L 19 AS 555/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 2426/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 555/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 158/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Die Beschwerde der Beigel. wird als unzulässig verworfen
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.02.2015 aufgehoben und die Klage gegen den Beklagten abgewiesen. Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Leistungen für die Unterkunft und Heizung nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014.

Die am 00.00.1986 geborene, ledige Klägerin ist rumänische Staatsangehörige. Sie hat zwei Kinder (geboren 2004 und 2006), die in Rumänien bei ihren Großeltern bzw. in einer Pflegefamilie leben.

Am 03.05.2009 reiste die Klägerin in die Bundesrepublik ein. Im April 2014 wurde beim Amtsgericht L die Anordnung einer Betreuung für die Klägerin beantragt. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens gab die Klägerin am 07.07.2014 gegenüber der Beigeladenen an, ihr sei in Rumänien Arbeit in der Bundesrepublik angeboten worden. Deshalb sei sie 2009 in die Bundesrepublik eingereist und sei in der Prostitution gelandet. Nach zwei Wochen habe sie abhauen können. Sie gehe Putzen, um Geld zu verdienen. Sie habe sich auch durch Geldgeschenke über Wasser halten können. Sie habe keine Krankenversicherung. Bisher habe sie Arztbesuche durch Geldleihen privat bezahlen können.

Am 08.04.2014 beantragte die Klägerin die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie gab an, sie wohne abwechselnd bei Bekannten. Ihr Lebensunterhalt werde durch Spenden gemeinnütziger Vereine und materielle Unterstützung durch Bekannte sichergestellt. Durch Bescheid vom 11.06.2014 lehnte der Beklagte den Antrag unter Berufung auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.06.2014 als unbegründet zurück.

Durch Beschluss vom 23.06.2014 verpflichtete das Sozialgericht Köln - S 33 AS 2067/14 ER - den Beklagten, der Klägerin ab dem 04.06.2014 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von 6 Monaten, Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelbedarfs ohne Kosten der Unterkunft und Heizung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen. Diesen Beschluss führte der Beklagte aus. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 23.06.2014 wandte sich der Beklagte mit Schreiben vom 24.06.2014 an die Beigeladene mit der Bitte um Prüfung und Rückmeldung, ob im Fall der Klägerin der Verlust des Aufenthaltsrechts und die Ausreisepflicht festgestellt werden könne. Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Klägerin verfüge über kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU.

Im November 2014 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diesen Antrag lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 18.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.03.2015 für die Zeit vom 01.11.2014 bis zum 11.01.2015 ab. Ab dem 12.01.2015 ist die Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Gegen den Bescheid vom 11.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 hat die Klägerin am 02.07.2014 Klage erhoben. Sie hat vorgetragen, sie sei am 03.05.2009 in die Bundesrepublik mit der Erwartung eingereist, dass sie als Tellerwäscherin oder dergleichen in L arbeiten solle. Sie sei aber im Puff gelandet. Nach zwei Wochen sei sie von ihrer Arbeitsstelle im T weggelaufen. Sie sei in L geblieben. Sie habe gebettelt, Flaschen gesammelt, sei von der Moschee und Bekannten unterstützt worden und habe ohne Papiere gearbeitet. Sie habe keine feste Unterkunft, sondern wohne in wechselnden Unterkünften, die ihr von Bekannten angeboten würden. Sie habe auch als Haushaltshilfe gearbeitet. Sie könne keine Anschriften nachweisen, weil es sich um Gefälligkeitsarbeiten gehandelt habe. Ab April 2014 habe sie keine weiteren Einkünfte mehr gehabt. Sie sei seelisch kaputt und sehe sich außer Stande, sich weiter zu versorgen. Deshalb habe sie den Antrag beim Beklagten gestellt. Sie hat eine Meldebescheinigung vorgelegt, wonach sie in der Zeit vom 07.12.2010 bis zum 18.08.2014 unter der Anschrift T-Straße 00, L und seit 18.08.2014 ohne festen Wohnsitz in L gemeldet ist.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid vom 11.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014 aufzuheben und der Klägerin für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2104 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin L. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.02.2015 Bezug genommen.

Durch Urteil vom 20.02.2015 hat das Sozialgericht Köln den Bescheid vom 11.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24.06.2014 abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 zu gewähren. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II hinsichtlich des Lebensalters und der Erwerbsfähigkeit. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. Sie sei auch hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II. Die Klägerin sei von den Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht ausgeschlossen. Denn ihr stehe ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU zu. Nach dieser Vorschrift hätten Unionsbürger, die sich seit 5 Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, ein Daueraufenthaltsrecht. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass ein fünfjähriger Aufenthalt der Klägerin ab dem 03.05.2009 vorläge. Die Kammer sehe die Angaben der Klägerin, dass sie am 03.05.2009 nach L gereist sei und dort zunächst für zwei Wochen im T als Prostituierte gearbeitet habe, als erwiesen an. Nachdem die Klägerin diese Tätigkeit aufgegeben habe, habe sie weiter in L gelebt und sich durch Tätigkeit ohne Papiere, Betteln und Flaschen sammeln, finanziert. Eine Unterkunft habe sie zu keinem Zeitpunkt bezahlt, da sie entweder bei Bekannten oder unter freiem Himmel geschlafen habe.

Gegen das ihm am 25.02.2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23.03.2015 Berufung eingelegt. Er hat die Auffassung vertreten, die Klägerin verfüge nicht über ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU. Dieses Aufenthaltsrecht setze voraus, dass sich ein Unionsbürger seit fünf Jahren ständig und rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Es sei ungeklärt, ob sich die Klägerin ständig in der Bundesrepublik aufgehalten habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20.02.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zu gewähren.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen und im Falle der Verurteilung die Revision zuzulassen.

Der Senat hat durch Beschluss vom 17.06.2015 die Stadt L als örtlichen Sozialhilfeträger beigeladen. Die Beigeladene ist der Auffassung, dass der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU zustehe. Sie stütze sich auf eine entsprechende Auskunft ihrer Ausländerbehörde. Rechtsgrundlage für das Freizügigkeitsrecht der Klägerin sei das FreizügG/EU. Nähere Auslegungshinweise könnten der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) zum FreizügG/EU des Bundesministeriums des Inneren, Stand 18.02.2016, entnommen werden, insbesondere den Ausführungen zur Glaubhaftmachung der aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen unter Ziffer 5.2 ff. Hiernach sei bei einem Unionsbürger grundsätzlich vom Bestehen der Freizügigkeitsvoraussetzungen auszugehen, wenn er erkläre, dass eine der geforderten Ausübungsvoraussetzungen vorliege und keine Zweifel an seiner Erklärung bestehe. In diesem Fall sei von der Vorlage entsprechender Dokumente zur Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechtes abzusehen. Eine Überprüfung der Angaben finde nicht statt. Sollten die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht demgegenüber nicht vorliegen, stelle die Ausländerbehörde dies fest und teile es dem Betroffenen mit.

Im Falle der Klägerin sei durch die Ausländerbehörde eine derartige Feststellung zu keinem Zeitpunkt getroffen worden, sodass die Klägerin sich rechtmäßig fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die Ausländerbehörde könne das Vorliegen oder den Fortbestand der Voraussetzungen des Freizügigkeitsrechts aus besonderem Anlass prüfen. Ein solcher besonderer Anlass könne auch die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nach dem SGB II oder SGB XII sein. Der Bezug von Leistungen dürfe jedoch nicht automatisch zur Verlustfeststellung führen. Die Klägerin lebe nach eigenen Angaben bereits seit 2009 in Deutschland. Sie habe ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Flaschen sammeln und Unterstützung durch die Moschee sichergestellt. Wenn die Klägerin sich seit dem 03.05.2009 in Deutschland, konkret in L, aufgehalten habe, habe der Fünfjahreszeitraum ab dem 03.05.2009 zu laufen begonnen und am 02.05.2014 geendet. In der Zeit vom Mai 2009 bis Mai 2014 habe die Klägerin keine öffentlichen Mittel nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch genommen. Sie sei weder straffällig geworden noch könne ihr eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen werden. Sie habe auch keine falschen Angaben zu freizügigkeitsrelevanten Umständen gemacht. Vor diesem Hintergrund habe für die Ausländerbehörde keine Veranlassung bestanden, das Freizügigkeitsrecht der Klägerin innerhalb des Fünfjahreszeitraums zu überprüfen. Nur der Ausländerbehörde obliege die Entscheidung über den Verlust des Freizügigkeitsrechts. Der Verlust des Freizügigkeitsrechts aufgrund des Entfalls der Voraussetzungen könne nur innerhalb der ersten fünf Jahre nach Begründung des ständigen Aufenthaltes festgestellt werden (siehe Ziffer 5.4.1.2 der AVV zum FreizügG/EU). Nach Ablauf von fünf Jahren ständigen rechtmäßigen Aufenthalts sei der Entfall der Freizügigkeitsvoraussetzungen nicht mehr relevant, da das vom Fortbestehen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU unabhängige Daueraufenthaltsrecht erworben worden sei. Der Aufenthalt sei dementsprechend nur dann nicht rechtmäßig, wenn spätestens zum Zeitpunkt der Vollendung der Fünfjahresfrist eine Feststellung über den Verlust oder das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts vorliege. Im Umkehrschluss sei daher der Aufenthalt der Klägerin im Fünfjahreszeitraum rechtmäßig, da seit ihrer Einreise keine Feststellung über den Verlust oder das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde getroffen worden sei. Sollten trotz dieser Ausführungen Zweifel am Daueraufenthaltsrecht der Klägerin ab Mai 2014 bestehen, könne die Klägerin diese Zweifel durch eine gebührenpflichtige Bescheinigung über das Bestehen des Daueraufenthaltsrechts von der zuständigen Ausländerbehörde ausräumen. Eine eventuelle Bescheinigung der Ausländerbehörde über das Daueraufenthaltsrecht der Klägerin habe Tatbestandswirkung für das vorliegende Verfahren und könne nicht zur Disposition stehen. Sie gehe deshalb davon aus, dass die Klägerin seit dem 03.05.2014 daueraufenthaltsberechtigt sei mit der Folge, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keine Anwendung findet. Der Beklagte sei für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 31.10.2014 zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II verpflichtet.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der beigezogenen Akte des Sozialgerichts Köln - S 33 AS 2067/14 ER - und der Betreuungsakte des Amtsgericht L - 57 XVII 00/00 B - Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist aufzuheben und die Klage gegen den Beklagten abzuweisen. Die Beigeladene ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG zu verurteilen, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 zu gewähren.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 11.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2014, soweit in ihm die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Bedarfe nach § 22 SGB II für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 abgelehnt worden ist. Die Klägerin hat ihr Begehren durch eine entsprechende Antragsstellung im erstinstanzlichen Verfahren zeitlich auf den Zeitraum vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 sowie sachlich auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Bedarfe nach § 22 SGB II beschränkt.

Die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 2, Abs. 4 SGG ist zulässig. Das Rechtschutzinteresse ist durch die Gewährung von Regelleistungen nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtschutzes für die Zeit vom 04.06.2014 bis zum 03.12.2014 nicht entfallen.

Der im Berufungsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen zur Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 03.05.2014 bis zum 30.10.2014 nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ist zulässig (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (A). Sie kann Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung von der Beigeladenen nach §§ 19, 23 Abs. 1 S. 3, 27 SGB XII beanspruchen (B).

A. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den streitbefangenen Zeitraum zu gewähren.

Die Klägerin ist nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Danach sind Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen. Diese Ausschlussregelung fordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw. der Gründe des Aufenthaltsrechts am Maßstab des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) und ggf. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG; vgl. BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R - m.w.N). Der Leistungsauschluss erfasst Unionsbürger, deren Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche besteht oder die über kein materielles Aufenthaltsrecht verfügen (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, - B 4 AS 44/15 R - und - B 4 AS 43/15 R -, vom 16.12.2016 - B 14 AS 33/14 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R).

Die Klägerin hat im streitbefangenen Zeitraum weder über eine Freizügigkeitsberechtigung verfügt nach dem FreizügG/EU, die nicht von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II umfasst ist noch hat sie sich auf eine Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen können.

Die Klägerin ist im streitbefangenen Zeitraum weder als Arbeitnehmerin beschäftigt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) gewesen noch hat sie eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU). Die Voraussetzungen für ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU liegen nicht vor. Die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten in Haushalten haben keinen Arbeitnehmerstatus i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr.1 FreizügG/EU begründet. Dabei kann dahinstehen, ob überhaupt die Ausübung einer abhängige Beschäftigung ohne Arbeitserlaubnis bis zum 31.12.2013 einen Arbeitnehmerstatus i.S.v. § 13 FreizügG/EU i.d.F. bis zum 31.12.2013 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU begründen konnte (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 - L 3 AS 1477/11). Die von der Klägerin geschilderten Putztätigkeiten bzw. Hilfen im Haushalt sind nicht geeignet gewesen, eine Arbeitnehmereigenschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU zu begründen. Ein wirtschaftlicher Güteraustausch ist mit diesen Tätigkeiten nicht - jedenfalls nicht als die Tätigkeit prägender Hauptzweck - verbunden gewesen (vgl. hierzu LSG NRW, Urteil vom 10.10.2103 - L 19 AS 129/13). Denn nach Angaben der Klägerin sind diese Tätigkeiten als Reaktion auf die Bereitschaft von Personen, sie caritativ zu unterstützen, erfolgt. Somit handelt es sich um Gefälligkeitsarbeiten.

Die Klägerin hat sich auch nicht in der Bundesrepublik zu dem Zwecke, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen, aufgehalten (§§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Ferner hat sie nicht über ausreichende Existenzmittel, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU), verfügt und ist auch nicht einem freizügigkeitsberechtigten Familienmitglied nachgezogen (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 FreizügG/EU).

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen hat die Klägerin über kein Daueraufenthaltsrecht i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU verfügt. Nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Ein ständiger Aufenthalt von fünf Jahren genügt allein nicht zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts i.S.v. §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU; vielmehr muss ein Unionsbürger in diesem Zeitraum auch durchgehend materiell aufenthaltsberechtigt gewesen sein. Mit dem Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts wird auf die materiellen Freizügigkeitsvoraussetzungen abgestellt und somit unionsrechtlich vorausgesetzt, dass der Betreffende während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG, die durch das FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt worden sind, erfüllt hat (BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R; BVerwG, Urteile vom 31.05.2012 - 10 C 8/12 - und vom 16.07.2015 - 1 C 22/14 -; EUGH, Urteile vom 21.12.2011 - C-424/10 und C-425/10 Rechtsache Ziolkowski und Szeja -, vom 06.09.2012 - C-147/11 u.a. Rechtsache Czpo u.a. -, vom 08.05.2013 - C-529/11 Rechtsache Alarape und Tijani - und vom 11.11.2014 - C-333/13 Rechtsache Dano; vgl. auch Ziffer 4a.1.1 der AVV zum FreizügG/EU vom 03.02.2016).

Der fünfjährige Aufenthalt eines Unionsbürger verbunden mit der im FreizügG/EU enthaltenen generellen Freizügigkeitsvermutung (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R) begründet daher allein kein Daueraufenthaltsrecht i.S.v. §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU und steht auch nicht einer Verlustfeststellung nach §§ 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 - 1 C 22/14 - juris Rn. 17). Ein Daueraufenthaltsrecht nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a Abs. 1 FreizügG/EU setzt vielmehr einen fünfjährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraus. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik seit dem 03.05.2009 hat sie nicht ununterbrochen über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken. Nach eigenen Angaben ist die Klägerin lediglich für Dauer eines halben Jahres im Jahr 2011 in der Lage gewesen, den Beitrag von 50,00 EUR halbjährlich zur Aufrechterhaltung ihres Krankenversicherungsschutzes aufzubringen. Ihren Lebensunterhalt hat sie im Wesentlichen durch Betteln, Pfanderlösen von gesammelten Flaschen und caritativen Unterstützungen von Institutionen und Einzelpersonen bestritten. Damit hat ein Aufenthaltsrecht nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 5, 4 FreizügG/EU nicht vorgelegen. Ebenso sind die Voraussetzungen der Freizügigkeitsberechtigungen nach § 2 Abs. 2 Nrn. 1, 2, 3, 4 und 6 FreizügG/EU nicht gegeben gewesen.

Dahinstehen kann, ob eine von einer Ausländerbehörde ausgestellte Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrecht nach § 5 Abs. 5 S. 1 FreizügG/EU, insbesondere im Hinblick auf ihren deklaratorischen Charakter (Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., § 5 FreizügG/EU Rn. 40), für die Sozialgerichte und Grundsicherungsleistungsträger bindende Wirkung hat (vgl. zur Tatbestandswirkung von Aufenthaltstiteln BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 8/13 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr. 41). Die Klägerin verfügt nicht über eine solche Bescheinigung.

Ob die Klägerin über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R) verfügt hat, kann dahinstehen. Denn dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen sowohl Unionsbürger mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche als auch ohne materielles Aufenthaltsrecht (BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R m.w.N.). Anhaltspunkte für ein Aufenthaltsrecht der Klägerin nach dem AufenthG entsprechend der Günstigkeitsregelung des § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgebracht. Die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht aus § 25 AufenthG sind nicht gegeben.

Der Leistungsauschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist mit unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - m.w.N. und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R - m.w.N.). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Leistungsauschluss bestehen nicht (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - m.w.N. und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R - m.w.N.)

B. Die Beigeladene wird nach § 75 Abs. 5 SGG verpflichtet, der Klägerin Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung nach §§ 19, 23 Abs. 1 S. 3, 27 SGB XII zu gewähren. Danach ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII sind erfüllt.

Die Klägerin ist hilfebedürftig i.S.v. § 19 Abs. 1, 27 Abs. 1 SGB XII. Im streitbefangenen Zeitraum ist sie nicht Lage gewesen, ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Die Klägerin hat über kein eigenes Einkommen oder Vermögen i.S.v. § 27 Abs. 2 SGB XII verfügt. Soweit ihr sozialhilferechtlicher Bedarf teilweise dadurch gedeckt worden ist, dass sie im Wege des einstweiligen Rechtschutzes für einen Teilzeitraum Leistungen nach dem SGB II erhalten hat, greift die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein (BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R).

Die Klägerin ist nicht nach § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Sie ist nicht i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Denn sie unterfällt der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und ist als Erwerbsfähige damit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, B 4 AS 44/15 R -, B 4 AS 43/15 R -, vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R, a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 - L 29 AS 20/16 B ER -; LSG Rheinland-Pfalz - L 3 AS 668/15 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - L 9 AS 1335/15 B ER -; LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 - L 12 SO 79/16 B ER).

Zwar steht der Leistungsauschluss des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII, dessen Voraussetzungen identisch mit denen des § 7 abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind (BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, B 4 AS 44/15 R -, B 4 AS 43/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R) einem Rechtsanspruch der Klägerin auf Hilfe zum Lebensunterhalt aus § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII entgegen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des EFA (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R) greift zu Gunsten der Klägerin nicht ein, da die Klägerin rumänische Staatsangehörige ist und Rumänien kein Unterzeichnerstaat des Abkommen ist.

Jedoch steht der Klägerin ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu (BSG, Urteile vom 03.12.2015 -2015 - B 4 AS 59/13 R -, B 4 AS 44/15 R -, B 4 AS 43/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R - ; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 - L 29 AS 20/16 B ER -; LSG Rheinland-Pfalz - L 3 AS 668/15 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - L 9 AS 1335/15 B ER -; LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 - L 12 SO 79/16 B ER). Das Ermessen der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes der Klägerin in der Bundesrepublik von mehr als sechs Monaten auf Null reduziert (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R). Denn im Hinblick auf die Dauer ihres Aufenthalts von mehreren Jahren in der Bundesrepublik und fehlenden Anhaltspunkte für die Einleitung oder auch nur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat die Klägerin über einen bereits verfestigten Aufenthalt verfügt (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R). Allein die Tatsache, dass die Klägerin keine eigene Wohnung und nach eigenen Angaben keinen festen Wohnsitz in L gehabt hat, spricht im Hinblick auf die langjährige Aufenthaltsdauer nicht gegen die Annahme eines verfestigten Aufenthalts. Gesichtspunkte, die trotz Vorliegens eines verfestigten Aufenthalts gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, wie z. B. eine Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe im Sinne des Ausschlussgrundes nach § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R) oder ein absehbarer kurzeitiger Aufenthalt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R) sind nicht ersichtlich.

Die nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen vom Hilfebedarf der Klägerin liegt vor. Zwar hat die Klägerin vor dem 07.07.2014 nicht bei der Beigeladenen vorgesprochen. Die Beigeladene muss sich aber die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen zurechnen lassen (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - m.w.N., vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R).

Die Beigeladene ist als örtlicher Sozialhilfeträger für die Gewährung der Hilfe nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zuständig, da die Klägerin sich in ihrem Zuständigkeitsbereich tatsächlich aufgehalten hat (§§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 1 AG SGB XII NRW).

Im Hinblick auf den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten, sachlich beschränkten Klageantrag sind Leistungen für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 35 SGB XII nicht von der Möglichkeit zur Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG erfasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, hat nicht bestanden.
Rechtskraft
Aus
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