L 3 AS 479/15 B ER

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mainz (RPF)
Aktenzeichen
S 3 AS 599/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 3 AS 479/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht verfassungswidrig.
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst auch die Personen, die über kein materielles Aufenthaltsrecht (mehr) verfügen, sich aber bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürfen.
In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der Gesetzgeber ausreichende Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen.
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 02.09.2015 aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers, den Antrags-gegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab dem 01.07.2015 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren, wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind weder im Antrags noch Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Antragsteller ist kolumbianischer Staatsangehöriger. Er reiste gemeinsam mit seinem spanischen Ehemann J E B T (B.T.) im Mai 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) wurde ihm am 14.05.2013 für 5 Jahre erteilt. Erstmals zeigte B.T. dem Antragsgegner am 13.01.2014 seine Arbeitsunfähigkeit an. In den folgenden Monaten legte er ebenfalls entsprechende Bescheinigungen seines behandelnden Arztes vor. Auch im Dezember 2014 konnte B.T. Meldetermine des Antragsgegners aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen. Der behandelnde Internist Dr. B bescheinigte ihm am 08.12.2014 "bis auf weiteres" eine Wegeunfähigkeit, die der Internist Dr. W auch für die Monate Mai bis Juli 2015 bestätigte. Nachweise über eine (ab Einreise oder später erfolgte) Arbeitsuche von B.T. liegen nicht vor.
Der Antragsgegner bewilligte der Bedarfsgemeinschaft antragsgemäß durchgehend Leistungen vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2015, zuletzt in Höhe von 1.060,00 EUR monatlich. Den Fortzahlungsantrag vom 19.05.2015 lehnte er mit (mit dem Widerspruch angefochtenem) Bescheid vom 18.06.2015 ab, weil der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Sein Ehemann sei zwar EU-Bürger, sei aber bislang keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen.
Auf den vom Antragsteller am 23.06.2015 beim Sozialgericht Mainz (SG) gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG durch Beschluss vom 02.09.2015 den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 545,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 30.11.2015 zu gewähren. Der Antragsteller habe sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er sei insbesondere nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Zudem sei er aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht nach Nr. 2 dieser Vorschrift ausgeschlossen. Es sei möglich, dass er bereits tatbestandlich nicht unter diese Ausschlussregelung falle. Vieles spreche dafür, dass das Aufenthaltsrecht des Ehemannes nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU in Folge des über sechs Monate dauernden Aufenthalts und nicht er-brachter Nachweise über eine Erfolg versprechende Arbeitsuche weggefallen sein könnte, der Ehemann und der Antragsteller also nur noch über ein formelles Aufenthaltsrecht aus der Freizügigkeitsvermutung verfügen würden. Dies würde bedeuten, dass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach dem insoweit klaren Wortlaut der Regelung nicht zum Zug käme und dem Antragsteller ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II zustünde. Der gegenteiligen Auffassung (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338715 ER-B), wonach der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch bei ausländischen Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen greife, die über kein (materielles) Aufenthaltsrecht verfügten, könne im Hinblick auf den ein-deutigen Gesetzeswortlaut, der die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten abstecke, nicht gefolgt werden.
Selbst wenn der Ehemann des Antragsteller weiterhin über ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU verfügen sollte, so dass der Antragsteller unter § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen würde, dürfte diese Ausschlussregelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zur Anwendung kommen. Nach Auf-fassung der Kammer sei sie verfassungswidrig und wäre im Rahmen des Haupt-sacheverfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfas-sungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen. Der Ausschlusstatbestand verstoße gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG, wie es vom BVerfG in seiner Entscheidung vom 09.02.2010 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – kon-stituiert worden sei. Die Unverfügbarkeit dieses Grundrechts resultiere aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Dass das BVerfG die Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" hervorgehoben habe, bringe lediglich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber hinsichtlich Art und Höhe der Existenzsichernden Leistungen einen Gestaltungsspielraum habe, be-deute aber keine Einschränkungsbefugnis. Die Gewährung Existenzsichernder Leistungen dürfe daher nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von be-stimmten Handlungen des Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden. Ohne anderweitige Kompensationsmöglichkeit schließe der vollständige Ausschluss auf Leistungen nach dem SGB II eine Sicherung des Existenzminimums bereits dem Grunde nach aus.
Hiergegen haben der Antragsteller am 17.09.2015 und der Antragsgegner am 25.09.2015 Beschwerde eingelegt.
Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen in Höhe von 1.065, 00 EUR monatlich zuzüglich Zinsen, denn der Antrag betreffe nicht nur ihn, sondern auch seinen Ehemann. Der Anspruch ergebe sich aus seinem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG.
Der Antragsgegner verweist auf die Entscheidung des EuGH vom 15.09.2015 – C-67/14 und beruft sich auf den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Zur Ergänzung des Sach und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des Antraggegners. Er ist Gegenstand der Beratung und der Entscheidung gewesen.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Arbeitslosengeld II in Höhe von 545,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 30.11.2015 zu gewähren. Der Antragsteller hat bereits einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, so dass seine Beschwerde zurückzuweisen ist.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht in der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer solchen Regelungsanordnung bedarf es eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds, also eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistungen, zu denen der Antragsgegner einstweilen verpflichtet werden soll, sowie eines die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründenden Anordnungsgrundes. Die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). An die Glaubhaftmachung sind umso niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit einer Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen wiegen, wobei grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen sind, insbesondere wenn es wie hier um Leistungen geht, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen (Beschluss des Senats vom 21.08.2012 L 3 AS 250/12 B ER mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts, Kammerbeschluss vom 12.05.2005 1 BvR 569/05). Ist allerdings ein An-ordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Nur wenn im einstweiligen Anordnungsverfahren die Sach und Rechtslage nicht abschließend geklärt werden, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, wobei den grundrechtlichen Be-langen besondere Bedeutung zukommt.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Antragsgegner nicht verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
1. Für den Antragsteller, der sein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU aus dem Aufenthaltsrecht seines Ehemannes ableitet, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Er ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sich sowohl sein als auch das Aufenthaltsrecht seines Ehemannes allein aus dem Zweck der Ar-beitsuche ergibt.
a. Der Leistungsausschluss gilt auch für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht sei-nes Ehemannes nach § 2 Abs. 2 Nr.1a FreizügG/EU in Folge des über sechs Monate dauernden Aufenthalts und nicht erbrachter Nachweise über eine Erfolg ver-sprechende Arbeitsuche weggefallen ist, sich beide also bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU über das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts noch in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten dürften und sie erst nach einer entsprechenden Feststellung der Ausländerbehörde (§ 7 Abs.1 Satz 1 FreizügG/EU) ausreisepflichtig wären.
b. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SGB II schließt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut ( ... ausgeschlossen sind ...) einen an sich unter den Voraussetzungen des Abs. 1 bestehenden Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für den dort genannten Personenkreis aus, so dass der ausdrücklich genannte und vom Leistungsausschluss betroffene Personenkreis nicht zu den nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten gehört. Der Leistungsausschluss betrifft nach Nr. 2 der Vorschrift Ausländerinnen und Ausländer, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, also keine sonstigen Gründe nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU für die Unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung gegeben sind. Der Zweck der Arbeitsuche gewährt EU-Bürgern und ihren Familienangehörigen (vgl. § 3 Abs. 2 FreizügG/EU) nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU zwar ein Recht auf Einreise und Aufenthalt (Aufenthaltsrecht), verschafft ihnen aber keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Dies, obwohl diese Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU für bis zu sechs Monate unionsrechtlich freizügig-keitsberechtigt sind und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.
Entfällt nun der ein Aufenthaltsrecht begründende und schon zum Leistungsausschluss führende Zweck der Arbeitsuche, führt dies nicht zu einem Leistungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Vorschrift, die bei einem sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebenden Aufenthaltsrecht insoweit zu Lasten der EU-Bürger und ihrer Familienangehörigen eingeführt worden ist, würde bei einer anderen Lesart sinnwidrig ins Gegenteil verdreht werden: EU-Bürger (und deren Familienangehörigen), die über ein "materielles" Aufenthaltsrecht aus dem Zweck der Arbeitsuche und damit über einen legitimen Grund für die unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, würden gegenüber denjenigen benachteiligt, die nicht (mehr) über einen solchen materiel-len Status verfügen, also ein "weniger" hätten. Der Gesetzgeber unterscheidet daher (konsequenterweise) nicht zwischen den Ausländerinnen und Ausländern, die zunächst ein entsprechendes "materielles" Aufenthaltsrecht hatten und solchen, die sich lediglich (ohne entsprechendes aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU resul-tierendes Aufenthaltsrecht) in der Bundesrepublik noch aufhalten dürfen, weil die Ausländerbehörde das Nichtbestehen eines Freizügigkeitsrechts (noch) nicht nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festgestellt hat. Der Leistungsausschluss betrifft auch (und erst Recht) diejenigen Ausländerinnen und Ausländer, bei denen ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche nicht bestanden hat oder fortgefallen ist und kein anderes materielles Aufenthaltsrecht feststellbar ist.
Ob man während dieser Zeitspanne – also vom Wegfall des Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU bis zur Feststellung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU – überhaupt von einem "formellen" Aufenthaltsrecht (im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) dieses Personenkreises sprechen kann, ist im Hinblick auf den Wortlaut dieser Vorschrift fraglich. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU setzt voraus, dass die Voraussetzungen des Rechts nach § 2 Abs. 1 entfallen sind oder nicht vorliegen, damit der Verlust dieses Rechts festgestellt werden kann und die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 FreizügG/EU besteht. Liegen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1, 2 FreizügG/EU nicht (mehr) vor, kann es auch kein "formelles" Aufenthaltsrecht (nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU) geben. Dies kann im Ergebnis aber dahinstehen, denn bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde halten sich diese Personen rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Das "Aufhaltendürfen" ist ebenso Ausfluss der Regeln des Binnenmarktes für Unionsbürger wie das Auf-enthaltsrecht zur Arbeitsuche; es beruht gerade auf der Privilegierung durch die Freizügigkeitsvermutung.
Nur diese Lesart der Vorschrift wird im Übrigen auch Sinn und Zweck der Rege-lung gerecht, eine "Einwanderung in die Sozialsysteme" (so zutreffend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 - L 2 AS 14/15 B ER, vgl auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B) unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die die Freizügigkeit für EU-Ausländer innerhalb des EU-Binnenmarktes bietet, zu verhindern. Aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks 16/688) wird deutlich, dass mit der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine Regelung getroffen wurde für alle Ausländerinnen und Ausländer, die von ihrem Recht nach der Unionsbürgerschaft Gebrauch machen, nach Deutschland einzureisen, ohne einen anderen anerkannten Aufenthaltsgrund nach dem FreizügG/EU zu haben, als die Arbeitsuche. In Ziffer B der Einleitung in der Gesetzesbegründung heißt es "Ausschluss von Leistungen für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen, die zuvor nicht in Deutschland gearbeitet haben, sondern zur Arbeitsuche nach Deutschland einreisen". Dies bedeutet, dass es ohne Belang ist, ob sich die Betroffenen auf ein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche oder aber nur auf ein "Aufhaltendürfen" berufen können. Andernfalls würde dies dazu führen, dass Ausländerinnen und Ausländer, die nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen bzw. möglicherweise von Anfang an ein entsprechendes Recht nicht hatten, bis zu einer Ent-scheidung der Ausländerbehörde nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU und einer sich erst danach ergebenden Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU entgegen der klaren Intention des Gesetzgebers, nämlich keine Einwanderung in die Sozialsysteme zu ermöglichen, Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten.
c. Die gegenteilige Auffassung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.06.2015 - L 19 AS 717/15 B ER und 17.08.2015 - L 19 AS 1265/15 B ER, L 19 AS 1266/15 B; LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 – L 6 AS 62/15 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.03.2015 – L 31 AS 1258/ 1, in dem ausge-führt ist: "Wer nur zum Sozialleistungsmissbrauch eingereist ist, ist nach keiner Regelung des SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da § 7 Abs. a Satz 2 Nr. 2 SGB II nur tatsächlich Arbeitsuchende betrifft.") ist aus den oben genannten Gründen weder mit dem Wortlaut und dem eindeutigen Regelungsgehalt der Vorschrift noch mit ihrem Sinn und Zweck vereinbar. Auch der Einwand (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 07.04.2015 a.a.O., juris, Rn. 52) bezüglich der Besserstellung von Personen, die trotz vollziehbarer Ausreisepflicht leistungsberechtigt nach dem AsylbLG seien, überzeugt nicht. Für die unterschiedliche Behandlung der beiden Personengruppen ist ein hinreichender Differenzierungsgrund gegeben (vgl. LSG, Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15, juris Rz. 34). Bei den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) handelt es sich um ein eigenes, spezielles Leistungssystem zur Sicherung des Lebensbedarfs, das primär an den ungesicherten Aufenthaltsstatus an-knüpft (vgl. Oppermann, jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rz. 18). Es handelt sich bei den Leistungsberechtigten um Personen, die in der Regel – anders als EU-Ausländer – nicht ohne weiteres in ihr Heimatland zurückkehren können. Diese Personen sind häufig aus ganz unterschiedlichen Gründen an der umgehenden Ausreise gehindert und sind deshalb schutzbedürftiger als EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht, deren umgehender Rückkehr in ihr Heimatland keinerlei Hindernisse entgegenstehen.
2. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt nicht gegen das Recht der Europäischen Union, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) mittlerweile mit Urteil vom 15.09.2015 (C-67/14) entschieden hat (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 31.03.2014 – L 3 AS 598/13 B ER, 04.11.2014 – L 3 AS 487/14 B ER, 12.03.2015 – L 3 AS 110/15 B ER und LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.10.2015 – L 6 AS 454/15 B ER, L 6 AS 455/15 B).
3. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nach Ansicht des Senats auch nicht verfassungswidrig. Er verstößt nicht gegen das Grundrecht des Antragstellers auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG.
a. Gemäß Art. 1 Abs. 1 GG ist die Würde des Menschen unantastbar. Alle staatliche Gewalt muss sie achten und schützen; sie ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums steht als Menschenrecht deutschen und ausländischen Staatsbürgern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, grundsätzlich gleichermaßen zu (so BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL10/10, 1 BvL 2/11).
Der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Der Umfang dieses Anspruchs hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein men-schenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Der Staat ist im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, die materiellen Voraussetzungen für Hilfebedürftige zur Verfügung zu stellen (BVerfG, a.a.O., Rn. 63, juris). Dies ist eine objektive Verpflichtung des Staates, die mit einem individuellen Leistungsanspruch, der allerdings der Ausgestaltung durch ein Gesetz bedarf, korrespondiert.
Entgegen der Ansicht des SG gebietet indes das Grundgesetz nicht die Gewährung bedarfsunabhängiger, voraussetzungsloser Sozialleistungen (BVerfG, Be-schl. v. 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09, juris Rz. 13). Vielmehr liegt es in der politi-schen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums zu bestimmen, welche Leistungen in welcher Höhe zur Existenzsicherung gewährt werden und die hierbei erforderlichen Wer-tungen vorzunehmen. Der parlamentarischen Gesetzgeber hat den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, Beschl. v. 9.2.2010 – 1/BvL 1/09 u.a., juris Rz. 138).
b. In Ausübung seines Gestaltungsspielraums hat der parlamentarische Gesetzgeber – nach Auffassung des Senats ausreichende - Regelungen bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Existenzsicherung getroffen. Nach der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers können solche heute nach dem Sozi-algesetzbuch Zweites Buch, dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch und dem Asylbewerberleistungsgesetz beansprucht werden. Der gemeinsame verfassungsrechtliche Kern aller drei heutigen Existenzsicherungssysteme ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 17/14 R unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 -1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11). Die erfolgten Differenzierungen hin-sichtlich der Leistungshöhe in Abhängigkeit von den Besonderheiten bestimmter Personengruppen sind zulässig (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.7.2012, aaO, Rz. 73) und schließen die strukturelle Gleichwertigkeit der drei Leistungssysteme nicht aus (vgl BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 AS 66/08 R).
c. Unter Berücksichtigung der bestehenden Regelungen zur Gewährung von Leis-tungen zur Existenzsicherung ist das Grundrecht des Antragstellers auf Gewähr-leistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt. Er kann darauf verwiesen werden, Leistungen seines Heimatlandes zur Sicherung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen oder von seinem Freizügigkeitsrecht innerhalb des Hoheitsgebiets der EU Gebrauch zu machen. Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des Deutschen Sozial-leistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so auch LSG Bayern, Beschluss vom 13.10.2015 – L 16 AS 612/15 ER und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B). Auch der aus dem gesetzlichen Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang ins Herkunftsland zurückkehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, weil es ihm nicht möglich ist, sei-nen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung seines Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar. Er ist vergleichbar mit der Situation von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen (so zu Recht und überzeugend LSG Bayern, a.a.O., unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des BVerfG zu denLeistungsausschlüsse für Studenten und Aus-zubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom 03.09.2014- 1 BvR 1768/11 und vom 08.10.2014 – 1 BvR 886/11).
d. Der dem Grundgesetz verpflichtete Gesetzgeber hat auch keine aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG resultierende verfassungsrechtliche Pflicht über die bereits getroffenen Regelungen hinaus jedem Menschen, der sich – aus welchen Gründen auch immer, also legal oder illegal – in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, voraussetzungslose Sozialleistungen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 BvR 2556/09, juris Rz. 13) zu gewähren und die drei heutigen Existenzsicherungssysteme, deren verfassungsrechtlicher Kern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist, um eine weitere Regelung zu ergänzen (vgl. zur Handlungspflicht des Gesetzgebers BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.10.1995 – 1 BvR 1348/95). Wie bereits ausgeführt, liegt es in der politischen Verantwortung des parlamentarischen Gesetzgebers im Rahmen seiner insoweit grundsätzlich freien Entscheidung zu bestimmen, welche Sozialleistungen in welcher Höhe gewährt werden und die hierbei erforderlichen Wertungen vorzunehmen.
e. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des SG auch nicht aus den Grundsätzen, die der erste Senat in seiner Entscheidung vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11- für die nach dem AsylbLG zu gewährenden Leistungen aufgestellt hat. Insbesondere ist hieraus nicht der Schluss zu ziehen, das BVerfG habe hier grundlegend entschieden, dass jeder Mensch, der – aus welchen Gründen auch immer - in die Bundesrepublik Deutschland einreist und sich hier aufhält, generell und voraussetzungslos über die bereits bestehenden Existenzsicherungssysteme Anspruch auf (dauerhafte) staatliche Leistungen zur Gewährleis-tung des menschenwürdigen Existenzminimums unmittelbar aus der Verfassung hat. Abgesehen davon, dass ausdrücklich nur über § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und § 3 Abs. 2 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 4 AsylbLG sowie § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 und § 3 Abs. 2 Satz 3 iVm Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 des AsylbLG (jeweils in der Fas-sung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 2022) zu entscheiden war, ergibt sich insbesondere aus der Begründung, dass diese Erwägungen nicht allgemein in dem vom SG angenommenen Sinne zu verstehen sind, sondern mit Blick auf die konkrete Fragestellung, nämlich, ob die nach dem AsylblG für diesen Personenkreis zu gewährenden Leistungen unter Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art 20 Abs. 1 GG ausreichen, die entsprechenden Regeln also verfassungsgemäß sind (vgl. hierzu Ausführungen Rz. 68, 95).
4. Aus den dargelegten Gründen ist die Beschwerde des Antragstellers, die sich gegen die Höhe der zugesprochenen Leistungen richtet, unbegründet. Der Ehepartner des Antragstellers ist nicht Beteiligter des Verfahrens (vgl § 69 SGG). Der ehemalige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unzweifelhaft nur im Namen des Antragstellers gestellt. Nur der Antragsteller hat Beschwerde eingelegt. Sein Vorbringen, selbstverständlich gehe es auch um die Ansprüche seines Ehepartners, ist rechtlich ohne Belang. Das SGB II kennt keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher. Anspruchsinhaber sind jeweils alle einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, so dass das einzelne Mitglied schon deshalb nicht mit einer eigenen Klage oder einem Antrag die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen kann (grundlegend BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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