S 143 KR 1920/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
143
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 143 KR 1920/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen wegen Unwirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags - Versuch der politischen Einflussnahme als Beleg für vorsätzliches Handeln
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 24.703,35 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin überlässt so genannte Zeitarbeiter an andere Unternehmen. Im vorliegenden Verfahren ist streitig, ob die Klägerin einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter vorsätzlich vorenthalten hat. Die Deutsche Rentenversicherung Bund fordert 24.703,35 EUR für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2009.

Im streitigen Zeitraum galt für Zeitarbeits-Firmen bereits ein gesetzlicher Mindestlohn nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Die Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen hatten (und haben) einen Anspruch darauf, den gleichen Lohn zu erhalten wie die Arbeitnehmer in den Unternehmen, wo sie eingesetzt waren (Grundsatz des "equal pay"). Geringere Löhne durften (und dürfen) nur gezahlt werden, wenn das in einem gültigen Tarifvertrag vereinbart worden ist. Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum an ihre Mitarbeiter geringere Löhne ausgezahlt. Sie bezog sich dabei auf Tarifverträge, die ihr Arbeitgeberverband mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) geschlossen hatte.

Das Arbeitsgericht Berlin stellte mit Beschluss vom 1. April 2009 fest, dass die CGZP "nicht tariffähig ist" (Aktenzeichen 35 BV 17008/08). Diese Entscheidung wurde in zwei weiteren Gerichtsinstanzen im Wesentlichen bestätigt: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2009 (Aktenzeichen 23 TaBV 1016/09) und Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2010 (Aktenzeichen 1 ABR 19/10).

Die Deutsche Rentenversicherung Bund erhob mit dem hier streitigen Bescheid vom 8. Februar 2012 eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 24.703,35 EUR. Einen Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 2012 zurück.

Die Klägerin hält diese Entscheidung für rechtswidrig und hat dagegen Klage vor dem Sozialgericht erhoben.

Zu Begründung führt die Klägerin unter anderem aus: Die Klägerin habe, wie auch die anderen Zeitarbeits-Unternehmen, auf die Anwendbarkeit des Tarifvertrages vertraut. Sie sei in diesem Vertrauen geschützt. Sofern die Deutsche Rentenversicherung ihre Nachforderungen bei allen betroffenen Zeitarbeit-Unternehmen realisiere, dürfte mehr als die Hälfte aller Unternehmen insolvent werden. Einige Unternehmen hätten bereits jetzt Insolvenz angemeldet. Unternehmer und Arbeitnehmer hätten damit ihre Existenzgrundlage verloren.

Der Vertrauensschutz sei durch verschiedene Umstände hervorgerufen worden:

Die Klägerin sei regelmäßig von Mitarbeitern der Bundesagentur für Arbeit geprüft worden, ob die Voraussetzungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erfüllt seien. Die Anwendung des CGZP-Tarifvertrags sei nie beanstandet worden. Die Bundesagentur für Arbeit habe die Anwendung des CGZP-Tarifvertrags sogar empfohlen. Auch andere Sozialversicherungsträger hätten diese Tarifverträge bei den regelmäßigen Prüfungen niemals beanstandet.

Die Zeitarbeitsunternehmen hätten ihre Arbeitnehmer beispielsweise an den Deutschen Bundestag, Ministerien des Bundes und der Länder und sogar den DGB überlassen.

Bis 2009 habe es keine Entscheidungen von Arbeitsgerichten gegeben, welche die Unanwendbarkeit des CGZP-Tarifvertrags oder die Tarifunfähigkeit der CGZP zum Gegenstand gehabt hätten. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 enthalte eine verfassungsrechtlich verbotene Rückwirkung in die Grundrechte der Klägerin.

Im Übrigen habe die Klägerin ihren Mitarbeitern das höhere Entgelt frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 geschuldet. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte die Klägerin eine Mehrforderung ihrer Mitarbeiter zurückgewiesen und dabei zu Recht auf den gültigen Tarifvertrag hingewiesen. Arbeitsgerichte hätten die Klage abweisen müssen. Die Beitragspflicht für den streitigen Zeitraum richte sich daher allenfalls nach den Regeln über die so genannten Einmalzahlungen. Dadurch reduziere sich die Beitragspflicht der Klägerin.

Die Klägerin habe keine Kenntnis von einer höheren Entgeltpflicht gehabt und habe diese auch nicht haben können. Daher könne ihr kein Vorwurf gemacht werden, dass sie den Lohn zu gering gezahlt habe. Keinesfalls habe sie die Beiträge vorsätzlich vorenthalten. Daher seien jedenfalls die Beitragsforderungen für die Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2006 verjährt.

Im Übrigen sei die Höhe der Beiträge falsch ermittelt worden. Die Deutsche Rentenversicherung habe diese nur geschätzt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Schätzung seien jedoch nicht erfüllt.

Hinsichtlich der weiteren Klagebegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerseite verwiesen, insbesondere auf die Schriftsätze vom 26. Oktober 2012, 28. Januar 2013, 8. Mai 2014, 8. August 2014, 10. November 2014 und 20. Februar 2015 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 8.2.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.10.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte führt unter anderem aus: Nur ein wirksamer Tarifvertrag lasse eine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall des "equal pay" zu. Jede andere Betrachtungsweise würde zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Dann hätte jede Tarifvereinbarung mit zweifelhaften Arbeitnehmervereinigungen so lange Bestand, bis ein Verfahren über die Tariffähigkeit der Vereinigung rechtskräftig zum Abschluss gebracht worden sei. Der gesetzliche Grundsatz des "equal pay" wäre ad absurdum geführt.

Die Klägerin habe nicht auf die Rechtmäßigkeit der Tarifverträge vertrauen dürfen. Die Tariffähigkeit der CGZP sei von ihrer Gründung an umstritten gewesen. Die vorherigen Betriebsprüfungen der Rentenversicherungsträger hätten sich lediglich auf Stichproben beschränkt und hätten sehr unterschiedliche Schwerpunkte zum Gegenstand gehabt, in keinem Fall aber verbindliche Feststellungen zur Tariffähigkeit der CGZP. Auch aus der Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit als Erlaubnisbehörde für die Arbeitnehmerüberlassung lasse sich kein Vertrauensschutz ableiten. Zwar stelle die Verletzung des "equal pay"-Gebots einen Grund dar, die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu versagen. Die Bundesagentur für Arbeit sei jedoch nicht befugt, im Rahmen eines solchen Prüfverfahrens die Tariffähigkeit einer Vereinigung verbindlich festzustellen. Hierfür seien ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen zuständig. Dass die Bundesagentur für Arbeit auf den Abschluss von Tarifverträgen bestanden habe oder dass andere Arbeitgeber im öffentlichen Raum ebenfalls Tarifverträge der CGZP angewandt hätten, zeige allenfalls ein fehlerhaftes rechtliches Verständnis. Es könne aber keinen Vertrauensschutz begründen.

Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt. Die Klägerin habe noch innerhalb der regulären vierjährigen Verjährungsfrist das ausreichende Wissen über die Nichtabführung der Beiträge erworben. Die Deutsche Rentenversicherung habe die Klägerin mit Schreiben vom 23. Dezember 2010 ausführlich über die aktuelle Rechtsprechung unterrichtet. Außerdem seien zuvor schon die Entscheidungen der Arbeitsgerichte in der Öffentlichkeit weithin publiziert worden. Jeder Arbeitgeber, der die gesetzliche Ausnahmeregelung vom Grundsatz des "equal pay" genutzt habe, habe auch gewusst, dass er bei einer entsprechenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts rückwirkend höhere Entgeltansprüche seiner Arbeitnehmer zu erfüllen habe. Aus der Kenntnis höherer Lohnansprüche folge auch die Kenntnis höherer Beitragsansprüche.

Zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung seien die Lohnaufzeichnungen unvollständig bzw. fehlerhaft gewesen. Im streitigen Zeitraum hätten bei der Klägerin insgesamt etwa 877 Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen. Eine große Anzahl dieser Beschäftigungsverhältnisse habe lediglich bis zu 3 Monate gedauert. Die Überlassung der Mitarbeiter sei an etwa 300 Entleiher erfolgt. Die Höhe jedes einzelnen Arbeitsentgelts habe sich daher, wenn überhaupt, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand feststellen lassen.
Folglich sei die Beklagte berechtigt gewesen, die Höhe der Beitragsansprüche zu schätzen. Bundesweit habe die Deutsche Rentenversicherung im Zusammenhang mit dem CGZP-Tarifvertrag 2.165.748 Beschäftigungsverhältnisse bei 3125 Arbeitgebern geprüft (Stand: 31. Mai 2014).

Hinsichtlich der weiteren Klageerwiderung wird auf die Schriftsätze der Beklagten Bezug genommen, insbesondere auf die Schriftsätze vom 5. Dezember 2012, 26. Mai 2014 und 8. Dezember 2014.

Das Gericht hat die Sache mündlich verhandelt am 18. Juni, 27. August und 15. Oktober 2014 sowie am 9. Juli 2015. Dabei ist der Geschäftsführer der Klägerin, Herr H, zum Sachverhalt befragt worden. Außerdem ist der Mitgesellschafter der Klägerin, Herr W, als Zeuge vernommen worden. Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Der streitige Beitragsbescheid ist rechtmäßig. Die Klägerin ist verpflichtet, die geforderten 24.703,35 EUR zu bezahlen.

Die Kammer kommt nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme zu folgenden Feststellungen:

Die Klägerin hat ihren Mitarbeitern im streitigen Zeitraum nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Lohn ausbezahlt.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz enthielt bereits im streitigen Zeitraum klare Regelungen für einen gesetzlichen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche:

- Bereits die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hing davon ab, dass die Zeitarbeitsfirma ihrem Mitarbeiter das Arbeitsentgelt bezahlte, das ein vergleichbarer Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers erhielt (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG).

- Durch den Arbeitsvertrag durfte von diesem Mindestlohn nicht abgewichen werden. Gemäß § 9 AÜG waren (und sind) Vereinbarungen unwirksam, wenn dadurch eine schlechtere Bezahlung vereinbart wurde.

Allerdings galt und gilt eine wesentliche Ausnahme: Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen und damit auch eine schlechtere Bezahlung ermöglichen. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um einen wirksamen Tarifvertrag handelt. Das ist hier nicht der Fall.

Der Arbeitgeberverband der Klägerin hatte zwar einen Tarifvertrag mit der CGZP geschlossen. Darin war ein niedrigerer Lohn vereinbart als der gesetzliche Mindestlohn nach dem Grundsatz des "equal pay". Dieser Tarifvertrag war jedoch von Anfang an unwirksam. Die CGZP war zu keinem Zeitpunkt tariffähig. Das ergibt sich aus der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. April 2009 (Aktenzeichen 35 BV 17008/08), die bestätigt wurde durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2009 (Aktenzeichen 23 TaBV 1016/09) und das Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2010 (Aktenzeichen 1 ABR 19/10).

Daher hat die Klägerin ihren Mitarbeitern im streitigen Zeitraum von Anfang den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Grundsatz des "equal pay" geschuldet. Es mag sein, dass die Mitarbeiter der Klägerin inzwischen rechtlich keine Möglichkeit mehr besitzen, diesen geschuldeten Lohn einzuklagen, da die Ansprüche verjährt sind. Dadurch ist die Klägerin jedoch nicht von ihrer gesetzlichen Pflicht befreit, wenigstens die Sozialversicherungsbeiträge für den Lohn zu bezahlen, den sie ihren Mitarbeitern geschuldet hat.

Arbeitnehmer sind in Deutschland grundsätzlich durch die Sozialversicherung geschützt. Dieser Schutz entsteht "automatisch", sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Es kommt nicht darauf an, ob beispielsweise der Arbeitgeber diesen Schutz für seine Mitarbeiter überhaupt wollte. Mit diesem Schutz entsteht gleichzeitig die Pflicht, Beiträge zur Sozialversicherung zu bezahlen.

Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag muss vom Arbeitgeber an die Einzugsstelle der Sozialversicherung gezahlt werden. Den Arbeitnehmer-Anteil dieses Beitrags kann der Arbeitgeber gleichzeitig bei seinem Mitarbeiter vom Lohn abziehen. Dieses Recht besteht jedoch nur innerhalb von 3 Monaten (§ 28g S. 3 SGB IV). Wenn der Arbeitgeber diese Frist versäumt, muss er – wie im vorliegenden Fall – die gesamte Nachzahlung alleine tragen.

Die Höhe der Beiträge richtet sich nach dem Lohn, der dem Mitarbeiter rechtlich verbindlich geschuldet wird. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber tatsächlich einen geringeren Lohn an den Mitarbeiter ausgezahlt hat. Der Arbeitgeber hat es nicht in der Hand, die Beiträge dadurch zu verringern, dass er seinem Mitarbeiter einen Teil des Lohns vorenthält. Diese Rechtslage ergibt sich aus § 22 Abs. 1 SGB IV:

Die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen.

Der Arbeitgeber muss diese Beiträge in der Regel zum Ende des Monats bezahlen, in dem der Lohn erarbeitet worden ist (vgl. § 23 SGB IV. Nach alter Rechtslage, die bis 31. Dezember 2005 galt, waren die Beiträge erst am 15. des Folgemonats fällig.). Damit hat sich die Sache für den Arbeitgeber jedoch nicht "erledigt". Der Arbeitgeber ist noch mindestens 4 Jahre lang verpflichtet, fehlende Beiträge nachzuzahlen. Wenn der Arbeitgeber die Beiträge vorsätzlich vorenthält, verlängert sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Es spielt keine Rolle, ob der Arbeitgeber bereits im Moment der Lohnzahlung den Vorsatz gehabt hatte, Sozialversicherungsbeiträge vorzuenthalten. Es genügt, wenn dieser Vorsatz irgendwann innerhalb des 4-jährigen Verjährungszeitraums entstanden ist. Auch dann verlängert sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre. Der Arbeitgeber besitzt dann ja kein rechtlich geschütztes Vertrauen mehr darauf, dass er mit der bisherigen Beitragszahlung alle gesetzlichen Pflichten erfüllt hatte und deshalb den Vorgang nach Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist abschließen kann.

Im vorliegenden Fall ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin die Beiträge für den gesetzlichen Mindestlohn vorsätzlich vorenthalten hat. Daher ist die 30-jährige Verjährungsfrist anzuwenden. Die streitige Beitragsforderung ist also insgesamt nicht verjährt.

Die Kammer kommt nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu folgenden Feststellungen:

Die Klägerin hat bereits zum Beginn des streitigen Zeitraums vorsätzlich gehandelt. Jedenfalls sind die Voraussetzungen eines so genannten bedingten Vorsatzes erfüllt. Dieser liegt vor, wenn der Arbeitgeber zwar noch nicht sicher weiß, dass eine Beitragspflicht besteht, wenn er aber eine solche Beitragspflicht für möglich hält und sich damit abfindet.

Die Klägerin ist eine juristische Person. Ihr ist vorsätzliches Handeln anzulasten, wenn ein Mensch vorsätzlich gehandelt hat, dessen Handeln sich die Klägerin zurechnen lassen muss. Diese Rechtslage ist bereits in den allgemeinen Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs festgelegt. Gemäß § 166 BGB kann sich niemand auf seine eigene Unwissenheit berufen, wenn ein Vertreter, den er selbst bevollmächtigt hat, über das entsprechende Wissen verfügt hat.

Einer GmbH ist daher zunächst einmal das Wissen des Geschäftsführers zuzurechnen. Die GmbH wird durch ihn gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 35 Abs. 1 GmbH-Gesetz). Außerdem ist einer juristischen Person das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags bevollmächtigt waren. Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation im Betrieb weiterzugeben ist und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist. Schließlich kommt auch die Zurechnung des Wissens eines (selbstständigen) Rechtsanwalts oder Steuerberaters in Betracht, soweit dieser in den Vorgang eingeschaltet war.

Im konkreten Fall muss sich die Klägerin daher das Wissen ihres Geschäftsführers H zurechnen lassen sowie ihrer Mitinhaber und damit auch des Zeugen W. Der Zeuge W besaß über die Gesellschafterbeschlüsse entscheidenden Einfluss auf das Verhalten der Klägerin. Im konkreten Fall haben sowohl der Geschäftsführer H als auch der Zeuge W bestätigt, dass das Verhalten der Klägerin im Hinblick auf die Verwendung des CGZP-Tarifvertrags jeweils in der Gesellschafterversammlung besprochen und beschlossen wurde. Der Geschäftsführer H hat in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 unter anderem erklärt:

Die Anlehnung an den CGZP-Vertrag habe ich entschieden. Das war aber nach Rücksprache mit den Gesellschaftern. Ich weiß nicht, ob wir einen Beschluss schriftlich dokumentiert haben. Wir haben das aber jedenfalls gemeinsam beschlossen.

Der Klägerin ist im konkreten Verfahren bereits dann ein vorsätzliches Verhalten anzulasten, wenn eine der genannten Personen vorsätzlich gehandelt hat. Zur Überzeugung des Gerichts lässt sich dieser Vorsatz tatsächlich sogar bei beiden genannten Personen feststellen, also bei dem Geschäftsführer H und bei dem Zeugen W.

Der Geschäftsführer H verband von Anfang an mit der Verwendung des CGZP-Tarifvertrags die Absicht, dadurch den gesetzlichen Mindestlohn des "equal pay" zu umgehen und damit auch die Zahlung der damit verbundenen höheren Sozialversicherungsbeiträgen. Das hat der Geschäftsführer H in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 eingeräumt:

Wir mussten uns ja an einem Tarif anlehnen, ansonsten hätten wir ja equal pay zahlen müssen.

Der Geschäftsführer H war an einer Runde von Arbeitgebern aus der Zeitarbeitsbranche beteiligt, welche die Umgehung des gesetzlichen Mindestlohns aktiv vorbereitet hat:

Wir haben damals schon in unserem Arbeitgeberverband besprochen, welche Möglichkeiten es gibt, dass wir kein equal pay bezahlen müssen. Es gab sporadische Sitzungen, wo sich Unternehmer aus der Zeitarbeitsbranche zusammengefunden haben. Das war sogar schon, bevor offiziell der Arbeitgeberverband gegründet worden ist.

Als das equal pay-Prinzip gesetzlich angeordnet wurde, haben wir in dieser Runde besprochen, welche Möglichkeiten und Alternativen es zum equal pay-Prinzip gibt. Einer aus dieser Runde hat sich dann engagiert, und so eine Art Tarifvertrag ausgearbeitet und ausgehandelt. Da war ich aber nicht mit involviert. Ich bin dann aber über das Ergebnis informiert worden.

Der Geschäftsführer H hat dann auch die notwendigen organisatorischen Schritte unternommen, um die Umgehung des "equal pay" für die Mitarbeiter der Klägerin in die Tat umzusetzen:

Ich war Mitglied im Verband, damit wir uns an den Tarifvertrag mit der CGZP anlehnen können. Um den zu nutzen. Deswegen sind wir ja dem Arbeitgeber-Verband beigetreten. Ich kann den genauen Zeitpunkt nicht mehr sagen. Aber ich denke, wir sind wegen des CGZP-Tarifvertrags etwa im Jahr 2004 beigetreten.

Dieselbe Umgehungsabsicht besaß auch der Zeuge W. Bei seiner Vernehmung am 27. August 2014 hat er berichtet:

Ich war von Anfang an berufspolitisch engagiert. Ich habe genau dieses Thema der Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags politisch begleitet. 2004 wurde das Prinzip des equal pay gesetzlich beschlossen. 99 % der Branche haben sich dann für einen Tarifvertrag entschieden oder besser gesagt: aus wirtschaftlichen Gründen entscheiden müssen. Außerdem ging es um die rechtliche Sicherheit. Es war für uns schwierig, überhaupt die Löhne am Einsatzort und noch schwieriger die Einsatzbedingungen am Einsatzort festzustellen und im gleichen Umfang zu gewährleisten. Das ging von der Frage eines Leihwagens bei Mercedes bis zur Frage, welche Essenskarten jeweils vor Ort gewährt worden.

Daher wurden 2004 die Tarifverträge in der Zeitarbeitsbranche eingeführt. Bereits seit 2003 war ich persönlich relativ stark dabei engagiert. Ich war wechselweise Vorstand, Präsidiumsmitglied, in der Regionalleitung und in der Tarifkommission meines Arbeitgeberverbands. Ich bin auch aktuell immer noch engagiert im Arbeitgeberverband als xxx.

Ich war in der allerersten Tarifkommission, als der MVZ den Tarifvertrag mit der CGZP ausgehandelt hat. Das war im Jahr 2003. Dieser Tarifvertrag wurde zum 1. Januar 2004 gültig.

Sowohl beim Geschäftsführer H als auch beim Zeugen W bestand zur Überzeugung der Kammer bereits seinerzeit zumindest ein bedingter Vorsatz, dass dadurch die tatsächlich geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten wurden.

Die Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes unterscheiden sich im Sozialrecht nicht von den allgemeinen Voraussetzungen, die für das Zivilrecht entwickelt worden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Mensch auch dann mit bedingtem Vorsatz, wenn das Ergebnis seines Handelns für ihn eigentlich unerwünscht ist. Es genügt, wenn er dieses Ergebnis "nur als möglich voraussieht". Der Handelnde nimmt dieses Ergebnis aber deshalb in Kauf, weil er sein eigentliches Ziel nicht anders erreichen kann (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2008, Aktenzeichen VI ZR 212/07).

Der Geschäftsführer H hat zwar in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2014 behauptet, dass er die Gültigkeit des CGZP-Tarifvertrags "nie angezweifelt" habe. Auch schriftlich hat die Klägerin einen bedingten Vorsatz aller relevanten Personen mehrfach bestritten. Dieses Vorbringen ist jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht glaubhaft. Obwohl es sich beim Vorsatz um einen inneren Vorgang handelt, reicht es nicht aus, die Behauptungen der betroffenen Person ungeprüft zu übernehmen. Es ist vielmehr erforderlich, vom äußeren Ablauf des Geschehens im Wege des Indizienbeweises Schlussfolgerungen auf den zugrunde liegenden Bewusstseinsvorgang zu ziehen. Schließlich sind alle Umstände zusätzlich in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenwirken zu würdigen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Juni 1994, Aktenzeichen IV ZR 126/93). Daraus ergibt sich, dass sowohl der Geschäftsführer H als auch der Zeuge W den bedingten Vorsatz besaßen, die gesetzlich geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge vorzuenthalten.

Das Gericht geht durchaus davon aus, dass die Unwirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags für den Geschäftsführer H und den Zeugen W "eigentlich unerwünscht" war im Sinne der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Ihrem wirtschaftlichen Interesse hätte es eher entsprochen, wenn der CGZP-Tarifvertrag wirksam gewesen wäre. Dann wäre ihnen die Nachforderung von "equal pay"-Ansprüchen einschließlich der streitigen Sozialversicherungsbeiträge erspart geblieben.

Dem Geschäftsführer H und dem Zeugen W war aber zumindest die Möglichkeit bewusst, dass dieser Tarifvertrag unwirksam war. Diese Möglichkeit haben sie in Kauf genommen, weil
sie ihr eigentliches Ziel nicht anders erreichen konnten: Die Vermeidung von höheren Löhnen und damit auch von höheren Sozialversicherungsbeiträgen nach dem Grundsatz des "equal pay".

Das Bundesverfassungsgericht hat erst vor wenigen Monaten sehr deutlich auf den Kenntnisstand von Arbeitgebern im Zusammenhang mit dem CGZP-Tarifvertrag hingewiesen (Beschluss vom 25. April 2015, Aktenzeichen 1 BvR 2314/12):

Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte. An der Tariffähigkeit der CGZP bestanden von Anfang an erhebliche Zweifel (vgl. Böhm, NZA 2003, S. 828 (829); Reipen NZS 2005, S. 407 (408f.); Schüren, in: Schüren/Hamann, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3.Aufl. 2007, § 9 AÜG Rn. 115). Gleichwohl haben die Beschwerdeführerinnen die Tarifverträge der CGZP angewendet und kamen damit in den Genuss besonders niedriger Vergütungssätze. Mit den angegriffenen Entscheidungen hat sich das erkennbare Risiko realisiert, dass später in einem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte.

Der Zeuge W war nach eigenen Angaben "von Anfang an berufspolitisch engagiert" und hat "genau dieses Thema der Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrag politisch begleitet". Er war wechselweise Vorstand, Präsidiumsmitglied, in der Regionalleitung und in der Tarifkommission seines Arbeitgeberverbands. Daher ist es zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen, dass ihm verborgen geblieben war, dass zumindest die Möglichkeit der Unwirksamkeit des Tarifvertrags bestand. Der Zeuge W besaß aufgrund dieser Tätigkeiten sogar ein tarifrechtliches Fachwissen. Daher war im beispielsweise auch bekannt, dass die Unwirksamkeit eines Tarifvertrags nur in einem speziellen Verfahren der Arbeitsgerichtsbarkeit festgestellt werden konnte gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 4 in Verbindung mit § 97 ArbGG. Ihm war daher bekannt, dass die Rechtsmeinung der Bundesagentur für Arbeit oder von politischen Organisationen für diese Frage völlig unerheblich war.

Als Mitglied der Tarifkommission waren dem Zeugen W auch die Tatsachen bekannt, auf Grund derer die Arbeitsgerichte später die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt eine Organisation grundsätzlich nur dann als Tarifpartner in Betracht, wenn sie eine ausreichende "soziale Mächtigkeit" besitzt. Dazu gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts "die durch ihre Mitglieder vermittelte Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und eine leistungsfähige Organisation" (vergleiche die Hinweise auf diese Rechtsprechung im Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010, Aktenzeichen 1 ABR 19/10). Im Regelfall wird mit diesem Kriterium die Frage verbunden, ob eine Gewerkschaft genügend Mitglieder und Organisationskraft besitzt, um ernsthaften Druck auf die Arbeitgeberseite ausüben zu können.

Im Fall der CGZP kam es darauf jedoch nicht einmal an. Die fehlende "Mächtigkeit" ergab sich bereits aus der Organisationsstruktur der CGZP. Diese war für den Zeugen W als Mitglied der ersten Tarifkommission bereits ersichtlich durch die schlichte Lektüre der Satzung der CGZP und ihrer Mitgliedsgewerkschaften.

Die CGZP konnte bereits nach ihrer Satzung überhaupt keine Arbeitnehmer als Mitglieder aufnehmen. Die CGZP sollte lediglich als Spitzenorganisation ihrer Mitgliedsgewerkschaften handeln. Sie konnte daher folgerichtig allenfalls für diejenigen Arbeitnehmer einen Tarifvertrag abschließen, die in diesen Mitgliedsgewerkschaften organisiert waren. Tatsächlich hatte die CGZP von Anfang an nur zwei Mitgliedsgewerkschaften. Nach deren eigener Satzung waren dort ausdrücklich nur die Arbeitnehmer einiger bestimmter Wirtschaftszweige organisiert. Dennoch nahm die CGZP für sich das Recht in Anspruch, für sämtliche Zeitarbeitnehmer in Deutschland Tarifverträge abschließen zu können, also auch außerhalb dieser bestimmten Wirtschaftszweige.

Da die CGZP den Wirkungsbereich ihrer eigenen Mitgliedsgewerkschaften überschritt, war evident, dass sie in diesem Bereich keinen einzigen realen Arbeitnehmer repräsentierte. Damit war – auch für den Zeugen W – klar erkennbar, dass sie insoweit nicht als Tarifpartner infrage kam. Die Kammer teilt die Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts in der zitierten Entscheidung vom 14. Dezember 2010:

Dass es bei einem Tarifvertragsabschluss außerhalb der Organisationsbereiche der Mitgliedsgewerkschaften an einer solchen Durchsetzungskraft fehlt, ist offensichtlich.

Es ist daher nicht vorstellbar, dass gerade der Zeuge W als fachkundiger Interessenvertreter der Arbeitgeberseite überhaupt ernsthaft in Betracht zog, die CGZP könne dennoch tariffähig sein. Auf jeden Fall steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm von Anfang an zumindest die Möglichkeit bewusst war, dass die CGZP tarifunfähig war.

Es ist für die Kammer nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Umstände dennoch im streitigen Zeitraum ein "guter Glaube" an die Tariffähigkeit der CGZP entstanden sein soll.

Die Kammer hält es für ausgeschlossen, dass der Vorsatz des Geschäftsführers H oder des Zeugen W durch die Betriebsprüfungen entfallen sein könnte, die von der Beklagten im streitigen Zeitraum durchgeführt worden. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ihre Betriebsprüfungen überhaupt keine Aussage zur Tariffähigkeit der CGZP enthalten haben. Das war auch nicht die Aufgabe dieser Prüfungen. Die Tariffähigkeit der CGZP konnte verbindlich nur in dem geschilderten arbeitsgerichtlichen Verfahren festgestellt werden. Dieser Umstand war, wie festgestellt, sowohl H als auch W aufgrund ihres beruflichen Engagements bekannt. Aus den gleichen Gründen konnte auch aus der Tätigkeit der Bundesagentur für Arbeit als Erlaubnisbehörde für die Arbeitnehmerüberlassung konnte kein guter Glaube an die Tariffähigkeit der CGZP entstehen.

Die Klägerin hat im laufenden Verfahren umfangreiche Zitate von bundespolitischen Akteuren vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass die Zeitarbeit seinerzeit von der Bundesregierung als sinnvolles Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit angesehen wurde. Daraus mag bei der Klägerin die Vorstellung entstanden sein, dass staatliche Stellen im Hinblick auf die Tariffähigkeit der CGZP sozusagen "ein Auge zudrücken" könnten. Es mag sein, dass speziell der Zeuge W politische Kontakte in diese Richtung gepflegt hat. Nach eigenen Angaben hat er ja "genau dieses Thema der Wirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags politisch begleitet". Dieses Verhalten des Zeugen W ist aber aus Sicht des Gerichts gerade ein weiterer Beleg für dessen bedingten Vorsatz. Wenn der Zeuge tatsächlich – wie behauptet – von der Wirksamkeit des Tarifvertrags überzeugt gewesen wäre, hätte es einer "politischen Begleitung der Wirksamkeit das CGZP-Tarifvertrags" überhaupt nicht bedurft. Dann hätte er es bei dem von ihm behaupteten Vertrauen auf die Rechtsmeinung von Behörden und Politikern belassen können. Das hat er aber gerade nicht getan.

Auch die Zahl der Arbeitnehmer in den Mitgliedsgewerkschaften der CGZP sprach nicht für, sondern gegen die Tariffähigkeit. Selbst 5 Jahre nach Inkrafttreten des CGZP-Tarifvertrags betrug der Organisationsgrad nur 0,18 Prozent. Diese Zahl errechnet sich aus den Feststellungen im arbeitsgerichtlichen Prüfverfahren (zitiert in dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010). Nach eigenen Angaben waren in den Mitgliedsgewerkschaften der CGZP am 31. Dezember 2008 lediglich 1383 Leiharbeitnehmer organisiert. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland insgesamt 760.604 Leiharbeitnehmer beschäftigt.

Demzufolge hat der Geschäftsführer H bei der gerichtlichen Befragung eingeräumt:

Ich persönlich kenne überhaupt kein CGZP-Mitglied.

Er habe lediglich CGZP-Funktionäre gesehen, die bei einer Verbandssitzung
"vorgesprochen" hätten.

Entgegen dem Vorbringen der Klägerin konnte ein "guter Glaube" auch nicht durch die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte entstehen. Im Gegenteil: Zwar ist die erste förmliche Entscheidung zur Tarifunfähigkeit erst am 1. April 2009 durch das Arbeitsgericht Berlin erfolgt. In anderweitigen Entscheidungen haben die Arbeitsgerichte jedoch schon Jahre zuvor die Tariffähigkeit der CGZP "nahezu ausnahmslos" angezweifelt. Das ergibt sich aus einer Studie, die vom Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 20. November 2013 zitiert wird (Aktenzeichen 5 AZR 776/12):

Nach einer von Schüren an allen deutschen Arbeitsgerichten durchgeführten Befragung, an der sich 83 % der Arbeitsgerichte beteiligten (Stand: August 2007), bezweifelten Arbeitsgerichte in Deutschland seit 2003 nahezu ausnahmslos die Tariffähigkeit der CGZP. Leiharbeitnehmer, die den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt einklagten, hatten damit regelmäßig ganz oder teilweise Erfolg, nur eine einzige Klage wurde abgewiesen (Schüren NZA 2007, 1213). Auch im Schrifttum ist die Tariffähigkeit der CGZP seit deren erstem Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und ihr der Vorwurf gemacht worden, Leiharbeitsunternehmen mit "billigen" Tarifverträgen "zu versorgen" (vgl. nur Ankersen NZA 2003, 421; Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4.Aufl. §9 Rn.107ff. mwN).

Aus Sicht der Kammer spricht es nicht für die Glaubwürdigkeit von H und W, dass sie angeblich nicht einmal mit der Möglichkeit von Beitragsnachforderungen rechneten, nachdem die Arbeitsgerichte in drei Instanzen die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt hatten. Der Geschäftsführer H hat in der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2014 behauptet:

Die Urteile des Berliner Arbeitsgerichts, des Berliner Landesarbeitsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts habe ich schon mitbekommen. Wir hatten aber noch das Vertrauen, dass es stimmt, was uns der Tarifpartner sagt: Dass er ein echter Tarifpartner ist. Dass er tariffähig ist. So gab es für mich keine Beweggründe, den Tarifpartner zu wechseln. I

m Widerspruch dazu hat der Geschäftsführer H an anderer Stelle von der "Schrecksekunde" berichtet, die jedenfalls die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auch bei ihm persönlich ausgelöst hat. Der Geschäftsführer H hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2014 geschildert:

Die Problematik tauchte erst auf, als der Tarifvertrag für ungültig gehalten wurde. Das war damals die Schrecksekunde.

Frage: Wann trat diese Schrecksekunde ein?

Das war Ende 2009. Es gab damals eine Jahressitzung zum Ende des Jahres 2009 von unserem Verband, wo das zur Sprache kam, dass es Probleme geben könnte mit dem Tarifvertrag und das war die normale Mitgliederversammlung des Verbands und keine außerordentliche Versammlung aus diesem Anlass.

Auch durch diese "Schrecksekunde" war dem Geschäftsführer H also die Möglichkeit bewusst, dass der Tarifvertrag unwirksam war und dass dadurch auch von Anfang an höhere Beiträge zur Sozialversicherung hätten gezahlt werden müssen auf der Grundlage von Löhnen nach "equal pay".

Folgerichtig haben H und W bereits kurz nach dieser "Schrecksekunde" reagiert – und nicht etwa, dem angeblichen "Vertrauen" entsprechend, gelassen der weiteren Entwicklung entgegengesehen. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich, dass die Konzern-Zentrale der Klägerin bereits mit E-Mail vom 29. März 2010 eine Änderung der Arbeitsverträge angewiesen hat, mit der auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts reagiert werden sollte.

Entgegen der Behauptung der Klägerin haben die Arbeitsgerichte im Prüfverfahren zur CGZP kein neues System zu Tariffähigkeit eingeführt. Das ist inzwischen vom Bundesarbeitsgericht selbst und vom Bundesverfassungsgericht in den genannten Entscheidungen ausdrücklich klargestellt worden. Die Tariffähigkeit beurteilte sich auch im Fall der CGZP nach wie vor anhand der "sozialen Mächtigkeit" der Organisation. Das Besondere am Fall der CGZP war lediglich, dass die fehlende Mächtigkeit erstmals bereits evident aufgrund der Satzung festgestellt werden konnte. Daher kam es auf die bisher üblichen Ermittlungen gar nicht mehr an, beispielsweise zur Zahl der Mitglieder in den verschiedenen Branchen.

Ebenso entspricht es den allgemeinen tarifrechtlichen Grundsätzen, dass der CGZP-Tarifvertrag daher von Anfang an unwirksam war. Das entspricht der Regel, die schon immer im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert ist: Wenn einer der Vertragspartner geschäftsunfähig ist, dann sind die Verträge, die er – für sich oder als Vertreter für andere – geschlossen hat, von Anfang an nichtig und nicht etwa erst ab dem Zeitpunkt, in dem ein Arzt seine Geschäftsunfähigkeit feststellt (§ 105 BGB). Ein guter Glaube des Geschäftspartners an die Geschäftsfähigkeit des Kranken wird genauso wenig geschützt wie der gute Glaube von Arbeitgebern oder Arbeitnehmern an die Wirksamkeit eines Tarifvertrags (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2013, Aktenzeichen 5 AZR 776/12).

Beide Grundsätze sind im Geschäftsleben allgemein bekannt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Grundsätze auch dem Geschäftsführer H und dem Zeugen W bereits im streitigen Zeitraum bekannt waren. Diese Grundsätze wurden bereits vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert, erst recht innerhalb der Zeitarbeits-Branche. So kritisiert beispielsweise der Rechtsanwalt U den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 1. April 2009 zwar als "geradezu abenteuerlich". Dennoch musste auch er einräumen:

"Für die CGZP wird praktisch von Anfang an die Tariffähigkeit bestritten." Weiter heißt es: "Von erheblicher praktischer Bedeutung wird allerdings der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens sein. Sollte der CGZP die Tariffähigkeit abgesprochen werden, sind die von der CGZP geschlossenen Tarifverträge unwirksam und befreien nicht vom Schlechterstellungsverbot. Nach § 10 Abs. 4 AÜG können Leiharbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis in Anwendung von CGZP-Tarifverträgen durchgeführt wurde, vom Verleiher rückwirkend die unter Beachtung des Schlechterstellungsverbots geltenden (höheren) Arbeitsbedingungen verlangen. Auf der Grundlage dieser Arbeitsbedingungen berechnen sich die Beiträge zur Sozialversicherung."

Dieser Aufsatz wurde bereits am 19. August 2009 im weit verbreiteten online-Dienst "juris" veröffentlicht. Noch deutlicher und noch breiter zugänglich wurde die Nachzahlungspflicht von Sozialversicherungsbeiträgen dann kurz vor der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 diskutiert. So lautete beispielsweise die Überschrift in der Berliner Zeitung vom 14. Dezember 2010:

"Die 2-Milliarden-Euro-Frage – Heute fällt die Entscheidung, ob die christliche Gewerkschaft für Zeitarbeit tariffähig ist – Haben Tausende Leiharbeiter Anspruch auf eine satte Gehaltsnachzahlung? Und müssen Zeitarbeits-Unternehmen Sozialbeiträge in Milliardenhöhe nachzahlen?"

Der Zeuge W hat auf Vorhalt dieser Berichte dann auch eingeräumt:

Dass da was passiert beim Bundesarbeitsgericht, das war uns klar. Darum haben wir 2 Wochen später einen mehrgliedrigen Tarifvertrag gemacht, weil die Mängel, die vom Bundesarbeitsgericht angemahnt wurden, in dem neuen Tarifvertrag behoben werden mussten ...

Das war direkt nach dem Urteil des BAG. Wir sind sofort in Gespräche mit den Gewerkschaften gegangen und haben das Tarifvertragsmodell der aktuellen Rechtsprechung angepasst. Die Verhandlungen gingen, glaube ich, über den Jahreswechsel 2010/2011. Zu diesem Zeitpunkt war ich persönlich nicht an der Tarifkommission beteiligt. Man musste ja nach dem BAG-Urteil zackig reagieren, weil ein Großteil der Branche mit dem Rücken zur Wand stand.

Diese "zackige Reaktion" betraf nicht nur die Frage, wie die Arbeitsverträge in Zukunft gestaltet würden. Der Zeuge W hat auch sofort versucht, politisch Einfluss zu nehmen, um die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu verhindern. Das hat er bei seiner Vernehmung eingeräumt:

Wir glaubten seinerzeit, dass es eine politische Lösung zu dem Thema gibt. Es gab Zusagen aus der CDU und aus der FDP, dass man politisch Einfluss nimmt, damit die Rentenversicherung keine Beiträge nachfordert.

Frage: Das war direkt nach dem BAG-Urteil? J

a. Das hat ja das gesamte Thema begleitet. Das war permanent der Wortlaut von CDU und FDP, dass das nicht sein kann, dass jetzt Beiträge nachgezahlt werden müssen. Diese Zusicherungen kamen, weil ja auch zuvor aus der regierenden Politik uns immer wieder zugesichert worden war, dass der Tarifvertrag sicher ist.

Dieser Versuch der politischen Einflussnahme ist ein weiterer Beleg dafür, dass dem Zeuge W und damit auch der Klägerin die Nachzahlungspflicht für Sozialversicherungsbeiträge sehr deutlich bewusst war. Es wäre überhaupt nicht nötig gewesen, Politiker der damaligen Regierungsparteien zu beeinflussen, wenn die Möglichkeit einer Nachzahlungspflicht von Sozialversicherungsbeiträgen gar nicht im Raum gestanden hätte.

Auch dadurch wird also die Feststellung des Gerichts bestätigt, dass bei der Klägerin zumindest ein bedingter Vorsatz im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV innerhalb der regulären vierjährigen Verjährungsfrist bestand. Dadurch verlängerte sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre.

Der Beklagte war berechtigt, die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen. Die Voraussetzungen von § 28f Abs. 2 SGB IV waren erfüllt. Die Vorschrift hat zwei Voraussetzungen:

1. Der Arbeitgeber hat die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt.

2. Dadurch kann die Beitragshöhe nicht festgestellt werden.

Als Rechtsfolge ordnet das Gesetz in Satz 3 der Vorschrift an:

Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen.

Im vorliegenden Fall ist festzustellen:

Die Klägerin hat die gesetzliche Aufzeichnungspflicht für ihre Mitarbeiter nicht erfüllt. Die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, Entgeltunterlagen zu führen über die Höhe des tatsächlich geschuldeten Arbeitsentgelts auf der Grundlage des "equal pay". Tatsächlich hat die Klägerin diese Unterlagen nicht geführt.

Theoretisch hätte die Rentenversicherung im vorliegenden Verwaltungsverfahren sämtliche Betriebe anschreiben können, bei denen die Mitarbeiter der Klägerin in der Zeit von Dezember 2005 bis Dezember 2010 im Einsatz waren. Dies wäre jedoch mit einem unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand verbunden gewesen. Die Klägerin hat im streitigen Zeitraum 877 Mitarbeiter beschäftigt. Die Überlassung der Mitarbeiter erfolgte an etwa 300 Entleiher. Die Beklagte hätte daher in all den daraus erwachsenden Einzelfällen im Nachhinein ermitteln müssen, unter welchen Bedingungen die Mitarbeiter der Klägerin jeweils bei welchen Betrieb eingesetzt waren und welche Lohnansprüche dadurch entstanden sind. Im Verhältnis dazu hätten bei einer ordnungsgemäßen Aufzeichnung all diese Daten maschinell an die Beklagte übermittelt werden können. Die Beklagte hätte dann durch Stichproben überprüfen können, ob die Aufzeichnungen den Tatsachen entsprachen. Die Relation zwischen diesen beiden Arbeitsvorgängen ist aus Sicht des Gerichts bereits im Fall der Klägerin unverhältnismäßig groß.

Es kann daher offenbleiben, ob sich die Unverhältnismäßigkeit des Verwaltungsaufwands auch daraus ergeben kann, dass eine einheitliche Verfahrensweise von vielen Arbeitgebern im Ergebnis dazu führt, die Prüfungskapazität der Rentenversicherung langfristig allein für diesen Vorgang zu binden. Nach den – unbestrittenen – Angaben der Beklagten waren im Zusammenhang mit dem CGZP Tarifvertrag insgesamt 2.165.748 Beschäftigungsverhältnisse bei 3125 Arbeitgebern zu prüfen (Stand: 31. Mai 2014).

Im Übrigen entsprach das Vorgehen der Beklagten zur Ermittlung der Beitragshöhe genau den Forderungen, die der Bevollmächtigte der Klägerin gegenüber der Grundsatzabteilung der Beklagten aufgestellt hatte. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2014 selbst ausgeführt:

Als diese ganzen Verfahren los gingen, wurden meine Mandanten allesamt von der Deutschen Rentenversicherung gebeten, die Daten zum equal pay-Lohn für jeden einzelnen Mitarbeiter der streitigen Zeiträume zu liefern ... Meine Mandanten legten Wert darauf, ihre Kunden selbst anzusprechen. Das erschien uns der sanftere Weg. Wenn die Deutsche Rentenversicherung sich unmittelbar an die Kunden gewandt hatte, wären diese verschreckt worden. Sie hätten möglicherweise Sekundäransprüche befürchtet. Manche Prüfer der Deutschen Rentenversicherung haben tatsächlich die Kunden direkt angesprochen. Ich habe einen Mandanten, der dadurch 40 % seiner Kunden verloren hat. Ich habe dann auch Verbindung mit der Grundsatzabteilung der Deutschen Rentenversicherung aufgenommen und habe in dem Mandat, das ich damals betreut habe, darum gebeten, dass die Zahlen anerkannt werden, die mein Mandant selbst eruiert hatte durch seine schriftliche Anfrage und die Telefongespräche. Die Grundsatzabteilung war damit einverstanden und hat diese Verfahrensweise dann auch auf weitere Verfahren übernommen. Ich habe jedenfalls danach keine Schwierigkeiten mehr gehabt.

Vor diesem Hintergrund ist es für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass derselbe Rechtsanwalt nunmehr das von ihm gewünschte Vorgehen als rechtswidrig bezeichnet. Selbst wenn dieser Einwand tatsächlich berechtigt wäre - wovon die Kammer nicht ausgeht - wäre dieser Einwand nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang gilt das Verbot des "venire contra factum proprium" (Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten). Dieser Grundsatz gilt, wie die Klägerin in anderem Zusammenhang selbst ausgeführt hat, grundsätzlich auch im Sozialrecht. Er bindet aber nicht nur einseitig die Sozialbehörden. Vielmehr darf sich kein Beteiligter eines Verwaltungsverfahrens treuwidrig verhalten. Selbst wenn der Bevollmächtigte der Klägerin die Gespräche mit der Grundsatzabteilung im Rahmen eines anderweitigen Verfahrens geführt haben sollte, war doch bekannt, dass er die Interessen einer Vielzahl von Betroffenen vertrat, beispielsweise auch der Klägerin. Nur dieser Umstand verlieh seinerzeit seiner Stimme das Gewicht, das geeignet war, eine generelle Verfahrensweise mit der Grundsatzabteilung der Beklagten abzusprechen. Folglich müssen sich dadurch auch sämtliche Mandanten des Bevollmächtigten an dieser Vereinbarung festhalten lassen.

Es sind keine Anhaltspunkte erkennbar, dass die Schätzung im konkreten Fall der Klägerin fehlerhaft berechnet wurde. Der Mitarbeiter der Beklagten, Herr B, hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2014 - vom anwesenden Geschäftsführer der Klägerin unwidersprochen - unter anderem geschildert:

Die Berechnung erfolgte in enger Rücksprache mit Herrn H. Ich habe hier beispielsweise eine Mail von Herrn H mit 19 Anhängen. Er hat dort selbst Listen zusammengestellt mit den Ist-Werten der Entgelte der verschiedenen Entgeltgruppen in den einzelnen Niederlassungen.

Der rechtskundige Bevollmächtigte der Klägerin hat im Anschluss an diese Schilderung noch in der Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass auch von seiner Seite aus insoweit keine Fehler behauptet würden:

Die einzelnen Rechenschritte der Schätzung werden von uns nicht kritisiert.

Insofern war es für die Kammer nicht nachvollziehbar, dass derselbe Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2015 nunmehr doch die Rechenschritte der Schätzung kritisiert hat. Allerdings hat er diese Behauptung dann kurz darauf wieder zurückgenommen. Der Vorgang begann mit der folgenden Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin:

Ich behaupte, dass verbeitragte Zulagen, insbesondere Fahrtkosten und Verpflegungsmehraufwand sowie Zulagen für Sonntagsarbeit usw., nicht als Arbeitsentgeltbestandteile im Rahmen der equal-pay-Prüfung angerechnet worden sind.

Ich habe keine konkreten Unterlagen hier. Ich beziehe mich auf die Zeit Dezember 2005 bis Dezember 2009. Die Unterlagen dazu müssten entweder im Büro des Steuerberaters oder der Firma H liegen. Ich kann konkrete Unterlagen, aus denen sich die Differenz zwischen der Beitragsberücksichtigung durch die Beklagte und der tatsächlichen Beitragszahlung durch die Klägerin ergibt, innerhalb der nächsten 14 Tage beibringen. Die Unterlagen werden konkret bezeichnen, bei welchen Personen in welchem Zeitraum welche Berechnungsfehler durch die Beklagte erfolgt sind.

Der Beklagtenvertreter erklärt:

Ich habe selbst die Berechnung vorgenommen in enger Abstimmung mit dem Geschäftsführer der Klägerin. Bereits im Anhörungsverfahren sind die Berechnungsunterlagen, die zu dem Bescheid führen sollten, der Klägerin übergeben worden, um sich sachlich als auch rechnerisch einen Überblick zu verschaffen und ihr die Möglichkeit zu geben, ein Veto einzulegen. Die Anhörung ist vom 16. Januar 2012. Da kam insoweit keine Erwiderung. Im Widerspruch ist das vorgetragen worden. Tatsächlich ist es so, dass die bis dahin verbeitragten Lohnbestandteile als Berechnungsgrundlage dienten. Meines Erachtens trifft dieser Einwand daher nicht zu. Mich wundert, dass der Geschäftsführer bis heute nicht mit mir darüber geredet hat und dass nie konkret etwas gekommen ist.

Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt:

Ich kann nicht sagen, warum der Geschäftsführer der Klägerin heute nicht gekommen ist. Ich habe heute Morgen per Mail erfahren, dass er nicht kommt. Er hat gemeint, dass ich ja ausreichend mit der Sache vertraut sei.

Ich nehme meine Behauptung zurück.

Die Einwendungen gegen die Rechenschritte der Schätzung entbehrten folglich einer tatsächlichen Grundlage. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat diese Behauptung im Vorfeld der Urteilsberatung vielmehr lediglich ins Blaue hinein erhoben, wie die spätere "Rücknahme" dieser Behauptung zeigt. Die Behauptung widersprach allem bisherigen Vorbringen der Klägerin. Das Gericht hatte daher keinen Anlass, diesen Behauptungen weiter nachzugehen. Konkrete Fehler bei der Berechnung der Schätzung sind weder ersichtlich noch von der Klägerin nachvollziehbar behauptet worden.

Nur am Rande weist das Gericht darauf hin, dass das Gesetz der Klägerin jederzeit die Möglichkeit geboten hätte, etwaige Fehler bei der Schätzung auch außerhalb eines Gerichtsverfahrens zu korrigieren. Gemäß Satz 5 der Vorschrift steht es dem Arbeitgeber frei, die tatsächliche Höhe des Arbeitsentgelts nachzuweisen. Dann muss der Beitragsbescheid insoweit widerrufen werden. Die Klägerin hat aber bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gerade keine Nachweise eingereicht.

Für dieses Verhalten gibt es aus Sicht des Gerichts zwei Erklärungen, wobei jede dieser Möglichkeiten die Rechtmäßigkeit der Beitragsberechnung bestätigt:

Entweder enthielt das Ergebnis der Schätzung auch aus Sicht der Klägerin überhaupt keine rechtserheblichen Fehler, jedenfalls nicht zu ihren Lasten. Dann bestand auch kein Anlass für weitere Nachweise.

Oder der Nachweis ist auch aus Sicht der Klägerin mit einem so hohen Aufwand verbunden, dass er in keinem Verhältnis zu den möglichen Berechnungsfehlern steht. Damit wäre der Standpunkt des Beklagten bestätigt, dass eine Schätzung wegen des "unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwands" im vorliegenden Fall berechtigt war.

Ansonsten wäre nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwarten gewesen, dass die Klägerin den Nachweis der Beitragshöhe in jedem Einzelfall geführt hätte, um eine aus ihrer Sicht unberechtigte Forderung abzuwenden.

Gesetzliche Sonderregelungen für die Berechnung der Beitragsforderung bestehen nicht. Insbesondere handelt es sich bei dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt nicht um eine "Einmalzahlung" im Sinne von § 23a SGB IV. Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sind Zuwendungen, die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden. Im vorliegenden Fall war die Klägerin jedoch von Anfang an verpflichtet, den Mindestlohn nach dem "equal pay" für jeden Mitarbeiter sofort in jeden Monat zu zahlen, indem er fällig war. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Zahlungspflicht nicht erst entstanden, als das Bundesarbeitsgericht letztinstanzlich die Unwirksamkeit des CGZP-Tarifvertrags festgestellt hatte. Da der Tarifvertrag von Anfang an unwirksam war, bestand von Anfang an die Pflicht zu gesetzmäßiger Lohnzahlung und Entrichtung der entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache (§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 197a SGG).

Die Bestimmung des Streitwerts folgt aus der streitigen Beitragsforderung (§ 52 Abs. 3 S. 1 GKG).
Rechtskraft
Aus
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