S 1 VG 83/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 1 VG 83/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die der Kläger sich durch den angeblichen Alkoholkonsum seiner Mutter während seiner Schwangerschaft zugezogen haben will.

Mit einem Antrag vom 4. Februar 2014 trug der Kläger bei dem Beklagten vor, er leide unter einem fetalen Alkoholsyndrom (FAS) bzw. unter einer fetalen-Alkohol-Spektrum-Störung (FASD). Diese Erkrankung sei im Jahre 2012 bei ihm festgestellt worden. Das bei ihm vorliegende FASD sei auf den Alkoholkonsum seiner Mutter während seiner Schwangerschaft zurückzuführen. Insbesondere leide er unter:

• Sensibilitätsstörungen an den Händen und den Füßen • krampfartige Schmerzen im Rücken und in der Bauchdecke • Konzentrationsbeeinträchtigungen

Zum Beleg der Diagnose FASD legte der Kläger ein Gutachten von T vom 12.09.2012 vor. In dem Gutachten stellte der Sachverständige unter anderem die 4 wesentlichen Prüfkriterien für die Diagnosestellung vor:

1. Liegt bei dem Patienten ein Minderwuchs/Untergewicht vor?

2. Liegt eine kraniofaziale Dysmorphie bei dem Patienten im Sinne auffälliger/diskreter dysmorpher Stigmata im Gesicht vor?

3. Leidet der Patient an neuropsychiatrischen Störungen (strukturelle und funktionelle ZNS-Störung)?

4. Liegt ein Alkoholabusus der Mutter während der Schwangerschaft vor?

Für den Kläger selbst, beurteilte er diese Prüfkriterien so, dass möglicherweise im Kindesalter beim Kläger ein Minderwuchs vorgelegen habe (Nummer 1). Eine kraniofaziale Dysmorphie (Nummer 2) sei eindeutig nachweisbar. Beim Kläger liege eine schwere soziale Isolation vor, im Sinne des Gefühls des nicht akzeptiert werdens, besonders am Arbeitsplatz. Dies werde durch ein psychosomales Schmerzsyndrom begleitet. Die Kriterien zu Nummer 3 lägen deshalb vor. Die Mutter sei chronisch Alkoholkrank. Wahrscheinlich habe sie auch schon in der Schwangerschaft getrunken. Aus diesem Grund bejaht der Sachverständige auch die Voraussetzung zu Nummer 4.

Insgesamt läge deshalb beim Kläger ein FASD vor. Wegen des übrigen Inhalts des Sachverständigengutachtens von T vom 12.09.2012 wird auf Blatt 61 ff. der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Mit Bescheid vom 11.09.2014 lehnte der Beklagte eine Leistungsgewährung nach dem OEG ab. Der Kläger sei nicht Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden. Der Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft sei nicht rechtswidrig.

Mit seinem Widerspruch vom 21.09.2014 trug der Kläger vor, dass er während seiner Schwangerschaft der Mutter, massiv geschädigt worden sei. An einer Körperverletzung könne kein Zweifel bestehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Kriminelle Gewalt gegenüber dem Kläger sei nicht feststellbar. Die Einnahme von Drogen, Tabletten und Alkohol sei keine mit Strafe bedrohte kriminelle Gewalthandlung. Auch der parallele Begriff der "Beibringung von Gift" sei nicht einschlägig, da diese Handlung nicht mittels einer Gewalttat vollzogen worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 14.11.2014 erhobene Klage des Klägers. Mit der Klage begehrt er die Gewährung der Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG wegen der Gesundheitsbeeinträchtigungen, insbesondere in Form des FASD von dem er vorträgt, dass er diese Gesundheitsbeeinträchtigung durch den Alkoholkonsum der Mutter in seiner Schwangerschaft erlitten habe. Hierzu legte der Kläger eine Bescheinigung von I vom 07.08.2012 vor. In dieser Bescheinigung wird angegeben, dass die Mutter des Klägers unter einer Alkoholkrankheit gelitten habe. Weiter trägt er vor, dass das OEG eine Entschädigung für die Folgen jedweder Gewalt gegenüber einem Menschen vorsehe. Darin eingeschlossen sei auch die Schädigung des ungeborenen Lebens. Seine Mutter habe sich zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) Alkohol zugeführt und damit die Schädigung des Klägers billigend in Kauf gekommen. Das im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) niedergelegte Deliktsrecht gewähre in solchen Situationen einen Schadensersatzanspruch. Opfer einer Gewalttat könne nicht nur derjenige sein gegen den sich die Gewalt richtet, sondern auch derjenige der unter den Folgen der Gewalteinwirkung leide.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2014 zu verurteilen, ihm wegen der bei ihm wegen des Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft bestehenden gesundheitlichen Folgen, Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass bei der beschriebenen Tathandlung der Mutter jedenfalls eine feindselige Willensrichtung gegenüber dem Kläger gefehlt habe. Dieses Kriterium sei der Formulierung in § 1 OEG "vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff" immanent. Bei den vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs vorgetragenen andersweitigen Fallkonstellationen habe jedenfalls eine Gewalttat gegenüber der Mutter vorgelegen. Für diese Fälle habe das Bundessozialgericht (BSG) eine Versorgung für das werdende Kind im Mutterleib anerkannt. Eine Gewalttat gegen die Mutter trage der Kläger jedoch nicht vor. Nach der hier vorgetragenen Fallkonstellation solle die Mutter die Täterin sein. Ihr fehle es jedoch jedenfalls an der für den Tatbestand des § 1 OEG notwendigen feindseligen Willensrichtung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der älteren Geschwister des Klägers. Wegen der Aussagen der Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 26.05.2015, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vollständig verlesen wurden sind, verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie auf den Inhalt der Prozessakten, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger wird durch die angefochtene Entscheidung vom 11.09.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2014 nicht in seinen Rechten beschwert. Zu Recht hat der Beklagte es abgelehnt, dem Kläger Versorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG zu gewähren. Denn die Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach dem OEG liegen nicht vor. Es fehlt bereits an einem haftungsbegründenden Tatbestand im Sinne einer Gewalttat gemäß § 1 OEG sowohl in der Fallvariante des Abs. 1 als auch in der des Abs. 2 Nr. 1 OEG. Denn eine Gewalttat in diesem Sinne gegenüber der Mutter der Klägerin oder dem Kläger selbst ist nicht erweislich.

Wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG.

Eine Tathandlung wie sie § 1 OEG erfordert, ist im vorliegenden Fall nicht erweislich.

Eine Schädigung der Mutter durch einen Dritten, trägt der Kläger nicht vor und ist auch vom Kontext des Sachverhaltes nicht ersichtlich. Schon die vom Kläger vorgetragene Tathandlung ist jedoch nicht erweislich. Der Kläger trägt vor, dass seine Mutter während der Schwangerschaft mit ihm so viel Alkohol getrunken habe, dass er dadurch bereits im Mutterleib geschädigt worden sei und dadurch heute an einem FASD leide.

Der Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft mit dem Kläger ist nirgendwo belegt. Die Bescheinigung von I datiert vom 07.08.2012. Die Mutter des Klägers ist 1922 geboren und 1976 verstorben. Da der Kläger selbst am 18. Mai 1957 geboren wurde, muss die Schwangerschaft im Herbst/Winter/Frühjahr 1956 - 1957 stattgefunden habe. Für diesen konkreten Zeitraum macht die Bescheinigung von I keine Aussage. Belegt ist lediglich, dass die Klägerin alkoholkrank war. Ob sie auch während der Schwangerschaft mit dem Kläger Alkohol getrunken hat, ist dadurch nicht belegt.

Auch das Gutachten von T vom 12.09.2012 spekuliert an dieser Stelle. Die Mutter des Klägers sei alkoholkrank gewesen und habe deshalb wahrscheinlich schon in der Schwangerschaft getrunken. Diesbezüglich beruft sich der Sachverständige auf die Aussage der älteren Schwester des Klägers. Dabei handelt es sich um die vom Gericht vernommene Zeugin E. Die Zeugin war zum Zeitpunkt der Vernehmung am 26.05.2015 61 Jahre alt. Das bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Schwangerschaft der Mutter des Klägers 2 bis 3 Jahre alt gewesen sein muss. Das Erinnerungsvermögen so junger Kinder für derart konkrete Sachverhalte an denen sie selbst nicht unmittelbar beteiligt sind, ist nicht belastbar. So hat die Zeugin bei ihrer Vernehmung auch angegeben, dass sie sich an diese Zeit nicht erinnern könne. Sie vermute lediglich, aus den Erinnerungen die sie an ihre Jugendzeit habe, dass die Mutter getrunken habe.

Der ältere Bruder des Klägers war zum Zeitpunkt seiner Vernehmung am 26.05.2015 63 Jahre alt. Demnach war er zum Zeitpunkt der Schwangerschaft der Mutter mit dem Kläger ca. 5 bis 6 Jahre alt. Auch er hat angegeben, keine konkrete Erinnerung an diese Zeit zu haben. Im Weiteren fortschreiten seines Lebens habe er bemerkt, dass die Mutter getrunken habe. Ob die Mutter aber konkret auch während der Schwangerschaft mit dem Kläger Alkohol zu sich genommen habe, daran könne er sich nicht erinnern.

Darüber hinaus bestehen nicht unerhebliche Zweifel daran, ob der Kläger tatsächlich an einer alkoholinduzierten Gesundheitsbeeinträchtigung leidet, die möglicherweise durch einen möglichen Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft mit ihm entstanden ist. Das von T unter dem 12.09.2012 gefertigte Gutachten erscheint der Kammer in nicht unwesentlichen Punkten inplausibel. Das von T zur Diagnose angeführte Kriterium Nr. 1 ist auch nach dem Ergebnis seines Gutachtens nicht sicher belegt. Der Sachverständige selbst formuliert, dass möglicherweise ein Minderwuchs in der Kindheit des Klägers bestanden habe. Eine solche Möglichkeit ist jedoch alles andere als ein Beweis des Vorliegens dieser Tatsache. Die im Sachverständigengutachten beschriebenen Stigmata der Voraussetzung zu Nr. 2 der Diagnosestellung liegen nach dem Gutachten von T beim Kläger vor. Die zu Ziffer 3 angegebenen Gesundheitsbeeinträchtigungen erscheinen der Kammer unspezifisch. Die dort angegebenen Gesundheitsbeeinträchtigungen können nach den Erfahrungen der Kammer wie sie in einer Vielzahl von medizinisch geprägten Streitverfahren gewinnen konnte, eine vielfältige Ursache haben. Schließlich ist das Kriterium zu Ziffer 4 des Gutachtens nicht mehr als pure Spekulation. Der Alkoholkonsum der Mutter des Klägers während der Schwangerschaft mit ihm ist nicht bewiesen.

Selbst wenn aber ein Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft mit dem Kläger der ausreichend war um den Kläger zu schädigen, unterstellt wird, liegt gleichwohl keine Gewalttat im Sinne des § 1 OEG vor. Denn die hierfür notwendige feindselige Willensrichtung des Täters kann bei der Mutter des Klägers weder unterstellt werden, noch ist sie durch die zur Verfügung stehenden Mittel bewiesen worden.

Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 OEG können grundsätzlich nur lebende Menschen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt jedoch dann eine Entschädigung nach dem OEG auch für das werdende Kind im Mutterleib in Betracht, wenn eine Gewalttat gegen die Mutter Ursache der Schädigung war. So hat das BSG einen Fall entschieden, in dem die Mutter des Opfers durch eine Vergewaltigung mit Lues infiziert wurde. Diese Infektion führte zu Schäden beim ungeborenen Kind und auch Jahre später zu Gesundheitsbeeinträchtigungen des herangewachsenen Opfers (BSGE 20, 41). Auch hat das BSG eine Versorgung für das Kind, das aus einer Vergewaltigungstat entstanden ist gewährt, das durch die inzestuöse Beziehung zwischen Täter und Primäropfer (der Mutter) einen Gendefekt erlitten hatte (BSGE 89, 199 = BSG NJW 2002, 3123).

Beiden Fällen ist gleich, dass es jedenfalls eine Gewalttat gegen die Mutter in Form einer Vergewaltigung gegeben hatte, die gesundheitliche Folgen beim ungeborenen Kind verursacht hat. Eine solche Konstellation liegt im vorliegenden Entscheidungsfall nicht vor. Die Mutter ist nicht Opfer einer Gewalttat geworden. Der Vortrag des Klägers geht vielmehr in die Richtung, dass sie selbst handelte indem sie während der Schwangerschaft mit dem Kläger Alkohol zu sich nahm. Somit kommt in der vorliegenden Fallkonstellation nur die Annahme einer Gewalttat der Mutter gegen den Kläger in Form des werdenden Lebens in ihrem Mutterleib in Betracht. Eine solche Gewalttat der Mutter des Klägers ist nicht erweislich.

In ständiger Rechtsprechung hat das BSG einen "tätlichen Angriff" immer nur dann bejaht, wenn die Tat in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen eingewirkt hat (so zuletzt BSG Urteil vom 16.12.2014 B 9 V 1/13 R = SGB 2015, 683 ff. Rdnr. 19 mit weiteren Nachweisen insbesondere auf das "Stalking-Urteil" vom 07.04.2011, B 9 VG 2/10 R = BSG 108, 97). Von dieser ständigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen sieht die Kammer keine Veranlassung. Durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" hat der Gesetzgeber den schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt. Dem Wortsinn des "Angriffs" ist damit immanent die feindselige Willensrichtung des Täters gegen sein Opfer (vergleiche Dau, Juris PR – SozR 21/2015).

Der Verstoß gegen ein Strafgesetz indiziert dabei die Rechtsfeindlichkeit im Sinne einer feindseligen Willensrichtung (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VG 2/10 R = BSGE 108, 97 Rdnr. 52). Ein solcher Straftatbestand liegt in der vom Kläger vorgeworfenen Handlung der Mutter nicht vor. Denn Alkohol trinken in der Schwangerschaft ist nicht strafbar. Körperverletzungstatbestände gegenüber dem Fötus scheiden schon deshalb aus, weil strafrechltich die Leibesfrucht kein taugliches Schutzobjekt einer Körperverletzung im Sinne der §§ 223 ff. StGB sein kann (Eser in Schönke/Schröder StGB § 223 Rdnr. 1 B). Eine Strafbarkeit nach § 218 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht, da schon der Tatbestand eines Schwangerschaftsabbruches nicht gegeben ist.

Auch über die Erfüllung eines Straftatbestandes hinaus kann jedoch eine Gewalttat im Sinne des OEG vorliegen, wenn in der Tathandlung ein tätlicher Angriff liegt der in feindseliger Willensrichtung gegen das Opfer gerichtet war. Das ist in der vom Kläger vorgetragenen Fallkonstellation nicht gegeben.

Zwar lässt sich die Rechtswidrigkeit im Sinne eines deliktischen Handelns im Rahmen zivilrechtlicher Deliktsansprüche im Rahmen eines unterstellten "dolus eventualis" ableiten. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um eine "feindselige Willensrichtung" der Mutter des Klägers zu belegen. Der Lebenswandel einer Mutter als Ausdruck der Wahrnehmung ihrer eigenen Persönlichkeitsrechte lässt sich weder im Wege vorbeugender Unterlassungsansprüche kontrollieren (Hager in Staudinger BGB § 823 Rdnr. 49) noch können staatliche Eingriffe darauf gerichtet werden potentiell gefährdendes Handeln für das im Mutterleib werdende Leben zu unterbinden. Grundsätzlich kommt deshalb eine Entschädigung nach dem OEG für solches Handeln, zu dem auch der Konsum von Alkohol zu zählen ist, nicht in Betracht (so SG Magdeburg, Urteil vom 10.07.2015 S 14 VE 18/11; s. a. Schindler, FASD in der sozialrechtlichen Praxis, Informationsschrift der Drogenbeauftragten der Bundesregierung 1. Auflage September 2013 Seite 18 ff.).

Im Gleichklang mit der gesetzlichen Wertung aus § 218 StGB kommt deshalb eine Gewalttat im Sinne des § 1 OEG nur dann in Betracht wenn nachgewiesen werden kann, dass die werdende Mutter deshalb Alkohol getrunken hat, um das Kind in ihrem Leib zu töten (DIJuF Rechtsgutachten vom 04.05.2009, JAmt 2009, 252 ff.). Diese Voraussetzungen legt auch die Kammer ihrer Bewertung zugrunde. Das vorsätzliche Trinken von Alkohol, um das in ihr werdende Kind zu töten im Sinne einer feindseligen Willensrichtung gegen den Kläger, konnte auch durch die durchgeführte Beweisaufnahme nicht bewiesen werden.

Sowohl die Zeugin E, als die um 3 Jahre ältere Schwester des Klägers, als auch der Zeuge F, der um ca. 6 Jahre ältere Bruder des Klägers, haben angegeben, an die Zeit der Schwangerschaft der Mutter mit dem Kläger keine konkrete Erinnerung zu haben. Das ist für die Zeugin E, die zu dem Zeitpunkt der Schwangerschaft der Mutter noch keine 3 Jahre alt war, mehr als verständlich. Auch für den Zeugen F ist die Aussage, daran keine konkrete Erinnerung zu haben, glaubhaft und nachvollziehbar. Denn auch die Erinnerung eines 5 bis 6 jährigen Kindes an eine solche Situation an der der Zeuge nicht selbst beteiligt war, ist am Ende nicht belastbar.

Trotz der fehlenden konkreten Erinnerung bekundete die Zeugin E, dass sie sich vorstellen könne, dass die Mutter Alkohol trank um den Kläger zu schädigen. Diese Bekundung erscheint der Kammer zum einen mit der gegebenen Begründung als unlogisch und inplausibel zum anderen als bloße Spekulation.

Die Zeugin E beschreibt die Mutter zu Beginn ihrer Aussage als in ihren Lebenswünschen gescheiterte Frau, die mit den ihr gestellten Aufgaben überfordert war. Diese Einschätzung konnte die Zeugin nicht schon als 2 oder 3 jähriges Kind gewonnen haben, sondern ist das Ergebnis der im eigenen Heranwachsen erlebten Begebenheiten mit der eigenen Mutter. Nur aus dieser Einschätzung heraus vermutet die Zeugin sowohl den Alkoholkonsum vielleicht auch schon während der Schwangerschaft und eine möglichen Schädigungsabsicht die sie aber damit begründet, dass der Kläger nach seiner Geburt im Gegensatz zu den übrigen Geschwistern "immer ärger" gemacht habe. Er sei immer krank gewesen und habe oft Schwierigkeiten gemacht. Auch sei die Mutter mit der Bewirtschaftung des Bauernhofes überfordert gewesen. Zusätzlich sei der Vater schwer erkrankt und auch nach – allerdings nicht unmittelbar – der Geburt des Klägers verstorben. Diese Überlastungssituationen der Mutter sind nach dem Bekunden der Zeugin erst nach der Geburt des Klägers entstanden. Weder für den Alkoholkonsum selbst noch für eine schädigende Absicht während der Schwangerschaft können sie deshalb der Grund gewesen sein. Letztlich bleibt diese Einschätzung im Kontext der übrigen Aussage der Zeugin reine Spekulation.

Eindeutiger lässt sich zu diesem Punkt der Zeuge F ein. Er schließt in seiner Aussage kategorisch aus, dass die Mutter getrunken habe um den Kläger zu schädigen. Kennzeichnend seiner Aussage ist auch, dass er wenig bis gar nicht über die Motivation der Mutter spekuliert. Der Zeuge gibt lediglich die seinem Alter in der fraglichen Situation entsprechend spärlichen von ihm wahrgenommenen Tatsachen wieder und bewertet sie nicht.

Andere Beweismittel für ein zielgerichtetes, schädigendes Verhalten der Mutter gegenüber dem Kläger sind nicht ersichtlich und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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