S 8 AS 53/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 53/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Rücknahme der Leistungsbewilligung wegen unvollständigen Angaben zur Haushaltsgemeinschaft
I. Der Bescheid des Beklagten vom 9. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2014 wird aufgehoben, soweit eine Überzahlung von mehr als 1.143,42 EUR zu erstatten ist.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat 60 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 1. März 2011 bis 31. August 2014.

Die im Mai 1949 geborene Klägerin stand bis Ende August 2014 im laufenden Leistungsbezug beim beklagten Jobcenter. Bis Anfang 2011 lebten sie und ihre Mutter, die (ergänzend) Sozialhilfe erhält, in einer Wohnung. Der 1983 geborene Sohn der Klägerin, der Zeuge, erhielt vom Beklagten von März bis Ende Dezember 2011 ebenfalls laufende Leistungen zum Lebensunterhalt, jedoch ohne Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung.

Der Klägerin wurden für den Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. August 2014 durchgehend Leistungen für den Regelbedarf und für die hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung vom Beklagten bewilligt. In den zugrunde liegenden Weiterbewilligungsanträgen, der erste datiert vom 1. Februar 2011, gab die Klägerin jeweils an, dass keine Änderung gegenüber dem vorherigen Antrag betreffend die Bedarfsgemeinschaft oder die Wohnverhältnisse eingetreten sei. Zuletzt im Weiterbewilligungsantrag vom 16. Januar 2014 notierte sie, dass eine andere Person in ihrem Haushalt lebe.

Mitte August 2014 erfuhr der Beklagte vom städtischen Sozialamt, der Sohn der Klägerin sei seit 17. März 2011 ebenfalls in der Wohnung der Klägerin gemeldet. Seit Juli 2013 solle er allerdings nicht mehr dort, sondern in Russland leben. Eine Meldeauskunft bestätigte, dass der Sohn seit 17. März 2011 unter derselben Adresse wie die Klägerin gemeldet war.

Nach Anhörung der Klägerin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 9. September 2014 die Entscheidungen vom 9. Februar, 26. März, 5 Mai, 29. Juni, 16 November, 14. Dezember 2011, 3. Februar, 2. August, 24 November und 11. Dezember 2012, 25 Januar, 1. Februar, 20. Februar, 7 Mai, 29. Juli, 4. September und 23. November 2013 und vom 6. Februar 2014 vom 1. März 2011 bis 31. August 2014 teilweise in Höhe von 2.788,26 EUR zurück und forderte die Erstattung der Überzahlung. Neben der Mutter der Klägerin habe auch deren Sohn in ihrem Haushalt gelebt. Während des gesamten Leistungszeitraums habe sie die Hälfte der Gesamtmiete erhalten, obwohl ihr nur ein Drittel zugestanden habe. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil sie in den Weiterbewilligungsanträgen zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht habe.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2014 zurückgewiesen.

Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 14. Januar 2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Die Wohnung sei bis Juli 2013 tatsächlich von drei Personen bewohnt worden, nämlich auch vom Zeugen. Dieser habe jedoch keine Unterkunftskosten erhalten, sondern nur die Regelleistung. Die Klägerin ging daher davon aus, dass der Beklagte wusste, was er tat. Ihr sei keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Auch komme es nicht auf die Meldedaten an, sondern die tatsächliche Situation.

Der Beklagte hat seine angefochtene Entscheidung verteidigt und ergänzt, der Zeuge habe ein Einbürgerungsverfahren betrieben. Dafür müsse er sich tatsächlich im Inland aufhalten. Deswegen sei davon auszugehen, dass die Angaben beim Einwohnermeldeamt den tatsächlichen Verhältnissen entsprächen.

In der mündlichen Verhandlung am 31. Juli 2015 ist der Sohn der Klägerin als Zeuge vernommen worden. Er hat für den streitigen Zeitraum einen zwischen der Wohnung der Klägerin und anderen Orten wechselnden Aufenthalt angegeben und bestätigt, bis Ende 2011 Arbeitslosengeld II in Form der Regelleistung vom Beklagten bezogen zu haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 31. Juli 2015 verwiesen.

Eine vergleichsweise Regelung zwischen den Beteiligten ist nicht zustande gekommen.

Für die Klägerin wird beantragt:

Der Bescheid des Beklagten vom 9. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Dezember 2014 wird aufgehoben.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache zum Teil Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 9. September 2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 16. Dezember 2014 wird aufgehoben, soweit eine Erstattung von mehr als 1.143,42 EUR gefordert wird. Hinsichtlich des über 1.143,42 EUR hinausgehenden Betrages ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber der Klägerin für den Zeitraum 1. März 2011 bis 31. August 2014 ist § 40 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) und § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Die Rückforderung kann sodann auf § 40 SGB II, § 50 SGB X gestützt werden.

Die formellen Anforderungen dieser Regelungen sind eingehalten. Insbesondere hat der Beklagte die Klägerin angehört. Die Angabe in der Anhörung, es stünden ihr (nur) zwei Drittel der Unterkunftskosten zu, war als offensichtlicher Schreibfehler zu erkennen. Spätestens im Widerspruchsverfahren konnte sich die Klägerin außerdem mit der Berücksichtigung von lediglich einem Drittel auseinandersetzen, was sie auch getan hat.

Der Beklagte hat die Jahresfrist für die Rücknahme nach § 40 Abs. 1 SGB II, § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X gewahrt.

Allerdings ist die Leistungsbewilligung im streitgegenständlichen Zeitraum nur teilweise zu Unrecht erfolgt, nämlich vom 1. März 2011 bis 31. Januar 2013, vom 1. April bis 30. Juni 2013 sowie vom 1. März bis 30. April 2014. Lediglich in dieser Zeit ist für das Gericht nachgewiesen, dass neben ihrer Mutter auch der Sohn der Klägerin in der Wohnung gelebt hat. Für die eben genannten Zeiträume hat der Sohn bei seiner Zeugenvernehmung angegeben, in der Wohnung mit seiner Mutter und Großmutter gelebt zu haben. Für die anderen Zeiträume hat er anderweitige Aufenthalte, überwiegend in Russland, genannt. Das Gericht sieht keinen Anlass, an den Angaben des Zeugen zu zweifeln. Er hat für den größten Teil des streitigen Zeitraums von 42 Monaten einen Aufenthalt in der Wohnung der Klägerin angegeben und damit das Klagebegehren seiner Mutter nicht vollumfänglich gestützt. Auch wenn der Zeuge zuletzt Probleme seiner Mutter mit seinem Aufenthalt genannt hat, führt dies nicht zu der Annahme, dass er seiner Mutter mit der Aussage schaden wollte. Zugleich ist auch nicht davon auszugehen, er habe ihr zu Gefallen ausgesagt. Im Gegenteil hat er sich mit Blick auf sein Einbürgerungsverfahren sogar eher geschadet, soweit dort ein durchgehender Aufenthalt im Inland gefordert wird. Unerheblich ist ferner, dass der Zeuge eine schriftliche Aufstellung mitgebracht hat. Zur Gedächtnisstütze war dies sicherlich sinnvoll, da der interessierende Zeitraum einige Jahre zurückreicht. Auch hat der Zeuge seine Aussage gemacht, ohne seine Aufzeichnungen einsehen zu können. Mit der Zeit, für die der Zeuge angibt, für eine Baufirma in Russland gearbeitet zu haben und viel gereist zu sein, lassen sich außerdem die vielen Ein- und Ausreisevermerke in seinem Pass gut vereinbaren. Angesichts dessen besteht für das Gericht kein Anlass, der Aussage des Zeugen nicht zu folgen.

Was das Jahr 2011 anbelangt, nimmt das Gericht außerdem ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin an, das einer Rücknahme entgegensteht. Die Klägerin hat den Aufenthalt ihres Sohnes im Jahr 2011 allenfalls fahrlässig nicht dem Beklagten mitgeteilt. Für das Gericht ist es nachvollziehbar, dass sie davon ausging, dies sei nicht erforderlich. Denn ihr Sohn erhielt ab seinem Einzug im März 2011 bis 31. Dezember 2011 laufende Leistungen zum Lebensunterhalt vom beklagten Jobcenter. Dabei wurden ihm keine Unterkunftskosten gewährt. Damit konnte die Klägerin annehmen, dies erfolge nicht, weil die Unterkunftskosten ja bereits für sie und ihre Mutter getragen werden. Zudem musste der Zeuge tatsächlich auch keine Unterkunftskosten leisten oder sich irgendwie daran beteiligen. Somit ergibt sich in der Abwägung für das Jahr 2011 schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin.

Für die Zeiten ab 1. Januar 2012 gilt das nicht mehr. Hier hat es die Klägerin bei ihren Weiterbewilligungsanträgen zumindest grob fahrlässig versäumt anzugeben, dass ihr Sohn weiter bei ihr wohnt. Dieser hat - anders als zuvor - ab 2012 auch keine Leistungen zum Lebensunterhalt oder Wohngeld erhalten.

Die Voraussetzungen einer teilweisen Rücknahme nach § 40 SGB II, § 45 SGB X liegen demnach lediglich für folgende Zeiträume vor: 1. Januar 2012 bis 31. Januar 2013, 1. April bis 30. Juni 2013 und 1. März bis 30. April 2014.

Für diese Zeiträume ergibt sich auf der Grundlage der Berechnungen im Bescheid vom 9. September 2014 eine nach § 40 SGB II, § 50 SGB X zu erstattende Überzahlung von 1.143,42 EUR.

Nur in dieser Höhe hat der angefochtene Bescheid Bestand.

Darüber hinaus hat die Klage Erfolg und der Bescheid ist insoweit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Den Umfang des klägerischen Obsiegens bemisst das Gericht mit rund 60% und hält eine Kostenerstattung durch den Beklagten in dieser Höhe für angemessen.
Rechtskraft
Aus
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