S 26 AS 4513/15 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AS 4513/15 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die voraussichtliche Inanspruchnahme ergänzender Sozialhilfe im Falle des Bezugs einer Altersrente
führt nicht zur Ermessensfehlerhaftigkeit einer Aufforderung des Trägers der Grundsicherungsleistungen
nach dem SGB II zur Stellung eines Antrags auf Altersrente (Anschluss an BSG, Urteil vom 19.8.2015 –
B 14 AS 1/15 R).

Die Aufforderung zur Stellung eines Antrags auf Altersrente ist nicht deshalb unbestimmt im Sinne von
§ 33 Abs. 1 SGB X, weil sie keine Verpflichtung enthält, die Rente ab einem konkreten Zeitpunkt zu beantragen.
1. Der Antrag wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die am x.xx.1952 geborene Antragstellerin wendet sich gegen die Aufforderung des Antragsgegners zur Beantragung einer Altersrente.

Die seit längerem arbeitslose Antragstellerin steht im fortlaufenden Leistungsbezug des Antragsgegners, der Träger der Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – SGB II – ist. Die Antragstellerin geht einer geringfügigen Beschäftigung beim Verein für Arbeitsförderung e.V. in F. (Lkr. Z.) und erzielt dabei seit dem 1.1.2015 regelmäßig ein Arbeitsentgelt von 102,00 EUR.

Mit Bewilligungsbescheid vom 7.10.2014 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für den Zeitraum von November 2014 bis Oktober 2015 Leistungen in Höhe von 666,09 EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 20.1.2015 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Monate Februar bis Oktober 2015 monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 672,49 EUR.

Anfang des Jahres 2015 ließ sich der Antragsgegner zur Prüfung etwaiger vorrangiger Rentenansprüche der Antragstellerin eine Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland, des gesetzlichen Rentenversicherungsträgers der Antragstellerin, vom 8.10.2013 vorlegen. Hier war die Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente für langjährig Versicherte mit frühestem Rentenbeginn ab dem 1.12.2015 aufgezeigt. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass die Inanspruchnahme dieser Rente im Vergleich zu einem Rentenbeginn ohne Abschläge am 1.6.2018 zu einer Minderung des Rentenanspruchs um 9,0 % führen würde. Die zu erwartende Rentenhöhe im Falle einer ungekürzten Rente läge voraussichtlich in einem Bereich zwischen ca. 743,00 EUR und 800,00 EUR. Die Regelaltersgrenze erreiche die Antragstellerin am 4.5.2018.

Die Betriebskostenabrechnung für die Wohnung der Antragstellerin vom 19.6.2015 wies für das Jahr 2014 ein Guthaben auf, so dass die Vermieterin der Antragstellerin deren Nebenkostenvorauszahlungen ab dem 1.8.2015 um 17,00 EUR reduzierte.

Am 12.10.2015 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Weiterbewilligung der Leistungen über den 31.10.2015 hinaus. Mit Bescheid vom 21.10.2015 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Zeit vom 1.11.2015 bis 31.1.2016 vorläufige Leistungen in Höhe von monatlich 655,49 EUR.

Mit Bescheid vom 21.10.2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, einen Antrag auf Altersrente bei ihrem zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen. Hierzu sei die Antragstellerin ab Vollendung ihres 63. Lebensjahres auch dann verpflichtet, wenn sie wegen deren vorzeitiger Inanspruchnahme Abschläge hinnehmen müsse. Bei der Altersrente handele es sich um eine vorrangig in Anspruch zu nehmende Sozialleistung. Im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensprüfung seien keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Ausnahmen seien insbesondere:

•der Bezug von Arbeitslosengeld in Verbindung mit aufstockenden Arbeitslosengeld II-Leistungen •der Anspruch auf Bezug einer abschlagsfreien Altersrente innerhalb der nächsten drei Monate •die Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Bruttoeinkommen mindestens 450,01 EUR) oder eine gleichwertige Tätigkeit mit mindestens 450,01 EUR Einkommen •die Aufnahme einer nicht nur vorübergehenden sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit innerhalb der nächsten 3 Monate durch Vorlage eines Arbeitsvertrages

Derartige Besonderheiten bestünden bei der Antragstellerin nicht. Auch andere Gründe, die eine Ausnahme von der Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlägen rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Eine Prognose, die Antragstellerin in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vermitteln zu können, sei aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktlage und dem Umstand, dass die Antragstellerin bereits seit längerem nicht mehr sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei, negativ. Der Antragsgegner sei gehalten, seine Mittel wirtschaftlich und sparsam einzusetzen. Die Antragstellerin sei verpflichtet, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu verringern. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sei man zur Entscheidung gekommen, die Antragstellerin zur Beantragung der Altersrente aufzufordern. Sofern die Antragstellerin ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkomme, könne der Antragsgegner den Antrag ersatzweise stellen.

Unter Verwendung eines vorformulierten Antwortvordrucks des Antragsgegners legte die Antragstellerin unter dem 20.11.2015 Widerspruch gegen diese Verfügung ein. Sie führte im Wesentlichen aus: Ihr sei erst nach Rücksprache mit dem Rentenversicherungsträger bekannt geworden, dass ihre Hilfebedürftigkeit durch Inanspruchnahme dieser Rente nicht beendet, sondern im Gegenteil noch verstärkt werde, da ihr so noch weniger Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden.

Am 30.11.2015 hat die Antragstellerin einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Chemnitz beantragt. Sie wendet sich gegen eine vorzeitige "Zwangsverrentung" mit 63 Jahren.

Die Antragstellerin beantragt in sachdienlicher Fassung,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 20.11.2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21.10.2015 über die Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er verteidigt die angefochtene Verfügung unter Darlegung im Einzelnen. Nach § 12a Satz 1 i.V.m. Satz 2 SGB II seien Leistungsberechtigte nach Vollendung des 63. Lebensjahrs bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente auch unter Inkaufnahme von Abschlägen in Anspruch zu nehmen. Nach der eingeholten Rentenauskunft könne die Antragstellerin, die am 5.11.2015 das 63. Lebensjahr vollendet habe, eine Altersrente mit Abschlägen frühestens ab dem 1.12.2015 beziehen. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Ermessenserwägungen seien mitgeteilt worden.

Auf Anforderung der Kammer hat die Antragstellerin eine als Kurzauskunft bezeichnete weitere Rentenauskunft ihres Rentenversicherungsträgers vom 12.11.2015 vorgelegt. Die Höhe der der Antragstellerin bei einem Rentenbeginn am 1.12.2015 zustehenden Altersrente für langjährig Versicherte ist dort mit 710,85 EUR angegeben. Die Rentenminderung von 9,00 % für die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente liegt diesem Betrag bereits zugrunde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird diese Kurzauskunft Bezug genommen.

Im Übrigen wird wegen der näheren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

II.

Der zulässige Antrag nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ist unbegründet.

Dem Antrag fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Eine Erledigung des Bescheides vom 21.10.2015 ist nicht bereits deshalb eingetreten, weil die der Antragstellerin gesetzte Frist zur Stellung ihres Rentenantrags bereits abgelaufen ist, ohne dass diese – offensichtlich – den von ihr geforderten Rentenantrag gestellt hätte. Der Zweck der Aufforderung ist nicht schon dadurch entfallen, dass sich die früheste Möglichkeit der Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte nicht realisieren ließ. Auch für die Monate danach besteht das Interesse des Antragsgegners fort, die Antragstellerin zu einer Rentenantragstellung zu bewegen, um dadurch den Leistungsbezug nach dem SGB II (vgl. 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II) vorzeitig und nicht erst zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 4.5.2018 zu beenden (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m § 7a SGB II). Dementsprechend blieb und bleibt die Antragstellerin über das Fristende am 22.11.2015 hinaus verpflichtet, der Aufforderung zur Rentenantragstellung nachzukommen. Der eingetretene Fristablauf berechtigt den Antragsgegner darüber hinaus, nunmehr selbst für die Antragstellerin den Rentenantrag zu stellen (vgl. § 5 Abs. 3 SGB II).

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – können die Gerichte auf Antrag in den Fällen, in denen wie hier der Widerspruch gegen die Aufforderung zur Stellung eines Rentenantrags nach § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates oder persönliches Aussetzungsinteresse), das öffentliche Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Dies ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren summarisch zu prüfen und dabei der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten zu ermitteln, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist. Die danach nötige Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Nur im Einzelfall können darüber hinaus besondere Umstände eine Abwägung nach anderen für und gegen die sofortige Vollziehbarkeit sprechenden Kriterien erforderlich machen. Dazu gehören insbesondere das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall, der Umfang der drohenden Rechtsbeeinträchtigung und die Folgen, die der Sofortvollzug eines rechtswidrigen Bescheides einerseits und das Aussetzen des Sofortvollzugs eines rechtmäßigen Bescheides andererseits mit sich bringen würde. Je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso gewichtiger müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände sein.

Daran gemessen unterliegt die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Aufforderung keinen ernstlichen Zweifeln, so dass schon deshalb das persönliche Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse nachrangig ist. Besondere Umstände, die trotz fehlender ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Aufforderung, für eine Aussetzung der sofortigen Vollziehung sprechen, liegen nicht vor.

Die angefochtene Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente stützt sich auf § 12a i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Nach § 12a SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. In Bezug auf die Beantragung einer Altersrente besteht die Verpflichtung erst ab Vollendung des 63. Lebensjahres. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II kann der Leistungsträger den erforderlichen Antrag selbst stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, wenn der Leistungsberechtigte trotz Aufforderung den Antrag nicht selbst stellt.

Die aus diesen Vorschriften im Zusammenhang mit dem Regelungsgefüge des SGB II und der Regelungskonzeption des Gesetzgebers sich ergebenden Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Aufforderung zur Rentenantragstellung erfüllt die streitbefangene Aufforderung.

Die Aufforderung zur Beantragung ist zunächst nicht deshalb rechtswidrig, weil sie keine Verpflichtung enthält, die Rente ab einem konkret bestimmten Zeitpunkt zu beantragen. Die Anordnung vom 21.10.2015 ist deshalb nicht unbestimmt im Sinne der Anforderungen des § 33 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X. Das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 SGB X (als eigentlich materieller Belang) bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsakts. Es verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Zur Erfüllung der genannten Voraussetzungen genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt eines Bescheids einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann. Ausreichende Klarheit besteht selbst dann, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 2/13 R und BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 6/12 R).

Hier konnte die Antragstellerin dem Bescheid insbesondere im Zusammenhang mit der ihr ebenfalls vorliegenden Rentenauskunft vom 8.10.2013 entnehmen, dass es dem Antragsgegner um eine Beantragung der Altersrente möglichst bereits ab dem in der Rentenauskunft benannten Zeitpunkt des frühesten Rentenbeginns am 1.12.2015 ging. Wenn daher der Antragsgegner mit Fristsetzung zum 25.11.2015 zur Rentenantragstellung auffordert, wird hieraus hinreichend klar, dass der Antragstellerin damit aufgegeben wurde, mit ihrer Antragstellung möglichst schon den Rentenbeginn ab dem 1.12.2015 bzw. den jeweils nächst möglichen Rentenbeginn zu nutzen, falls sich aus irgendwelchen Gründen die Rentenantragstellung verzögern sollte.

Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Aufforderung zur Beantragung einer Altersrente hat das Bundessozialgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 19.8.2015 – B 14 AS 1/15 R – wie folgt ausgeführt:

" § 12a iVm § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II ermächtigen SGB II-Leistungsträger, Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente aufzufordern. Diese Vorschriften sind Teil eines größeren Regelungszusammenhangs. In diesem ist erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II (diese und alle weiteren Vorschriften des SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung aufgrund der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850), wer - neben anderen Voraussetzungen - hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Hieran knüpft die Vorschrift des § 12a SGB II über vorrangige Leistungen an. Danach sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist (Satz 1). Hiervon abweichend sind sie nicht verpflichtet, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen (Satz 2 Nr. 1). Nach Vollendung des 63. Lebensjahres gehört indes zu den vorrangigen Leistungen grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge für jeden Kalendermonat einer vorzeitigen Inanspruchnahme (niedrigerer Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die gesamte Rentenbezugsdauer aufgrund § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI). Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf vorrangige Leistungen eines anderen Trägers nicht, können nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II die Leistungsträger nach dem SGB II den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Eine vergleichbare Ermächtigung enthielt bereits § 91a Bundessozialhilfegesetz, dem im geltenden Sozialhilferecht § 95 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entspricht.

Mit diesen Vorschriften setzt der Gesetzgeber nach seiner Regelungskonzeption den normativen Grundsatz des Nachrangs existenzsichernder Leistungen um. Diesen in § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und § 3 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB II noch allgemein zum Ausdruck gebrachten Nachrang konkretisieren § 12a und § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II zur Ermächtigung des Leistungsträgers, selbst anstelle des Leistungsberechtigten Anträge auf vorrangige Leistungen bei einem anderen Träger zu stellen, wenn der Leistungsberechtigte entgegen seiner Verpflichtung und trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag nicht stellt. Mit § 5 Abs. 3 SGB II "sollen das Realisieren von Ansprüchen gegen andere Träger und der Nachrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sichergestellt werden" (so BT-Drucks 15/1516, S 51 f). § 12a SGB II "stellt" in Satz 1 zur in den §§ 5, 7 und 9 SGB II vorausgesetzten Pflicht zur Inanspruchnahme einer vorrangigen Sozialleistung "klar", dass hierzu nur verpflichtet ist, wer dadurch die Hilfebedürftigkeit beseitigen, vermeiden, verringern oder verkürzen kann (BT-Drucks 16/7460, S 12); Satz 2 Nr. 1 schränkt diese Verpflichtung für den Fall der Altersrente dahin ein, dass eine vorzeitige Altersrente frühestens mit Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werden muss. "Damit wird einheitlich für alle Hilfebedürftigen ein Alter festgelegt, ab dem sie eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen haben" (so BT-Drucks 16/7460, S 12; zum Regelungsgegenstand und Schutzzweck des § 12a Satz 2 SGB II - Absehen von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Renteninanspruchnahme zur Abmilderung von Rentenabschlägen - vgl. bereits BSG Urteil vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 30 RdNr. 31 f). Die Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 SGB II zur Bestimmung von Ausnahmen von dieser Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente soll das Regel-Ausnahme-Verhältnis dadurch verdeutlichen, dass die Verordnung lediglich eng umgrenzte Fälle bestimmen soll, in denen die Verpflichtung, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, unbillig wäre (so BT-Drucks 16/7460, S 12). § 39 Nr. 3 SGB II nimmt die "zentrale Verpflichtung", die Hilfebedürftigkeit auch durch die Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen zu verringern oder zu beenden, zum Anlass, die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird, vorzusehen, "damit Hilfebedürftige nicht endgültig durch die Einlegung von Rechtsmitteln für die Dauer des Verwaltungs- und Klageverfahrens die Inanspruchnahme der vorrangigen Leistung vereiteln" (so BT-Drucks 16/10810, S 50).

Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Aufforderung sind die Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II, eine vorrangige Leistung zu beantragen und in Anspruch zu nehmen, und die fehlerfreie Ermessensentscheidung des Leistungsträgers nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II, den Leistungsberechtigten zur Antragstellung aufzufordern. Als Voraussetzung für eine Verpflichtung nach § 12a SGB II ist zunächst zu prüfen, ob die Inanspruchnahme von Sozialleistungen eines anderen Trägers zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist und ob hierfür eine Antragstellung erforderlich ist. Erforderlich in diesem Sinne ist jede Inanspruchnahme, die Hilfebedürftigkeit vermeidet, also nicht eintreten lässt, beseitigt, also eine bestehende Hilfebedürftigkeit beendet bzw. wegfallen lässt, verkürzt, also die Dauer begrenzt, oder vermindert, also die Höhe verringert. Jeweils geht es mit der Beeinflussung der Hilfebedürftigkeit um eine Beeinflussung des nachrangigen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II durch die Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen eines anderen Trägers. Die Erforderlichkeit einer Antragstellung für diese Leistungen bestimmt sich nach dem für sie geltenden Recht. Bei einer Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ist zusätzlich zu prüfen, ob die Anwendbarkeit von § 12a SGB II ausnahmsweise ausgeschlossen ist und ob die nach § 12a SGB II den Regelfall bildende Verpflichtung zur Antragstellung und Inanspruchnahme iS des § 13 Abs. 2 SGB II ausnahmsweise zur Vermeidung von Unbilligkeiten nicht besteht. Einer Anwendbarkeit von § 12a SGB II kann die sog 58er-Regelung entgegenstehen (§ 65 Abs. 4 Satz 3 SGB II iVm § 428 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)). Diese schützt den von ihr erfassten Personenkreis vor der Verpflichtung zur Inanspruchnahme von vorzeitigen Altersrenten mit Abschlägen (vgl. Radüge in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 65 RdNr. 16, 20). Eine weitergehende, von der 58er-Regelung unabhängige Ausnahme von der Verpflichtung nach § 12a SGB II dahin, dass diese das Fehlschlagen von Bemühungen um eine Eingliederung des Leistungsberechtigten in Arbeit voraussetzt, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.5.2015 - L 15 AS 85/15 B ER - juris RdNr. 23, 27; aA Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, K § 5 RdNr. 158, Stand Oktober 2014). § 12a SGB II liegt vielmehr die Typisierung zugrunde, dass die erwerbsbiographische Lebensphase des Leistungsberechtigten, der nach Vollendung des 63. Lebensjahres Anspruch auf eine vorzeitige Altersrente hat, abgeschlossen ist (zu dieser Typisierung vgl. Siebel-Huffmann, Stellungnahme in Sachverständigenanhörung zum Antrag der Fraktion DIE LINKE in BT-Drucks 18/589, Ausschussdrucks 18(11)263, S 25, 26 f).

Die Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen Leistungsberechtigte gleichwohl zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht verpflichtet sind, regelt die UnbilligkeitsV vom 14.4.2008 (BGBl I 734) abschließend (so auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 4.12.2014 - L 7 AS 1775/14 - juris RdNr. 28; Adolph in ders, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 13 SGB II RdNr. 23, Stand Mai 2011; Hohm/Klaus in GK-SGB II, § 13 RdNr. 32, Stand Oktober 2008; aA Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 12a RdNr. 6; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 13 RdNr. 397, Stand Juni 2015). Dies ergibt sich sowohl aus dem systematischen Zusammenhang als auch aus der Entstehungsgeschichte von Verordnungsermächtigung und Verordnung. Nach § 1 UnbilligkeitsV sind Hilfebedürftige nach Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre. Dieser "Grundsatz" enthält nicht selbst eine Regelung zur Unbilligkeit, sondern knüpft an die Verordnungsermächtigung in § 13 Abs. 2 SGB II an. Das, was in § 13 Abs. 2 SGB II iS des Art 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) als Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung bestimmt ist, stellt § 1 UnbilligkeitsV in der Formulierung eines Grundsatzes den einzelnen Unbilligkeitstatbeständen in §§ 2 bis 5 UnbilligkeitsV voran. Diese bestimmen iS des § 13 Abs. 2 SGB II, unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer zur Vermeidung von Unbilligkeiten keine Verpflichtung zur Rentenantragstellung besteht. Entsprechend schließen die §§ 2 bis 5 UnbilligkeitsV an den Grundsatz in § 1 UnbilligkeitsV, dass keine Verpflichtung besteht, "wenn die Inanspruchnahme unbillig wäre", jeweils mit der Formulierung an: "Unbillig ist die Inanspruchnahme", wenn bzw. solange der in §§ 2 bis 5 UnbilligkeitsV jeweils bestimmte Sachverhalt vorliegt. Weder diese einzelnen Unbilligkeitstatbestände enthalten eine Öffnung für andere Sachverhalte (zB durch eine Formulierung in der Gestalt von Regelbeispielen: Unbillig ist die Inanspruchnahme insbesondere dann, wenn ). Noch enthält der Grundsatz in § 1 UnbilligkeitsV einen Hinweis darauf, dass die §§ 2 bis 5 UnbilligkeitsV nur Fallbeispiele einer Unbilligkeit bestimmen, daneben aber auch bei anderen Sachverhalten eine Unbilligkeit vorliegen könnte, die nicht zur Rentenantragstellung verpflichtet. Dieses Verständnis der UnbilligkeitsV stimmt überein mit der Verordnungsermächtigung, denn § 13 Abs. 2 SGB II ermächtigt zur Bestimmung, "unter welchen Voraussetzungen und für welche Dauer ( ) ausnahmsweise" keine Verpflichtung zur Rentenantragstellung besteht. Hierfür sprechen auch die Gesetzesmaterialien zu § 13 Abs. 2 SGB II, nach denen die Verordnung lediglich eng umgrenzte Fälle bestimmen soll, in denen die Verpflichtung, eine vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen, unbillig wäre (BT-Drucks 16/7460, S 12). Dagegen spricht nicht, dass dort weiter ausgeführt ist: "Mit der Verordnungsermächtigung kann auf Erfahrungen und Erkenntnisse der Praxis flexibel reagiert und möglichen Fehlentwicklungen entgegengewirkt werden." Denn reagiert werden kann auch danach nur mit der Verordnungsermächtigung, dh durch Änderung der Verordnung mit Blick auf einzelne Unbilligkeitstatbestände als eng umgrenzte Ausnahmen. Eine allgemeine Öffnungsklausel stünde außerhalb dieses Ermächtigungskonzepts. Ihrer bedarf es auch nicht, weil von der UnbilligkeitsV nicht erfassten unzumutbaren besonderen Härten im Rahmen der Ermessensausübung begegnet werden kann (dazu sogleich).

Die Aufforderung an Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen der Leistungsträger. Stellen Leistungsberechtigte entgegen ihrer Verpflichtung nach § 12a SGB II und trotz Aufforderung den Antrag nicht, können die Leistungsträger nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II selbst den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Mit diesem "können" ist das Ob der Antragstellung anstelle der Leistungsberechtigten in das Ermessen der Leistungsträger gestellt. Dieses ermöglicht eine abschließende Abwägung im Einzelfall, ob der Nachrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf diesem Weg durchgesetzt werden soll oder ob dies wegen eines besonderen Härtefalles unzumutbar ist. Noch vor der Ermessensentscheidung der Leistungsträger über ihre Antragstellung ist indes bereits über die Aufforderung der Leistungsberechtigten zur Antragstellung durch die Leistungsträger eine Ermessensentscheidung zu treffen. Auch die der eigenen Antragstellung vorausgehende Aufforderung der Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen der Leistungsträger (so bereits LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 1.2.2010 - L 19 B 371/09 AS ER - juris RdNr. 9; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 4.12.2014 - L 7 AS 1775/14 - juris RdNr. 30; Breitkreuz, ASR 2015, 2, 4 f, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Hammel, info also 2013, 148, 151; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 12a RdNr. 198, Stand Januar 2013; Knickrehm, SozSich 2008, 192, 195; Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, K § 5 RdNr. 158, Stand Oktober 2014; Radüge in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 12a RdNr. 19; Striebinger in Gagel, SGB II/SGB III, § 12a SGB II RdNr. 13c, Stand September 2013). Denn ohne eine vorgezogene Ermessensprüfung des Leistungsträgers und deren Erkennbarkeit im Aufforderungsbescheid wäre der Leistungsberechtigte benachteiligt, der der Aufforderung nachkommt, obwohl der Leistungsträger dieser bei Nichtbefolgung aus Ermessensgründen keine eigene Antragstellung hätte folgen lassen. Der Leistungsberechtigte soll prüfen können, ob er der Aufforderung folgt, die der Leistungsträger durch eigene Antragstellung auch durchzusetzen beabsichtigt, oder ob er im Streit um die Aufforderung Gründe vorbringt, die gegen ihre spätere Durchsetzung und damit auch gegen die Aufforderung sprechen können. Die Ermessensgesichtspunkte, die den Leistungsträger trotz einer Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme einer vorrangigen Leistung und trotz nichtbefolgter Aufforderung zur Antragstellung von einer eigenen künftigen Antragstellung absehen lassen könnten, sind bereits bei der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung zu erwägen und müssen im Aufforderungsbescheid iS des § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X erkennbar sein. Dabei hat das durch § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II dem Leistungsträger hinsichtlich des Ob einer Aufforderung eingeräumte Ermessen seinen Ausgangspunkt beim Grundsatz der gesetzlichen Verpflichtung des Leistungsberechtigten nach § 12a SGB II zur Realisierung vorrangiger Sozialleistungen zu nehmen. Dies gilt erst recht bei einer Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente, wenn die Ausnahmetatbestände der UnbilligkeitsV nicht eingreifen (zur Begrenzung des eingeräumten Ermessens vgl. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 18.11.2014 - L 10 AS 2254/14 B ER - juris RdNr. 16 f; Sächsisches LSG Beschluss vom 19.2.2015 - L 8 AS 1232/14 ER - juris RdNr. 29 f; Thüringer LSG Beschluss vom 8.4.2015 - L 4 AS 263/15 B ER - juris RdNr. 21; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.5.2015 - L 15 AS 85/15 B ER - juris RdNr. 25; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 6.7.2015 - L 25 AS 543/15 B ER - juris RdNr. 11; ähnlich Breitkreuz, ASR 2015, 2, 5 f: gesetzgeberische Wertung in § 12a Satz 2 SGB II iVm UnbilligkeitsV ist zu beachten; Löns in ders/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. 2011, § 5 RdNr. 16: Ermessensspielraum eher eng; Löschau in Estelmann, SGB II, § 5 RdNr. 35, Stand Mai 2007: Grundsicherungsträger wird eigenes Antragsrecht in der Regel zu nutzen haben; Meyerhoff in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 5 RdNr. 102: ermessensfehlerhaft nur selten, wenn atypischer Fall; aA Hammel, info also 2013, 148, 151 f: Berücksichtigung sämtlicher persönlicher und wirtschaftlicher Aspekte des jeweiligen Einzelfalles; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 12a RdNr. 10: Einzelfallbetrachtung der Gesamtsituation des Leistungsberechtigten; Radüge in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 12a RdNr. 19: Gesamtabwägung der persönlichen Umstände des Leistungsberechtigten). Denn dem Entschließungsermessen liegt tatbestandlich voraus, dass die Antragstellung des Leistungsberechtigten auf die Inanspruchnahme für die Hilfebedürftigkeit relevanter vorrangiger Leistungen erforderlich und insbesondere die Beantragung einer vorzeitigen Altersrente nicht unbillig ist. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Verpflichtung des Leistungsberechtigten zur Antragstellung nach § 12a SGB II entspricht es pflichtgemäßem Ermessen des Leistungsträgers, im Regelfall von der Ermächtigung zur Aufforderung zur Antragstellung Gebrauch zu machen. Relevante Ermessensgesichtspunkte können deshalb nur solche sein, die einen atypischen Fall begründen, in dem vom gesetzlichen Regelfall der Aufforderung zur Antragstellung zur Durchsetzung der Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen abzusehen ist. Dafür dürften bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung nur besondere Härten im Einzelfall in Betracht kommen, die keinen Unbilligkeitstatbestand iS der UnbilligkeitsV begründen, aber die Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente aufgrund außergewöhnlicher Umstände als unzumutbar erscheinen lassen. Soweit sich Umstände für solche Härten nicht aufdrängen, ist es am Leistungsberechtigten, atypische Umstände seines Einzelfalles vorzubringen, die der Leistungsträger zu erwägen hat "

Dieser Rechtsauffassung schließt sich die beschließende Kammer aus eigener Überzeugung an. Gemessen an den vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien ist die hier inmitten stehende Aufforderung zur Beantragung einer Altersrente nicht zu beanstanden.

Insbesondere kann sich die Antragstellerin nicht auf einen Ausnahmetatbestand nach der Unbilligkeitsverordnung – UnbilligkeitsVO – berufen. Der Antragstellerin droht weder der Verlust eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (§ 2 UnbilligkeitsVO) noch kann sie in nächster Zukunft eine abschlagsfreie Rente in Anspruch nehmen (§ 3 UnbilligkeitsVO). Mit ihrer geringfügigen Beschäftigung beim Verein für Arbeitsförderung ist sie darüber hinaus nicht in dem nach § 4 UnbilligkeitsVO erforderlichen Umfang erwerbstätig; die Aufnahme einer solchen Erwerbstätigkeit steht auch nicht unmittelbar bevor (§ 5 UnbilligkeitsVO). Weitere etwaige Ausnahmegründe sind auf der Tatbestandsebene des § 12a i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht zu prüfen. Nach der vom Bundessozialgericht beschriebenen Gesetzessystematik sind die einzelnen Ausnahmetatbestände der UnbilligkeitsVO abschließend. So hat es in diesem Zusammenhang insbesondere der Bewertung des § 1 UnbilligkeitsVO als generalklauselartigen Auffangtatbestand, wie es teilweise vertreten worden war, eine Absage erteilt.

Sind demnach die Voraussetzungen der einschlägigen Ermächtigungsnormen auf der Tatbestandsseite erfüllt, liegen der Entscheidung des Antragsgegners auf der Rechtsfolgenseite auch keine Ermessensfehler zugrunde. Seine Ermessensausübung ist gerichtlich nur eingeschränkt darauf zu prüfen (§ 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I, § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG), ob er sein Ermessen überhaupt ausgeübt, ob er die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat ("Rechtmäßigkeits-, aber keine Zweckmäßigkeitskontrolle").

An diesen Maßstäben gemessen erweist sich die Ermessensausübung des Antragsgegners als rechtmäßig. Dass sich der Antragsgegners über das ihm eingeräumte Ermessen bewusst war, lassen die diesbezüglichen Formulierungen im angegriffenen Bescheid klar erkennen. Besondere Umstände, die ihn im Rahmen seiner Ermessensausübung zum Absehen von der Aufforderung hätten veranlassen müssen, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Sie haben sich auch sonst nicht aufgedrängt.

Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Rentenantragstellung vor, rechtfertigen im Einzelfall nur besondere Härten ein Absehen von der Aufforderung zur Rentenantragstellung. Es muss sich dabei um außergewöhnliche Umstände handeln, die die Inanspruchnahme einer Altersrente als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.

Sie verweist diesbezüglich zwar auf noch geringere Mittel, die ihr im Falle des Rentenbezugs zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Die hierzu vorgelegte Kurzauskunft des Rentenversicherungsträgers vom 12.11.2015 bestätigt dies auch. Danach würde die monatliche Altersrente der Antragstellerin ab dem 1.12.2015 710,85 EUR betragen. Abzüglich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verbliebe der Antragstellerin nach der Rentenauskunft voraussichtlich ein Betrag von ca. 635,86 EUR für den monatlichen Lebensunterhalt. Dieser Betrag dürfte allerdings auf 641,19 EUR geringfügig nach oben hin zu korrigieren sein. Die Antragstellerin ist bei der AOK Plus in Sachsen in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Deren Beitrag liegt gegenwärtig bei insgesamt 14,9 % und setzt sich aus einem Eigenanteil 14,6 % und dem Zusatzbeitrag in Höhe von 0,3 % zusammen. Für 2016 hatte die AOK Plus keine Beitragserhöhung angekündigt. Aber auch diese zu erwartende Rentenzahlung läge noch unter der vom Antragsgegner zuletzt bewilligten Grundsicherungsleistung von 655,49 EUR – für die Zeit ab Januar 2016 stünde zudem noch die Einarbeitung der Regelbedarfserhöhung von 399,00 EUR auf 404,00 EUR an. Indes stellt eine unter dem bisherigen Arbeitslosengeld II liegende Rentenleistung von vornherein keine besondere Härte im genannten Sinne dar.

Denn gesetzgeberisches Ziel des Verweises auf die Altersrente ist die Beseitigung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II. Dieses Ziel ist durch den Bezug einer Altersrente erreicht, da der Bezieher einer Altersrente nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Im Rahmen der Ermessensausübung vor Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung sind darüber hinaus Prognosen über eine künftige Hilfebedürftigkeit, die sich dann nach dem Recht der Sozialhilfe des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuches – SGB XII – richten müsste, nicht anzustellen. Das gesetzliche Regelungskonzept einer Inanspruchnahme vorrangiger Sozialleistungen zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der aktuellen Hilfebedürftigkeit iS des SGB II fragt nicht nach einer etwaigen künftigen Hilfebedürftigkeit iS des SGB XII. Hierfür fehlen auch in aller Regel verlässliche Daten über Bedarfe und ggf. anderweitige noch nicht bekannte oder sich möglicherweise erst ergebende Bedarfsdeckungsmöglichkeiten in der Zukunft (vgl. BSG, Urteil vom 29.8.2015 aaO, RdNr. 42).

Aber selbst wenn man auf eine ergänzende Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin nach dem SGB XII im Rahmen einer Gesamtkonzeption aus SGB II und SGB XII abstellte, wäre das gesetzgeberische Ziel erreicht. Für § 12a Satz 1 SGB II reicht schon eine Verminderung der Hilfebedürftigkeit durch den Rentenbezug aus, wobei das Nachrangprinzip (vgl. § 2 SGB XII) auch im SGB XII gilt (vgl. BSG, Urteil vom 29.8.2015 aaO, RdNr. 41). Die Altersrente würde im Bereich des SGB XII als Einkommen i.S.v. § 82 SGB XII auf den sozialhilferechtlichen Bedarf der Antragstellerin angerechnet, so dass sich dort nur ein geringer Anspruch auf ergänzende Sozialhilfeleistungen ergeben würde.

Erweist sich nach alledem die Aufforderung zur Rentenantragstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, musste der vorliegende Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt werden.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Sache (§ 193 SGG entspr.).
Rechtskraft
Aus
Saved