S 2 SO 340/15 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 340/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bei Abschluss des Mietvertrages über die Wohnung im 3. OG rechts in der Tstraße 00 in E zu Händen der T1- und C E eG vorläufig und darlehensweise einen Betrag von 1.310 Euro zu leisten. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.10.2015 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Anrechnung seiner Altersrente als Einkommen zu gewähren. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen im Sinne einer Kaution für eine Wohnung sowie die Gewährung von ergänzenden Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel.

Der am 00.00.1944 in E geborene Antragsteller stand schon langjährig im Bezug der Grundsicherung bei der Antragsgegnerin. In den vergangenen beiden Jahren hat er keine Grundsicherung erhalten.

Der Antragsteller hatte einen Wohnsitz in der S Straße 000 in E. Diese Wohnung hat er zum 30.09.2013 aufgegeben. Zwischenzeitlich ist er in Deutschland, der Schweiz und Frankreich umhergezogen, um nach eigenen Angaben an seiner Autobiografie zu arbeiten. Er sei freier Journalist, habe an seiner Autobiographie gearbeitet und kein Geld verdient.

Zum 11.09.2015 bescheinigte das Jobcenter E dem Kläger ein Mietangebot für die Tstraße 00 in E.

Der Antragsteller wollte zum 01.10.2015 die Wohnung im 3. OG rechts in der Tstraße 00 vom T1- und C E, einer eingetragenen Genossenschaft, mieten. Die Wohnung ist 56,00 qm groß, die Grundmiete beträgt 239 Euro, die Betriebskostenvorauszahlung beträgt 84 Euro. Voraussetzung zum Bezug der Wohnung ist der Erwerb der Mietgliedschaft und die Ein-zahlung eines Geschäftsanteils von 1.300 Euro zuzüglich 10 Euro Bearbeitungsgebühr. Die Vertragsverhandlungen mit der Genossenschaft hatten die Abschlussreife erreicht. Der Antragsteller hat sich am 01.10.2015 bereits beim Einwohnermeldeamt unter der neuen Anschrift angemeldet.

Am 23.09.2015 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen unter Hinweis auf den beabsichtigten Einzug in die Wohnung in der Tstraße 00 in E. Gleichzeitig beantragte er die Übernahme des Genossenschaftsanteils von 1.300 Euro. Ferner bat er um Überweisung der Leistungen auf sein Konto bei der Sparkasse E.

Der Mietvertragsabschluss scheiterte bisher am Erwerb der Genossenschaftsanteile im Sinne der Einzahlung der Kaution.

Mit Bescheid vom 14.10.2015 lehnte die Antragsgegnerin die beantragten Leistungen ab. Die Hilfebedürftigkeit sei nicht schlüssig nachgewiesen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie der Lebensunterhalt aus der Rente von zurzeit 234,32 Euro seit dem Wegzug aus E habe bestritten werden können.

Ein Bedarf für die Übernahme der vermögensbildenden Geschäftsanteile bestehe nicht, da noch genügend anderweitiger Wohnraum zur Verfügung stehe und es an entsprechenden Nachweisen hinsichtlich der Fehlversuche einer Wohnungsanmietung mit Kaution statt Genossenschaftsanteil fehle.

Der Antragsteller begehrt nun einstweiligen Rechtsschutz.

Mit Beschluss vom 04.11.2015 hat das Sozialgericht Dortmund den Rechtsstreit unter dem dortigen Aktenzeichen S 43 SO 538/15 ER an das Sozialgericht Detmold verwiesen, weil der Antragsteller nach Auffassung der dortigen 43. Kammer keinen Wohnsitz in E habe.

Die Wohnung ist bisher nicht anderweitig vermietet, wie eine telefonische Nachfrage des hiesigen Gerichts bei der Genossenschaft in E ergeben hat. Für die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

II.

Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.

Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 86b Abs. 1 SGG auf Antrag ( ...) 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Diese Bestimmung kommt auch zur Anwendung, wenn die Verwaltung die aufschiebende Wirkung nicht beachtet, also die aufschiebende Wirkung festgestellt werden muss (Meyer-Ladewig-Keller, Kommentar zum SGG § 86b Rdnr. 5 und 15). Gemäß § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines bestehenden Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind gemäß §§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens bedarf es einer Interessenabwägung, ob dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten unzumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Im vorliegenden Fall sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch. Er hat Anspruch sowohl auf die Leistung ergänzender Grundsicherungsleistungen als auch auf die darlehensweise Übernahme der Genossenschaftsanteile, die die Funktion einer Mietkaution haben.

Zuständig ist in Bezug auf den Antragsteller hier die Stadt Dortmund als Sozialamt. Das hiesige Gericht teilt die Auffassung der 43. Kammer des SG Dortmund ausdrücklich nicht, der Antragsteller habe keinen Wohnsitz in Dortmund. Zwar ist das hiesige Gericht an die Verweisung gebunden, in der rechtlichen Würdigung der materiellen Sach- und Rechtslage ist das Gericht jedoch ungebunden.

Sachlich zuständig ist gemäß § 85 SGB XII der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Im vorliegenden Einzelfall hat der Antragsteller nicht etwa nur den Wunsch einen Wohnsitz in E zu nehmen, insoweit wäre dann für die Leistungen der überörtliche Träger, also der LWL, zuständig, um dem Antragsteller die Wohnsitznahme zu ermöglichen. Vielmehr hat sich die Wohnsitzbegründung schon derart verdichtet, dass sie lediglich von der Leistungsbewilligung des Sozialamtes wirtschaftlich abhängig war.

Einen Wohnsitz hat jemand gemäß § 30 Abs. 3 SGB I dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Soweit der Antragsteller vorübergehend bei seinem Bekannten Herrn X aufgenommen wurde, damit er nicht auf der Straße steht, begründet dies noch nicht einmal einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, geschweige denn einen Wohnsitz. Demgegenüber waren die Vertragsverhandlungen mit der T1- und Cgenossenschaft in E bereits abschlussreif. Die Genossenschaft wollte an den Antragsteller vermieten. Dieser wollte die Wohnung mieten. Er hat sich sogar schon beim Einwohnermeldeamt umgehend angemeldet. Somit hatte der Antragsteller bereits eine Wohnung dergestalt inne, dass darauf zu schließen war, dass er die Wohnung beibehalten und nutzen wird. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung auch auf ein voluntatives Element an. Es bestehen keine vernünftigen Zweifel, dass der Antragsteller selbst, der in E geboren wurde, der jahrelang in E gewohnt hat und der noch immer ein Konto bei der Sparkasse E unterhält, fest davon ausgegangen ist, dass er in die Wohnung einzieht und das sein neues Zuhause ist. Dass der Antragsteller dabei den Mietvertrag nicht einfach ohne die endgültige Leistungsbewilligung durch das Sozialamt unterschrieben hat, wie es in der Praxis gar nicht so selten unter dem Aspekt des Faktenschaffens vorkommt, sondern er gewissenhaft zugewartet hat, dass die Sicherheitsleistung für die Wohnung ihm vom Sozialamt auch tatsächlich bewilligt wird, spricht dabei lediglich dafür, dass der Antragsteller ganz korrekt handeln wollte und gehandelt hat. Das darf dem Antragsteller nicht zum Nachteil gereichen. Er hat willentlich alles veranlasst, was zur Wohnsitznahme erforderlich war.

Der Anspruch auf ergänzende Grundsicherung ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 41, 42 SGB XII. Hinsichtlich der Grundsicherung ist die Antragsgegnerin der Auffassung, der Antragsteller habe seine Bedürftigkeit nicht dargelegt, indem aus ihrer Sicht nicht belegt sei, wie der Antragsteller in den beiden letzten Jahren von monatlich lediglich circa 230 Euro Altersrente gelebt haben wolle.

Zur Überzeugung der Kammer ergibt sich aus dem Gesamtbild der Akte bei dem Antragsteller, der bereits langjährig im Leistungsbezug in E stand, und der dann seine Wohnung aufgegeben hat, weil er sich von Drogendealern in seiner häuslichen Umgebung bedroht gefühlt habe und der in Eigenregie als freier Journalist seine Autobiographie schreiben wollte, und der dann in Deutschland und Frankreich umhergezogen ist, dass der Antragsteller über kein weiteres Einkommen als seine kleine Altersrente verfügt. Der Antragsteller muss ohnehin nur glaubhaft machen, dass er aktuell bedürftig ist und über keine Geldmittel oberhalb der Freigrenzen verfügt. Das hat er im Verwaltungsverfahren angegeben. Sein berichteter Lebensstil der vergangenen zwei Jahre gibt auch keine ernsthaften Hinweise, dass er zwischenzeitlich irgendein Vermögen aufgebaut haben könnte.

Der Antragsteller hat auch Anspruch auf Darlehensweise Gewährung der Genossenschaftsanteile als Mietsicherheit. Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen und Umzugskosten können gemäß § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII bei vorheriger Zustimmung übernommen werden; Mietkautionen sollen als Darlehen erbracht werden. Eine Zustimmung soll gemäß § 35 Abs. 2 Satz 6 erteilt werden, wenn der Umzug durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Soweit die Antragstellerin die Übernahme der Genossenschaftsanteile für die genannte Wohnung ablehnt, geht sie zunächst einmal selbst auf Blatt 55 in ihrem Aktenvermerk von einer Angemessenheit der Wohnung als solcher für eine Person aus. Der Bedarf nach der Wohnung ergibt sich daraus, dass der Antragsteller über keine eigene Wohnung mehr verfügt. Soweit dann unmittelbar anschließend in der Akte mit Bescheid vom 14.10.2015 die Übernahme der Genossenschaftsanteile abgelehnt wird, ist dies rechtsfehlerhaft. Größere Vermietungsgesellschaften sind häufig als Genossenschaften organisiert. Dabei wird die Vermietung der Wohnung regelmäßig von dem Erwerb entsprechender kleiner Genossenschaftsanteile abhängig gemacht, die wirtschaftlich betrachtet die Funktion einer Kaution im Mietrecht haben. Insoweit ist der Verweis darauf, der Antragsteller möge sich ein Mietobjekt mit Kautionszahlung suchen, diese gäbe es hinreichend in E, beinahe schon als Spitzfindigkeit zu charakterisieren. Auch bei der gewöhnlichen zivilrechtlichen Mietkaution wird in Bezug auf einen Hilfeempfänger der Geldbetrag regelmäßig dem Hilfeempfänger übereignet und dieser muss ihn je nach Mietvertragsgestaltung entweder an den Vermieter sicherungsübereignen oder aber verpfänden. Das Argument, die Genossenschaftsanteile seien Kapitalbildung, verfängt also nicht. Genauso wie der Anspruch auf Rückzahlung der gewöhnlichen Mietkaution an das leistungsgewährende Amt abgetreten werden kann, geht dies auch mit dem Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der Genossenschaftsanteile. Genossenschaftsanteile stehen auch nach der Rechtsprechung des LSG NRW der Mietkaution gleich (vgl. LSG NRW vom 26.04.2007 zu Aktenzeichen L 9 SO 25/06).

Der Anordnungsgrund ergibt sich aus der Obdachlosigkeit und bedarf keiner weiteren Erörterung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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