L 6 KR 375/12

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 7380/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 375/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 9. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung im Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2012 wird aufgehoben. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte an die Klägerin für ein Arzneimittel 501,27 EUR nebst 5 v.H. Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. September 2011 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 70,20 EUR zu zahlen hat.

Die Klägerin ist Inhaberin der H. G. Apotheke in B. L. Die Beklagte legte am 15. Oktober 2010 in der Apotheke eine vertragsärztliche Verordnung nach § 27 a des Fünften Buches So-zialgesetzbuch (SGB V) über die Arzneimittel Pergoveris merck TSub 10 ST N 2 und Gonal 900 I E/1,5 ml Injekt ILsg 2 ST N 1 vor. Die Mitarbeiterin der Klägerin, die Zeugin A. K., händigte der Beklagten die verordneten Arzneimittel gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 20,00 EUR aus.

Die , bei der die Beklagte zu der Zeit versichert war, zahlte zunächst die von der Klägerin in Rechnung gestellten 1.593,01 EUR abzüglich Zuzahlungen und gesetzlicher Rabatte. Im August 2011 forderte sie von der Klägerin die Erstattung von 501,27 EUR und begründete dies mit "50 v.H. Eigenanteil künstliche Befruchtung". Die Zeugin K. begab sich zu der Beklagten, um ihr ein Schreiben der Klägerin vom 31. August 2011 mit der Erläuterung des Sachverhalts und der Bitte, den Betrag in Höhe von 501,37 EUR zu zahlen, auszuhändigen. Sie sei in der Arztpraxis über die gesetzlichen Grundlagen und der Übernahme des Eigenanteils in Höhe von 50 v.H. der Kosten aufgeklärt worden. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2011 übersandte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin der Beklagten die Aufforderung 501,37 EUR nebst anwaltlicher Kosten in Höhe von 70,20 EUR zu zahlen.

Am 3. November 2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Gotha Klage erhoben mit der Begründung, ihr stehe ein Anspruch auf Zahlung der 501,37 EUR gegen die Beklagte zu. Sie habe durch Abgabe des Arzneimittels nicht auf ihren Anspruch verzichtet, auch wenn die Zeugin K. irrtümlich nicht den Eigenanteil gefordert habe. Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe in der Apotheke ein sogenanntes "blaues Rezept" vorgelegt. Auf ihre Frage, habe ihr die Mitarbeiterin den Preis von 20,00 EUR genannt. Diesen habe sie sofort gezahlt. Da die Medikamente nicht vorrätig gewesen seien, habe sie diese erst am nächsten Tag abgeholt. Der Einzelpreis der Medikamente sei ihr nicht bekannt gewesen. Auch sei ihr das Rezept nicht nochmals ausgehändigt worden, so dass für sie auch nicht erkennbar gewesen sei was die Medikamente insgesamt kosteten. Sie sei bei Behandlungsbeginn durch den behandelnden Arzt auf die anteilige Kostentragung hingewiesen worden. Er habe ihr bei Aushändigung des Rezeptes aber weder den Preis des Medikaments genannt, noch habe er sie nochmals auf die Kostentragungspflicht hingewiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9. Februar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es gebe keine Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin.

Im Berufungsverfahren hält die Klägerin an ihrer Ansicht fest. Es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Insoweit verweise sie auf einen Beschluss des SG Altenburg vom 23. Februar 2009 (Az.: S 4 KR 3831/08).

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 9. Februar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 501,27 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 70,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. über dem Basiszinssatz seit 10. September 2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Die jeweils zuständigen Berichterstatter des Senats haben am 8. Juli 2013 und 5. Juni 2015 Erörterungstermine mit den Beteiligten durchgeführt. Im letzten Termin wurde A. K. als Zeugin vernommen. Bezüglich deren Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die vom SG zugelassene Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 501,27 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.

Allerdings leidet die erstinstanzliche Entscheidung an erheblichen Verfahrensmängeln, die jedoch durch die Entscheidung des Senats geheilt werden. Verfahrensfehlerhaft hat das SG durch die Kammervorsitzende als Einzelrichterin mittels Gerichtsbescheid ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) entschieden, obwohl die Voraussetzungen nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vorgelegen haben und damit den Beteiligten die vom Gesetz vorgegebenen gesetzlichen Richter, d.h. die Kammer in voller Besetzung, entzogen worden ist. Misst die Vorsitzende einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu und lässt aus diesem Grunde die Berufung - wie hier - zu, so weist die Sache regelmäßig besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf und schließt eine Entscheidung als Einzelrichterin aus (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2010 - Az.: B 7 AL 43/08 R unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 16. März 2006 - Az.: B 4 RA 59/04 R, nach juris).

Hier handelt es sich um eine privatrechtliche Rechtsstreitigkeit zwischen den Beteiligten. Da das SG den Rechtsweg bejaht hat, ist der Senat hieran nach § 17 a Abs. 5 des Gerichtsverfas-sungsgesetzes (GVG) gebunden.

Nach § 129 Abs. 1 SGB V werden Arzneimittel zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung abgegeben. Damit erfüllt die Krankenkasse ihre im Verhältnis zum Versicherten bestehende Pflicht zur Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 27 a SGB V. Als Pendant folgt daraus der Vergütungsanspruch des Apothekers gegen die Krankenkasse dem Grunde nach. Es wird eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten begründet.

In § 27 a SGB V ist allerdings bestimmt, dass die Krankenkasse lediglich 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahme übernimmt, die bei ihren Versicherten durchgeführt wird. Insoweit hat auch der Apotheker nur einen Vergütungsanspruch in Höhe von 50 v.H. gegen die Krankenkasse. Der Versicherte hat einen Eigenanteil in Höhe der restlichen 50 v.H. zu übernehmen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Zuzahlung nach § 61 SGB V. Der Eigenanteil ist vergleichbar dem Eigenanteil beim Zahnersatz nach § 55 SGB V und grundsätzlich vom Versicherten zu tragen (vgl. Bundestags-Drucksache 15/1600 Seite 11).

Dem Vertragsarzt, der Leistungen der künstlichen Befruchtung nach § 27 a SGB V erbringt, steht gegen die Versicherten ein unmittelbarer Vergütungsanspruch zu. Er rechnet Leistungen der künstlichen Befruchtung in Höhe von 50 v.H. auf der Grundlage des Einheitlichen Bewer-tungsmaßstabes-Ärzte (EBM-Ä) unmittelbar gegenüber dem nach § 27 a SGB V anspruchs-berechtigten Versicherten ab (vgl. § 18 Abs. 8 a BMV-Ä). Hierbei handelt es sich um einen privatrechtlichen Vergütungsanspruch, obwohl es sich bei Leistungen der künstlichen Befruchtung weiterhin um eine Sachleistung der GKV handelt.

Nichts anderes kann daher bezüglich des Eigenanteils des Versicherten gegenüber dem Apo-theker gelten. Der Apotheker und der Versicherte - hier die Klägerin und die Beklagte - ver-einbaren insoweit grundsätzlich privatrechtlich die Zahlung des Eigenanteils (vgl. zur Zulässigkeit: BSG, Urteil vom 3. August 2006 - B 3 KR 6/06 R, Rn. 16, nach juris). Die Versicherten schulden diesen Betrag direkt dem Leistungserbringer, diesem obliegt daher auch die Durchsetzung seines Vergütungsanspruchs. Eine Regelung zum Eigenanteil findet sich daher auch nicht in § 43 b SGB V, durch den eine allgemeine gesetzliche Regelungen für den Zahlungsweg bei Geldleistungen geschaffen wurden, die von den Versicherten zu entrichten sind (vgl. Brandts in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Bd. I, Stand: April 2015, § 43 b SGB V Rn. 1 und 5).

Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist insoweit § 433 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Beklagte wollte mit der Klägerin bezüglich des Eigenanteils für die Medikamente einen Kaufvertrag abschließen. Nach § 433 Abs. 1 BGB wird der Verkäufer einer Sache durch den Kaufvertrag verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Nach § 433 Abs. 2 BGB ist der Käufer verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Die Klägerin, vertreten durch ihre Mitarbeiterin Zeugin K., unterbreitete der Beklagten das Angebot, ihr die vertragsärztlich verordneten Medikamente zu einem Betrag in Höhe von 20,00 EUR abzugeben. Dieses Angebot nahm die Beklagte an. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte erkannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass die Mitarbeiterin der Klägerin die Medikamente nicht zu diesem Preis abgeben wollte. Im Erörterungstermin am 5. Juni 2015 hat die Beklagte hierzu vorgetragen, es habe sich bei dem Rezept vom 15. Oktober 2010 um das erste Rezept über Medikamente nach § 27a SGB V gehandelt und sie habe nicht gewusst, was die einzelnen Medikamente kosteten. Sie habe den ihr von der Zeugin K. genannten Betrag in Höhe von 20 EUR als Kosten für die Medikamente verstanden und diesen Betrag gezahlt. Sie habe nicht ausgeschlossen, dass sie möglicherweise noch eine Rechnung von ihrer Ärztin oder der Krankenkasse erhalte. Bei der Abgabe des Angebots befand sich die Zeugin K., wie sie ausgesagt hat, in einem Irrtum. Sie hat übersehen, dass es sich um eine vertragsärztliche Verordnung nach § 27 a SGB V handelte, und hätte daher bei der Übergabe der Medikamente an die Beklagte nicht nur die gesetzliche Zuzahlung einziehen, sondern die Hälfte des Preises des Medikaments von ihr fordern müssen. Unabhängig davon, ob spätestens das Schreiben der Klägerin vom 31. August 2011 als Anfechtung der Willenserklärungen der Zeugin auszulegen wäre, wird der Irrtum der Zeugin K. im Beweggrund (Motivirrtum), der ihr schon im Stadium der Willensbildung unterlaufen ist, von keinem der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsgründe (§ 119 BGB) erfasst. Er berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung, weil derjenige, der aufgrund einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittelt und seinem Angebot zu Grunde legt, auch das Risiko dafür trägt, dass seine Kalkulation zutrifft (sogenannter Kalkulationsirrtum, vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 7. Juli 1998 - Az.: X ZR 17/87, nach juris).

Bei der genannten Risikoverteilung zulasten des Erklärenden bleibt es regelmäßig auch dann, wenn der Erklärungsempfänger - hier die Beklagte - den Kalkulationsirrtum des Erklärenden hätte erkennen können, ohne dass er ihn positiv erkannt hat. Bei positiver Kenntnis des Erklä-rungsempfängers kann allerdings auf die allgemeinen Rechtsinstitute der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen und der unzulässigen Rechtsausübung zurückgegriffen werden. Insoweit hat der BGH auch nicht beanstandet, dass es der positiven Kenntnis eines Kalkulationsirrtums im Einzelfall gleichzustellen sein kann, wenn sich der Erklärungsempfänger einer solchen Kenntnis treuwidrig verschließt, indem er nahe liegende Rückfragen unterlässt. Voraussetzung hierfür ist aber, dass sich der Kalkulationsirrtum mit seinen unzumutbaren Folgen für den Erklärenden aus den dem Erklärungsempfänger bekannten sonstigen Umständen geradezu aufdrängt. Dies ist hier aus den bereits oben genannten Gründen nicht der Fall.

Eine andere Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist nicht ersichtlich. Die Abgabe der Medikamente an die Beklagte beruht - soweit sie hier streitig ist - auf der rechtlichen Grundlage eines Kaufvertrages.

Die Beklagte hat der Klägerin daher auch keine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197 a des SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Ver-waltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Senat kann insoweit die Kostenentscheidung der Vo-rinstanz auch zu Ungunsten der Klägerin ändern; denn das Verbot der reformatio in peius gilt hier nicht (vgl. BSG, Urteil vom 5. Oktober 2006 - Az.: B 10 LW 5/05 R m.w.N., nach juris) Nach § 197a SGG sind Kosten nach dem GKG zu erheben und die §§ 154 ff VwGO anzuwenden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zum Kreis der in § 183 SGG genannten Personen gehört. So liegt es hier. Nach § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit u.a. kostenfrei für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Den genannten Personen steht nach § 183 Satz 3 SGG gleich, wer im Fall des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Die Beklagte erfüllt in diesem Rechtsstreit keine dieser Voraussetzungen. Sie wird nicht als Versicherte von der Klägerin in Anspruch genommen, sondern als Privatperson. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 183 SGG ebenfalls nicht.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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