L 11 KR 2415/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2039/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2415/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Weigerung eines in der GKV Versicherten, einen formularmäßigen Rentenantrag zu stellen, löst nicht die Rechtsfolge des § 51 Abs. 3 SGB V aus, wenn ein Rentenantrag aufgrund der Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI vorliegt und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sowie der Eintritt des Leistungsfalles geklärt sind und der Rentenversicherungsträger daher ohne weiteres in der Lage wäre, einen Rentenbescheid, ggf. mit vorläufiger Regelung der Rentenhöhe, zu erlassen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 05.05.2015 und der Bescheid der Beklagten vom 06.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.07.2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 26.04. bis 09.08.2013 zu zahlen.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 26.04.2013 bis 09.08.2013.

Der 1954 geborene Kläger (GdB 60) ist als Maschinenführer (Metallverformer) versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten nach § 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gesetzlich krankenversichert.

Am 05.10.2012 erkrankte der Kläger arbeitsunfähig an einer chronisch-obstruktiven Lungen- sowie an einer Herzerkrankung. Nach Beendigung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewährte die Beklagte dem Kläger ab 16.11.2012 Krankengeld.

Am 03.12.2012 beantragte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung.

Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). In der Stellungnahme vom 13.12.2012 führte Dr. H. aus, beim Kläger liege eine dilatative Kardiomyopathie und Diabetes mellitus vor. Außerdem leide er an einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung. Schon bei geringer körperlicher Belastung komme es zu anhaltender Atemnot. Zwischenzeitlich sei auch eine primär prophylaktische Implantation eines ICD-Aggregats vorgenommen worden. Die gegenwärtig als körperlich schwer einzustufende Tätigkeit sei dauerhaft nicht mehr leidensgerecht, sodass Arbeitsunfähigkeit auf Dauer vorliege. Damit liege zugleich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vor; die Voraussetzungen des § 51 SGB V seien erfüllt. Die Einschätzung des Hausarztes des Klägers, wonach eine Wiederaufnahme der bislang verrichteten Tätigkeit Anfang Dezember 2012 möglich sein sollte, sei nicht plausibel.

Mit Schreiben vom 17.12.2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Rücknahme des Reha-Antrags und andere, im Einzelnen aufgeführte Rechtshandlungen bedürften ihrer Zustimmung. Der Krankengeldanspruch könne ab 01.03.2013 rückwirkend entfallen, wenn er eine zustimmungspflichtige Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger ohne ihre Zustimmung abgebe.

Mit Bescheid vom 29.01.2013 lehnte die DRV den Reha-Antrag ab. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers könne durch medizinische Rehabilitationsleistungen nicht wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden. Der Reha-Antrag gelte als Rentenantrag. Der Kläger möge einen förmlichen Rentenantrag stellen.

Mit weiterem Schreiben vom 29.01.2013 teilte die DRV dem Kläger mit, die beantragten Teilhabeleistungen seien nicht erfolgversprechend, da seine Erwerbsfähigkeit voraussichtlich durch die beantragte Leistung zu Teilhabe nicht wesentlich verbessert oder wiederhergestellt werden könne. Nach ihren Feststellungen liege volle Erwerbsminderung auf Dauer seit 05.10.2012 vor. Die Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer werde von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die jeweilige Rente erfüllt seien. Das gelte jedoch nur dann, wenn der Rentenantrag rechtzeitig, dh bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, gestellt werde. Erfolge die Antragstellung nach Ablauf dieser Frist, beginne die Rente aus eigener Versicherung am 01. des Antragsmonats. Der Antrag auf Gewährung von Rehabilitationsleistungen gelte als Rentenantrag. Der Kläger möge, sein Einverständnis vorausgesetzt, sobald wie möglich (bis 28.02.2013) einen formellen Rentenantrag stellen bzw einen Termin zur Antragsaufnahme vereinbaren. Als Antragsdatum möge er den 03.12.2012 eintragen. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2012 seien erfüllt. In einer dem Schreiben beigefügten weiteren Anlage seien Fehlzeiten aufgeführt. Sofern in diesen Zeiten Beitrags-, Beschäftigungs- oder Anrechnungszeiten zurückgelegt worden seien, möge der Kläger Nachweise hierüber vorlegen. Der Kläger sei zur Mitwirkung verpflichtet und müsse für die notwendigen Angaben die einschlägigen Vordrucke benutzen. Werde bis zum 28.02.2013 ein formeller Rentenantrag nicht gestellt und könnten die für die Rentenfeststellung notwendigen Informationen noch nicht aus den vorliegenden Unterlagen entnommen werden, werde man einen förmlichen Ablehnungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung erteilen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt das Schreiben nicht.

Nachdem der Kläger in der Folgezeit keinen formularmäßigen Rentenantrag stellte, teile ihm die DRV mit Schreiben vom 04.04.2013 mit, das Verfahren über die Umdeutung des Reha-Antrags in einen Rentenantrag ruhe bis zu einer Entscheidung der Beklagten.

Mit Schreiben vom 17.04.2013 forderte die Beklagte den Kläger zur Stellung eines förmlichen Rentenantrags bis 25.04.2013 auf. Andernfalls müsse man den Anspruch auf Krankengeld erneut prüfen.

Unter dem 30.04.2013 trug der Kläger vor, er werde den Reha-Antrag zwar nicht zurücknehmen, aber auch einen förmlichen Rentenantrag unter Ausfüllung der entsprechenden Antragsformulare nicht stellen. Seine entsprechende Mitwirkungspflichten dürfe nur die DRV, nicht jedoch die Beklagte einfordern. Sein Arbeitsverhältnis bestehe fort und er beabsichtige in Absprache mit dem behandelnden Arzt und der Schwerbehindertenvertretung eine Wiedereingliederung in das Arbeitsleben.

Mit Bescheid vom 06.05.2013 beendete die Beklagte die Zahlung von Krankengeld zum 25.04.2013. Nach § 51 Abs 3 SGB V entfalle der Anspruch auf Krankengeld, wenn der Versicherte den Antrag nicht stelle. Der Kläger sei zur Mitwirkung im Verfahren verpflichtet. Die Weigerung zur Stellung eines förmlichen Rentenantrags genüge für die Beendigung der Krankengeldzahlung (§ 66 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I).

Am 22.05.2013 erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, er habe bei der DRV einen Antrag gestellt und wirke nur im weiteren Verwaltungsverfahren des Rentenversicherungsträgers nicht mit. Die Beklagte könne dies nicht geltend machen und möge ihm weiterhin Krankengeld zahlen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Krankengeldanspruch ende ab dem Bezug von Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 50 Abs 1 Nr 1 SGB V). Es genüge, wenn die Rente bewilligt sei. Dies sei hier mit dem Bescheid der DRV vom 29.01.2013 geschehen. Die DRV habe dem Kläger darin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.11.2012 bewilligt und lediglich noch Nachweise für Fehlzeiten angefordert. Eines förmlichen Rentenantrags bedürfe es nach Umdeutung eines Reha-Antrags in einen Rentenantrag nicht.

Am 05.06.2013 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Konstanz (SG) vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 19.07.2013 verpflichtete das SG die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 05.06. bis 25.06.2013 zu gewähren und lehnte im Übrigen (für die Zeit vor Antragstellung beim SG) den Antrag ab. Die Krankenkasse könne nach § 51 Abs 1 SGB V dem Versicherten zwar die Stellung eines Reha-Antrags, nicht jedoch eines förmlichen Rentenantrags aufgeben. Die DRV habe mit dem Schreiben vom 29.01.2013 auch keine Rente bewilligt (AZ: S 8 KR 1411/13 ER). Im Beschwerdeverfahren hob das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 02.09.2014 (L 5 KR 3596/13 ER-B) den Beschluss auf. Die Beklagte könne sich auf § 51 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB V als Rechtsgrundlage für die erfolgte Einstellung der Krankengeldzahlungen berufen. Die Verhinderung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens entspreche der Sache nach der Rücknahme des Antrags durch den Versicherten, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Rechtsfolge des § 51 Abs 3 SGB V auslösen könne.

Am 17.07.2013 hat der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 10.07.2013 Klage zum SG erhoben (S 8 KR 1810/13). Er habe gegen die Einschränkung seiner Dispositionsbefugnis nach § 51 SGB V nicht verstoßen. Er habe den Antrag vom 03.12.2012 nicht zurückgenommen und könne nach § 51 SGB V nicht verpflichtet werden, einen förmlichen Rentenantrag zu stellen. Sein Wille, das Rentenverfahren nicht weiter zu betreiben, sei allenfalls erstmals nach der Umdeutung des Reha-Antrags in einen Rentenantrag zum Vorschein gekommen. Die Verletzung etwaiger Mitwirkungspflichten im Rentenverfahren könne die Beklagte nicht geltend machen. Die Beklagte habe zudem im Bescheid vom 06.05.2013 nicht ermessensfehlerfrei entschieden. Er habe für sein Verhalten einen erheblichen Grund gehabt, denn er könne nun durch Weiterarbeit seine Rentenbemessungsgrundlagen verbessern.

Nach Abschluss einer erfolgreichen stufenweisen Wiedereingliederung ist der Kläger seit dem 10.08.2013 wieder erwerbstätig. Vom 09.01. bis 30.07.2014 hat das Verfahren beim SG geruht und ist anschließend unter dem Aktenzeichen S 8 KR 2039/14 fortgeführt worden.

Mit Urteil vom 05.05.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die Zahlung von Krankengeld zum 25.04.2013 eingestellt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Krankengeldanspruch jedoch nicht bereits gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V wegen des Bezugs einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgeschlossen. Dem Kläger sei eine solche Rente wegen voller Erwerbsminderung bislang nicht bewilligt worden. Das Schreiben der DRV vom 29.01.2013 sei keine Bewilligung, es werde weder ein Rentenbeginn noch die Rentenhöhe verfügt. Es handele sich ersichtlich um die Aufforderung an den Kläger zur Mitwirkung im anhängigen Rentenverfahren. Das Schreiben enthalte zwar Elemente einer Zusicherung zu den wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen, nicht aber den Verfügungssatz, dass Rente in einer bestimmten Höhe ab einem bestimmten Zeitpunkt gewährt werde. Die Beklagte könne sich allerdings auf § 51 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB V als Rechtsgrundlage für die erfolgte Einstellung der Krankengeldzahlungen berufen. Die Vorschrift wolle zum einen die doppelte Gewährung von Sozialleistungen vermeiden und zum anderen die sachgerechte Abgrenzung der Leistungszuständigkeit von Kranken- und Rentenversicherung dahin vornehmen, dass Rentenzahlungen den Vorrang vor Krankengeldzahlungen haben, weil es in erster Linie Aufgabe der Rentenversicherung sei, bei dauerhafter Erwerbsminderung mit Leistungen einzutreten. Habe ein Versicherter bereits einen Reha- oder Rentenantrag gestellt, dürfe die Krankenkasse die Dispositionsbefugnis des Versicherten auch mit einer nachträglichen (nachgeschobenen) Aufforderung einschränken, welche dieselben Rechtswirkungen wie die Aufforderung nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V habe (unter Hinweis auf BSG 26.06.2008, B 13 R 37/07 R). Vorliegend habe die Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2012 die Dispositionsbefugnis des Klägers in Bezug auf den am 03.12.2012 gestellten Reha-Antrag eingeschränkt. Sie habe mit Schreiben vom 17.04.2013 erneut an die Stellung eines förmlichen Rentenantrags erinnert und nach der Weigerung des Klägers, am Rentenverfahren mitzuwirken, mit Bescheid vom 06.05.2013 die Einstellung der Krankengeldzahlungen zum 25.04.2013 verfügt. Der Kläger habe durch seine Weigerung, am Rentenverfahren sachgerecht mitzuwirken, den Antrag vom 03.12.2012 praktisch gegenstandslos gemacht, was die Beklagte zur Einstellung der Krankengeldzahlungen berechtige. Andernfalls würden die Einwirkungsmöglichkeiten der Krankenkasse ad absurdum geführt. Die Verhinderung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens entspreche der Sache nach der Rücknahme/Verhinderung des Antrags durch den Kläger (unter Hinweis auf BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R). Die Einstellung nach § 51 Abs 3 SGB V stehe nicht im Ermessen der Krankenkasse. Die berechtigten Interessen des Versicherten, insbesondere, wenn noch eine erhebliche Verbesserung der Rentenbemessungsgrundlagen möglich sei, wären vielmehr bereits im Vorfeld bei der Bindung des Versicherten an den gestellten Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Krankenkasse im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen. Diese Bindung an den Antrag habe die Beklagte durch die Aufforderung vom 17.12.2012 veranlasst. Dieser Verwaltungsakt vom 17.12.2012 sei aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 13.05.2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 08.06.2015 eingelegte Berufung des Klägers. Eine Verhinderung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens entspreche in keiner Weise einer Rücknahme des Antrags durch den Versicherten. Eine gesetzliche Grundlage dafür, dass mangelnde Mitwirkung im Rentenverfahren mit einer Rücknahme des Antrags auf Rente gleichzusetzen sei, sei nicht ersichtlich. Dem Rentenversicherungsträger stünden gesetzliche Sanktionsmöglichkeiten für mangelnde Mitwirkung der Versicherten zur Verfügung. Deshalb sei es - im Gegensatz zu der Situation bei der Rücknahme eines Rentenantrags - lediglich eine Frage der Zeit, bis das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß fortgesetzt werden könne. Das SG habe sich in keiner Weise damit auseinandergesetzt, dass der Kläger bereits seit dem 10.08.2013, abgesehen von normalen Krankheitstagen, bis heute wieder durchgängig seiner relativ schweren Arbeit nachgehe. Das SG verkenne auch, dass in der MDK-Stellungnahme lediglich Arbeitsunfähigkeit auf Dauer festgestellt werde. Das Vorliegen einer Erwerbsminderung setze jedoch voraus, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, beliebige Arbeiten auf dem Arbeitsmarkt auszuführen. Sei der Kläger nur 3 Monate nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides wieder in der Lage, seine schwere Tätigkeit auszuüben, sei davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung zumindest in der Lage gewesen sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Damit sei die Grundvoraussetzung des § 51 Abs 1 SGB V nicht erfüllt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 05.05.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 06.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für die Zeit vom 26.04. bis 09.08.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger gehe mit keinem Wort auf die sehr ausführliche Argumentation des LSG Baden-Württemberg im Beschluss vom 02.09.2014 (L 5 KR 3596/13 ER-B) ein und setzte sich auch nicht mit den Urteilen des BSG vom 16.12.2014 (B 1 KR 31/13 R und B 1 KR 32/13 R) auseinander, welche die Rechtsansicht des LSG Baden-Württemberg bestätigten. Es komme nicht auf die Sanktionsmöglichkeiten der Rentenversicherung an, wenn der Kläger nicht am Rentenverfahren mitwirke, denn letztlich könne dies der Rentenversicherung gleichgültig sein. Über § 51 SGB V solle das Interesse der Beklagten als gesetzliche Krankenversicherung gewahrt werden und nicht ein Interesse der DRV, weshalb es auf die Sanktionsmöglichkeiten der Beklagten ankomme. Die neuerliche Arbeitsaufnahme des Klägers sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Wenn der Kläger die Beurteilung seiner gesundheitlichen Leistungsfähigkeit für medizinisch unzutreffend festgestellt erachte, hätte es ihm oblegen, die medizinische Beurteilung mit dem hierfür vorgesehenen Rechtsmitteln anzugreifen. Aktuell müsse die Beklagte davon ausgehen, dass die erfolgte Arbeitsaufnahme zu Lasten der Restgesundheit erfolge und weise darauf hin, dass in einer solchen Situation ebenfalls kein Anspruch auf weiteren Bezug von Krankengeld entstehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig und in der Sache auch begründet. Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom 06.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht stellte die Beklagte das Krankengeld mit Ablauf des 25.04.2013 ein und lehnte es ab, Krankengeld fortzuzahlen. Der Kläger hat deshalb Anspruch auf Krankengeld für den Zeitraum vom 26.04. bis 09.08.2013.

Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (BSG 14.12.2006, B 1 KR 9/06 R, BSGE 98, 33 = SozR 4-2500 § 47 Nr 6; BSG 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R, BSGE 111, 9 = BSG SozR 4-2500 EUR 44 Nr 17).

Nach § 46 Satz 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld (1.) bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an (2.), im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Wird Krankengeld wegen ärztlich festgestellter Arbeitsunfähigkeit begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes demgemäß grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Um die Mitgliedschaft versicherungspflichtig Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten, genügt es dabei, dass sie mit Ablauf des letzten Tages ihrer Beschäftigung alle Voraussetzungen dafür erfüllen, dass mit dem zeitgleichen Beginn des nächsten Tages ein Anspruch auf Krankengeld entsteht (BSG 10.05.2012, aaO).

Der Kläger war auch über den 25.04.2013 hinaus durchgehend bis 09.08.2013 arbeitsunfähig erkrankt, denn er war aufgrund der vorliegenden dilatativen Kardiomyopathie und der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung nicht in der Lage, der körperlich schweren Arbeit als Maschinenführer nachzugehen. Der Kläger hat die Arbeitsunfähigkeit auch jeweils rechtzeitig ärztlich feststellen lassen. Der Versicherungsschutz mit Krankengeldanspruch wird daher grundsätzlich für den gesamten streitigen Zeitraum nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V aufrechterhalten. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs 3 Satz 1 SGB V würde lediglich bewirkt, dass der Anspruch auf Auszahlung von Krankengeld entfällt, nicht aber das Stammrecht (BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R, SozR 4-2500 § 51 Nr 3).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Krankengeldanspruch für den streitigen Zeitraum nicht bereits nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift endet der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte, die ua Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen vom Beginn dieser Leistung an. Damit soll verhindert werden, dass dem gleichen Zweck - dem Ersatz von Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen - dienende Sozialleistungen kumulativ bezogen werden. Die Rente wird im Sinne von § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V bezogen, wenn der Rentenversicherungsträger sie bewilligt hat (BSG 28.09.2010, B 1 KR 31/09 R, BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2). Das SG hat zutreffend dargelegt, dass das Schreiben der DRV vom 29.01.2013 nicht als Rentenbewilligung ausgelegt werden kann. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die überzeugenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil Bezug (§ 153 Abs 2 SGG).

Der Krankengeldanspruch ist auch nicht auf der Grundlage von § 51 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 SGB V entfallen. Danach kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichen Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von 10 Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr 1 und 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - SGB IX) zu stellen haben. Wird der Antrag nicht innerhalb der Frist gestellt, entfällt der Anspruch auf Krankengeld gemäß § 51 Abs 3 SGB V mit Ablauf der Frist. Wird der Antrag später gestellt, lebt der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tag der Antragstellung wieder auf.

Die Aufforderung unter Fristsetzung einen Reha-Antrag zu stellen (§ 51 Abs 1 Satz 1 SGB V), dient zunächst und in erster Linie dazu, bei dem Versicherten mittels Leistungen der medizinischen Rehabilitation und Teilhabe die Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu beseitigen. Dies ist Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, wonach die Leistungen zur Teilhabe Vorrang haben vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind. Die Vorschrift will den Vorrang der Rentenzahlungen vor Krankengeldleistungen bei dauerhafter Erwerbsminderung sicherstellen. Hierzu räumt die Regelung den Krankenkassen die Möglichkeit ein, ihre Versicherten zu veranlassen, mittelbar (wegen der Rentenantragsfiktion § 116 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI), einen Rentenantrag zu stellen und hierdurch Einfluss auf den Beginn der antragsabhängigen Leistung zu nehmen (§ 99 SGB VI). Dies kann einen Wegfall ihrer Leistungszuständigkeit für das Krankengeld schon vor Erreichen der Anspruchshöchstdauer nach § 48 SGB V bewirken. Gleichzeitig wird die nicht rechtzeitige Antragstellung durch das Entfallen des Anspruchs auf Krankengeld sanktioniert (§ 51 Abs 3 Satz 1 SGB V). Die Regelung in § 50 SGB V könnte ohne Unterstützung durch § 51 SGB V unterlaufen werden, wenn der Versicherte die erforderliche Antragstellung (willkürlich) unterlässt (BSG 26.06.2008, B 13 R 37/07 R, BSGE 101, 86 = SozR 4-2500 § 51 Nr 2). Die gesetzliche Risikozuordnung zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und gesetzlicher Rentenversicherung unterliegt nicht der Disposition des Versicherten, was sich auch in der fehlenden Befugnis des Versicherten zeigt, einen nach Aufforderung seiner Krankenkasse gestellten Reha-Antrag zurückzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann der Versicherte seinen Antrag wirksam nur noch mit Zustimmung der Krankenkasse zurücknehmen oder beschränken (BSG 26.06.2008, B 13 R 37/07 R, aaO). Hat ein Versicherter bereits einen Reha- oder Rentenantrag gestellt, darf die Krankenkasse die Dispositionsbefugnis des Versicherten auch mit einer nachträglichen bzw nachgeschobenen Aufforderung einschränken. Diese hat dieselbe Rechtswirkung wie die Aufforderung nach § 51 Abs 1 Satz 1 SGB V (BSG 26.06.2008, aaO).

Eine entsprechende Aufforderung hat die Beklagte hier mit Schreiben vom 17.12.2012 vorgenommen und damit die Dispositionsbefugnis des Klägers eingeschränkt. Diese Aufforderung an den Kläger stellt einen Verwaltungsakt dar (BSG 07.12.2004, B 1 KR 6/03 R, BSGE 94, 26 = SozR 4-2500 § 51 Nr 1). Ob die Beklagte im Rahmen dieser Entscheidung ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht - auch nicht inzident - zu prüfen (BSG 16.12.2014, B 1 KR 32/13 R, juris). Den Bescheid vom 17.12.2012 hat der Kläger nicht angefochten, dieser ist bestandskräftig geworden. Der Kläger hat vorliegend unter dem 03.12.2012 einen Reha-Antrag gestellt, der im Falle der Erfolglosigkeit grundsätzlich die Wirkung eines Antrags auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 116 Abs 2 SGB VI hat (BSG 07.12.2004, B 1 KR 6/03 R, aaO). In der Folgezeit hat sich der Kläger lediglich geweigert, den formularmäßigen Rentenantrag zu stellen. Auf die nochmalige ausdrückliche Aufforderung der Beklagten vom 17.04.2013 hat der Kläger mit Schreiben vom 30.04.2013 mitteilen lassen, dass er die entsprechenden Formulare nicht ausfüllen werde und vielmehr davon ausgehe, seine Tätigkeit wieder aufnehmen zu können.

Diese Konstellation ist nicht vergleichbar damit, dass ein Versicherter (rechtsmissbräuchlich) ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren verhindert, was der Sache nach der Rücknahme des Antrags entsprechen und die Rechtsfolge des § 51 Abs 3 SGB V auslösen würde (dazu BSG 16.12.2014, B 1 KR 31/13 R und B 1 KR 32/13 R, aaO). Vorliegend ist es gerade nicht so, dass der Rentenantrag durch die DRV nicht bearbeitet werden könnte. Ein Antrag liegt aufgrund der Fiktion des § 116 Abs 2 SGB VI vor. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und der Eintritt des Leistungsfalls sind bereits geklärt, wie sich dem Schreiben der DRV vom 29.01.2013 entnehmen lässt. Die DRV wäre daher ohne weiteres in der Lage, einen Rentenbescheid zu erlassen, ggf auch mit vorläufiger Regelung der Rentenhöhe. Es besteht aus diesem Grund vorliegend auch überhaupt kein Bedürfnis, die Regelung des § 51 Abs 3 SGB V über ihren Wortlaut hinaus auch auf Fälle der fehlenden Vorlage des vorgesehenen Antragsformulars zu erstrecken (ebenso Senatsurteil vom 11.07.2006, L 11 KR 936/06, juris; LSG Nordrhein-Westfalen, L 5 KR 44/07, juris; aA LSG Baden-Württemberg 02.09.2014, L 5 KR 3596/13 ER-B).

Da sich die Beklagte nicht auf § 51 Abs 3 SGB V stützen kann, kommt es vorliegend nicht mehr darauf an, ob sie auf das Schreiben des Klägers vom 30.04.2013, welches als entsprechender Antrag gewertet werden kann, verpflichtet gewesen wäre, ihre Zustimmung zur Rücknahme des Reha-/Rentenantrags zu erteilen (vgl dazu BSG 04.06.1981, 3 RK 50/80, BSGE 52,26 = SozR 2200 § 1248 Nr 33; Brinkhoff in juris-PK SGB V, § 51 RdNr 15).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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