L 15 RF 3/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 RF 3/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Kostenbeschluss
Leitsätze
1. Eine Entschädigung nach dem JVEG setzt grundsätzlich voraus, dass der Berechtigte im gerichtlich angesetzten Termin erschienen ist. Nicht ausreichend ist ein Erscheinen nur in den Räumlichkeiten des Gerichts, ohne dass eine Teilnahme an dem gerichtlichen angesetzten Termin, z.B. der mündlichen Verhandlung, erfolgt ist.
2. Ob eine derartige Teilnahme erfolgt ist, ist bei einer mündlichen Verhandlung der Sitzungsniederschrift (Protokoll) zu entnehmen, die Beweiskraft hat.
3. Von dem genannten Grundsatz kann jedenfalls dann nicht abgewichen werden, wenn der Grund für das Nichterscheinen nicht in der Sphäre des Gerichts liegt.
Dem Antragsteller steht keine Entschädigung wegen der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 zu.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt eine Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) wegen einer mündlichen Verhandlung, zu der er unter Anordnung des persönlichen Erscheinens geladen war, in der er aber wegen eines Schwächeanfalls kurz vor Beginn des Gerichtstermins nicht erschienen ist.

In dem am Bayer. Landessozialgericht (LSG) unter dem Aktenzeichen L 5 KR 521/14 geführten Berufungsverfahren des dortigen Klägers und jetzigen Antragstellers (im Folgenden: Antragsteller) fand am 10.11.2015 eine mündliche Verhandlung statt, zu der das persönliche Erscheinen des Antragstellers angeordnet war. Die mündliche Verhandlung war für 11.00 Uhr terminiert. Bei Aufruf des Rechtsstreits um 11.20 Uhr war der Antragsteller ausweislich des Protokolls nicht im Sitzungssaal anwesend. Im Protokoll wurde festgehalten: "Es wird festgestellt, dass der Kläger zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Wegen eines akuten medizinischen Notfalls kann er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen."

Mit Schreiben vom 11.11.2015 beantragte der Antragsteller die Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 10.11.2015. Er trug vor, dass er um 10.57 Uhr im LSG einen Schwächeanfall erlitten habe und ohnmächtig geworden sei. Der Rettungsdienst habe ihn ins Krankenhaus gebracht. Er habe sich von seiner Frau abholen lassen müssen (Kosten für die Fahrkarte 25,- EUR für die Fahrt der Ehefrau nach B-Stadt) und einen Strafzettel über 25,- EUR bekommen, da er kein Geld mehr in den Parkautomaten werfen habe können. Zudem beantragte er eine Entschädigung für gefahrene 285 km vom Wohnort nach B-Stadt und zurück sowie den Ersatz von Parkkosten in Höhe von 3,40 EUR. Für die Rückfahrt sei eine Begleitperson erforderlich gewesen.

Die Kostenbeamtin des Bayer. LSG lehnte mit Schreiben vom 25.01.2016 eine Entschädigung des Antragstellers wegen des Gerichtstermins am 10.11.2015 mit der Begründung ab, dass zwar das persönliche Erscheinen des Antragstellers angeordnet gewesen sei, dieser aber wegen seines Schwächeanfalls nicht an der Verhandlung teilnehmen habe können. Er habe daher nichts zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können.

Dagegen haben sich die Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 27.01.2016 gewandt und die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung beantragt. Zur Begründung haben sie Folgendes vorgetragen:

Der Antragsteller sei zum Termin der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 persönlich geladen gewesen und auch erschienen. Er habe jedoch kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung in den Räumen des LSG einen Schwächeanfall erlitten und sei anschließend in ein Krankenhaus verbracht worden. Daher sei ihm die persönliche Teilnahme am Gerichtstermin nicht mehr möglich gewesen, weshalb eine Vertagung seitens des Senats in Erwägung gezogen worden sei. Da der Kläger ansprechbar gewesen sei, habe er sein Einverständnis mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung und dem Abschluss eines Vergleichs durch seine Prozessbevollmächtigten auch ohne seine Anwesenheit erklärt. Dieser Sachverhalt sei dem Senat mitgeteilt worden. Daraufhin sei der Rechtsstreit zur mündlichen Verhandlung aufgerufen und mit einem Vergleich erledigt worden. Dem Kläger seien die Kosten für sein persönliches Erscheinen zu erstatten, da ihm diese ausschließlich aufgrund der richterlichen Anordnung, welcher er ordnungsgemäß gefolgt sei, entstanden seien. Die Tatsache, dass er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der mündlichen Verhandlung letztendlich nicht mehr persönlich teilnehmen habe können, könne nicht zu seinen Lasten gehen, zumal er sich bereits in den Gerichtsräumen befunden habe.

Der Senat hat die Akten des Hauptsacheverfahrens beigezogen.

II.

Die Festsetzung der Entschädigung erfolgt gemäß § 4 Abs. 1 JVEG durch gerichtlichen Beschluss, wenn wie hier der Berechtigte mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 27.01.2016 die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung beantragt.

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Entschädigung, da er in der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 nicht erschienen ist.

Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens sind gemäß § 191 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wie Zeugen zu entschädigen, sofern es sich wie hier um ein gerichtskostenfreies Verfahren im Sinn des § 183 SGG handelt. Die Entschädigung ergibt sich aus dem JVEG. Die Entschädigungstatbestände (für einen Zeugen) sind in § 19 JVEG aufgelistet.

1. Prüfungsumfang im Verfahren der gerichtlichen Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG

Die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird (vgl. Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.1968, Az.: RiZ (R) 4/68). Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (h.M., vgl. z.B. Beschluss des Senats vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rdnr. 12 - m.w.N.).

2. Ob des Entschädigungsanspruchs

Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Entschädigung wegen der mündlichen Verhandlung vom 10.11.2015, da er bei diesem Gerichtstermin nicht erschienen ist. Auf die Gründe des Nichterscheinens kommt es bei der Frage der Entschädigung nach dem JVEG jedenfalls dann nicht an, wenn - wie hier - der Grund dafür nicht in der Sphäre des Gerichts liegt.

2.1. Allgemeines

Mit der Frage, ob eine Entschädigung nach dem JVEG zusteht, wenn ein Berechtigter der Anordnung des persönlichen Erscheinens als Beteiligter oder einer Ladung als Zeuge Folge leisten will und sich auf dem Weg zu dem vom Gericht angeordneten Termin gemacht hat, dann aber an der Teilnahme am Gerichtstermin gehindert ist, hat sich der Senat in seinem Grundsatzbeschluss vom 08.03.2015, Az.: L 15 SF 209/15, befasst und dazu Folgendes ausgeführt:

"1.4.2. Grundvoraussetzung einer Entschädigung: Erscheinen beim gerichtlich angeordneten Termin

Es ist sowohl in der Rechtsprechung als auch in der maßgeblichen Kommentarliteratur herrschende Meinung, dass eine Entschädigung nur dann erfolgen kann, wenn der geladene Zeuge bzw. Beteiligte, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, zu dem vom Gericht angesetzten Termin auch erschienen ist (vgl. z.B. Beschlüsse des Senats vom 04.07.2014, Az.: L 15 SF 123/14, und vom 21.01.2015, Az.: L 15 SF 296/14; Bayer. LSG, Beschluss vom 28.05.2003, Az.: L 18 SB 37/02; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 11. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 2; Groß, in: Lüdtke, SGG, 4. Aufl. 2012, § 191, Rdnr. 7; Krauß, in: Roos/Wahrendorf, Sozialgerichtsgesetz, 1. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 8; Zeihe, SGG, 12. Aufl. Stand 08/2015, § 191, Rdnr. 2a; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Stand 06/2015, § 191, Ziff. 2; Rohwer-Kahlmann/Schroeder-Printzen/Hofmann/ Husmann/Ackermann/Wendt, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl. Stand 08/2007, § 191 SGG, Rdnr. 4; Breitkreuz, in: ders./Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 191, Rdnr. 5; vgl. auch Hartmann, a.a.O., § 1 JVEG, Rdnr. 41; unklar Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 7, Rdnr. 5, wenn diese die Möglichkeit sehen, dass einem ausgebliebenen Zeuge u.U. die Auslagen ersetzt werden können, die für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Abfassung eines Entschuldigungsschreibens entstanden sind).

1.4.3. Kein Anlass für eine weite Auslegung dahingehend, dass eine Entschädigung auch ohne Erscheinen bei Gericht möglich wäre

Die Notwendigkeit dafür, eine Entschädigung unter bestimmten Voraussetzungen bereits dann zuzulassen, wenn zwar die Ladung des Zeugen bzw. die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beteiligten erfolgt ist, der Zeuge bzw. Beteiligte dann aber nicht in dem vom Gericht angesetzten Termin erschienen ist, sieht der Senat nicht, jedenfalls dann nicht, wenn der Grund für das Nichterscheinen nicht in der Sphäre des Gerichts liegt.

Der Senat stützt sich dabei auf folgende Überlegungen:

* Mit den Regelungen zur Entschädigung nach dem JVEG wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Gerichte auf der Suche nach der Wahrheit oft auf die Wahrnehmungen von Zeugen angewiesen sind. Die Mitwirkung der Zeugen im gerichtlichen Verfahren stellt sich auch als staatsbürgerliche Pflicht dar, deren Erfüllung nicht notwendig einer Entschädigung bedarf (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 10.10.1978, Az.: 2 BvL 3/78, Hartmann, a.a.O., Grundz. JVEG, Rdnr. 6). Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass die Mitwirkung von Zeugen nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung nur mit für diesen als zumutbar betrachteten Nachteilen verbunden sein soll, was zur Einführung von Entschädigungsregelungen geführt hat. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass in nicht gemäß § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren genauso wie in Verfahren anderer Gerichtsbarkeiten, bei denen keine Gerichtskostenfreiheit wie in § 183 SGG besteht, die Kosten für eine Entschädigung von Zeugen grundsätzlich von den Verfahrensbeteiligten zu übernehmen sind. Insofern ist für alle Betroffenen ein Weg zu finden, mit dem den Interessen aller Beteiligten möglichst weitgehend Rechnung getragen wird. Grundlage einer Entschädigung bleibt dabei immer, dass der Zeuge einen Beitrag zum Verfahren geliefert hat. Daran fehlt es, wenn ein Zeuge zu dem vom Gericht angesetzten Termin nicht erschienen ist. In einem solchen Fall wäre es unbillig, die dabei entstandenen Kosten der unterliegenden Partei aufzubürden. Nichts anderes kann in einem gerichtskostenfreien sozialgerichtlichen Verfahren gelten, in dem die Kosten von der Staatskasse übernommen werden.

* Vorgenannter Gedanke, der einen Verfahrensbeitrag als unverzichtbare Voraussetzung für eine Entschädigung sieht, findet auch in § 8 a JVEG seine Bestätigung, wenn dort der Wegfall oder die Beschränkung des Vergütungsanspruchs eines Sachverständigen, Dolmetschers oder Übersetzers von der Verwertbarkeit der zu vergütenden Leistung abhängig gemacht wird.

* Entsprechendes lässt sich auch aus der Rechtsprechung zum Ausschluss von Ansprüchen nach dem JVEG außerhalb des § 8 a JVEG entnehmen. Zwar enthält das JVEG mit Ausnahme der Ausschlussfrist des § 2 Abs. 1 JVEG und der auf die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern zugeschnittenen Regelung des § 8 a JVEG keine ausdrückliche Regelung zum Ausschluss von Ansprüchen. Gleichwohl besteht in Literatur und Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass ein nach dem Wortlaut des Gesetzes gegebener Entschädigungs- oder Vergütungsanspruch dann ausgeschlossen ist, wenn der Berechtigte schuldhaft den Erfolg der grundsätzlich eine Entschädigung oder Vergütung auslösenden Maßnahme vereitelt hat (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, a.a.O., § 1, Rdnr. 34.; BGH, Beschluss vom 15.12.1975, Az.: X ZR 52/73; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 15.11.1999, Az.: L 4 B 168/99 SF; Beschluss des Senats vom 15.05.2009, Az.: L 15 SF 249/09). Gestützt wird ein solcher Anspruchsverlust auf den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Beschluss des Senats vom 16.09.2013, Az.: L 15 SF 211/13; Leitherer, a.a.O., § 191, Rdnr. 2).

* Die Regelungen des JVEG sind von dem Bestreben des Gesetzgebers nach einer Vereinfachung der Rechtsanwendung des Kostenrechts geprägt (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG] - Bundestags-Drucksache 15/1971, z.B. S. 1, 2, 142, 143, 180). Dem entspricht die Rechtsprechung des Kostensenats, wonach die Anforderungen an die Prüfpflicht der Kostenbeamten und Kostenrichter im Sinn der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie (Leitgedanke der Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Grundsatzbeschlüsse vom 14.05.2012, Az.: L 15 SF 276/10 B E, vom 18.05.2012, Az.: L 15 SF 104/11, vom 22.06.2012, Az.: L 15 SF 136/11, vom 30.07.2012, Az.: L 15 SF 439/11, vom 08.04.2013, Az.: L 15 SF 305/10, vom 08.10.2013, Az.: L 15 SF 157/12 B, vom 04.12.2013, Az.: L 15 SF 226/11, vom 17.12.2013, Az.: L 15 SF 275/13, vom 08.05.2014, Az.: L 15 SF 42/12, vom 03.06.2014, Az.: L 15 SF 402/13 E, vom 03.11.2014, Az.: L 15 SF 254/12, vom 04.11.2014, Az.: L 15 SF 198/14, vom 14.01.2015, Az.: L 15 SF 239/12 B, vom 10.03.2015, Az.: L 15 RF 5/15, vom 11.05.2015, Az.: L 15 RF 14/15, und vom 08.06.2015, Az.: L 15 SF 255/14 E) nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Diese Zielsetzung gebietet es, die Frage der Entschädigung an dem für die Kostenbeamten und Kostenrichter leicht feststellbaren Kriterium des Erscheinens beim gerichtlichen Termin anzuknüpfen. Die Klärung der Frage in jedem Einzelfall, warum es nicht zum Erscheinen gekommen ist, würde mit dem Gebot der Praktikabilität und Verwaltungsökonomie nicht in Einklang zu bringen sein.

* Die Regelungen des JVEG enthalten eine im Wesentlichen abschließende Regelung der Entschädigung oder Vergütung der darin genannten Berechtigten. Insofern ist dem JVEG zumindest auch der Charakter vorrangiger Sondervorschriften zuzusprechen (vgl. Hartmann, a.a.O., Grundz. JVEG, Rdnr. 1). Schon dieser Ausnahmecharakter steht regelmäßig einer weiten Auslegung (vgl. z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 21.06.1977, Az.: 2 BvR 308/77, und vom 07.10.1980, Az.: 1 BvR 1289/78; Bundessozialgericht, Urteile vom 06.10.2011, Az.: B 9 SB 6/10 R, und vom 15.05.2012, Az.: B 2 U 4/11 R; Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.03.2014, Az.: XI R 29/12), mithin einer großzügigen Handhabung der Entschädigungsvorschriften entgegen.

* Auch ein Vergleich mit dem Rechtsbereich der Rechtsanwaltsvergütung zeigt, dass für eine Entschädigung bzw. Vergütung das Erscheinen des Berechtigten im Gerichtstermin grundsätzlich unverzichtbar ist. So entsteht die Terminsgebühr eines Rechtsanwalts für die Vertretung in einem gerichtlichen Termin nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) (Vorbemerkung 3 Abs. 3 der Verwaltungsvorschriften zum RVG) nach ständiger Rechtsprechung erst durch die Teilnahme am Termin. Nicht ohne Grund wird daher die Terminsgebühr auch als "Anwesenheitsgebühr" (vgl. Verwaltungsgericht - VG - Köln, Beschluss vom 01.06.2011, Az.: 7 K 3012/10) bezeichnet. Erscheint der Rechtsanwalt nicht oder verspätet zur mündlichen Verhandlung, hat er keine Terminsgebühr erworben (vgl. Oberlandesgericht - OLG - B-Stadt, Beschluss vom 17.06.2008, Az.: 11 WF 1065/08; VG Bayreuth, Beschluss vom 01.07.2013, Az.: B 1 M 11.626). Dabei wird es als unerheblich angesehen, aus welchem Grund eine Teilnahme am Termin nicht erfolgt ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.09.2011, Az.: 2 WF 165/11).

* Dieses Ergebnis - Ausschluss einer Entschädigung infolge des Nichterscheinens im gerichtlich angesetzten Termin - ist auch unter verfassungsrechtlichem Blickwinkel nicht zu beanstanden.

Zum einen ist die Teilnahme des Zeugen an einem gerichtlich angeordneten Termin Teil der Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten (vgl. Hartmann, a.a.O., Grundz. JVEG, Rdnr. 3, und § 19 JVEG, Rdnr. 2); bei einem Verfahrensbeteiligten wären zudem dessen ureigene Interessen besonders betroffen. Von Verfassung wegen wäre der Gesetzgeber daher überhaupt nicht verpflichtet, einem Zeugen (bzw. Beteiligten, wie dies mit § 191 SGG ohnehin nur für gemäß § 183 SGG kostenfreie sozialgerichtliche Verfahren vorgesehen ist) eine Entschädigung für sein Erscheinen bei Gericht zu gewähren. Das BVerfG hat dies im Beschluss vom 10.10.1978, Az.: 2 BvL 3/78, wie folgt zum Ausdruck gebracht:

"Die Zeugenpflicht ist nach deutscher Rechtstradition eine allgemeine Staatsbürgerpflicht, für deren Erfüllung ein Entgelt nicht verlangt werden kann (vgl. dazu etwa die Begründung zum Gesetz betreffend die Änderung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom 10. Juli 1914 - RGBl. S. 214 - Drucksache Nr. 38 (1913) zu den Verhandlungen des Bundesrates des Deutschen Reiches sowie die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften - BTDrucks. II 2545, S. 212 f.)."

Zum anderen ist es auch unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Grundgesetz nicht geboten, einem geladenen Zeugen bzw. einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, der aber - aus welchem Grund auch immer - beim Gerichtstermin nicht erschienen ist, eine Entschädigung nach den gleichen Vorgaben und in gleicher Weise zu gewähren wie einem solchen, der beim Gerichtstermin erschienen ist. Denn im Gegensatz zu dem nicht erschienenen Zeugen oder Beteiligten hat der erschienene Zeuge oder Beteiligte einen Beitrag zum gerichtlichen Verfahren leisten können, wie er Grund für die Ladung des Zeugen oder die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beteiligten gewesen ist. Auch insofern verweist der Senat auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im vorgenannten Beschluss, die wie folgt lauten:

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält der Gleichheitssatz für den Gesetzgeber die allgemeine Weisung, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er ist erst verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt. Der Gesetzgeber hat hiernach weitgehende Gestaltungsfreiheit. Das gilt in noch höherem Maße bei einer rechtsgewährenden Regelung. Der Gesetzgeber besitzt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit größere Gestaltungsfreiheit als innerhalb der Eingriffsverwaltung (BVerfGE 11, 50 (60); 17, 210 (216); 22, 100 (103); 23, 258 (264); 36, 230 (235)) und ist in diesem Bereich in weitem Umfang zum Erlaß typisierender und generalisierender Regelungen berechtigt (BVerfGE 26, 16 (31)). Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Gesetzgeber wie hier für Nachteile, die dem Bürger als Folge der Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten entstehen, einen Ausgleich gewährt, zu dem er verfassungsmäßig nicht verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 29, 51 (56)). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz käme mithin nur in Betracht, wenn sich aus dem Gegenstand der Regelung für die Art der Differenzierung kein sachlich vertretbarer Grund anführen ließe oder wenn der Gesetzgeber die besonderen Wertentscheidungen der Verfassung außer acht gelassen hätte (vgl. BVerfGE 12, 354 (367); 17, 122 (131); 17, 210 (216 f.); 36, 230 (235))."

Der Senat geht mit der h.M. daher davon aus, dass das Erscheinen im gerichtlichen Termin unverzichtbare Grundvoraussetzung für eine Entschädigung ist. Nur dann, wenn es aus einem in der Sphäre des Gerichts liegenden Grund nicht zu dem Erscheinen im gerichtlich angeordneten Termin gekommen ist, wird aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben eine Entschädigung gleichwohl zuzusprechen sein (vgl. Hartmann, a.a.O., § 1, Rdnrn. 11, 44; zum RVG: OLG B-Stadt, Beschluss vom 13.11.2007, Az.: 1 Ws 986/07)."

Eine Entschädigung nach dem JVEG setzt daher grundsätzlich voraus, dass der Berechtigte im gerichtlich angesetzten Termin erschienen ist. Nicht ausreichend ist ein Erscheinen nur in den Räumlichkeiten des Gerichts, ohne dass eine Teilnahme an dem vom Gericht angesetzten Termin, z.B. der mündlichen Verhandlung, erfolgt ist.

Ob eine derartige Teilnahme erfolgt ist, ist bei einer mündlichen Verhandlung der Sitzungsniederschrift im Sinn des § 122 SGG (Protokoll) zu entnehmen, die gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) die Namen u.a. der erschienenen Parteien und Zeugen enthalten muss und gemäß § 165 ZPO Beweiskraft hat.

2.2. Prüfung im vorliegenden Fall

Der Antragsteller ist im vorliegenden Fall nicht zum angesetzten Gerichtstermin, also in der mündlichen Verhandlung, erschienen.

Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.11.2015, in dem der Kläger nicht unter den für die Klagepartei Erschienen aufgelistet ist.

Sofern auf Seite 2 des Protokolls ausgeführt ist "Es wird festgestellt, dass der Kläger zur mündlichen Verhandlung erschienen ist." steht dies nicht der Beweiskraft des Protokolls wegen einer Widersprüchlichkeit der Niederschrift (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 17/09 B) entgegen. Denn auch ein Protokoll ist der Auslegung zugänglich (vgl. BSG, Urteil vom 14.11.1961, Az.: 11 RV 960/59). Die Auslegung ergibt hier unzweifelhaft, dass der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal anwesend gewesen ist, sondern sich nur kurz zuvor in den Räumlichkeiten des LSG befunden hat. Des folgt schon klar aus dem nachstehend genannten Satz im Protokoll, wenn dort festgehalten ist: "Wegen eines akuten medizinischen Notfalls kann er nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen." Dieser Satz bestätigt, dass der Antragsteller, der im Protokoll nicht unter den Erschienen aufgeführt ist, tatsächlich nicht in der mündlichen Verhandlung erschienen ist. Es besteht daher keine Widersprüchlichkeit des Protokolls und damit auch kein Zweifel daran, dass der Antragsteller nicht in der mündlichen Verhandlung erschienen ist. Im Übrigen hat der Antragsteller selbst in seinem Schreiben vom 11.11.2015 bestätigt, dass er vor Beginn der mündlichen Verhandlung ohnmächtig und anschließend ins Krankenhaus gebracht worden ist.

Allein die Anwesenheit in Räumen des LSG, nicht aber in der mündlichen Verhandlung im Sitzungssaal, reicht aber nicht aus, um von einem entschädigungsbegründenden Tatbestand auszugehen.

Dass der Antragsteller nicht im Termin der mündlichen Verhandlung erschienen ist, liegt nicht in der Sphäre des Gerichts begründet, sondern im Gesundheitszustand des Antragstellers, so dass auch keine ausnahmsweise Entschädigung ohne Erscheinen im Gerichtstermin möglich ist. Eine Entschädigung lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Antragsteller offenbar nach seinem Schwächeanfall sein Einverständnis mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung in seiner Abwesenheit und dem Abschluss eines Vergleichs durch seine Prozessbevollmächtigte auch ohne seine Anwesenheit erklärt hat. Dies sind allesamt keine Gesichtspunkte, die im Rahmen einer Entschädigung nach dem JVEG von Bedeutung sein können.

Wie der Entschädigungsantrag zu beurteilen wäre, wenn sich der Schwächeanfall nach dem ursprünglich angesetzten, aber noch vor dem tatsächlichen (verzögerten) Beginn der mündlichen Verhandlung ereignet hätte, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn der Antragsteller hat selbst in seinem Antragsschreiben vom 11.11.2015 angegeben, dass er um 10.57 Uhr und damit nicht nur vor dem (verspäteten) Beginn der mündlichen Verhandlung um 11.20 Uhr, sondern auch vor dem auf 11.00 Uhr geladenen Gerichtstermin ohnmächtig geworden ist.

Dem Antragsteller steht daher eine Entschädigung wegen des Gerichtstermins am 10.11.2015 nicht zu.

Das Bayer. LSG hat über den Antrag auf gerichtliche Kostenfestsetzung gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG als Einzelrichter zu entscheiden gehabt.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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