Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AL 64/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 13/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 25.04.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Der am 00.00.00 geborene Kläger war als Auszubildender bei der Fa. I, Holz- und Metallverarbeitung, beschäftigt. Mit Beschluss vom 00.00.0000 lehnte das Amtsgericht B1 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers mangels Masse ab. Der Kläger hat noch offene Lohnansprüche für November und Dezember 2002.
Am 00.00.0000 vermerkte die Beklagte den Eingang des Antrages auf Insolvenzgeld des Klägers. Mit Schreiben vom 22.04.2003 teilte die "Belegschaft der ehemaligen Firma Holz- und Metallbau I", vertreten durch Herrn X mit, der Arbeitgeber habe sich für die gesamte Belegschaft bereit erklärt, Anträge auf Insolvenzgeld auszufüllen und beim Arbeitsamt einzureichen. Er habe der Belegschaft mitgeteilt, die Anträge Mitte März in den Briefkasten beim Arbeitsamt B2 eingeworfen zu haben. Auch bei einer persönlichen Vorsprache am 15.04.2003 hatten die Mitarbeiter der Firma I erklärt, der Arbeitgeber habe sich um die fristgerechte Antragstellung kümmern wollen.
Mit Bescheid vom 25.04.2003 lehnte die Beklagte die Zahlung von Insolvenzgeld ab. Insolvenzgeld sei gemäß § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis, hier dem 00.00.0000, zu beantragen. Der Antrag des Klägers sei erst am 00.00.0000, also außerhalb der Ausschlussfrist, eingegangen. Für die fristgerechte Antragstellung sei nicht der Arbeitgeber, sondern der Kläger persönlich verantwortlich. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger nochmals vor, der Arbeitgeber habe die fristgerechte Antragstellung zugesichert. Zudem sei die Vorschrift des § 324 Abs. 3 SGB III mit europäischem Recht nicht vereinbar.
Mit Bescheid vom 22.05.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe sich ein eventuelles Versäumnis des Arbeitgebers zuzurechnen lassen. Damit habe er die Versäumung der Frist zu vertreten i.S.d. § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III und eine Nachfristeinräumung käme nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Der Kläger meint ergänzend, bereits die Abholung der Antragsformulare sei als konkludente Antragstellung zu werten. Schließlich stelle die Nichtbewilligung des Insolvenzgelds eine unbillige Härte im Sinne des § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III dar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Begründung der angefochtenen Entscheidung fest und meint ergänzend, es sei nicht glaubhaft, dass der Arbeitgeber die Anträge auf Insolvenzgeld rechtzeitig abgegeben habe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Arbeitgebers I. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGB III. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld.
Die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Die Beklagte kann sich nicht auf eine verspätete Antragstellung berufen.
Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.
Der Kläger hat diese Frist versäumt. Der Antrag auf Insolvenzgeld ist erst am 00.00.0000 bei der Beklagten eingegangen. Insolvenzereignis war gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 SGB III der Beschluss des Amtsgerichts B1 vom 07.02.2003. Die Ausschlussfrist beginnt damit am 08.02.2003 und endet am 07.04.2003 (§§ 26 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3, 193 BGB).
Das Gericht hält es nicht für erwiesen, dass der Arbeitgeber des Klägers den Antrag wie behauptet innerhalb der Ausschlussfrist abgegeben hat. Die Ausführungen des Zeugen waren nicht überzeugend. Während der Kläger bislang behauptet hat, der Zeuge habe die Anträge in einem Umschlag "am 18.03.2003" beim Arbeitsamt eingeworfen, hat der Zeuge bei der gerichtlichen Vernehmung mitgeteilt, er habe die Anträge "Ende Februar, Anfang März" in den Briefkasten des Arbeitsamtes B2 eingeworfen. Derartige Widersprüchlichkeiten erschüttern die Glaubhaftigkeit der Aussage insgesamt. Wäre dem Zeugen die Sicherung der Rechte seiner Arbeitnehmer so wichtig gewesen, wie behauptet wird, wäre zu erwarten gewesen, dass er sich, nachdem er die Anträge in den Briefkasten eingeworfen hat, zeitnah nach deren Bearbeitung erkundigt hätte. Nach alledem ist es allenfalls möglich, keineswegs jedoch nachgewiesen, dass der Zeuge die Anträge rechtzeitig gestellt hat. Die Beweislast liegt insoweit beim Kläger als Anspruchsteller.
Indes hält die Kammer es für nachgewiesen, dass der Zeuge - bzw. sein Bruder als sein Erfüllungsgehilfe - dem Kläger gegenüber versichert hat, sich um die rechtzeitige Antragstellung zu kümmern. Der Kläger hat noch im Januar 2003 den Antrag auf Insolvenzgeld blanko unterschrieben, dieser wurde dann an den Steuerberater des Klägers weitergegeben, der die offenen Lohnansprüche eintrug und die ausgefüllten Anträge an den Kläger bzw. seinen Bruder weiterleitete. Dieses Vorbringen des Klägers wurde in der mündlichen Verhandlung vom Zeugen bestätigt, ist plausibel, lebensnah und glaubhaft.
Unter dieser Voraussetzung steht dem Kläger Insolvenzgeld zu:
Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III wird Insolvenzgeld auch bei Fristversäumnis geleistet, wenn der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat und wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird.
Der Kläger hat die Versäumung der Frist nicht zu vertreten im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III.
Entgegen der Meinung der Beklagten ergibt sich die Zurechnung von Vertreterverschulden im Rahmen des § 324 Abs. 3 SGB III nicht aus der allgemeinen Regelung des § 278 BGB. Hiernach hat der Schuldner bei einem Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten, wie eigenes Verschulden. Bei dem Erfordernis der rechtzeitigen Antragstellung gemäß § 324 Abs. 3 SGB III handelt es sich jedoch nicht um eine Pflicht gegenüber der Beklagten, auf die § 278 BGB anwendbar wäre, sondern um eine Obliegenheit. Außerhalb des Anwendungsbereiches von § 254 BGB gilt § 278 BGB für Obliegenheiten grundsätzlich nicht (RG 159, 352; BGH, Urteil vom 21.04.1993 - IV ZR 34/92 -).
Auch eine Zurechnung des Verschuldens des Arbeitgebers nach prozessualen Regeln (§§ 73 Abs. 4 SGG, 85 Abs. 2 ZPO, hierzu Niesel, SGB III, 2. Aufl., Rdnr. 25 zu § 324) scheidet aus, weil der Arbeitgeber nicht im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses tätig wurde.
Die Frage, ob der Kläger die Versäumung der Frist zu vertreten hat, ist daher nach Sinn und Zweck des § 324 SGB III selbständig zu beantworten. Normzweck ist die Verfahrensbeschleunigung, um den Gesamtumfang der Ansprüche auf Insolvenzgeld zügig festzustellen und abzuwickeln. Nur so hat das Arbeitsamt die Chance, die gemäß § 187 SGB III übergehenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu realisieren (Niesel a.a.O., Rdnr. 18 zu § 324). Diese allein zum Schutz der Beklagten dienende Ausschlussfrist steht in einem Spannungsverhältnis zur Richtlinie des Rates der europäischen Gemeinschaft zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20.10.1980 (EWGRL 987/80). Diese Richtlinie bezweckt, die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu schützen und insbesondere die Zahlung ihrer nicht erfüllten Ansprüche unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Daher wurde in der Rechtsprechung vertreten, dass die Vorschrift des § 324 Abs. 3 SGB III mit der genannten Richtlinie nicht vereinbar ist (SG Leipzig, EuGH-Vorlage vom 21.02.2001 - S 4 AL 781/99 -). Zwar hat der EuGH sich dieser Auslegung nicht angeschlossen (EuGH, Urteil vom 18.09.2003 - C 125/01 -). Indes hat der EuGH entschieden, dass die EWGRL 987/80 der Anwendung einer Ausschlussfrist nur dann nicht entgegensteht, wenn die Frist nicht so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität). Das nationale Gericht muss die innerstaatliche Vorschrift, die die Ausschlussfrist vorsieht, unangewendet lassen, wenn es feststellt, dass sie nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entspricht und auch nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann.
Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 324 Abs. 3 SGB III ergibt im vorliegenden Fall, dass der Kläger die Versäumung der Frist nicht zu vertreten hat. Ähnlich einer nicht voraussehbaren Postverzögerung, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat (BVerfG NJW 1992, 1952), hat er ein arbeitsvertragswidriges Pflichtversäumnis des Arbeitgebers nicht zu vertreten, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Arbeitgeber vertragswidrig die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs versäumen könnte. Da - wie ausgeführt - feststeht, dass der Arbeitgeber - bzw. sein bevollmächtigter Bruder - sich gegenüber dem Kläger verpflichtet hat, für die rechtzeitige Antragstellung zu sorgen und der Kläger mit der Unterschrift unter den unausgefüllten Antrag im Januar alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, um eine rechtzeitige Antragstellung zu ermöglichen, hat er die Versäumung der Frist nicht zu vertreten.
Der nachträgliche Antrag ist rechtzeitig im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz, SGB III gestellt worden, weshalb dem Kläger Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Der am 00.00.00 geborene Kläger war als Auszubildender bei der Fa. I, Holz- und Metallverarbeitung, beschäftigt. Mit Beschluss vom 00.00.0000 lehnte das Amtsgericht B1 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers des Klägers mangels Masse ab. Der Kläger hat noch offene Lohnansprüche für November und Dezember 2002.
Am 00.00.0000 vermerkte die Beklagte den Eingang des Antrages auf Insolvenzgeld des Klägers. Mit Schreiben vom 22.04.2003 teilte die "Belegschaft der ehemaligen Firma Holz- und Metallbau I", vertreten durch Herrn X mit, der Arbeitgeber habe sich für die gesamte Belegschaft bereit erklärt, Anträge auf Insolvenzgeld auszufüllen und beim Arbeitsamt einzureichen. Er habe der Belegschaft mitgeteilt, die Anträge Mitte März in den Briefkasten beim Arbeitsamt B2 eingeworfen zu haben. Auch bei einer persönlichen Vorsprache am 15.04.2003 hatten die Mitarbeiter der Firma I erklärt, der Arbeitgeber habe sich um die fristgerechte Antragstellung kümmern wollen.
Mit Bescheid vom 25.04.2003 lehnte die Beklagte die Zahlung von Insolvenzgeld ab. Insolvenzgeld sei gemäß § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis, hier dem 00.00.0000, zu beantragen. Der Antrag des Klägers sei erst am 00.00.0000, also außerhalb der Ausschlussfrist, eingegangen. Für die fristgerechte Antragstellung sei nicht der Arbeitgeber, sondern der Kläger persönlich verantwortlich. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger nochmals vor, der Arbeitgeber habe die fristgerechte Antragstellung zugesichert. Zudem sei die Vorschrift des § 324 Abs. 3 SGB III mit europäischem Recht nicht vereinbar.
Mit Bescheid vom 22.05.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger habe sich ein eventuelles Versäumnis des Arbeitgebers zuzurechnen lassen. Damit habe er die Versäumung der Frist zu vertreten i.S.d. § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III und eine Nachfristeinräumung käme nicht in Betracht.
Hiergegen richtet sich die am 00.00.0000 erhobene Klage. Der Kläger meint ergänzend, bereits die Abholung der Antragsformulare sei als konkludente Antragstellung zu werten. Schließlich stelle die Nichtbewilligung des Insolvenzgelds eine unbillige Härte im Sinne des § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III dar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 00.00.0000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Begründung der angefochtenen Entscheidung fest und meint ergänzend, es sei nicht glaubhaft, dass der Arbeitgeber die Anträge auf Insolvenzgeld rechtzeitig abgegeben habe.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Arbeitgebers I. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGB III. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Insolvenzgeld.
Die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III liegen vor. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Die Beklagte kann sich nicht auf eine verspätete Antragstellung berufen.
Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist Insolvenzgeld innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.
Der Kläger hat diese Frist versäumt. Der Antrag auf Insolvenzgeld ist erst am 00.00.0000 bei der Beklagten eingegangen. Insolvenzereignis war gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 SGB III der Beschluss des Amtsgerichts B1 vom 07.02.2003. Die Ausschlussfrist beginnt damit am 08.02.2003 und endet am 07.04.2003 (§§ 26 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 und 3, 193 BGB).
Das Gericht hält es nicht für erwiesen, dass der Arbeitgeber des Klägers den Antrag wie behauptet innerhalb der Ausschlussfrist abgegeben hat. Die Ausführungen des Zeugen waren nicht überzeugend. Während der Kläger bislang behauptet hat, der Zeuge habe die Anträge in einem Umschlag "am 18.03.2003" beim Arbeitsamt eingeworfen, hat der Zeuge bei der gerichtlichen Vernehmung mitgeteilt, er habe die Anträge "Ende Februar, Anfang März" in den Briefkasten des Arbeitsamtes B2 eingeworfen. Derartige Widersprüchlichkeiten erschüttern die Glaubhaftigkeit der Aussage insgesamt. Wäre dem Zeugen die Sicherung der Rechte seiner Arbeitnehmer so wichtig gewesen, wie behauptet wird, wäre zu erwarten gewesen, dass er sich, nachdem er die Anträge in den Briefkasten eingeworfen hat, zeitnah nach deren Bearbeitung erkundigt hätte. Nach alledem ist es allenfalls möglich, keineswegs jedoch nachgewiesen, dass der Zeuge die Anträge rechtzeitig gestellt hat. Die Beweislast liegt insoweit beim Kläger als Anspruchsteller.
Indes hält die Kammer es für nachgewiesen, dass der Zeuge - bzw. sein Bruder als sein Erfüllungsgehilfe - dem Kläger gegenüber versichert hat, sich um die rechtzeitige Antragstellung zu kümmern. Der Kläger hat noch im Januar 2003 den Antrag auf Insolvenzgeld blanko unterschrieben, dieser wurde dann an den Steuerberater des Klägers weitergegeben, der die offenen Lohnansprüche eintrug und die ausgefüllten Anträge an den Kläger bzw. seinen Bruder weiterleitete. Dieses Vorbringen des Klägers wurde in der mündlichen Verhandlung vom Zeugen bestätigt, ist plausibel, lebensnah und glaubhaft.
Unter dieser Voraussetzung steht dem Kläger Insolvenzgeld zu:
Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III wird Insolvenzgeld auch bei Fristversäumnis geleistet, wenn der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat und wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird.
Der Kläger hat die Versäumung der Frist nicht zu vertreten im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III.
Entgegen der Meinung der Beklagten ergibt sich die Zurechnung von Vertreterverschulden im Rahmen des § 324 Abs. 3 SGB III nicht aus der allgemeinen Regelung des § 278 BGB. Hiernach hat der Schuldner bei einem Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten, wie eigenes Verschulden. Bei dem Erfordernis der rechtzeitigen Antragstellung gemäß § 324 Abs. 3 SGB III handelt es sich jedoch nicht um eine Pflicht gegenüber der Beklagten, auf die § 278 BGB anwendbar wäre, sondern um eine Obliegenheit. Außerhalb des Anwendungsbereiches von § 254 BGB gilt § 278 BGB für Obliegenheiten grundsätzlich nicht (RG 159, 352; BGH, Urteil vom 21.04.1993 - IV ZR 34/92 -).
Auch eine Zurechnung des Verschuldens des Arbeitgebers nach prozessualen Regeln (§§ 73 Abs. 4 SGG, 85 Abs. 2 ZPO, hierzu Niesel, SGB III, 2. Aufl., Rdnr. 25 zu § 324) scheidet aus, weil der Arbeitgeber nicht im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses tätig wurde.
Die Frage, ob der Kläger die Versäumung der Frist zu vertreten hat, ist daher nach Sinn und Zweck des § 324 SGB III selbständig zu beantworten. Normzweck ist die Verfahrensbeschleunigung, um den Gesamtumfang der Ansprüche auf Insolvenzgeld zügig festzustellen und abzuwickeln. Nur so hat das Arbeitsamt die Chance, die gemäß § 187 SGB III übergehenden Ansprüche auf Arbeitsentgelt zu realisieren (Niesel a.a.O., Rdnr. 18 zu § 324). Diese allein zum Schutz der Beklagten dienende Ausschlussfrist steht in einem Spannungsverhältnis zur Richtlinie des Rates der europäischen Gemeinschaft zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers vom 20.10.1980 (EWGRL 987/80). Diese Richtlinie bezweckt, die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers zu schützen und insbesondere die Zahlung ihrer nicht erfüllten Ansprüche unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft zu gewährleisten. Daher wurde in der Rechtsprechung vertreten, dass die Vorschrift des § 324 Abs. 3 SGB III mit der genannten Richtlinie nicht vereinbar ist (SG Leipzig, EuGH-Vorlage vom 21.02.2001 - S 4 AL 781/99 -). Zwar hat der EuGH sich dieser Auslegung nicht angeschlossen (EuGH, Urteil vom 18.09.2003 - C 125/01 -). Indes hat der EuGH entschieden, dass die EWGRL 987/80 der Anwendung einer Ausschlussfrist nur dann nicht entgegensteht, wenn die Frist nicht so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität). Das nationale Gericht muss die innerstaatliche Vorschrift, die die Ausschlussfrist vorsieht, unangewendet lassen, wenn es feststellt, dass sie nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entspricht und auch nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann.
Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 324 Abs. 3 SGB III ergibt im vorliegenden Fall, dass der Kläger die Versäumung der Frist nicht zu vertreten hat. Ähnlich einer nicht voraussehbaren Postverzögerung, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat (BVerfG NJW 1992, 1952), hat er ein arbeitsvertragswidriges Pflichtversäumnis des Arbeitgebers nicht zu vertreten, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Arbeitgeber vertragswidrig die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs versäumen könnte. Da - wie ausgeführt - feststeht, dass der Arbeitgeber - bzw. sein bevollmächtigter Bruder - sich gegenüber dem Kläger verpflichtet hat, für die rechtzeitige Antragstellung zu sorgen und der Kläger mit der Unterschrift unter den unausgefüllten Antrag im Januar alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, um eine rechtzeitige Antragstellung zu ermöglichen, hat er die Versäumung der Frist nicht zu vertreten.
Der nachträgliche Antrag ist rechtzeitig im Sinne des § 324 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz, SGB III gestellt worden, weshalb dem Kläger Insolvenzgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zusteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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