese des Klägers ergebe sich eine unterkalorische Ernährung, mit der es ihm zwar gelinge, nur durchschnittlich 3,6 mg Harnsäure pro Tag einzunehmen und damit den empfohlenen Grenzwert deutlich zu unterschreiten. Diese Ernährung sei jedoch gleichzeitig energie- und nährstoffdefizitär. Die ernährungsbedingte Reduzierung des Harnsäuregehaltes sei übertrieben und die eingesetzte Nahrungsmittelmenge insgesamt zu gering, wodurch das bestehende Untergewicht des Klägers entstanden sei. Er nehme im Mittel rund 350 kcal pro Tag zu wenig auf. Aktuell finde sich bei der klinischen Untersuchung kein Anzeichen für eine Gichterkrankung. Die bei einer Gicht typischen Medikamente nehme der Kläger auch nicht ein. Die aufgeführten Skelettveränderungen seien nicht gichtbedingt. Zusammenfassend entstehe der Eindruck, dass der Kläger über eine praktikable Ernährung nicht hinreichend aufgeklärt sei. Die degenerativen Veränderungen im Bewegungsapparat seien keine primär ernährungsbedingte Erkrankung. Demgegenüber könne die Osteopenie mit der Mangelernährung in Zusammenhang stehen. Gehe man vom Vorliegen einer Gichterkrankung aus, müsse der Kläger eine normkalorische Vollkost erhalten. Hierzu gelten folgende Empfehlungen:

1. Purinreiche Innereien sind verboten. Fleisch nur drei bis viermal pro Woche.

2. Nur eine Portion eines alkoholischen Getränks zu einer Hauptmahlzeit.

3. Ein mögliches Übergewicht ist auf ein Sollgewicht zu reduzieren.

Als erlaubte Harnsäuremengen seien bis zu 500 mg Harnsäure pro Tag sowie unter 3000 mg Harnsäure pro Woche empfohlen. Insgesamt solle die Kost normkalorisch, d.h. ca. 2000 kcal pro Tag enthalten. Hierfür seien keine Mehrkosten zu erwarten.

Der Beklagte sieht sich durch das Gutachten bestätigt. Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass sich der Kläger falsch ernähre. Der Erwerb von Spezialprodukten sei nicht erforderlich. Der Kläger ist dem Sachverständigengutachten entgegengetreten und hat ausgeführt: Der vom Sachverständigen ausgeführte Zusammenhang zwischen der Osteopenie sowie der Mangelernährung sei zu bestreiten, da die Osteopenie bereits im Jahr 2011 aufgetreten sei, während es zur Gewichtsabnahme erst im Jahr 2012 gekommen sei. Er könne mit normkalorischer Ernährung das Normalgewicht nicht mehr erreichen. Fleisch dürfe er nur drei bis viermal die Woche verzehren. Der Wechsel auf eine teilweise fleischfreie Ernährung sei für ihn nicht günstiger, da er mehr zu sich nehmen müsse, um den täglichen Kalorienbedarf zu decken. Nach seiner Aufstellung habe er seine erhöhten Kosten hinreichend belegt. Die konkreten Ernährungskosten habe der Sachverständige nicht festgestellt. Ergänzend hat der Kläger Kaufbelege, Aufwendungen für November bis Dezember 2013, Berechnungsgrundlagen sowie handschriftliche Kostenaufstellungen von Nahrungsmitteln vorgelegt.

Der Sachverständige hat in einer weiteren Stellungnahme vom 20. März 2015 ausgeführt: Der Kläger habe in sehr rigider Form bestimmte Nahrungsmittel aus seinem Speiseplan gestrichen. Die Kriterien einer abwechslungsreichen Ernährung seien damit an sich erfüllt. Die eingesetzte Kost sei jedoch keine vollwertige Kost, bei der der Kaloriengehalt der Lebensmittel kalkuliert werde. Nach dem Protokoll erreiche der Kläger nur eine tägliche Energieaufnahme von 1644 kcal pro Tag. Diese von ihm praktizierte Ernährung sei daher zu bemängeln. An keiner Stelle sei ihm eine vegetarische Kost empfohlen worden, die er im Übrigen auch nicht praktiziere. Zusammenfassend sei seine Ernährung energiedefizitär und hinsichtlich der Zufuhr von Mineralien und Spurenelemente auch nicht ausreichend. Für die erforderliche Vollkost entstünden keine Mehrkosten. Spezialprodukte müssten dagegen nicht eingenommen werden.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG.

Entsprechend der zutreffenden Belehrung im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau ist die Berufung ohne Zulassung statthaft. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den der Kläger sein Begehren in der Sache stützt, kann in zulässiger Weise nicht isoliert klageweise geltend gemacht werden. Durch die Folgeanträge und entsprechenden Bescheide des Beklagten beschränkt sich der Streitgegenstand auf den Bewilligungszeitraum von April bis September 2012. Indem der Kläger seinen Klageantrag auf die Zahlung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung gerichtet hatte, beschränkt sich die Berufung auf höhere Grundsicherungsleistungen ohne gesonderte Prüfung der Kosten der Unterkunft (KdU), die als abtrennbarer Streitgegenstand ausgeklammert sind. Nach dem Klagevortrag hält der Kläger einen höheren Regelsatz wegen ernährungsbedingtem Mehrbedarf für gegeben. Diesen Anspruch hat er auch beziffert und geltend gemacht, dass er für Lebensmittel 260,00 EUR aufwendet, obwohl der Regelsatz für diesen Bereich nur monatlich 128,26 EUR ausweise. Der erforderliche Berufungsstreitwert wird damit erreicht (131,74 EUR x 6 = 790,44 EUR).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2012 sowie des Bewilligungsbescheides vom 27. Februar 2012 und des Änderungsbescheides vom 30. April 2012 für den Bewilligungsabschnitt vom 1. April bis 30. September 2012.

Es handelt sich um einen sog. Höhenstreit. Grundsätzlich sind bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II alle Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Ausnahmsweise kann bei ausdrücklicher Beschränkung des Klagebegehrens der Streitgegenstand hinsichtlich der abtrennbaren abstrakten Verfügungssätze beschränkt werden. Dies führt dann zur Bestandskraft der nicht angefochtenen Verfügungssätze (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 38/08 R, juris). Die Begrenzung des Streitgegenstandes hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2015 durch eine ausdrückliche Erklärung klargestellt.

Der Regelbedarf betrug im streitigen Zeitraum vom 1. April bis 30. September 2012 monatlich 374,00 EUR. Einen Mehrbedarf des Klägers wegen einer kostenaufwändigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II bestand für diesen Bewilligungsabschnitt nicht.

Die seit dem 1. Januar 2011 geltende Neufassung des § 21 Abs. 5 SGB II, nach der bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt wird, beinhaltet keine grundlegende Neuregelung, sondern nur eine redaktionelle Anpassung (BT-Drucksache 17/3404 S. 97). Dabei muss die Konkretisierung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II im Zusammenhang mit § 20 SGB II erfolgen, der den Regelbedarf, als pauschalierten Leistung vorsieht. Denn § 20 SGB II umfasst die für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen und üblichen Bedarfslagen und Bedürfnisse des täglichen Lebens, wie sich aus der nicht abschließenden Aufzählung in seinem Abs. 1 - "insbesondere" Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, einen Teil der Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens - ergibt. Grundlage für die Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Anteile der einzelnen Bedarfsabteilungen und damit der Höhe des Regelbedarfs insgesamt sind die statistisch ermittelten Ausgaben und das Verbrauchsverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen auf der Datengrundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Der notwendige Bedarf für Ernährung ist als ein Teil dieses Regelbedarfs typisierend zuerkannt worden, wobei von der Deckung der laufenden Kosten eines typischen Leistungsberechtigten im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichende ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Fetten, Kohlehydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wurde. Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, B 14 AS 65/12 R, juris).

§ 20 SGB II lässt dabei keine im Einzelfall abweichende Bedarfsermittlung und -festsetzung zu. Um unvertretbare Leistungslücken zu vermeiden, gewährt § 21 SGB II für bestimmte, laufende, aufgrund besonderer Lebensumstände bestehende Bedarfe, zusätzliche Leistungen. In diese Kategorie gehört nach § 21 Abs. 5 SGB II der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen, um gesundheitlichen Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II setzt zunächst eine erwerbsfähige, leistungsberechtigte Person voraus. Weitere Voraussetzungen sind medizinische Gründe (im Sinne von gesundheitlichen Beeinträchtigungen), eine kostenaufwändige Ernährung sowie ein Ursachenzusammenhang zwischen den medizinischen Gründen und der kostenaufwändigen Ernährung, ohne dass es auf deren Einhaltung ankommt (vgl. BSG a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist bereits zweifelhaft, ob beim Kläger aus medizinischen Gründen überhaupt noch der Bedarf für eine erkrankungsbedingte kostenintensive Ernährung besteht. Schließlich liegt nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. M. bei ihm keine Gichterkrankung mehr vor. Auch die Unterernährung des Klägers wird dabei nicht als erkrankungsbedingt angesehen, sondern beruht auf einer schlichten Fehlernährung. Dies veranlasste den Gutachter dann auch, beim Kläger einen Aufklärungsmangel über ein richtiges Ernährungsverhalten zu vermuten.

Selbst wenn der Senat vom Fortbestehen der Diagnose Gicht (Erkrankung mit Harnsäureablagerungen) des Klägers im Sinne des Klagevorbringens ausgehen würde, ist bei diese Erkrankung nach den am 1. Oktober 2008 erschienenen neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins nur eine Vollkosternährung nötig, die vom Regelbedarf umfasst ist. Dies entspricht auch den Empfehlungen aus dem Jahr 1997. Bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins handelt es sich jedenfalls um in der Verwaltungspraxis etablierte generelle Kriterien, die im Normalfall eine gleichmäßige und schnelle Bearbeitung eines geltend gemachten Mehrbedarfs im Bereich der Krankenkost erlauben. Diese Empfehlungen haben den Charakter einer Orientierungshilfe. Sie können im Regelfall zur Feststellung des Mehrbedarfs herangezogen werden, ersetzen jedoch nicht eine ggf. erforderliche Begutachtung im Einzelfall. Sie können insbesondere dann nicht mehr als Grundlage einer Entscheidung dienen, wenn sich im Einzelfall nach anzustellenden Ermittlungen Hinweise auf eine abweichende Bedarfslage ergeben (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. Mai 2011, L 5 AS 24/08, juris).

Nach den medizinischen Ermittlungen der Vorinstanz und insbesondere nach dem Sachverständigengutachten von Dr. M. sowie seiner ergänzenden Stellungnahme ergeben sich keine Hinweise für eine Sonderernährung, die für den Kläger einen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf rechtfertigen könnte. Die vermeintliche Gicht zeigt nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten keinerlei medizinische Auswirkungen mehr und kann diagnostisch allenfalls noch als Zustand nach zweimaligem Gichtanfall bewertet werden. Auch das Untergewicht des Klägers ist nicht erkrankungsbedingt, sondern beruht auf einer Fehlernährung. Diese Fehlernährung rechtfertigt keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Schließlich ist es dem Kläger möglich und zuzumuten, seine fehlerhafte Ernährungsmethode umzustellen, um durch erhöhte Kalorienzufuhr seine Gewichtsprobleme zu stabilisieren. Sein Vortrag, der geringe BMI-Wert sei durch Vollkost nicht korrigierbar, widerspricht daher den Aussagen des Sachverständigen und wird medizinisch auch von keinem seiner behandelnden Ärzte bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des Sachverständigen Dr. M. überzeugend, wonach eine Vollkosternährung für den Kläger erforderlich und ausreichend sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen daher nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved