L 7 AS 137/16 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 51 AS 209/16 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 137/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Zusatz in einem Eingliederungsverwaltungsakt zur Geltungsdauer von sechs Monaten "... soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" ist keine unzulässige Nebenbestimmung nach § 32 SGB X.
Soweit der Zusatz eine Nebenbestimmung darstellt, ist diese nach § 32 Abs. 2 SGB X möglich, weil von der regelmäßigen Geltungsdauer des Verwaltungsaktes im Ermessenswege abgewichen werden kann.
Soweit der Zusatz lediglich als informatorischer Hinweis auf die Rechtslage (Abänderbarkeit nach §§ 45, 48 SGB X oder Ersetzung durch eine Vereinbarung) verstanden wird, fehlt es mangels Regelungsinhalt schon an einer Nebenbestimmung im Sinn von § 32 SGB X.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 18. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen einen Sanktionsbescheid, der zum vollständigen Wegfall des Auszahlungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II geführt hat.

Der 1982 geborene Antragsteller beendete das im Jahr 2003 begonnene Studium Mitte 2007 ohne Abschluss. Seit Mai 2008 bezieht er Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Der Antragsteller lebt im Haushalt seiner Mutter. Bis 01.02.2015 wohnte er dort unentgeltlich. Zuletzt wurde ihm mit Bescheid vom 06.05.2015, geändert mit Änderungsbescheid vom 29.11.2015, bis einschließlich Mai 2016 Arbeitslosengeld II von monatlich 934,- Euro (404,- Euro Regelbedarf und 530,- Euro für die Unterkunft) bewilligt.

Mit Eingliederungsverwaltungsakt vom 10.09.2015 verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller zur Teilnahme an der Eingliederungsmaßnahme "Intergrations-Coaching Aktiv". Dort wurden die verschiedenen Sanktionen in der Rechtsfolgenbelehrung dargelegt. Dagegen legte der Antragsteller erfolglos Klage ein (Gerichtsbescheid vom 13.01.2016, S 22 AS 2739/15) und begehrte ebenso erfolglos einstweiligen Rechtsschutz (Beschluss BayLSG vom 08.01.2016, ).

Mit Sanktionsbescheid vom 17.09.2014 wurde eine Sanktion in Höhe von 30 % des Regelbedarfs für die Monate Oktober, November und Dezember 2014 verfügt. Der Antragsteller hatte auf ein ihm angebotenes Vorstellungsgespräch mit einer E-Mail geantwortet, dass er sich nur gezwungenermaßen auf die Stelle als Spüler beworben habe, im Herbst 2014 ein Studium beginnen wolle, er daneben nur 15 bis 20 Wochenstunden arbeiten könne und sich die Arbeitszeiten natürlich nach dem Stundenplan des Studiums richten müssten. Außerdem benötige er ein Gehalt, das deutlich über dem eines Spülers liegen dürfte. Das gegen die Sanktion angestrengte Eilverfahren blieb erfolglos (Beschluss SG München vom 20.10.2014, S 54 AS 2409/14 ER).

Mit Sanktionsbescheid vom 22.10.2015 wurde eine Sanktion in Höhe von 60 % des Regelbedarfs verfügt. Der Antragsteller habe sich am 28.09.2015 geweigert, an der vorgenannten Maßnahme teilzunehmen. Er habe sich unter Berufung auf Datenschutz geweigert, Bewerbungsunterlagen zu schreiben. In dem Bescheid wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung das Arbeitslosengeld II für die Dauer von drei Monaten vollständig entfalle. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13.01.2016), ebenso der Eilantrag (Beschluss SG München vom 28.12.2015, S 22 AS 2909/15 ER).

Mit E-Mail vom 09.11.2015 teilte der Träger der vorgenannten Maßnahme mit, dass der Antragsteller zwar am 09.11.2015 erneut zur Maßnahme erschienen sei, jedoch nicht bereit gewesen sei, an der Maßnahme teilzunehmen und auch keine Angaben zu seiner Person und seinem beruflichen Werdegang gemacht habe. Der Antragsteller wurde zu einer Sanktion wegen dieses Verhaltens angehört.

Mit dem streitgegenständlichen Sanktionsbescheid vom 19.01.2016 stellte der Antragsgegner den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds II für die Zeit von 01.02.2016 bis 30.04.2016 fest. Der Bewilligungsbescheid vom 06.05.2015 sowie der Änderungsbescheid vom 29.11.2015 wurden für diese Monate vollständig aufgehoben. Der Antragsteller habe, trotz vorherigem Hinweis auf diese Möglichkeit, noch keinen Antrag auf Lebensmittelgutscheine oder geldwerte Leistungen gestellt. Der Antragsteller erhob dagegen Widerspruch: Es liege keine erneute Pflichtverletzung vor. Bereits der Sanktionsbescheid vom 22.10.2015 sei mit der fehlenden Mitwirkung bei Aktivitäten zur beruflichen Eingliederung begründet worden. Es habe sich lediglich das bisherige Verhaltensmuster manifestiert. Es liege keine neue Handlung vor. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.2016, zugestellt am 29.02.2016, zurückgewiesen. Der Antragsteller sei den zumutbaren Obliegenheiten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 10.09.2015 zur Mitwirkung an der Eingliederung in Arbeit nicht nachgekommen. Ein wichtiger Grund hierfür liege nicht vor. Es liege eine zweite wiederholte Pflichtverletzung vor mit einem vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds II für drei Monate.

Bereits am 29.01.2016 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es handle sich nicht um eine neue Pflichtverletzung. Es handle sich quasi um ein Dauerverhalten. Wenn die Mitwirkung generell unterlassen werde, liege nur ein Pflichtverstoß vor. Der Antragsteller habe keine finanziellen Mittel mehr. Die Mutter sei auf den Mietanteil des Sohnes angewiesen.

Das Sozialgericht lehnte mit Beschluss vom 18.02.2016 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Der strittige Sanktionsbescheid sei gemäß § 39 Nr. 1 SGB II sofort vollziehbar. Es liege eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II vor, weil der Antragsteller sich erneut geweigert habe, die im Eingliederungsverwaltungsakt festgelegten Pflichten zur Mitwirkung an der Maßnahme "Integrations-Coaching Aktiv" nachzukommen. Hierfür seien Angaben zur Person und dem beruflichen Werdegang selbstverständlich erforderlich. Der Antragsteller habe durch sein Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei an der Maßnahme mitzuwirken. Die Rechtsfolgenbelehrung sei ausreichend gewesen. Ein wichtiger Grund für das Verhalten liege nicht vor. Das gelte auch für die vorgebrachten datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt bestünden auch nach der ersten Sanktion hieraus fort. Es handle sich um eine weitere gleichartige sanktionierbare Pflichtverletzung. Die weitere wiederholte Pflichtverletzung nach § 31a Abs. 1 S. 3 bis 5 SGB II führe zu einem vollständigen Wegfall des Arbeitslosengelds II. Ergänzende Sachleistungen und geldwerte Leistungen könne der Antragsteller beantragen.

Der Antragsteller hat am 01.03.2016 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Die Begründung des Sozialgerichts sei grob rechtswidrig und logisch nicht nachvollziehbar. Datenschutzrechtliche Bestimmungen seinen vollkommen ignoriert worden. Die Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt seien zu unbestimmt. Die Verbesserung der Bewerbungskompetenz und die Vermittlung in Beschäftigungsverhältnisse seien im Eingliederungsverwaltungsakt nicht angeführt. Es handle sich um einen Fortsetzungszusammenhang und damit um die doppelte Sanktionierung desselben Pflichtverstoßes. Außerdem sei der Eingliederungsverwaltungsakt nichtig, weil er in dem Zusatz " ... soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" eine unzulässige auflösende Nebenbestimmung enthalte.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt hat.

2. Das Beschwerdegericht schließt sich gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

a) Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass die datenschutzrechtlichen Einwände des Antragstellers nicht zutreffend sind. Maßnahmeträger dürfen vom Jobcenter gemäß § 51 SGB II insbesondere zur Erbringung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten beauftragt werden. Die hinreichende Bestimmtheit des Eingliederungsverwaltungsakts hat das Landessozialgericht bereits im Beschluss vom 08.01.2016 bejaht. Dieser Beschluss liegt dem Antragsteller vor. Die Verbesserung der Bewerbungskompetenz und die Vermittlung in Beschäftigungsverhältnisse ist Teil der Unterstützung der Bewerbungsbemühungen, die im Eingliederungsverwaltungsakt benannt wurden.

b) Es liegt auch mit Blick auf die vorhergehende Sanktion keine einheitliche Pflichtverletzung vor. Spätestens nach Bekanntgabe des vorhergehenden Sanktionsbescheides konnte der Antragsteller erneut gegen eine gleichartige Pflicht verstoßen. Eine Sanktion ist kein Selbstzweck - sie soll den Betroffenen dazu anhalten, künftig seinen Pflichten nachzukommen. So ist etwa ein Leistungsempfänger, der sich kategorisch weigert, vereinbarte oder auferlegte Eigenbemühungen nachzuweisen, nicht nach einer ersten Sanktion von weiteren Eigenbemühungen befreit. Hier scheint der Antragsteller Sinn und Zweck der Sanktionen zu verkennen.

c) Der Eingliederungsverwaltungsakt vom 10.09.2015 enthält mit dem Zusatz " ... soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" keine unzulässige Nebenbestimmung.

Zunächst ist festzuhalten, dass nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB II eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden "soll". Diese soll nach § 15 Abs. 1 S. 3 SGB II für sechs Monate geschlossen werden. Der Eingliederungsverwaltungsakt tritt gemäß § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II an die Stelle der Vereinbarung, so dass auch hier diese Soll-Bestimmung gilt. Das BSG hat mit Urteil vom 14.02.2013, B 14 AS 195/11 R, dort Rn. 20, festgestellt, dass die Festlegung der Geltungsdauer eines Eingliederungsverwaltungsakts im Ermessen der Behörde steht. Damit sind Nebenbestimmungen nach § 32 Abs. 2 SGB X eröffnet. Der vorgenannte Zusatz ist nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 SGB X als Bedingung zulässig.

Ebenso erscheint vertretbar, dass es sich bei dem Zusatz " ... soweit zwischenzeitlich nichts anderes geregelt wird" mangels Regelungsinhalt ohnehin nicht um eine Nebenbestimmung im Sinn von § 32 SGB X handelt. Der Zusatz kann auch als lediglich informatorischer Hinweis auf die Rechtslage gesehen werden. Der Eingliederungsverwaltungsakt ist wie jeder Verwaltungsakt unter den Voraussetzungen von §§ 45, 48 SGB X änderbar. Durch eine einvernehmliche Eingliederungsvereinbarung ist er ohnehin änderbar, weil das Gesetz in § 15 Abs. 1 S. 6 SGB II der Vereinbarung den Vorrang vor dem Verwaltungsakt einräumt.

d) Das Beschwerdegericht hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen (vgl. BSG, Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 19/14 R, dort Rn. 50 ff), auch nicht bei einem vollständigen Wegfall des Auszahlungsanspruchs. Zu ergänzen ist, dass eine Gefährdung der Unterkunft nicht erkennbar ist.

e) Das Gericht weist abschließend darauf hin, dass der Antragsteller seine Erwerbsverpflichtung gegenüber der Gesellschaft scheinbar nicht verinnerlicht hat. Wie ein Blick in § 2 SGB II zeigt, ist Arbeitslosengeld II keine voraussetzungslose finanzielle Begleitung des Daseins. Der Antragsteller zeigt seit dem Scheitern seines Studiums keine ernsthaften Bemühungen in Bezug auf eine Erwerbstätigkeit. Stattdessen verwendet er seine Energie auf die Verhinderung von Arbeit durch inakzeptables Verhalten. Wenn er dieses Verhaltensmuster weiter pflegt, muss er mit weiteren Sanktionen rechnen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
Saved