L 11 VU 37/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 161 VU 336/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VU 37/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts in dem angefochtenen Urteil bleibt hiervon unberührt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente infolge erlittener Haft in der ehemaligen DDR nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) – vormals Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) – von 30 (v. H.).

Der 1961 geborene Kläger wurde am 11. Januar 1982 in der ehemaligen DDR in Haft genommen. Durch Urteil des Stadtgerichts B vom 24. Mai 1982 (Az. ) wurde er wegen landesverräterischer Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Er war zwischen dem 11. Januar und dem 14. Oktober 1982 inhaftiert, und zwar im Wesentlichen in Untersuchungshaft in H und anschließend in Strafhaft in C. Mit Beschluss des Stadtgerichts B vom 8. Oktober 1982 wurde die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit betrug zwei Jahre bei Beginn der Bewährungszeit am 15. Oktober 1982. Am 14. Oktober 1982 wurde der Kläger aus der Haft und in die Bundesrepublik Deutschland entlassen.

Am 20. Oktober 1982 beantragte der Kläger eine Beschädigtenversorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse, die den Antrag zuständigkeitshalber dem Beklagten zuleitete. Der Beklagte stellte unter dem 1. Dezember 1982 eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG für einen politischen Gewahrsam des Klägers vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982 aus. Wegen des Antrags auf Beschädigtenversorgung ermittelte der Beklagte medizinisch und holte unter anderem ein fachorthopädisches Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. T und ein versorgungsärztlich-internistisches Gutachten des Versorgungsarztes Dr. S ein. Den Gutachtern folgend lehnte der Beklagte den Versorgungsantrag des Klägers nach dem HHG mit bestandskräftigem Bescheid vom 18. Mai 1983 ab, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem politischen Gewahrsam bestünde.

Mit Beschluss vom 30. September 1991 hob das Landgericht B das genannte Urteil des Stadtgerichts B vom 24. Mai 1982 auf, rehabilitierte den Kläger und stellte fest, dass dem Kläger ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen für die Nachteile zustehe, die ihm durch den in der Zeit vom 11. Januar 1982 bis zum 14. Oktober 1982 erlittenen Freiheitsentzug entstanden sind (Geschäftsnummer ).

Am 15. Februar 2002 beantragte der Kläger mit einem Antragsformular abermals eine Beschädigtenversorgung bei dem Beklagten wegen seiner Haftzeit, nachdem er sich bereits mit Schreiben vom 7. Januar 2002 mit der Bitte an den Beklagten gewandt hatte, ihm einen Antrag auf Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz (StrRehaG) zu übersenden. Der Beklagte holte unter anderem einen ärztlichen Befundbericht bei dem Arzt H vom 1. April 2002 ein und zog über das Bundesarchiv in Kopie Auszüge aus der Vollzugsakte bei. Anschließend holte er eine versorgungsärztlich-chirurgische Stellungnahme des Arztes für Chirurgie Dr. B vom 12. Juni 2002 und eine versorgungsärztlich-internistische Stellungnahme des Facharztes für Innere Medizin Dr. D vom 17. Juli 2002 ein, die eine Versorgung bezogen je auf ihr Fachgebiet ablehnten.

Aufgrund eines zwischenzeitlichen Umzugs des Klägers nach F leitete der Beklagte den Antrag zuständigkeitshalber an das Land B weiter. Diesem ging eine Mitteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Januar 2003 zu, wonach sich aus den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zum Kläger keine Hinweise zu Ausschließungsgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG ergeben hätten. Dem Schreiben waren diverse Anlagen beigefügt.

Das Land B veranlasste eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin und Versorgungsärztin Sozialmedizin Dr. M vom 23. Januar 2003, die erklärte, die jetzt anamnestisch angegebenen psychosomatischen Beschwerden, seelische Depression, phobisches Syndrom und posttraumatische Schäden seien in der Akte durch keinen Befund belegt und hätten auch zeitnah 1982 nachgewiesen werden können. Es sei davon auszugehen, dass diese Beschwerden zeitnah nicht bestanden hätten und jetzt nicht mehr auf die Inhaftierung zurückgeführt werden könnten. Eine Brückensymptomatik sei nicht nachgewiesen, ein behandelnder Psychiater oder Psychologe sei nicht bekannt.

Mit auf § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gestütztem Bescheid vom 1. August 2003 lehnte es das Land B ab, den Bescheid vom 18. Mai 1983 zurückzunehmen. Dieser Bescheid erreichte den seit dem 1. Juni 2003 wieder in B lebenden Kläger nach seinen im Widerspruchsverfahren gemachten Angaben erst am 2. September 2003. Das Land B leitete den Vorgang zur Bearbeitung des Widerspruchsverfahrens gegen seinen Bescheid vom 1. August 2003 zuständigkeitshalber an den Beklagten. In diesem Widerspruchsverfahren übermittelte der Kläger dem Beklagten eine ärztliche Bescheinigung der Ärztin für Innere Medizin Dr. H vom 27. November 2003. Der Beklagte holte eine nervenfachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie Dr. D vom 9. Januar 2004 ein, der weitere medizinische Ermittlungen, insbesondere auch eine nervenärztliche Untersuchung, empfahl. Der Beklagte holte unter anderem einen ärztlichen Befundbericht bei Dr. H vom 8. April 2004 ein. Anschließend holte er bei der Ärztin für Psychiatrie S eine psychiatrische Stellungnahme vom 20. Februar 2007 ein, die erklärte, ohne Untersuchung könnten das Ausmaß der geschilderten depressiven Störung und der kausale Zusammenhang zwischen Schädigung und Störung nicht verlässlich beurteilt werden.

Der Beklagte holte ein psychiatrisches Kausalitätsgutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H vom 14. April 2008 ein, die den Kläger am 8. April 2008 ambulant untersuchte und zu der Einschätzung gelangte, bei unauffälligem psychopathologischen Befund könne weder im Verfahren des sozialen Entschädigungsrechts noch schwerbehindertenrechtlich eine Gesundheitsstörung anerkannt werden. In ihrer Zusammenfassung und Erörterung führte Dr. H aus, Kindheit und Jugend des Antragstellers seien außer einer verspäteten Einschulung den Schilderungen des Antragstellers nach unproblematisch gewesen. Insgesamt könne ein seelischer Vorschaden nicht festgestellt werden. Nachdem 1977 seine Großeltern in den Westen gegangen seien, habe er über vier Jahre von 1977 bis 1981 ebenfalls die Entscheidung gefällt, die DDR zu verlassen. Er habe 1982 im Januar am Grenzübergang S mitgeteilt, dass er nun ausreisen wolle. Daraufhin sei er verhaftet worden. Der Kläger habe in der hiesigen Untersuchung geschildert, in L in der Untersuchungshaft gewesen zu sein. Dort habe er zirka sechs Monate in Einzelhaft gesessen. Es hätte insgesamt ein barscher Ton geherrscht (in den Angaben des Klägers zu seinen Inhaftierungen auf Seite 5 ff. des Gutachtens heißt es, der Kläger sei am 12. Januar 1982 von L nach H transportiert worden; er sei (dann?) in Einzelhaft inhaftiert gewesen; dort habe ein sehr barscher Ton geherrscht). Insgesamt sei die Zeit in R frustrierend gewesen, weil er unter der Angst gelitten habe, wie angedroht 12 Jahre inhaftiert zu werden (in den Angaben des Klägers zu seinen Inhaftierungen auf Seite 5 ff. des Gutachtens sind die letzten Angaben auf H bezogen; danach sei der Kläger erst im Juni 1982 nach Rummelsburg verbracht worden). Letztlich sei er zu einem Jahr und vier Monaten verurteilt worden. Von Juni bis Oktober 1982 habe er in der Strafanstalt C gesessen. Dort habe er mit insgesamt 19 weiteren Inhaftierten in einer eher kleinen Zelle gesessen. Er sei von Mitgefangenen provoziert und schikaniert worden. So sei er mit Schuhcreme eingeschmiert worden. Das Essen sei insgesamt schlecht gewesen. Die Inhaftierten hätten dort viel Hunger gehabt. Er habe stark unter Rückenschmerzen gelitten und letztlich trotzdem gearbeitet. Er habe als Dreher im Dreischichtsystem Teile für Trabbis hergestellt. Nach der Inhaftierung 1982 sei er in G angekommen und habe sich sogleich nach B zu seinen dort wohnenden Großeltern begeben. Es sei nicht schwierig gewesen, eine Arbeit in seinem erlernten Beruf als Feinmechaniker zu finden. Er habe auch recht bald eine Wohnung in S gefunden. 1985 habe er geheiratet. Aus dieser Ehe sei 1988 ein Sohn hervorgegangen. Die Ehe sei 1990 geschieden worden, da die Ehefrau einen anderen Mann kennen gelernt habe. Der Kläger habe bis 1988 als Feinmechaniker gearbeitet. Ein Versuch als selbstständiger Makler sei gescheitert. Er habe dann einige Jahre mit einem Freund eine Firma für Geschenkartikel betrieben. 1998 habe er Kontakt zu dem ehemaligen Gefängnis in H erhalten und festgestellt, dass er dort inhaftiert gewesen sei. Seit zirka 2001 arbeite er nun als selbstständiger Referent, halte unter anderem Vorträge zur DDR-Geschichte und Führungen in der Gedenkstätte in H. Auch nach der Inhaftierung schienen sich laut Angaben des Klägers nicht wirkliche seelische Symptome eingestellt zu haben. Eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung habe auch nicht stattgefunden. Geschildert würden in der Untersuchung zwar ein langjährig bestehender Rückenschmerz und gelegentliche Magenprobleme. Eine seelische Symptomatik im Sinne von beispielsweise Depressionen oder einer spezifischen Angstsymptomatik werde jedoch nicht geschildert. Abweichend hiervon werde jedoch in den Befundberichten der behandelnden Hausärztin Dr. H hingewiesen auf ein depressives Syndrom, Schlafstörungen, Angststörung, Schweißausbrüche und Panikattacken. Sie habe in einem Befundbericht geschildert, dass sie diese Symptomatik im Zusammenhang mit der Inhaftierung des Klägers in der ehemaligen DDR sehe. Sie habe als Diagnosen ausgeprägte Psychosomatose mit Panikattacken, Schlafstörungen, Hitzewallungen, Klaustrophobie, soziale Phobie, Vermeidung auslösender Situationen geschildert. Eine Behandlung würde nach ihren Angaben mit Remergil 15 mg und durch Psychotherapie erfolgen. Der Kläger habe in der hiesigen Untersuchung jedoch geschildert, sich niemals einer Psychotherapie unterzogen zu haben, und angegeben, sich insgesamt in eher unregelmäßiger Behandlung bei Dr. H zu befinden. Zuletzt sei er im März 2007 bei ihr gewesen. Die von Dr. H angegebenen Diagnosen wie Klaustrophobie, soziale Phobie und Vermeidung auslösender Situationen erschienen auch als sehr unwahrscheinlich, da der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt als Referent für die Gedenkstätte H gearbeitet habe. Ein Mensch mit der von Dr. H beschriebenen Symptomatik wäre jedoch sicherlich nicht in der Lage, vor einer Gruppe unbekannter Menschen Vorträge zu halten. Auch die geschilderten Depressionen würden von dem Kläger auch auf Nachfrage in der hiesigen Untersuchung nicht erwähnt. Der Kläger habe jedoch erklärt, unter Schlafstörungen zu leiden. Diese bestünden in erster Linie in Durchschlafstörungen. Begonnen hätten diese Schlafstörungen vor einigen Jahren. Alpträume habe er jedoch nicht geschildert. Auch seien keine nächtlichen Grübeleien über die Inhaftierung geschildert worden. Ein Zusammenhang der Schlafstörungen mit der Inhaftierung sei somit unwahrscheinlich. Der psychopathologische Befund zeige keinerlei Auffälligkeiten. Es habe keine depressive Symptomatik mit bestehenden Antriebsstörungen gesehen werden können.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers durch zwei Widerspruchsbescheide vom 26. Juni 2008 zurück. In dem einen nahm er – wie der Bescheid des Landes B vom 1. August 2003 - § 44 SGB X in Bezug, prüfte und verneinte im Rahmen eines Zugunstenverfahrens, ob der Bescheid vom 18. Mai 1983 zurückzunehmen sei. In dem anderen prüfte und verneinte der Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Leistungen nach Maßgabe des § 21 des StrRehaG.

Gegen den Bescheid vom 1. August 2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. Juni 2008 hat der Kläger am 25. Juli 2008 Klage zunächst auch gegen das Land B, nach entsprechender Klarstellung nur noch gegen den Beklagten, erhoben. Er hat bei Klageerhebung unter anderem die Anerkennung der Gesundheitsstörungen Magengeschwür und Verschlimmerung eines Wirbelsäulenleidens sowie psychosomatische Beschwerden, seelische Depressionen, depressiv–phobisches Syndrom, posttraumatische Schäden und Bluthochdruck als Folge einer Schädigung im Sinne des § 4 HHG wegen der Inhaftierung in der Zeit vom 11. Januar 1982 bis 14. Oktober 1982 begehrt. Das Sozialgericht hat in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. April 2010 den Rechtsstreit zur Vornahme weiterer medizinischer Ermittlungen vertagt und anschließend einen Befundbericht bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie N vom 13. Juli 2010 eingeholt.

Das Sozialgericht hat ein psychiatrisches Gutachten bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie E vom 6. Juni 2011 eingeholt, das diese nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 15. Februar 2011 erstellt hat und in dem sie zu folgender Einschätzung gelangt ist:

Beim Kläger liege eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit phobischer Symptomatik und verminderter Reagibilität sowie sekundärem Alkoholmissbrauch im Sinne eines Kompensationsversuchs vor. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit seien die PTBS und der sekundäre Alkoholmissbrauch auf die Haftzeit in der DDR zurückzuführen, da hier ein deutlicher inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang zu den Hafterlebnissen bestehe und sich die Symptomatik durch die Reaktivierung im Verlauf unterschiedlich ausgestaltet habe. Nach den versorgungsmedizinischen Richtlinien seien die PTBS und der Alkoholmissbrauch deshalb im Sinne der Entstehung zu werten. Ein Vorschaden habe mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Andere Ursachen kämen für die PTBS und den sekundären Alkoholmissbrauch nicht in Betracht. Der GdS sei insgesamt für die PTBS mit sekundärem Alkoholmissbrauch schädigungsbedingt mit 30 zu bewerten, da eine Störung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und der sozialen Aktivitäten vorliege. Der sekundäre Alkoholmissbrauch habe bisher nicht zu Entzugssymptomatik oder zur Behandlung geführt und sei im Rahmen der PTBS zu werten, so dass hierfür ein Gesamt-GdS von 30 ausreiche. Andere psychiatrische Störungen seien nicht zu eruieren. Der festgestellte Zustand bestehe bereits seit nach der Haftzeit im Oktober 1982, habe sich aber seit Mitte der 90er Jahre durch die verstärkte Konfrontation mit der Haftzeit innerhalb der posttraumatischen Störungen vom ausgeprägten Vermeidungsverhalten zu jetzt eher erhöhtem Erregungszustand verändert. Eine Behandlung habe nicht stattgefunden, da der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt massiv die Konfrontation mit dieser Zeit vermieden habe und deshalb nachvollziehbar auch keine Behandlung aufgesucht habe.

Im Einzelnen hat die Sachverständige E zur Begründung ihrer Einschätzung Folgendes ausgeführt:

Die frühkindliche Entwicklung, Kindheit und Jugend des Klägers seien völlig unauffällig verlaufen. Ein Vorschaden sei deshalb mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Der Kläger sei vom 11. Januar 1982 bis 14. Oktober 1982 politisch inhaftiert gewesen. Bereits im Vorfeld habe er mehrere Ausreiseanträge gestellt, die abgelehnt worden seien, woraufhin er beruflich unter Druck gesetzt und zu einem Wechsel im Betrieb mit schwerer Arbeit gezwungen worden sei. Während der Haftzeit habe er das völlige Abgeschnittensein vom Umfeld, Angst und Hoffnungslosigkeit sowie das Gefühl völligen Ausgeliefertseins erlebt. Es hätten mangelnde hygienische Verhältnisse und unzureichende Ernährung bestanden. Insbesondere habe der Kläger unter den menschenunwürdigen Bedingungen bei den Transporten und in den Zellen gelitten, mit Schlafentzug, Verhören; er sei längere Zeit in Isolationshaft gewesen und habe immer wieder psychischen Druck und Erniedrigungen hinnehmen müssen. Diese Zustände seien nach Amnesty International ausreichend, um den Begriff der psychischen Folter zu erfüllen. Beim Kläger liege das A1- und A2-Kriterium für eine mögliche Traumafolgestörung im ausreichenden Umfang vor. In der jetzigen Untersuchungssituation habe der Kläger nach ausführlicher Anamnese und Befunderhebung, verifiziert durch die zusätzliche Testung, ausreichend Symptome für das Vorliegen einer PTBS geschildert. Die Symptomatik zeige einen ausreichenden inhaltlichen und zeitlichen Bezug zu den Hafterlebnissen. Bis Anfang und Mitte der 90er Jahre habe ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten bestanden, nicht über die Haftzeit zu reden, sich nicht damit zu konfrontieren oder auseinanderzusetzen. Der Kläger habe sich auf Familie und Beruf konzentriert, habe aber bereits ausgeprägte Schlafstörungen, phobische Ängste, insbesondere aber eine verminderte Reagibilität mit Rückzugsverhalten gehabt mit Problemen, zärtliche Gefühle zuzulassen und sich zu öffnen; er sei eher zu einem Einzelgänger geworden und habe zunehmendes Rückzugsverhalten gezeigt. Dies sei auch innerhalb der Beziehungen von den Frauen immer bemängelt worden, was letztendlich zu Auseinandersetzungen geführt habe. Erst nach Einsicht in die Gauck-Unterlagen bei Antragstellung auf Rehabilitierung, nachdem er dem Sohn von den Hafterlebnissen etwa 1998 berichtet gehabt habe, und durch die ständige Konfrontation mit den Haftinhalten bei seiner Tätigkeit in der Gedenkstätte als Zeitzeuge und Führer habe er das Vermeidungsverhalten nicht länger aufrechterhalten können. Es finde seitdem eine ausgeprägte intensive ständige Konfrontation mit der Vergangenheit und den Hafterlebnissen statt. Der Kläger gehöre zur Gruppe der Haftopfer, die sich im Übermaß mit der Haft beschäftige und damit keine Bewältigung, sondern eine Symptomverstärkung und Verschiebung erfahre. Aufgrund seines Vermeidungsverhaltens habe er auch lange Jahre keine adäquate Behandlung aufgesucht und erst in den letzten Jahren eine psychiatrische und seit einem Jahr auch psychotherapeutische Behandlung zugelassen, so dass die Symptomatik lange Zeit unbehandelt geblieben sei. Aufgrund des stark erhöhten Erregungsniveaus des Klägers, insbesondere nach der Konfrontation bei den Führungen oder der Beschäftigung mit der Haftzeit, gerate der Kläger oft in starke Übererregung und Angespanntheit, die er sekundär durch erhöhten Alkoholmissbrauch bekämpfe. Auch dies schade seinem Gesundheitszustand, trotzdem sei er nicht in Lage, ohne diesen Alkoholkonsum die verstärkte Beschäftigung mit der Haftzeit zu bewältigen. Der Kläger bagatellisiere seine Symptomatik nach außen eher, zeige kein demonstratives Verhalten, sei bemüht, eher ruhig zu erscheinen, und müsse nach den Symptomen sehr genau gefragt werden. Es falle ihm schwer, über seine Gefühle bezüglich der Haftzeit und auch der diesbezüglichen Symptomatik zu sprechen. Dabei zeige er eher eine Fassade und verminderte Reagibilität als eine übermäßige emotionale Labilität. Panikattacken hätten sich beim Kläger bezogen auf die Phobien feststellen lassen. Er sei eher bemüht, diese Situationen durchzustehen. Er zeige keine extremen körperlichen Reaktionen bis auf die starke Anspannung. Der Kläger berichte seine Angaben glaubhaft und nachvollziehbar. Der Verlauf der Symptomatik sei nach wissenschaftlichen Erkenntnissen typisch für eine PTBS. Hier handele es sich um eine Prozessstörung, die je nach Kompensationsvermögen, Konfrontation mit der Vergangenheit, sozialer Unterstützung und Therapie, bei Reaktivierung oder Retraumatisierung einen veränderten Verlauf nehme. Es könne sowohl zur Symptomlinderung als auch -verstärkung oder –änderung führen. Deshalb müsse der Verlauf der PTBS im Längsschnittbefund über die Zeit sorgfältig erhoben werden. Beim Kläger zeige sich bis 1998 ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten mit deutlichen Symptomen der PTBS und seit 1998 durch verstärkte Konfrontation mit der Vergangenheit ein Aufbruch des Vermeidungsverhaltens und eine Zunahme des D-Kriteriums mit erhöhter Übererregung.

Die Sachverständige E hat sich mit dem Gutachten von Dr. H auseinandergesetzt. Diese habe Phobien bei dem Kläger verneint. Es sei aber nicht eindeutig, wie genau hier gefragt worden sei. In der jetzigen Untersuchungssituation würden Phobien vor Menschenmengen, bei Massenveranstaltungen, in engen Räumen und in Dunkelheit beim Autofahren geschildert. Im Gutachten der Dr. H werde die Stimmung als indifferent beschrieben, ohne dass dies genauer ausgeführt werde. Der Alkoholkonsum werde mit zwei bis drei Campari-Mixgetränken am Wochenende deutlich zu gering beschrieben. Der Kläger habe in der jetzigen Begutachtung erst auf genaues Nachfragen die richtige Menge Alkohol angegeben. Nach der Haft seien nach der Meinung von Dr. H nicht wirkliche seelische Symptome eingetreten. Diese Behauptung sei nicht zutreffend, da der Kläger bis 1998 ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten und Wiedererinnerungserleben geschildert habe. Insbesondere die Symptome des Vermeidungsverhaltens und der verminderten Reagibilität würden von Dr. H deshalb nicht ausreichend erfragt und eingeschätzt. Eine seelische Symptomatik müsse sich auch nicht nur im Sinne von Depressionen oder spezifischer Angstsymptomatik äußern, deshalb sei der Ausschluss dieser Symptomatik im Gutachten der Dr. H kein ausreichendes Argument dafür, dass nicht andere Symptome auf dem psychiatrischen Gebiet vorliegen würden. Dass der psychopathologische Befund - wie Dr. H anführe - keine Auffälligkeiten aufweise, sei nicht nachvollziehbar. Der psychopathologische Befund sei nicht ausführlich genug erhoben worden, hier sei nicht ausdrücklich genug gefragt worden. Denn der Kläger habe in der Begutachtung über eine erhöhte Schreckhaftigkeit bei Geräuschen im Zusammenhang zur Haft berichtet, dass er schlecht schlafen könne, wenn er sich tagsüber mit der Haftzeit konfrontiert habe, er nachts ein hohes Kontrollbedürfnis besitze und sich eher schlecht entspannen könne, schnell erschrecke und angespannt sei. Diese Schlafstörungen bestünden auch nicht erst seit einigen Jahren, sondern seit der Haftzeit. Auch wenn nicht direkt Alpträume nur mit Haftinhalten zu eruieren seien, sondern Träume mit allgemein bedrohlichen Inhalten, wiesen die ausgeprägt erhöhte Wachsamkeit und das Bedürfnis nach Kontrolle darauf hin, dass der Kläger in der Nacht nicht die nötige Entspannung aufbringen könne, um durchzuschlafen. Bezüglich des hohen Kontrollbedürfnisses und der Schreckhaftigkeit in der Nacht zeige sich deshalb ein Zusammenhang zu der Haftzeit des Klägers. Auch sei von Dr. H die phobische Symptomatik und die ausgeprägte Vermeidung über die langen Jahre nicht berücksichtigt worden. Es werde durch sie unterstellt, dass die ständige Konfrontation des Klägers mit der Haftzeit durch die Führungen in der Gedenkstätte ein Vermeidungsverhalten verhindere oder diesem widerspreche. Dies sei nur teilweise richtig. Der Kläger vermeide weiterhin zu enge Räume, zu große Menschenansammlungen, beispielsweise öffentliche Verkehrsmittel wegen seiner Transporterfahrung. Er zeige zudem eine deutlich verminderte Reagibilität mit Rückzug, Einzelgängertum, eher negativer Sicht, sich wenig freuen zu können, Gefühle zu unterdrücken. Diese verminderte Reagibilität zeige einen Zusammenhang zur Haftzeit, sei von der Vorgutachterin aber nicht eruiert oder erfragt worden. Die verminderte Reagibilität sei aber genauso Bestandteil des Vermeidungsverhaltens der PTBS wie auch das direkte Vermeiden von Situationen. Dr. H habe auch nicht ausreichend beachtet, dass die ausgeprägte Konfrontation des Klägers mit der Vergangenheit durch seine Tätigkeit in der Gedenkstätte nicht zu einer adäquaten Bewältigung seiner Gesundheitsprobleme führe, sondern im Gegenteil dadurch die Anspannung und Übererregtheit massiv zugenommen habe, die er mit sekundärem Alkoholkonsum versuche zu kompensieren. Demnach seien die Symptome des D-Kriteriums, die Übererregung des Klägers, nicht ausreichend eruiert und abgefragt worden.

Zusammenfassend stimme sie nicht mit der Vorgutachterin darin überein, dass keinerlei psychische Symptomatik vorliege, sondern stelle die Diagnose einer PTBS mit inhaltlichem und zeitlichem Bezug zur Haftzeit. Diese weise einen wechselhaften Verlauf auf, der von verstärktem Vermeidungsverhalten jetzt zu einem eher erhöhten Erregungsniveau und verminderter Reagibilität im Verlauf der äußeren Umstände gewechselt habe. Der Kläger sei durch die Symptomatik in seiner Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und im sozialen Leben deutlich eingeschränkt. Er nehme neben seiner Tätigkeit und ständigen Beschäftigung mit der Vergangenheit kaum am sozialen Leben der Gemeinschaft teil, habe sich zurückgezogen, unternehme ansonsten kaum Außenaktivitäten. Nach der Konfrontation und seiner Tätigkeit setze er sich in ein Lokal und trinke übermäßig Alkohol, was zu seiner Entspannung und zum "Runterfahren" nach dieser Konfrontation beitrage. Somit schade er seiner Gesundheit eher weiterhin. Bezogen auf die Befundberichte der Hausärztin Dr. H seien Schlafstörungen festzustellen. Direkte Panikattacken lägen aber nicht vor. Der Kläger zeige zwar deutliche Phobien, vermeide diese aber, Panikattacken berichte er nicht. Auch liege kein ausgeprägtes depressives Syndrom vor, sondern nur eine leichtere depressive Symptomatik. Die depressiven Symptome seien eher im Sinne der verminderten Reagibilität des C-Kriteriums der PTBS zu werten und keine eigenständige Erkrankung. Eine ausgeprägte Psychomatose mit Panikattacken oder einer Vermeidung auslösender Situationen sei nicht haltbar. Der Kläger konfrontiere sich eher übermäßig, was aber ebenfalls eine Symptomatik eher steigere und verändere und nicht zu einer wirklichen Bewältigung führe.

Der Beklagte hat dem Sozialgericht psychiatrische Stellungnahmen des Facharztes für Psychiatrie K vom 4. Juli 2011, vom 3. Januar 2012 und vom 29. Oktober 2013 übermittelt. Hierzu hat das Sozialgericht ergänzende psychiatrische Stellungnahmen der Sachverständigen E vom 13. November 2011 und vom 26. August 2013 eingeholt. Der Psychiater K hat im Wesentlichen das Vorliegen einer PTBS mit der Begründung verneint, das so genannte A-Kriterium sei nicht erfüllt, weil die Hafterfahrungen des Klägers zwar als ängstigend, demütigend und in hohem Maße menschenunwürdig anzusehen seien, jedoch keine katastrophale oder vitale Bedrohung festzustellen sei. Auch B- und C-Kriterium seien nicht erfüllt. Hinsichtlich des B-Kriteriums sei kein Zusammenhang zwischen belastenden Träumen und Haftzeit herzustellen; Flashbacks seien nicht eruierbar, bloße Erinnerungen in Form von Bildern und Gedanken reichten insoweit nicht aus. Das C-Kriterium sei nicht erfüllt, weil kein Vermeidungsverhalten vorliege, da der Kläger in beengten Räumlichkeiten mit Menschengruppen Führungen in der ehemaligen Haftanstalt durchführe. Ein etwaiger Alkoholmissbrauch könne nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen keine Schädigungsfolge darstellen.

In einem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 10. April 2014 ist der Kläger persönlich angehört worden. Er hat nunmehr beantragt, den Beklagten dazu zu verurteilen, "ihm Versorgungs- bzw. Beschädigten-Grundrente nach einen MdE/GdS von 30 ab dem 14. Februar 2002 zu gewähren". Im Übrigen haben die Beteiligten ihr Einverständnis zur Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erklärt.

Das Sozialgericht hat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 22. Mai 2014 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 1. August 2003 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 26. Juni 2008 dazu verurteilt, dem Kläger "Versorgungs- bzw. Beschädigten-Grundrente" nach einem MdE/GdS von 30 ab dem 14. Februar 2002 zu gewähren und des Weiteren entschieden, dass der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Umfang von 80 Prozent trage. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, der Anspruch des Klägers folge aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG i. V. m. den §§ 30, 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalte ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Dabei müssten die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen sein, das heißt ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Dagegen genüge für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs zwischen Schädigung und Schädigungsfolge gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 StrRehaG der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne des Versorgungsrechts sei gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche. Die Kammer sei der Überzeugung, dass nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlich Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Haft und der PTBS des Klägers spreche. Zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger an einer PTBS leide, orientiere sich die Kammer an der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme – 10. Revision – (ICD-10) und dem diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen – Textrevision – (DSM-IV-TR), da es sich hierbei um international anerkannte Diagnosesysteme handele. Dort werde die PTBS als Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 und DSM-IV-TR 309.81 erfasst. Unter Zugrundelegung dieser dem heutigen medizinischen Wissensstand entsprechenden Voraussetzungen stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger an einer PTBS leide. Die Kammer stütze sich hierbei auf die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen E, die in sich schlüssig und gut nachvollziehbar dargelegt habe, weshalb beim Kläger eine PTBS vorliege. Die Einwände des Beklagten überzeugten nicht. Der Beklagte verkenne, dass es für das Vorliegen einer PTBS ausreichend sei, dass bei Anwendung des DSM-IV-TR 309.81 von dem Kriterium C drei der sieben Unterpunkte und von dem Kriterium D zwei der fünf Unterpunkte erfüllt seien. Nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Haft zurückzuführen seien Wirbelsäulenschäden, Magen- und Alkoholleiden sowie Bluthochdruck. Bei dem Kläger lägen schädigungsbedingt stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Die Sachverständige habe bei dem Kläger als Folge der PTBS eine starke Verschlossenheit mit Rückzugsverhalten bezüglich Kontakten und Außenaktivitäten geschildert. Des Weiteren leide der Kläger an Phobien vor großen Menschenmengen bei Massenveranstaltungen, in engen Räumen und Dunkelheit beim Autofahren. Auch im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 10. April 2014 habe der Kläger glaubhaft geschildert, dass er sein ganzes Leben so gestalte, dass er keinen Reizen ausgesetzt werde, die seinen Zustand verschlimmern könnten. Des Weiteren habe er geschildert, dass er wenige soziale Kontakte habe und sehr zurückgezogen lebe.

Gegen das ihm am 17. Juni 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 25. Juni 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er zunächst nur auf seine dem Sozialgericht zugeleiteten versorgungsärztlichen Stellungnahmen Bezug genommen.

Auf ein Schreiben des Berichterstatters an den Beklagten hat dieser seine Berufung mit Schriftsatz vom 8. Juli 2015 ergänzend begründet. Er vertritt unter Bezugnahme auf entsprechende Urteile des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg die Auffassung, um eine PTBS bejahen zu können, müsse über die bloße Haft hinaus eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation bestanden haben. Daran fehle es hier. Auch stütze sich die Sachverständige E im Wesentlichen auf die Angaben des Klägers, die ihrerseits der Validierung bedürften. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte in dem Schriftsatz vom 8. Juli 2015 ein Gutachten nach § 106 SGG zur Beschwerdevalidierung beantragt und als Gutachter Dr. M vorgeschlagen. Seinem Schriftsatz hat der Beklagte eine fachpsychiatrische Stellungnahme des Psychiaters K vom 9. Juni 2015 beigefügt. Mit Schriftsatz vom 27. Januar 2016 hat der Beklagte an seinem mit Schriftsatz vom 8. Juli 2015 gestellten Beweisantrag festgehalten und insoweit die "Gutachtenerstellung durch eine/n vom Gericht vorzuschlagenden Gutachter/in" beantragt. Dem Schriftsatz war der Aufsatz "Begutachtung der posttraumatischen Belastungsstörung: konzeptionelle Probleme, Diagnosestellung und negative Antwortverzerrungen" von Stevens und Merten beigefügt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie B vom 26. November 2015 eingereicht.

Der Senat hat bei der Sachverständigen E eine ergänzende Stellungnahme vom 14. September 2015 eingeholt, der eine Stellungnahme der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) zur Frage "Erfüllt psychische Folter das Eingangskriterium der Posttraumatischen Belastungsstörung? – Probleme in der Begutachtungspraxis am Beispiel politisch Verfolgter der ehemaligen SBZ/DDR –" beigefügt gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Mai 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie den Inhalt der Versorgungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Landes B vom 1. August 2003 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. Juni 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf eine Beschädigtenrente nach einem Grad der MdE/GdS von 30 (v. H.) jedenfalls seit dem 14. Februar 2002.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 44 SGB X. Denn einen auf Rücknahme des Bescheides vom 18. Mai 1983 gerichteten Überprüfungsantrag hat der Kläger weder mit seinem Anschreiben an den Beklagten vom 7. Januar 2002, noch mit dem am 15. Februar 2002 bei dem Beklagten eingegangenen Formantrag gestellt, was der Beklagte ausweislich eines internen Aktenvermerks vom 25. Juni 2008 im Grunde auch erkannt und was ihn letztlich dazu bewogen hat, zwei Widerspruchsbescheide zu erteilen. In Ermangelung eines entsprechenden Verwaltungsantrags waren daher der Widerspruchsbescheid, der § 44 SGB X in Bezug nimmt, und der Bescheid vom 1. August 2003, soweit er nicht durch den auf § 21 StrRehaG Bezug nehmenden Widerspruchsbescheid eine teilweise andere Gestalt – nämlich Ablehnung eines Neuantrags - erhalten hat, bereits aus formalen Gründen aufzuheben und insoweit das Urteil des Sozialgerichts im Ergebnis zu bestätigen.

Nach dem Gesagten hat der Beklagte demnach zu Recht den Antrag des Klägers von Februar 2002 jedenfalls auch inhaltlich als Neuantrag ausgelegt und demgemäß durch den Widerspruchsbescheid, der das StrRehaG in Bezug nimmt, auch dem Bescheid des Landes B vom 1. August 2003 eine entsprechende Gestalt verliehen. Zu Unrecht hat der Beklagte die Ablehnung des Neuantrags indes ausschließlich auf § 21 StrRehaG gestützt. Zwar hat der Kläger selbst in seinem Anschreiben an den Beklagten vom 7. Januar 2002 das StrRehaG in Bezug genommen. Bei Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes waren die klägerischen Erklärungen aber so auszulegen, dass er für die aufgrund seines politischen Gewahrsams erlittenen Schädigungsfolgen gleich aufgrund welcher Anspruchsgrundlage entschädigt werden wollte. Hier folgt der Anspruch des Klägers aber nicht aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG, sondern aus § 4 Abs. 1 HHG i. V. m. dem BVG. Denn zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 StrRehaG gehören zwar auch Personen, die - wie der Kläger - eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG bereits vor dem Inkrafttreten des StrRehaG am 4. November 1992 beantragt und erhalten haben, da ihnen die Durchführung eines weiteren Verfahrens nach dem StrRehaG nicht mehr zugemutet werden soll (BT-Drs. 12/1608, Seite 24). Ansprüche können sie jedoch nur nach den §§ 17 bis 19 StrRehaG - unter Anrechnung der Leistungen nach dem HHG - geltend machen, nicht hingegen Ansprüche auf Versorgung nach den §§ 21 bis 24 StrRehaG (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 6 VU 6118/09 – juris), um die es hier geht. Treffen nämlich wie im Falle des Klägers wegen ein und desselben Ereignisses Ansprüche aus § 21 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG (Beschädigtenversorgung) mit Ansprüchen aus § 4 Abs. 1 HHG (Beschädigtenversorgung) zusammen, so sind nach § 21 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG Leistungen nach § 21 StrRehaG nachrangig. Auch wenn der Beklagte den Antrag des Klägers somit zu Unrecht unter der Anspruchsgrundlage des § 21 StrRehaG anstelle des § 4 HHG geprüft hat, fehlt es aber nicht an dem für die Zulässigkeit einer unechten Leistungsklage notwendigen vorherigen Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Denn der Beklagte hat inhaltlich über das klägerische Begehren entschieden, wenn auch unter Prüfung der falschen Anspruchsgrundlage. Vor dem Hintergrund, dass die Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem StrRehaG und nach dem HHG nach identischen Maßstäben erfolgt – beide verweisen insbesondere auch auf § 30 BVG, der Beklagte ist jeweils zuständig und das Verfahren richtet sich jeweils nach den für die Kriegsopferversorgung geltenden Vorschriften (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 2 HHG, § 25 Abs. 4 Satz 2 StrRehaG) – ergeben sich außerdem für die Prüfung des klägerischen Anspruchs keine Unterschiede daraus, ob man als Anspruchsgrundlage § 4 HHG oder § 21 StrRehaG heranzieht.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 HHG liegen hier vor. Ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Berechtigter, der infolge des Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit ihm nicht wegen desselben schädigenden Ereignisses ein Anspruch auf Versorgung unmittelbar auf Grund des BVG zusteht. Dass der Kläger ein nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 HHG Berechtigter ist, weil er deutscher Staatsangehöriger ist, den gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen hat und nach dem 8. Mai 1945 in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin oder in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes genannten Gebieten aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen wurde, steht vorliegend außer Frage und bereits aufgrund der Bescheinigung des Beklagten vom 1. Dezember 1982 nach § 10 Abs. 4 HHG für den politischen Gewahrsam des Klägers vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982 fest.

Der Kläger hat auch infolge des aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Gründen erlittenen Gewahrsams vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982 eine Schädigung und wegen dieser eine Gesundheitsstörung erlitten. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 HHG genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges. Die Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang nicht genügen. Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern beachtlich im vorgenannten Sinne sind nur die Bedingungen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben.

Insbesondere bei Krankheiten, die auf seelischen Einwirkungen beruhen, bestehen – anders als bei Verletzungsfolgen – regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang – also das die Entschädigungspflicht auslösende Ereignis – als die wesentliche medizinische Ursache festzustellen. Es verbleibt meistens die Unsicherheit, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung vorhanden sind. Dies bedeutet, dass im Regelfall zahlreiche Möglichkeiten des Ursachenzusammenhangs bestehen. Wenn jedoch ein Vorgang nach den medizinischen Erkenntnissen – etwa fußend auf dem Erfahrungswissen der Ärzte – in signifikant erhöhtem Maße geeignet ist, eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sich bei einem hiervon Betroffenen im Einzelfall die Gefahr einer Schädigung auch tatsächlich verwirklicht hat; die Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit. Feststellungen zur generellen Eignung bestimmter Belastungen als Auslöser von Schädigungsfolgen – fußend auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft – wurden im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts in den "Anhaltspunkte[n] für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 14. Februar 2002 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 – AHP 1996 – und nachfolgend – seit Juli 2004 – in den "Anhaltspunkte[n] für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 – AHP 2008) getroffen. Diese allgemeinen Festlegungen können, zumal die AHP sowohl für die Verwaltung als auch für die Gerichte eine gewisse Bindungswirkung hatten, nicht durch Einzelfallgutachten widerlegt werden. Die AHP hatten zwar keine Normqualität, wirkten in der Praxis jedoch wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit und hatten daher normähnlichen Charakter und waren wie untergesetzliche Normen heranzuziehen. Sie haben damit unter Berücksichtigung der herrschenden Lehre in der medizinischen Wissenschaft eine verlässliche, der Gleichbehandlung dienende Grundlage für die Kausalitätsbeurteilung im sozialen Entschädigungsrecht geschaffen (so insgesamt Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R - juris).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die AHP zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (VersMedV) ersetzt worden sind. Die Grundsätze zur Frage, wann von einer wesentlichen Verursachung eines Schadens durch ein bestimmtes Geschehen ausgegangen werden kann, sind unverändert geblieben. Insbesondere ist zum Ursachenbegriff hier weiterhin ausgeführt, dass Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ist, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, sind sie versorgungsrechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen (und wie Ursachen zu werten), wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind; kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, ist dieser Umstand allein Ursache im Sinne des Versorgungsrechtes (Teil C Nr. 1 b der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 104). Außerdem behalten die Nummern 53 bis 143 der zuletzt einschlägigen AHP 2008, also auch deren Nr. 71 (AHP 2008, Seite 205) zu Folgen psychischer Traumen, auch nach In-Kraft-Treten der VersMedV weiterhin Gültigkeit als antizipierte Sachverständigengutachten (vgl. zur Begründung zur VersMedV, BR-Drs. 767/08, Seite 4), als die sie nach der bereits genannten ständigen Rechtsprechung des BSG schon zuvor anzusehen waren (vgl. Urteil des Senats vom 29. Juni 2010 - L 11 VK 5/09 – juris unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R – juris).

Zu den Folgen psychischer Traumen heißt es in Nr. 71 der AHP 2008: "(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach lang dauernden psychischen Belastungen (z. B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurz dauernden Belastungen (z. B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsänderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus." Die genannten Beispielsfälle zeigen an, welchen Schweregrad die psychische Belastung erreicht haben muss, damit von einem Ursachenzusammenhang im vorstehenden Sinne ausgegangen werden kann.

Begründen nach Maßgabe dieser allgemeinen Erkenntnisse im Einzelfall Tatsachen einen derartigen Kausalzusammenhang, so ist eine bestärkte Kausalität – eine bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs – gegeben, die wiederum nur widerlegbar ist, wenn eine sichere alternative Kausalität festgestellt wird. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn die psychische Erkrankung erst nach einer Latenzzeit manifest in Erscheinung tritt. Allerdings kann ein größerer zeitlicher Abstand zum schädigenden Ereignis – insbesondere gegen Ende der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen möglichen Latenzzeit – den Grad der Wahrscheinlichkeit mindern (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003, a. a. O.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist erwiesen, dass der Kläger eine gesundheitliche Schädigung und gesundheitliche Folgen dieser Schädigung – nämlich eine PTBS (ICD-10-GM F 43.1) – erlitten hat. Zweitens beruht die gesundheitliche Schädigung wahrscheinlich auf der Haft vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982 (haftungsbegründende Kausalität) und beruhen die gesundheitlichen Folgen wiederum wahrscheinlich auf der gesundheitlichen Schädigung (haftungsausfüllende Kausalität).

Wie die Sachverständige E überzeugend dargelegt und eingehend begründet hat, liegt bei dem Kläger seit 1982 und damit auch seit dem 14. Februar 2002 eine PTBS vor. Das Gutachten überzeugt, weil es sich auch an der Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung (nachfolgend: Leitlinie) orientiert, die die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. in ihrer jetzigen Fassung im Januar 2011 erstellt hat und die zwar derzeit in Überarbeitung, aber aktuell noch gültig ist. Die Sachverständige hat sich entsprechend der Leitlinienempfehlung 3 am ICD-10-GM orientiert und des Weiteren den insoweit näher erläuternden Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen - DSM-IV - (Autoren: Saß/Wittchen/Zaudig, 2. Auflage 1996, Seite 487 ff.) angewendet, auf den in der Leitlinie ebenfalls häufig Bezug genommen wird. Im Übrigen hat sie entsprechend der Leitlinienempfehlung 4 psychometrische Tests und PTBS-spezifische strukturierte Interviews eingesetzt, wobei diese Methoden nach der genannten Leitlinienempfehlung zur Unterstützung der Diagnostik eingesetzt werden können. Die Sachverständige hat dabei unter anderem den ausweislich der Leitlinie "weitaus geläufigste[n] Test" der Impact-of-Event-Scale (IES) verwendet.

Die PTBS wird in dem Systematischen Verzeichnis Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, - German Modification - ICD-10-GM - unter F 43.1 wie folgt definiert:

"Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über."

Im DSM - IV (Seite 491 und 492) werden folgende Kriterien für die Diagnose einer PTBS genannt:

A. Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem die beiden folgenden Kriterien vorhanden waren: 1. Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Person beinhalteten. 2. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.

B. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wiedererlebt: 1. Wiederkehrende und eindringliche, belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmung umfassen können. 2. Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis. 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wiederzuerleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback - Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikationen auftreten). 4. Intensive, psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern. 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.

C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens drei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. 3. Unfähigkeit einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern. 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten. 5. Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen. 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden). 7. Gefühl einer eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht Karriere, Kinder, Ehe oder normal langes Leben zu haben).

D. Anhaltende Symptome erhöhter Erregung (Arousals) (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten ein - oder durchzuschlafen. 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche. 3. Konzentrationsschwierigkeiten. 4. Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz). 5. Übertriebene Schreckreaktion.

E. Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als einen Monat.

F. Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Akut: Wenn die Symptome weniger als 3 Monate andauern Chronisch: Wenn die Symptome mehr als 3 Monate andauern Verzögert: Wenn der Beginn der Symptome mindestens 6 Monate nach dem Belastungsfaktor liegt

Wie die Sachverständige E überwiegend ausgeführt hat, ist der Kläger unter Anwendung der genannten Kriterien an einer PTBS, die hervorgerufen wurde durch den Gewahrsam vom 11. Januar bis 14. Oktober 1982, erkrankt.

Insbesondere liegt entgegen der Einschätzung des Beklagten das so genannte A-Kriterium vor. Die auf entsprechende Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (vgl. nur Urteil vom 12. August 2014 - L 6 VH 5821/10 ZVW – juris) gestützte Ansicht des Beklagten, für eine PTBS müsse über die bloße Haft hinaus eine unmittelbar lebensbedrohliche Situation bestanden haben, die bei nahezu jedermann Entsetzen und eine große Verzweiflung auslösen würde, findet in den genannten Erkenntnisgrundlagen zur PTBS keine Stütze. So wird unter Nr. 71 AHP 2008 die rechtsstaatswidrige Haft in der DDR gerade als Beispiel für eine lang dauernde psychische Belastung genannt, die durch psychische Traumen bedingte Störungen hervorrufen kann. Gefordert wird insoweit nur, dass die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Auch der ICD-10-GM-2016 F 43.1 verlangt lediglich ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Eine lebensbedrohliche Situation wird auch insoweit nicht vorausgesetzt. Auch das A1-Kriterium nach DSM IV verlangt nur die Konfrontation mit einem oder mehreren Ereignissen, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person beinhalteten. Die Haftbedingungen, die der Kläger hier zu erleiden hatte, sind zur Überzeugung des Senats geeignet, eine PTBS hervorzurufen. Diese sind glaubhaft und im Wesentlichen auch übereinstimmend vom Kläger sowohl gegenüber der Verwaltungsgutachterin Dr. H als auch gegenüber der gerichtlichen Sachverständigen E geschildert worden, die jeweils auch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Schilderungen geäußert haben. Knapp zusammengefasst haben die wesentlichen Belastungen der Haftzeit zum einen darin bestanden, dass der Kläger jedenfalls während der Untersuchungshaft Sorge gehabt hat, wie angedroht 12 Jahre inhaftiert zu werden. Er hat jedenfalls rund einen Monat in Isolationseinzelhaft gesessen, ist ständig verhört und in diesem Rahmen weiter – etwa mit Sonderarrest – bedroht worden. Nach seiner Verlegung in die Strafanstalt C hat er mit insgesamt 19 weiteren Inhaftierten in einer kleinen Zelle mit nur einer Toilette und nur kaltem Wasser gesessen und Hunger gelitten. Hier wurde er von Mitgefangenen provoziert und schikaniert, etwa wurde von ihnen sein nacktes Gesäß mit Schuhcreme eingeschmiert. Dass es sich in Ansehung dieser Haftbedingungen bei dem politischen Gewahrsam des Klägers um ein Ereignis mit katastrophenartigem Ausmaß handelte, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und auch die Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person bestand, steht für den Senat außer Zweifel.

Der Senat merkt im Übrigen ergänzend an, dass der 6. Senat des LSG Baden-Württemberg im Fall eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit eine PTBS bejaht hat, obgleich sich in dieser Entscheidung Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche Situation, in der sich die dortige Klägerin befunden haben könnte, nicht finden lassen (vgl. Urteil vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 584/11 – juris). Die genannten Erkenntnisgrundlagen zur PTBS bieten aber keinen Raum dafür, in einigen Fällen gesteigerte Anforderungen an das traumatisierende Ereignis zu stellen, in anderen dagegen nicht.

Auch die B- bis F-Kriterien sind hier in hinreichendem Maße erfüllt, was die Sachverständige E schlüssig und nachvollziehbar erläutert hat. Es sind bei dem Kläger zwei B-Kriterien erfüllt, nämlich zum einen das erste Kriterium in Form von teilweise auftretenden wiederkehrenden Gedanken und Bildern von der Haftzeit, insbesondere bei Fernseh- und Zeitungsberichten. Zum anderen ist das vierte Kriterium erfüllt, weil der Kläger emotional in Gestalt von Angst und Erinnerung an die Haftzeit reagiert – also intensiv und psychisch belastet ist - bei Konfrontation mit Hinweisreizen, die sich nicht nur auf Fernseh- und Zeitungsberichte, Führungen in der Gedenkstätte, sondern auch beispielsweise auf enge Räume, Menschenmengen, Dunkelheit, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie auf einen gewissen Umgangston anderer Menschen bezieht. Vom C-Kriterium, dem Vermeidungsverhalten und der verminderten Reagibilität, liegen nach den Feststellungen der Sachverständigen E aktuell mindestens die Kriterien 4. bis 7. vor. So hat der Kläger ein vermindertes Interesse und nimmt nur vermindert an wichtigen Außenaktivitäten teil. Sein ganzes Leben ist danach mehr oder weniger nur auf die Konfrontation mit der Haft und den Aufenthalt in der Gedenkstätte konzentriert, ansonsten bestehen kaum Außenaktivitäten. Der Kläger zeigt eine deutliche Entfremdung anderen gegenüber, fühlt sich nicht richtig dazugehörig, und eine eingeschränkte Bandbreite der Affekte mit deutlicher Unterdrückung besonders positiver, auch zärtlicher Gefühle, was seit der Haftzeit immer wieder zu Problemen in der Beziehung geführt hat. Schließlich hat er eine eher negative Sichtweise, traut sich beruflich nichts mehr zu, auch nicht, eine Beziehung zu führen, da er nach der Haftzeit Einzelgänger geworden ist, sich schwer öffnen kann und das Leben eher negativ sieht. Allerdings hat die Sachverständige auch ein gewisses Vermeidungsverhalten (Kriterien C 1 und C 2) des Klägers insoweit festzustellen vermocht, als dieser wegen seiner Transporterfahrungen öffentliche Verkehrsmittel sowie auch große Menschenansammlungen meidet. Vom D-Kriterium bestehen deutliche Schwierigkeiten, aufgrund der Haftzeit ein- und durchzuschlafen, mit erhöhtem Kontrollbedürfnis, hoher Schreckhaftigkeit, Aufwachen bei Geräuschen, dem Gefühl, immer die Kontrolle behalten zu müssen. Der Kläger zeigt daneben eine erhöhte Reizbarkeit mit verbalen Ausbrüchen bei Wut- und Ärgergefühlen bei Konfrontation mit dem Thema, dem Gefühl von Ungerechtigkeit mit stark erhöhtem Gerechtigkeitsbedürfnis und teilweise Rachegedanken. Außerdem zeigt er eine übermäßige Wachsamkeit mit dem Gefühl, alles unter Kontrolle haben zu müssen, er kann schwer "runter fahren", kann kaum entspannen und zeigt insbesondere bei der Konfrontation eine starke anschließende Anspannung und Unruhe. Die Störung dauert länger als einen Monat (E-Kriterium) und verursacht nach Beeinträchtigungen in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers (F-Kriterium).

Die gegenläufigen Einschätzungen des ärztlichen Dienstes des Beklagten sind bei dieser Sachlage widerlegt. So verkennt der Beklagte, dass es ausreicht, wenn ein B-Kriterium erfüllt ist, weswegen der – auch von der Sachverständigen eingeräumte - fehlende Zusammenhang zwischen belastenden Träumen und Haftzeit sowie das Fehlen von Flashbacks unmaßgeblich ist. Entsprechendes gilt für die C-Kriterien, von denen nur drei der sieben erfüllt sein müssen. Die Diagnose einer PTBS wird auch nicht durch die von dem Beklagten in den Raum gestellten vermeintlich nicht oder nicht ganz der Wahrheit entsprechenden Angaben des Klägers in Frage gestellt, weswegen das von dem Beklagten schriftsätzlich auch in diesem Verfahren beantragte Gutachten zur "Beschwerdevalidierung" bei Dr. M nicht einzuholen war. Die Sachverständige E hat die Angaben des Klägers als glaubhaft und nachvollziehbar bezeichnet. Die von dem Beklagten genannten Beispiele für – aus seiner Sicht – unschlüssige Angaben des Klägers rechtfertigen keine weitergehenden Ermittlungen. Der von der Sachverständigen beschriebene Alkoholmissbrauch ist für die Diagnose PTBS unerheblich. Ungeachtet dessen ist er zudem auch von der behandelnden Ärztin N in ihrem Befundbericht vom 13. Juli 2010 bestätigt worden. Dass sich die Angaben zum Alkoholkonsum gegenüber der Gutachterin Dr. H von denen gegenüber der Sachverständigen E unterscheiden, ist zwar richtig, von der Sachverständigen E in ihrer ergänzenden Stellungnahme für den Senat vom 14. September 2015 aber nachvollziehbar damit erklärt worden, dass der Kläger entsprechende Angaben über seinen Alkoholkonsum erst auf gezieltes Nachfragen gemacht hat. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in diesem Zusammenhang unrichtige Angaben gemacht hat, hat der Senat nicht, zumal er seine Symptomatik nach Einschätzung der Sachverständigen eher bagatellisiert und sich in seinem Schriftsatz an das Sozialgericht vom 26. März 2012 ausdrücklich dagegen verwahrt hat, "als Alkoholiker abgestempelt zu werden". Auch ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass der versorgungsärztliche Dienst des Beklagten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers gerade nicht geäußert hat. Dies gilt auch für die "für den medizinischen Laien" (Schriftsatz des Beklagten vom 8. Juli 2015) (vermeintlich) widersprüchlichen Angaben des Klägers, der zwischen 19 und 24 Menschen durch die Gedenkstätte H führt, andererseits aber Menschenmassen und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel meidet. Denn einen Widerspruch insoweit vermag der Senat nicht zu erkennen, weil eine Gruppe von 24 Menschen nicht unbedingt eine Menschenmasse darstellt und weil die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht "aus diesem Grund" (Schriftsatz des Beklagten vom 8. Juli 2015) vermieden wird, sondern wegen der Transporterfahrungen des Klägers (Gutachten der Sachverständigen E, Seite 26; Hafttransporte nach R, an den Obahnhof und nach C). Widersprüchliche Angaben darüber, ob der Kläger als Zeitzeuge während seiner Führungen durch die Gedenkstätte H Angaben über seine eigene Geschichte auf Nachfrage oder spontan macht, vermag der Senat ebenso wenig zu erkennen wie die Relevanz dieses Beklagtenvortrags für das vorliegende Verfahren.

Die PTBS beruht auch wahrscheinlich auf dem politischen Gewahrsam vom 11. Januar bis zum 14. Oktober 1982. Denn die allgemeinen Erkenntnisse – hier Nr. 71 der AHP 2008 in Verbindung mit dem ICD-10-GM F 43.1 und den näher präzisierenden Leitlinien – begründen im hiesigen Einzelfall einen derartigen Kausalzusammenhang. Begründen nach Maßgabe der allgemeinen Erkenntnisse im Einzelfall Tatsachen einen derartigen Kausalzusammenhang, so ist eine bestärkte Kausalität - eine bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges - gegeben, die wiederum nur widerlegbar ist, wenn eine sichere alternative Kausalität festgestellt wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R – juris). Diese bestärkte Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs wird hier nicht widerlegt, weil eine sichere alternative Kausalität nicht nur nicht festzustellen, sondern sogar ausgesprochen unwahrscheinlich ist. Insbesondere haben Verwaltungsgutachterin und Sachverständige jeweils einen psychischen Vorschaden ausdrücklich verneint.

Die PTBS ist mit dem Grad einer MdE/dem GdS von 30 (v. H.) zu bewerten, was sich ebenfalls aus den nachvollziehbaren Feststellungen der Sachverständigen E ergibt. Gemäß § 30 Abs. 1 BVG in der bis zum 21. Dezember 2007 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl. I Seite 21) war die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen, wobei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen waren (Satz 1). Für die Beurteilung war maßgebend, um wie viel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt waren (Satz 2). Nach der Neufassung des § 30 Abs. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1). Der Grad der MdE/der GdS ist nach Zehnergraden - in Bezug auf den Grad der MdE als v. H. - von 10 bis 100 zu bemessen. Dabei erhalten Beschädigte nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BVG eine monatliche Grundrente erst ab einem Grad der MdE/GdS von 30 (v. H.), wobei wegen § 31 Abs. 2 BVG in der bis zum 20. Dezember 2007 geltenden Fassung und wegen § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG in der ab dem 21. Dezember 2007 geltenden Fassung insoweit bereits der Grad der MdE/GdS von 25 (v. H.) ausreichend ist. Bei der Beurteilung des Grades der MdE/des GdS sind vorliegend für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 die AHP 1996, 2004, 2005 und 2008 zu beachten, die für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 - auf der Grundlage des § 30 Abs. 17 BVG hinsichtlich der ärztlichen Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht - durch die Anlage zu § 2 VersMedV in ihrer jeweils geltenden Fassung abgelöst worden sind. Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden AHP haben normähnlichen Charakter und sind nach ständiger Rechtsprechung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zu gewährleisten (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2003 - B 9 VG 1/02 R -; für das Schwerbehindertenrecht bestätigt durch Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R -; für das gesamte soziale Entschädigungsrecht Beschluss vom 24. April 2008 - B 9 VJ 7/07 B -; alle bei juris), weshalb sich der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab 1. Januar 2009 ist für die Verwaltung und die Gerichte die Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich.

Für die hier bestehende PTBS ist auf Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV und Teil A Nr. 26.3 AHP 2008, 2005, 2004, Seite 48, und AHP 1996, Seite 60, zurückzugreifen. Danach sind

- leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit dem Grad einer MdE von 0 bis 20 v. H. (einem GdS von 0 bis 20),

- stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) mit dem Grad einer MdE von 30 bis 40 v. H. (einem GdS von 30 bis 40),

- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 50 bis 70 v. H. (einem GdS von 50 bis 70) und

- schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit dem Grad einer MdE von 80 bis 100 v. H. (einem GdS von 80 bis 100)

zu bewerten.

Bei dem Kläger liegen stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor, was die Sachverständige E nachvollziehbar begründet hat. Insoweit kann auf die eine PTBS begründenden B- bis D-Kriterien verwiesen werden. Danach nimmt der Kläger nur vermindert an wichtigen Außenaktivitäten teil, sein ganzes Leben ist mehr oder weniger nur auf die Konfrontation mit der Haft und den Aufenthalt in der Gedenkstätte konzentriert. Der Kläger zeigt eine deutliche Entfremdung anderen gegenüber, fühlt sich nicht richtig dazugehörig, und eine eingeschränkte Bandbreite der Affekte mit deutlicher Unterdrückung besonders positiver, auch zärtlicher Gefühle. Er hat eine eher negative Sichtweise, traut sich beruflich nichts mehr zu, auch nicht, eine Beziehung zu führen, da er nach der Haftzeit Einzelgänger geworden ist, sich schwer öffnen kann und das Leben eher negativ sieht. Daneben bestehen deutliche Schwierigkeiten, aufgrund der Haftzeit ein- und durchzuschlafen, mit erhöhtem Kontrollbedürfnis, hoher Schreckhaftigkeit, Aufwachen bei Geräuschen, dem Gefühl, immer die Kontrolle behalten zu müssen. Der Kläger zeigt daneben eine erhöhte Reizbarkeit mit verbalen Ausbrüchen bei Wut- und Ärgergefühlen bei Konfrontation mit dem Thema, dem Gefühl von Ungerechtigkeit mit stark erhöhtem Gerechtigkeitsbedürfnis und teilweise Rachegedanken. Außerdem zeigt er eine übermäßige Wachsamkeit mit dem Gefühl, alles unter Kontrolle haben zu müssen, er kann schwer "runter fahren", kann kaum entspannen und zeigt insbesondere bei der Konfrontation eine starke anschließende Anspannung und Unruhe.

Inwieweit ein sekundärer Alkoholmissbrauch vorliegt und ob dieser gegebenenfalls eine eigenständige Schädigungsfolge darstellt, kann hier offen bleiben. Denn die PTBS ist nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen E auch ohne einen etwaigen sekundären Alkoholmissbrauch mit einem Grad der MdE/GdS von 30 (v. H.) zu bewerten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts war unberührt zu lassen, weil sie zutreffend ist.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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