L 8 SB 1415/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 4012/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1415/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
für Recht erkannt: Tenor: Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.03.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 50 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens G streitig.

Bei dem 1957 geborenen Kläger hatte das Landratsamt B. - Versorgungsamt in Stuttgart - mit Teil-Abhilfebescheid vom 19.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart &8722; Landesversorgungsamt &8722; vom 04.04.2007 beim Kläger einen GdB von 40 seit 26.04.2006 festgestellt.

Am 13.07.2007 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt in Stuttgart die Erhöhung des GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G. Den Antrag lehnte das Landratsamt B. – Versorgungsamt in Stuttgart – mit Bescheid vom 30.08.2007 ab, wobei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde wurden:

- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, chronisches Schmerzsyndrom, Spinalkanalstenose, Wurzelkompressionssyndrom L4-S1 - rechtes Bein, Gebrauchseinschränkung des rechten Fußes (Teil-GdB 30), - Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen (Teil-GdB 20), - Ohrgeräusche (Tinnitus) (Teil-GdB 10), - Bronchialasthma (Teil-GdB 10).

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt &8722; mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2008 zurück.

Dagegen erhob der Kläger am 17.03.2008 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG, S 21 SB 2224/08). Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen und holte ein nervenärztliches Gutachten bei Dr. Schü. (Blatt 96/109 der SG-Akten S 21 SB 2224/08) und ein internistisches Gutachten bei Dr. Schu. (Blatt 120/134 der SG-Akten S 21 SB 2224/08) ein. Dr. Schü. diagnostizierte im Gutachten vom 29.12.2008 einen operierten lumbalen Bandscheibenschaden mit Radikulopathie und eine ängstlich-hypochondrische Verstimmung mit psychosomatischen Beschwerdeüberlagerungen. Das psychosomatisch überlagerte Schmerzerleben, die ängstlich-depressive Reaktionsbereitschaft sowie hypochondrisch-zwanghaften Persönlichkeitsanteile seien mit einem GdB von 30 zu bewerten. Ein weiterer GdB von 30 könne für die lokalen Restbeschwerden im Rücken festgestellt werden, auch wenn neurologisch eine gravierende Wurzelreizsymptomatik nicht mehr bestehe und für das aktuelle Schmerzerleben psychosomatische Beschwerdeanteile von wesentlicher Bedeutung seien. Der Gutachter Dr. Schu. stellte aufgrund der Untersuchung am 20.05.2009 auf internistischem Fachgebiet die Diagnosen Bluthochdruck, noch nicht korrekt eingestellt, hypertensive Herzkrankheit ohne erhebliche Funktionsminderung, Diabetes mellitus, derzeit noch nicht behandelt und einstellungsbedürftig, beginnende Nephropathie und Asthma bronchiale. Den Bluthochdruck bzw. die hypertensive Herzkrankheit bewertete er mit einem Teil-GdB von 20, das Asthma bronchiale und den Diabetes mellitus jeweils mit Teil-GdB von 10.

Der Beklagte unterbreitete daraufhin im Verfahren S 21 SB 2224/08 ein Vergleichsangebot, wonach der GdB 50 ab 20.05.2009 betragen sollte, wobei er Funktionsbeeinträchtigungen wie folgt zugrunde legte:

1. Seelische Störung, Somatisierungsstörung, Teil-GdB 30, 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, chronisches Schmerzsyndrom, Spinalkanalstenose, Teil-GdB 20, 3. Bluthochdruck, Teil-GdB 20, 4. Ohrgeräusche (Tinnitus), Teil-GdB 10, 5. Bronchialasthma, Teil-GdB 10, 6. Diabetes mellitus, Teil-GdB 10 (ab Oktober 2008).

Der Kläger stimmte dem Vergleich zu. Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 19.03.2010 einen GdB von 50 seit 20.05.2009 fest.

Am 04.10.2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Erhöhung des GdB und Feststellung des Merkzeichens G. Zur Begründung führte er Arthrose, Hallux Valgus, Deformität des Zehenknochen, Hallux Rigidus, Wirbelsäulenskoliose aufgrund Morbus Bechterew, Bandscheiben-OP L4/L5 und Fibromyalgie an. Dazu legte er einen Bericht der Radiologischen Nuklearmedizinischen Gemeinschaftspraxis S. vom 05.03.2010 über ein MRT des rechten Kniegelenks (Blatt 289 der Verwaltungsakten), einen Bericht der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. S. vom 12.07.2010 (Blatt 290 der Verwaltungsakten, Diagnosen: Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie, Myopie, Conjunctivitis Sicca im Sinne des Syndroms des trockenen Auges, Glaukomverdacht), einen Bericht der Radiologin Dr. Schr. vom 04.04.2011 über die Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule (Blatt 292 der Verwaltungsakten) und einen Bericht des Neurologen Dr. Dipl.-Psych. H. vom 19.05.2011 (Blatt 293 der Verwaltungsakten, Diagnose: Wurzelkompressionssyndrom S1 rechts) vor. Ferner holte das Versorgungsamt einen Bericht der Orthopädin K. vom 06.12.2011 ein (Blatt 298/299 der Verwaltungsakten) ein, dem weitere Arztbriefe beigefügt waren.

Das Versorgungsamt holte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. Wi. vom 09.02.2012 ein, wonach keine wesentlichen Änderungen vorlägen und die Voraussetzungen für Merkzeichen nicht gegen seien. Die Funktionsbeeinträchtigungen bewertete er wie folgt:

1. Seelische Störung, Somatisierungsstörung, Teil-GdB 30, 2. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, operierter Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen, chronisches Schmerzsyndrom, Spinalkanalstenose, Teil-GdB 20, 3. Bluthochdruck, Teil-GdB 20, 4. Ohrgeräusche (Tinnitus), Teil-GdB 10, 5. Bronchialasthma, Teil-GdB 10, 6. Diabetes mellitus, Teil-GdB 10, 7. Gebrauchseinschränkung beider Hände, Gebrauchseinschränkung beider Arme, Teil-GdB 10, 8. Gebrauchseinschränkung beider Füße, Teil-GdB 10.

Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule bewirke keine Funktionsbeeinträchtigung.

Mit Bescheid vom 19.04.2012 lehnte das Versorgungsamt den Antrag auf Neufeststellung des GdB und Feststellung von gesundheitlichen Merkmalen ab. Die Voraussetzungen für eine höhere Bewertung des GdB und die Feststellung des Merkzeichens G lägen nicht vor.

Dagegen legte der Kläger am 10.05.2012 Widerspruch ein. Zur Begründung machte er unter ausführlicher Darstellung seiner Beschwerden und Auflistung einer Vielzahl von Krankheitsbildern geltend, es seien nicht alle zugrunde zu legenden Beeinträchtigungen und Funktionsstörungen berücksichtigt worden.

Nach einer weiteren eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. L. vom 12.06.2012 seien die im umfangreichen Schreiben des Klägers geschilderten Krankheiten und Beschwerden vollständig in den Störungen erfasst. Es ergebe sich kein Grund für weitere Sachaufklärung. Es fänden sich ausreichend fachärztliche Berichte, Rehabericht. Es bestünden keine stärkergradigen Bewegungseinschränkungen, keine neurologischen Defizite (außer leichter Hypästhesie rechts) und keine stärkere Gangstörung. Eine schwere psychische Behinderung liege nicht vor. Bezüglich des Herz-Kreislauf-Leidens bestünden keine stärkeren Auffälligkeiten, deswegen sei der GdB auf 10 reduziert. Abweichend von der Einschätzung des Dr. Wi. führte Dr. L. an, der Diabetes mellitus und die Sehminderung bewirkten keine Funktionsbeeinträchtigung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2012 wies das Regierungspräsidium Stuttgart &8722; Landesversorgungsamt &8722; den Widerspruch zurück.

Am 19.07.2012 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart. Er sei mit der Ablehnung der Feststellung eines höheren GdB als 50 und des Merkzeichens G nicht einverstanden. Wegen der umfassenden Darstellung der Beschwerden des Klägers wird auf Blatt 6/9 der SG-Akten Bezug genommen.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen und holte ein neurologisches Gutachten bei Prof. Dr. A. ein (Blatt 71/94 der SG-Akten).

Der Hautarzt Prof. Dr. T. berichtete dem SG unter dem 10.09.2012 (Blatt 37/38 der SG-Akten), es bestehe eine wiederkehrende Pilzerkrankung der Fußsohle bei ca. ein bis zwei Mal jährlich ärztlich behandlungsbedürftigen Schwitzekzemen und trockener Haut in diesem Bereich. Von einer dauerhaften Behinderung sei aufgrund der dermatologischen Diagnosen sicher nicht auszugehen.

Die Fachärztin für Orthopädie K. schrieb unter dem 12.09.2012 an das SG (Blatt 39/42 der SG-Akten), es bestehe eine schwere Arthrose im Großzehengrundgelenk links, ein mittelschweres degeneratives LWS-Syndrom und ein Zustand nach Nukleotomie. Hinsichtlich der Wirbelsäule handele es sich um eine mittel- bis schwergradige Gesundheitsstörung. Es sei der Abschnitt der Lendenwirbelsäule betroffen. Der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes stimme sie zu. Zum Ausmaß der Gehstrecke liege laut Aktenlage keine aktuelle Dokumentation vor.

Die Fachärztin für Augenheilkunde S. teilte dem SG mit Schreiben vom 12.09.2012 (Blatt 43/44 der SG-Akten) mit, sie stimme mit der versorgungsärztlichen Einschätzung überein. Die aktuelle Sehschärfe mit Korrektur betrage rechts und links 1,0. Es bestünden Reizerscheinungen, Tränenträufeln und Empfindlichkeit gegen äußere Einwirkungen. Das Gesichtsfeld sei zuletzt am 07.05.2008 geprüft worden und ohne Befund gewesen.

Der Neurologe Dr. Dipl.-Psych. H. führte unter dem 27.09.2012 an das SG (Blatt 47/53 der SG-Akten) aus, er habe eine lumbale Spinalkanalstenose, lumbosakrale Wurzelläsion rechts und Lumboischialgie diagnostiziert. Er schätze den GdB hinsichtlich der Gesundheitsstörungen der Wirbelsäule mit 30 ein. Die Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule seien als mittelgradig ausgeprägt einzuordnen. Die Gehstrecke sei derzeit auf 500 Meter reduziert. Eine Wegstrecke von zwei Kilometern könne der Kläger nur mit Pausen zurücklegen.

Der Internist Dr. St. berichtete unter dem 22.10.2012 (Blatt 54/58 der SG-Akte), es bestehe eine mittelschwer ausgeprägte arterielle Hypertonie, ein mittelschwer ausgeprägter Diabetes mellitus, eine leichte Polyneuropathie sowie eine mittelschwer ausgeprägte Lumbalgie. Mit der Einschätzung des versorgungsärztlichen Dienstes stimme er überein. Der Kläger könne noch ohne erhebliche Schwierigkeiten oder ohne Gefahren für sich oder andere die üblichen Wegstrecken im Ortsverkehr von etwa zwei Kilometer in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen.

Der Gutachter Prof. Dr. A. hat im Gutachten vom 14.03.2013 aufgrund der Untersuchung des Klägers am 28.02.2013 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Neuropathische Schmerzen im Lumbalbereich mit Ausstrahlung in beide Beine im Rahmen eines Postnukleotomiesyndroms bei Zustand nach operativer Versorgung eines Bandscheibenvorfalls L4/L5 2003, Bandscheibenprotrusionen L1/2 bis L5/S1 und zudem bestehende Spinalkanalstenosen L2/L3 bis L4/L5. Zudem sei eine Depression mit Somatisierungsstörung und eine hypochondrische Störung auf psychiatrischem Gebiet zu nennen. Der Schweregrad der neuropathischen Schmerzen sowie die Claudicatio intermittens spinalis werde derzeit als leicht bis mittelschwer, der GdB mit 30 eingestuft. Die Gehfähigkeit sei aufgrund der Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule aufgrund der Schmerzen eingeschränkt. Der Kläger gebe an, ca. 500 Metern laufen zu können, intermittierend käme es dabei zu einer Verstärkung der Schmerzen im Sinne einer claudicatio intermittens spinales. Eine Gehstrecke von zwei Kilometern innerhalb einer halben Stunde könne der Kläger nicht absolvieren.

Mit Schreiben vom 15.05.2013 nahm der Kläger zu dem Gutachten Stellung (Blatt 96/112 der SG-Akten), wobei er insbesondere das Unterlassen bestimmter Untersuchungen (Blutentnahme, Knochendichtemessungen, Schellong-Test, Ergometrie), eine Fehlinterpretation einzelner Erkrankungen und Diskriminierungen geltend machte und erneut seine Krankheiten und Beschwerden umfassend aufführte. Wegen der darauf erfolgten Stellungnahme des Gutachters Prof. Dr. A. vom 07.07.2013 wird auf Blatt 116/117 der SG-Akten Bezug genommen.

Ergänzend legte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung der Dr. K. vom 14.11.2014 (Blatt 121 der SG-Akten) und einen Bericht des Dr. H. vom 03.02.2014 (Blatt 122 der SG-Akten) vor.

Nachdem das SG die Beteiligten zur Absicht, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört hat, hat es durch Gerichtsbescheid vom 09.03.2015 die Klage abgewiesen. Beim Kläger lägen keine Funktionsbeeinträchtigungen vor, die für die Zeit ab Antragstellung am 04.10.2011 mit einem GdB von mehr als 50 in Ansatz zu bringen wären. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule seien als mittelgradig einzuschätzen. Sofern der Neurologe Dr. H. und der Gutachter Prof. Dr. A. auf neurologischem Fachgebiet infolge des neuropathischen Schmerzsyndroms einen Teil-GdB von 30 befürworteten, sei dieser bereits im Teil-GdB 30 für das Schmerzsyndrom enthalten. Gebrauchseinschränkungen beider Hände und beider Arme sowie Gebrauchseinschränkungen beider Füße, Bluthochdruck, Tinnitus und Bronchialasthma seien durch den Beklagten zutreffend bewertet. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G seien nicht erfüllt. Die in Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung aufgeführten Fallgruppen seien nicht gegeben.

Am 07.04.2015 hat der Kläger gegen den ihm am 12.03.2015 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zur Begründung führt er aus, die Bewegungseinschränkungen seien nicht in vollem Umfang berücksichtigt. Arthrose und Polyneuropathie seien außer Acht gelassen worden. Ferner beruft sich der Kläger auf einen schubförmigen, chronischen Schmerzverlauf im Bereich des ganzen Körpers. Zudem führt er funktionelle Atembeschwerden an. Darüber hinaus bemängelt der Kläger das Unterlassen einzelner Untersuchungen, insbesondere einer Blutprobe, im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. A ... Zusätzlich verweist er auf den Bericht des Dr. H. vom 03.02.2014 (Diagnose: Lumbale Spinalkanalstenose, Gangstörung) und den Bericht der Orthopädin K. vom 14.11.2014 (Diagnosen: Epicondylitis radialis humeri beidseits, chronisch degeneratives LWS-Syndrom bei lumbaler Spinalkanalstenose, PNP).

Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 09.03.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamtes B. - Versorgungsamt - vom 19.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Baden-Württemberg - Landesversorgungsamt - vom 29.06.2012 zu verurteilen, bei ihm einen höheren Grad der Behinderung als 50 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf den angefochtenen Gerichtsbescheid und führt aus, dass gegenüber der letzten bindenden Entscheidung eine wesentliche Verschlechterung im Gesundheitszustand des Klägers nicht eingetreten sei, weshalb weder ein höherer GdB als 50 noch das Merkzeichen G festgestellt werden könnten. Sachargumente, die eine abweichende Beurteilung begründen könnten, seien der Berufungsschrift nicht zu entnehmen. Die vom Kläger wiederholt vorgetragenen massiven Beeinträchtigungen seien in Anbetracht der objektiven Befunde teilweise zu relativieren. Dazu verweist er auf das Gutachten des Prof. Dr. A ...

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Prozessakten des SG und des Senats sowie die vom SG beigezogenen Akten des Verfahrens S 21 SB 2224/08 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Ausbleibens des Klägers im Termin entscheiden können, denn der mit Zustellungsurkunde ordnungsgemäß geladene Kläger war mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 110 Absatz 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz &8722; SGG).

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 09.03.2015 die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Landratsamtes B. &8722; Versorgungsamt &8722; vom 19.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart &8722; Landesversorgungsamt &8722; vom 29.06.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50.

Rechtsgrundlage für die von dem Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG, Urteil vom 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlage für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412) mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die zunächst nach Funktionssystemen (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) getrennt, später nach § 69 Abs. 3 SGB IX in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen, sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die Funktions-behinderungen, die im Allgemeinen in den einzelnen Funktionssystemen (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) bewertet werden, in ihrer Gesamtschau keinen Gesamt-GdB von mehr als 50 rechtfertigen, weshalb ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB nicht besteht.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) liegen beim Kläger keine Funktionsbeeinträchtigungen vor, die einen höheren Teil-GdB als 30 rechtfertigen. Nach Teil B Nr. 3.7 VG, welcher die Bewertung von Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen regelt, bedingen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40. Ein GdB von 50 und mehr kommt erst bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht. Das Vorliegen einer schweren Störung ist nicht ersichtlich. Psychiatrisch zu beurteilende Erkrankungen hat der Kläger selbst nicht geltend gemacht. Solche sind von den gehörten behandelnden Ärzten im vorliegenden Verfahren auch nicht mitgeteilt worden. Die vom neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. A. beschriebene Depression mit Somatisierungsstörung und eine hypochondrische Störung ist funktionell dem auch dem neurologischen Fachgebiet unterfallenden neuropathischen Schmerzsyndroms zuzuordnen. Das von Prof. Dr. A. beschriebene Postnukleotomiesyndrom als Folge des operativ versorgten Bandscheibenvorfalls bei L4/5 im Jahr 2003 und der Spinalkanalstenose bei L2/3 bis L4/5 und als Ausgangspunkt der Schmerzstörung ist jedoch keine schwere Störung auf nervenärztlichem Gebiet, die einen GdB von 50 rechtfertigt. Beim Kläger kann allenfalls von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausgegangen werden. Den GdB-Bewertungsrahmen von 30 bis 40 dabei nach oben auszuschöpfen, ist zur Überzeugung des Senats nicht veranlasst. Der Kläger ist subjektiv nach seinen eigenen Angaben durch permanente ausstrahlende Rückenschmerzen, durch Gefühle ständiger Müdigkeit, Erschöpfung, Energielosigkeit und Traurigkeit, subjektiv empfundene Vergesslichkeit sowie rezidivierend auftretende Kopfschmerzen und Schwindel beeinträchtigt. Dennoch ist der Kläger in der Lage, seiner Erwerbstätigkeit als Computertechniker bei der Telekom nachzugehen, was dem Gutachten des Prof. Dr. A. zu entnehmen ist. Ferner hat der Kläger gegenüber dem Gutachter (am 28.02.2013) angegeben, seit neun Jahren verheiratet zu sein und zwei Kinder im Alter von zweieinhalb Jahren und einem Monat zu haben, was nicht für eine gravierende Beeinträchtigung der privaten Lebensführung spricht. Den geistigen Zustand des Klägers hat der Gutachter als nicht beeinträchtigt befunden. Das Denken war nicht verlangsamt. Nach den Angaben des Klägers gegenüber dem Gutachter befindet sich der Kläger nicht in psychiatrischer Behandlung und hat die ihm früher verschriebene antidepressive Therapie aus Angst, das Medikament würde ihn noch kränker machen, abgesetzt. Damit ist von einem eher geringen Leidensdruck durch seelische Bedrückung auszugehen. Bei der Untersuchung im Rahmen der Begutachtung durch Dr. A. hat der Kläger Schmerzen in sämtlichen Gelenken beklagt und teilweise seine Mitarbeit unter Angabe von Schmerzen verweigert. Bei alltäglichen Dinge wie Laufen und Ausziehen von Hose und Schuhen, Schnürsenkel zubinden war der Kläger dagegen in der Lage sämtliche Bewegungen auszuführen, ohne Schmerzen zu beklagen. Zudem zeigte sich beim Ausfüllen des Schmerzfragenbogens pain detect ein Hinweis auf Aggravation, indem der Kläger sämtliche, sich gegenseitig ausschließende Schmerzverläufe ankreuzte. Dies spricht dafür, dass der Kläger weniger schwer beeinträchtigt ist, als es seinen Angaben entspricht. Dem entspricht auch die Einschätzung des Dr. A. , der eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen dem subjektiven Schweregrad des Klägers und der objektiven Beurteilung während der körperlichen Untersuchung angegeben hat.

Im Funktionssystem des Rumpfes (vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e VG) besteht beim Kläger eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, die mit einem Einzel-GdB von 20 ausreichend bewertet ist. Nach Teil B Nr. 18.9 VG entspricht ein Teil-GdB von 20 Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome). Ein Teil-GdB von 30 ist für Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Solche schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt liegen beim Kläger nicht vor. Beim Kläger besteht eine Lumboischialgie, lumbale Spinalkanalstenosen, lumbale Osteochondrosen, lumbale Bandscheibenprotrusionen sowie ein neuropathisches Schmerzsyndrom im Rahmen eines Postnukleotomiesyndroms. Dies entnimmt der Senat den Aussagen des als sachverständigen Zeugen vom SG gehörten Neurologen Dr. H. vom 27.09.2012, der vom SG gehörten behandelnden Orthopädin K. vom 12.09.2012 und dem Gutachten des Prof. Dr. A. vom 14.03.2013. Wirbelsäulenschäden sind damit nur im Bereich eines Wirbelsäulenabschnitts, der Lendenwirbelsäule, festzustellen. Mehr als mittelgradige Auswirkungen der Wirbelsäulenschäden sind nicht festzustellen. Zwar ist das neuropathische Schmerzsyndrom des Klägers, das im Zusammenhang mit dem lumbalen Postnukleotomiesyndroms und der lumbalen Spinalkanalstenose steht, als psychisches Leiden mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet worden. In dieser Bewertung sind jedoch die dem neuropathischen Schmerzsyndrom zugeordneten Beschwerden an sämtlichen Gelenken und Weichteilen sowie eine hypochondrische Störung berücksichtigt, was deshalb keine Erstreckung dieser Bewertung auf das Ausmaß der Beeinträchtigung an der Lendenwirbelsäule erlaubt. Insbesondere ist aus dieser rechtlichen Bewertung kein Rückschluss für die Tatsachenfeststellung möglich, dass die Wirbelsäulenveränderung häufig rezidivierende und Wochen andauernde Wirbelsäulensyndrome bedingt. Die sachverständige Zeugin Dr. K. hat das degenerative Lendenwirbelsäulensyndrom als mittel-schwer bezeichnet. Dr. H. hat eine mittelgradig ausgeprägte Spinalkanalstenose bestätigt. Dr. St. hat die Lumbalgie als mittelschwer eingeschätzt. Schwere Bewegungseinschränkungen liegen nicht vor. Dr. K. hat einen Schober als Maß für die Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule von 10/12 cm sowie einen Finger-Boden-Abstand von 25 cm angegeben, was allenfalls für mittelgradige Bewegungseinschränkungen spricht. Im Rahmen der Untersuchung durch Prof. Dr. A. war die Wirbelsäule frei beweglich. Schwere neurologische Ausfälle durch die Wirbelsäulenschäden liegen ebenfalls nicht vor. Motorische Ausfallerscheinungen sind nicht festzustellen. Es bestehen nur neurologische Auswirkungen in Form von Hypästhesien und Dysästhesien im Bereich der unteren Gliedmaßen. Dr. K. hat keinen positiven Lasègue, im September 2011 lediglich einen Pseudo-Lasègue bei 45 Grad erhoben. Ferner hat sie eine Dysästhesie im Bereich des Dermatoms L5 und S1 rechts festgestellt. Nach den Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. H. bestehen anhaltende sensible Wurzelausfallsymptome im Bereich L5 und S1 sowie eine elektromyographisch nachweisbare Veränderung der L5-versorgten Muskulatur rechts. Ferner bestätigt er kontinuierlich vorhandene Gefühlsstörungen. Darüber hinaus hat er angegeben, dass eindeutige motorische Ausfallerscheinungen nicht festzustellen seien. Auch nach den Berichten des Dr. H. vom 05.09.2011 (Blatt 52 der SG-Akten) und vom 20.09.2012 (Blatt 53 der SG-Akten) bestanden keine sicheren Paresen. Der Gutachter Prof. Dr. A. konnte trotz der Verweigerung einer Muskelkraftprüfung durch den Kläger manifeste Paresen an den unteren Extremitäten ausschließen, nachdem der Kläger bei Beobachtung alltäglicher Dinge sämtliche Bewegungen ausführen konnte. Angegeben wurde vom Kläger eine Hypästhesie im Bereich des laterodorsalen Oberschenkels rechts sowie des kompletten Unterschenkels und des Fußes rechts. Nach dem Bericht des Klinikums S. vom 18.10.2011 (Blatt 50/51 der SG-Akten) bestanden ebenfalls keine motorischen Paresen. Beschrieben werden lediglich Hypästhesien im Bereich des Unterschenkels sowie im Bereich der Füße. Auch im Bericht des Dr. H. vom 03.02.2014 (Blatt 122 der SG-Akten) werden wesentliche Parasen verneint. Neben einer diskreten Zehenheberparese wurden keine sicheren Parasen festgestellt. Weiterhin bestand eine Hypästhesie im Bereich der Unterschenkel beidseits und eine Pallhypästhesie an den Großzehen. Danach bestehen allenfalls mittelgradige Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule, die nicht bei allen Untersuchungen nachweisbar waren, und funktionell wenig beeinträchtigende Gefühlsstörungen ohne motorische Störungen, was auch gegen ein ausgeprägtes Wirbelsäulensyndrom im Sinne der GdB-Bewertungsstufe von 30 spricht.

Es ist auch nicht gerechtfertigt, schwere Auswirkungen der Wirbelsäulenschäden aus dem von Prof. Dr. A. angegebenen neuropathischen Schmerzsyndrom und einer Claudicatio intermittens spinalis herzuleiten. Der Gutachter hat diese Störungen nur als leicht bis mittelgradig eingestuft. Dabei fehlt es an objektiven Befunden, die einen höheren Schweregrad, insbesondere in Form von häufig rezidivierenden und Wochen andauernde Wirbelsäulensyndromen belegen würden. Die Diagnosen des Gutachters beruhen überwiegend auf den Angaben des Klägers über seine Schmerzen und seine Fähigkeit, circa 500 Meter laufen zu können. Schwerwiegende Befunde sind dem Gutachten insoweit jedoch nicht zu entnehmen. Die Angaben des Klägers zu Wirbelsäulenbeschwerden sind darüber hinaus auch nicht konsistent und der Senat kann sie daher nicht zur Grundlage seiner Feststellung machen. Vielmehr fanden sich, wie bereits oben ausgeführt, Hinweise auf Aggravation durch den Kläger, der außerhalb der Untersuchungssituation Schmerzen beim Ausführen von Bewegungen, insbesondere beim Gehen und Auskleiden nicht beklagte. Die Beschwerdeschilderung des Klägers ist auch insofern nicht schlüssig, als der Sachverständige darauf hinweist, dass es sehr ungewöhnlich sei, dass der Kläger bei den unterschiedlichsten Schmerzen zur Stärke der Schmerzen auf der Schmerzskala 9 von 10 Punkten vergebe, und die vom Kläger angegebenen vier Schmerzverläufe gleichzeitig nicht möglich seien. Dies spricht dagegen, dass die Schmerzen derart ausgeprägt sind, wie vom Kläger angegeben, was auch Häufigkeit und Dauer der auftretenden akuten Schmerzproblematik seitens der Lendenwirbelsäule in dem einen GdB von 30 rechtfertigenden Umfang fraglich macht, zumal hierüber ärztliche Dokumentationen nicht vorliegen. Im Übrigen ist im Rahmen der Bewertung der psychischen Störung ein Schmerzsyndrom bereits als die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit erheblich beeinträchtigend berücksichtigt. Die Annahme schwerer Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden ist vor diesem Hintergrund bei nicht vorliegenden wesentlichen funktionellen Bewegungseinschränkungen jedenfalls nicht gerechtfertigt.

Soweit Dr. H. für die Gesundheitsstörungen der Lendenwirbelsäule und Prof. Dr. A. für eine neuropathisches Schmerzsyndrom im Bereich der Lendenwirbelsäule einen Teil-GdB von 30 vorgeschlagen hat, konnte sich der Senat dieser Einschätzung nicht anschließen, da wie dargestellt, schwere Auswirkungen, die einen GdB von 30 bedingen würden, nicht festzustellen sind.

Die im Funktionssystem der Beine vorliegenden Gesundheitsstörungen bedingen keinen höheren GdB als 10. Soweit nach den Angaben des Dr. St. eine Polyneuropathie vorliegt, bei der sich gemäß Teil B Nr. 3.11 VG die Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund motorischer Ausfälle (mit Muskelatrophien), sensibler Störungen oder Kombinationen von beiden ergeben, ist diese nur leicht ausgeprägt. Dies entspricht der Einschätzung des Dr. St. , der als Funktionsbeeinträchtigung insoweit auch nur eine leichte Schwäche im rechten Bein, welche das Treppensteigen etwas erschwere, mitgeteilt hat. Eine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung ist damit nicht festzustellen. Im Übrigen sind die Sensibilitätsstörungen im Bereich der Beine bereits als Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden bewertet. Hinsichtlich der Großzehengrundgelenksarthrose besteht nach den Angaben der Dr. K. eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Großzehengrundgelenk. Eine GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigung folgt daraus nicht, zumal nach Teil B Nr. 18.14 VG selbst die Versteifung der Großzehengelenke in günstiger Stellung nur einen GdB von bis zu 10 rechtfertigt. Statische Auswirkungen durch den nach den Ausführungen der Dr. K. bestehenden Senk-Spreiz-Fuß hat diese nicht bestätigt, so dass nach Teil B Nr. 18.14 VG kein GdB bedingt ist. Im Bereich des rechten Kniegelenks ist eine dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen nicht ersichtlich. Nach dem Bericht der Radiologischen Gemeinschaftspraxis S. vom 05.03.2010 bestand ein Zustand nach Zerrung des medialen Kollateralbandes und des vorderen Kreuzbandes. Knorpelschäden bestehen nach dem Bericht nicht.

Dass im Funktionssystem der Arme einen höheren GdB als 10 rechtfertigende Funktionsbehinderungen vorliegen würden, ist nicht ersichtlich. Die sachverständigen Zeugen haben bei ihrer Einvernahme Gesundheitsstörungen im Bereich der Arme nicht angegeben. Bei Begutachtung durch Prof. Dr. A. waren die großen Gelenke aktiv und passiv frei beweglich, lediglich Schmerzen wurden beklagt. Soweit Dr. K. in der ärztlichen Bescheinigung vom 14.11.2014 eine Epicondylitis radialis humeri beidseits angegeben hat, lassen sich darauf beruhende Funktionsbeeinträchtigungen des Ellenbogens nicht feststellen. Die Beweglichkeit der Ellenbogengelenke ist bei der mitgeteilten Beweglichkeit von 0/0/145° nicht eingeschränkt. Hinsichtlich des unter dem 06.12.2011 von Dr. K. bescheinigten Impingementsyndroms der rechten Schulter und der Tendovaginitis stenosans sind Bewegungseinschränkungen der Schulter und der Hand ebenfalls nicht ersichtlich. Funktionsbeeinträchtigungen der Arme sind damit nicht festzustellen.

Im Funktionssystem Herz-Kreislauf ist beim Kläger eine Hypertonie festzustellen. Diese ist höchstens mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigten. Nach Teil B Nr. 9.3 VG führt die leichte Form des Bluthochdrucks ohne oder mit nur geringer Leistungsbeeinträchtigung (höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) zu einem GdB von 0 bis 10, die mittelschwere Form mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades (Augenhintergrundveränderungen - Fundus hypertonicus I-II - und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie), diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung, je nach Leistungsbeeinträchtigung zu einem GdB von 20 bis 40. Dr. St. hat angegeben, der Hypertonus liege zwischen leicht und mittelschwer, da der diastolische Blutdruck mehrfach bei 100 mmHg gelegen habe. Eine Organbeteiligung hat der sachverständige Zeuge allerdings nicht angegeben. Jedenfalls eine mehr als leichte Organbeteiligung ist auch nicht ersichtlich. Augenhintergrundveränderungen hat die sachverständige Zeugin Dr. S. verneint, der Augenhintergrund sei ohne Befund. Nach dem Gutachten des Dr. Schu. vom 20.05.2009 ist eine hypertensive Herzkrankheit bekannt, wobei eine Einschränkung der Herzleistung im Sinne einer linksventrikulären Funktionsstörung aber nicht objektiviert werden konnte.

Im Funktionssystem der Atmung ist vom Beklagten ein Bronchialasthma berücksichtigt, welches vom Beklagten zutreffend nicht mit einem höheren GdB als 10 bewertet worden ist. Wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen sind insoweit nicht dokumentiert. Dr. St. hat den Kläger wegen einer Erkrankung der Atmungsorgane nicht behandelt. Nach dem Testbogen für ALK-Allergene vom 18.06.2009 (Blatt 38 der Senatsakten) hat der Hautarzt und Allergologe keine Allergie festgestellt. Nach dem Gutachten des Dr. Schu. sprach nur das Blutbild für ein allergisches Geschehen, eine Lungenfunktionsuntersuchung zeigte keine Einschränkungen. Die Annahme mehr als seltener Anfälle im Rahmen einer Hyperreagibilität und eine höhere Bewertung als mit einem Teil-GdB von 10 nach Teil B Nr. 8.5 VG ist danach nicht gerechtfertigt.

Hinsichtlich des vom Beklagten mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigten Tinnitus ist eine Verschlimmerung nicht ersichtlich. Der Kläger hat mit seinem Neufeststellungsantrag am 04.10.2011 diesbezüglich auch keine Verschlimmerung geltend gemacht. Dass er sich wegen des Tinnitus aktuell in Behandlung befindet, hat er nicht mitgeteilt. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. A. hat der Kläger Beeinträchtigungen durch einen Tinnitus nicht geltend gemacht. Neue Gesichtspunkte, die eine von der bisherigen Bewertung abweichende Beurteilung rechtfertigen, sind damit nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.

Der Diabetes mellitus, den der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 bewertet, bedingt ebenfalls keinen höheren GdB. Nach den Angaben des Dr. St. wurden zunächst keine medikamentösen Maßnahmen verordnet, weshalb Hypoglykämien nicht zu erwarten seien. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. A. ist ersichtlich, dass der Kläger mit Metformin behandelt wird. Metformin, kann – wie dem Senat aus einer Vielzahl vergleichbarer Verfahren bekannt ist – regelhaft keine Hypoglykämien auslösen. Der Kläger wird lediglich durch die Einnahme des Medikaments und die Ernährungsumstellung in seiner Lebensführung – mithin kaum – beeinträchtigt. Daher ist vorliegend der GdB mit 0 anzunehmen (Teil B Nr. 15.1 VG).

Für das Funktionssystem der Augen kann kein Teil-GdB von wenigstens 10 vergeben werden. Nach Teil B Nr. 4 VG ist für die Beurteilung des GdB bei einer Sehbehinderung in erster Linie die korrigierte Sehschärfe maßgebend. Der Kläger leidet ausweislich der Angaben der Augenärztin Dr. S. unter einer Conjunktivitis sicca. Der von ihr gemessene Visus mit Korrektur betrug beidseits 1,0, womit die Sehschärfe nicht beeinträchtigt ist. Gesichtsfeldausfälle hat die sachverständige Zeugin nicht erhoben. Im Zusammenhang mit dem Sicca-Syndrom bestehen lediglich Reizerscheinungen, Tränenträufeln und Empfindlichkeit gegen äußere Einwirkungen, die nicht GdB-relevant sind. Einer beidseitigen Verminderung der (korrigierten) Sehschärfe auf höchstens 5/8, was einen GdB von 10 rechtfertigen würde, kommen die beim Kläger bestehenden Beeinträchtigungen nicht gleich.

Eine dauerhafte Behinderung auf dermatologischem Fachgebiet wurde von Prof. Dr. T. nicht bestätigt. Er hat eine wiederkehrende Pilzerkrankung der Fußsohlen bei etwa ein- bis zweimal jährlich behandlungsbedürftigen Schwitzekzemen und trockener Haut in diesem Bereich angegeben. Ekzeme führen bei geringer Ausdehnung und bis zu zweimal im Jahr für wenige Wochen auftretend nach Teil B Nr. 17.1 VG zu einem GdB von 0 bis 10. Entsprechendes gilt nach Teil B Nr. 17.10 VG für Mykosen bei begrenztem Hautbefall. Danach kann für das Funktionssystem der Haut jedenfalls höchstens ein GdB von 10 angesetzt werden.

Weitere, GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen kann der Senat nicht feststellen. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen Morbus-Bechterew, Rheuma bzw. entzündlich-rheumatische Erkrankung, Muskeldystrophie Duchenne, chronische Osteomyelitis und Makuladegeneration sind nicht festzustellen. Nach den Ausführungen des Prof. Dr. A. hat der Kläger diese Diagnosen anhand von Internetrecherchen selbst gestellt. Derartige Erkrankungen wurden beim Kläger jedoch nach den vorliegenden Unterlagen nicht diagnostiziert.

Nach Überzeugung des Senats ist unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen aus Teilwerten von 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Gehirns einschließlich der Psyche, 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems des Rumpfes, höchstens 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems Herz-Kreislauf, 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Atmung, 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Ohren, 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Beine, 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Arme und höchstens 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen des Funktionssystems der Haut, wobei Teil-GdB-Werte von 10 regelmäßig nicht erhöhend wirken (vgl. hierzu Teil A Ziff. 3 Buchst. d) ee)) kein höherer Gesamt-GdB als 50 zu bilden.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "G".

Gemäß § 145 Abs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ist erheblich beeinträchtigt nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden.

Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Die AHP besaßen zwar keine Normqualität, weil sie weder auf einem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften beruhten. Sie waren vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirkten, und deshalb normähnliche Auswirkungen hatten. Auch waren sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden (vgl. BSGE 72, 285, 286; BSG SozR 3-3870 a.a.O.).

Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin Verordnung; VersMedV) getreten. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 17 BVG (jetzt: § 30 Abs. 16 BVG) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht und die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG aufgestellt. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX gelten diese Maßstäbe auch für die Feststellung des GdB.

Bislang konnte sich der Beklagte hinsichtlich der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die VG (Teil D Ziff. 1) berufen. Eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können, enthielten nach Auffassung des Senats weder § 30 Abs. 17 BVG in der Fassung bis 30.06.2011 bzw. § 30 Abs. 16 BVG in der ab 01.07.2011 gültigen Fassung, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, Juris PR-SozR 4/2009), noch andere Regelungen des BVG. Eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Verordnung über Nachteilsausgleiche war bislang auch nicht in den einschlägigen Vorschriften des SGB IX vorhanden. Die Regelungen der VG zum Nachteilsausgleich "G" (und "aG") waren damit nach ständiger Rechtsprechung des Senats mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 - und vom 14.08.2009 - L 8 SB 1691/08 -, beide veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de; so auch der 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offenlassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Rechtsgrundlage waren daher bislang allein die genannten gesetzlichen Bestimmungen und die hierzu in ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Grundsätze.

Das Tatbestandsmerkmal der im Ortsverkehr üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegten Wegstrecke des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte (grundlegend BSG Urt. vom 10.12.1987 9a RVs 11/87 , SozR 3870 § 60 Nr. 2; BSG Urteil vom 13.08.1997 9 RVS 1/96 , SozR 3 3870 § 60 Nr. 2) die Bewältigung von Wegstrecken von zwei km in einer halben Stunde ohne Berücksichtigung von geographischen Besonderheiten im Einzelfall. Sowohl die Gesetzesmaterialien zur gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG 1979 als auch die AHP 1983 (Seite 123, 127f) enthielten keine Festlegung zur Konkretisierung des Begriffs der im Ortsverkehr üblichen Wegstrecke. Diese Festlegung geht auf eine in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gegriffene Größe von 2 km zurück, die als allgemeine Tatsache, welche zur allgemeingültigen Auslegung der genannten Gesetzesvorschrift herangezogen wurde, durch verschiedene Studien (vgl. die Nachweise in BSG, Urt. vom 10.12.1987 a.a.O.) bestätigt worden ist. Der außerdem hinzukommende Zeitfaktor enthält den in ständiger Rechtsprechung bestätigten Ansatz einer geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit als die von fünf bis sechs km pro Stunde zu erwartende Gehgeschwindigkeit rüstiger Wanderer, da im Ortsverkehr in der Vergleichsgruppe auch langsam Gehende, die noch nicht so erheblich behindert sind wie die Schwerbehinderten, denen das Recht auf unentgeltliche Beförderung zukommt, zu berücksichtigen sind (vgl. BSG Urteil vom 10.12.1987, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass infolge des Zeitablaufs sich die Tatsachengrundlage geändert haben könnte, hat der Senat nicht. Der Senat legt daher in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 02.10.2012 L 8 SB 1914/10 , juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) diese Erkenntnisse weiter der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ortsüblichen Wegstrecken i.S.v. § 146 Abs. 1 SGB IX zugrunde, auch wenn die entsprechenden Regelungen der VG zu dem Nachteilsausgleich "G" wie oben ausgeführt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats unwirksam waren (ebenso der 3. und 6. Senat des LSG Baden Württemberg, Urteile vom 17.07.2012 a.a.O. und vom 04.11.2010 a.a.O.).

Zwischenzeitlich hat jedoch der Gesetzgeber mit Wirkung zum 15.01.2015 in § 70 Abs. 2 SGB IX eine Verordnungsermächtigung eingeführt und in § 159 Abs. 7 SGB IX eine Übergangsregelung getroffen (eingefügt durch Art. 1a des am 15.01.2015 in Kraft getretenen Gesetzes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015; BGBl. II S. 15).

§ 70 Abs. 2 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 lautet nunmehr: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Von der Verordnungsermächtigung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden.

Nach der ebenfalls am 15.01.2015 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX in der Fassung vom 07.01.2015 gelten, soweit noch keine Verordnung nach § 70 Abs. 2 erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des Bundesversorgungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend.

Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX ab dem 15.01.2015 wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" geschaffen (insoweit offen lassend der 3. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 -). Soweit eine entsprechende Anwendung der Maßstäbe der VersMV durch das Gesetz angeordnet ist, lässt sich dem Wortlaut hinreichend deutlich die Regelung für Merkzeichen entnehmen, dass die Bewertungsmaßstäbe der VG Teil D unmittelbar anzuwenden sind. Der Regelung der mit Wirkung zum 01.01.2009 erlassenen VersMV ist bis zum Erlass einer neuen Verordnung nach § 70 Abs. 2 SGB IX damit praktisch Gesetzescharakter verliehen worden (so auch der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2015 - L 6 SB 3121/14 - unter Verweis auf BT-Drs. 18/3190, S. 5, - mittlerweile veröffentlicht in juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die so geschaffene Rechtsgrundlage für die Feststellung des Merkzeichens "G" entfaltet nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 22.05.2015 - L 8 SB 70/13 - juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de) jedoch keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam. Eine Rückwirkung ist in der Übergangsbestimmung gesetzlich nicht geregelt worden, weshalb die gesetzliche Neuregelung erst am Tag des Inkrafttretens Gültigkeit erlangt. Dies ergibt sich auch aus der Begründung zu der Neufassung von § 70 Abs. 2 und § 159 Abs. 7 SGB IX, mit der der Gesetzgeber die Zweifel, ob § 30 Abs. 16 BVG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die medizinische Bewertung des Grades der Behinderung (zusätzlich gemeint wohl: für die Feststellung von Merkzeichen) darstellt, ausräumen will, so dass die Versorgungsmedizinverordnung "künftig auf beide Ermächtigungsnormen" gestützt werden kann (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 2), also eine Regelung für die Zukunft beabsichtigt. Zudem geht der Gesetzgeber mit der Schaffung der Übergangsregelung davon aus, dass "in der Übergangszeit das derzeitige Recht weiter Anwendung findet" (BT-Drs. 18/3190, S. 5 zu Nummer 3).

Folglich stellt der Senat für die Zeit bis zum 14.01.2015 auf die von der Rechtsprechung für die Feststellung des Merkzeichens "G" entwickelten Kriterien und für die Zeit ab dem 15.01.2015 auf die in den VG geregelten Kriterien ab. Vorliegend führt ein Abstellen auf die VG indes zu keinem anderen Ergebnis für den Kläger. So heißt es in Teil D Ziff. 1b VG: In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalls an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d.h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei km, die in etwa einer halben Stunden zurückgelegt wird. Unter Teil D Ziff. 1d VG heißt es weiter: Die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z.B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- oder Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Auch bei inneren Leiden kommt es bei der Beurteilung entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden mit Beeinträchtigung der Herzleistung wenigstens nach Gruppe 3 und bei Atembehinderungen mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, z.B. chronische Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.

Der Senat konnte aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht feststellen, dass beim Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens vorliegt. Weder ist ein für sich festzustellender GdB von 50 für die Wirbelsäulenbeeinträchtigung (Einzel-GdB 20) und der unteren Gliedmaßen gegeben (Einzel-GdB 10) noch finden sich besonders auf die Gehfähigkeit auszuwirkende Funktionseinschränkungen.

Soweit die sachverständigen Zeugen und der Gutachter Prof. Dr. A. eine aufgrund einer claudicatio intermittens spinalis auf 500 Meter reduzierte Gehstrecke annehmen, begründet dies nicht die Voraussetzungen des Merkzeichens G. Zum einen schätzen der sachverständige Zeuge Dr. H. und der Gutachter Prof. Dr. A. den GdB für die Wirbelsäule trotz dieser Symptomatik selbst lediglich auf 30, so dass auch nach dieser Einschätzung ein Schweregrad, der die Annahme einer sich besonders auf die Gehfähigkeit auszuwirkenden Funktionseinschränkung rechtfertigen würde (GdB 40), nicht gegeben ist. Zudem hat Dr. H. nicht ausgeschlossen, dass der Kläger eine Strecke von zwei Kilometern zurücklegen kann. Dr. H. und Prof. Dr. A. stützen sich für ihre Beurteilung einer Wegstreckeneinschränkung nur auf die Angaben des Klägers, die der Senat aber als nicht zuverlässig erachtet. Dr. H. hat ausgeführt, dass der Kläger 2 Kilometer nur mit Pausen zurückzulegen in der Lage sei und nur die freie Gehstrecke auf 500 Meter eingeschränkt sei. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. A. hat der Kläger diesem gegenüber angegeben, 500 Meter laufen zu können, wobei limitierend Schmerzen und Sensibilitätsstörungen seien. Wegen der Schmerzen müssten während des Gehens immer wieder kurze Pause eingelegt werden. Im Rahmen der Befunderhebung hat der Gutachter ein sicheres Gangbild festgestellt. Ebenso ist nach dem Bericht des Dr. H. vom 03.02.2014 das Gangbild flüssig. Die Gehstrecke liege bei 500 Metern, dann müsse der Kläger nach eigenen Angaben wegen Schmerzen im Rücken und in den Beinen stehen bleiben. Dass der Kläger eine Strecke von zwei Kilometern nicht zurückzulegen vermag, folgt aus alledem nicht. Woraus der Gutachter Prof. Dr. A. ableitet, dass der Kläger eine Strecke von zwei Kilometern nicht zurücklegen könne, hat er nicht begründet und erschließt sich dem Senat nicht. Aus der Erforderlichkeit, nach 500 Metern Gehstrecke schmerzbedingt eine Pause einzulegen, folgt zur Überzeugung des Senats nicht zweifelsfrei, dass eine Gehstrecke von zwei Kilometern nicht in einer halben Stunde zurückgelegt werden kann, zumal dies einer Geschwindigkeit von nur vier Kilometern pro Stunde, mithin langsamem Gehen entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Gutachten des Prof. Dr. A. eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen den Angaben des Klägers und der objektiven Beurteilung lag, der Kläger insbesondere sämtliche Bewegungen außerhalb der Untersuchungssituation ohne Angabe von Schmerzen ausführen konnte. Da dies dafür spricht, dass die Schmerzen geringer ausgeprägt sind als vom Kläger dargelegt, rechtfertigt die subjektive Schilderung des Klägers, nur 500 Meter schmerzfrei gehen zu können, nicht die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Gehfähigkeit.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die vom SG durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, ergeben sich insbesondere nicht aus den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Prof. Dr. A. , weshalb der Senat sich auch nicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten von Amts wegen veranlasst sieht. Soweit der Kläger eine fehlende Blutuntersuchung im Rahmen der Begutachtung durch Prof. Dr. A. geltend macht, verkennt er bereits, dass es für die Bewertung des GdB nicht auf konkrete Diagnosen, sondern allein auf die festzustellenden funktionellen Beeinträchtigungen ankommt. Welche Funktionsbeeinträchtigungen nach Auffassung des Klägers durch eine Blutuntersuchung belegt werden könnten, hat er nicht dargestellt und erschließt sich dem Senat nicht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine Blutuntersuchung weiteren Aufschluss zu den durch den Gutachter aufzuklärenden neurologischen Beeinträchtigungen geben könnte. Im Übrigen sind Nachforschungen "ins Blaue hinein" nicht durch die Amtsermittlungspflicht geboten (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2003 - B 13 RJ 39/02 R, SozR 4-1300 § 31 Nr. 1; BSG Urteil vom 05.04. 2001, SozR 3-2600 § 43 Nr. 25; BSG, Urteil vom 07.05.1998 - B 11 AL 81/97 R, juris).

Nach alledem war die Berufung unbegründet und daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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